30. Dezember 2008

Filmjahresrückblick 2008: Die Top Ten

Cinema should make you forget you are sitting in a theater.
(Roman Polanski)

Das Jahr ist praktisch rum und nach den letzten Zweitsichtungen kann nunmehr auch hier ein Resümee gezogen werden. Was zeichnete das Filmjahr 2008 für mich persönlich aus? Beherrscht wurde es ganz klar von dem mir vergönnten Bonus Pressevorführungen besuchen zu dürfen. Auf ganzen 53 Stück war ich dieses Jahr zu Gast, was somit beinahe fünfzig Prozent meiner Kinobesuche bestimmt. Eine andere hohe Zahl dieser verdanke ich zudem dem Fantasy Filmfestival, welches ich im Sommer besucht habe. Insgesamt habe ich mich also 109 Mal in einem Lichtspielhaus dieses Jahr eingefunden, was vermutlich ein persönlicher neuer Rekord sein dürfte. Da ich es in diesem Jahr zum ersten Mal vollständig protokolliert habe, kann ich es jedoch nicht verifizieren.

Abzüglich der Filme, die in Deutschland erst 2009 starten und zuzüglich der Filme, deren Sichtung mir lediglich auf DVD möglich war, kam ich 2008 in den Genuss von 120 Filmen, die in den letzten zwölf Monaten das (deutsche) Licht der Welt erblickt haben. Knapp elf Prozent davon wurden mir in der Sneak gezeigt, die zugleich fast die Hälfte der Filme für die diesjährige Flop 10 lieferte. Dieser Aspekt und die Tatsache, dass ich drei Mal Filme zu sehen bekam, die mir bereits in einer Pressevorführung begegneten, sorgten dafür, dass ich meine Sneakbesuche 2008 stark reduzierte. Bevor ich zu meinen diesjährigen Top 10 komme, will ich noch einen Blick über den nationalen Tellerrand werfen und ein Fazit fällen. Die Ungeduldigen unter euch können die letzten Meter runter scrollen.

Zwei Filme haben weltweit einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen und könnten dabei unterschiedlicher nicht sein. Während in den USA Christopher Nolans The Dark Knight mit 530 Millionen Dollar Einspiel zum erfolgreichsten Film des Jahres avancierte, eroberte das Musical Mamma Mia! in Europa die Kinos. Speziell die Briten outeten sich als enorme ABBA-Fans und schafften es mit einem Einspiel von 70 Millionen Pfund sogar den Uralt-Rekord von Titanic als erfolgreichsten Film abzulösen. In Deutschland, Italien und Russland war derweil ein ganz anderer Film Spitzenreiter: Madagascar 2. Die Spanier hingegen ließen sich vom coolsten Archäologen aller Zeiten begeistern und hievten Indiana Jones and the Kingdom of the Crystall Skull auf Platz 1 ihrer Jahresliste.

Als Patrioten erwiesen sich viele der anderen Nationen. Während in Polen Lejdig die Massen begeisterte und die Dänen sich dank Flammen og Citronen Geschichtsfans outeten, stellten die Franzosen dies nochmals in den Schatten. Die Kinofreudigste Nation Europas begeisterte sich an Bienvenue chez les Ch’tis und dem neuesten Asterix-Vehikel. Dagegen hatte auch Indiana Jones keine Chance, der zudem in den USA aufgrund einer Millionen Dollar gegenüber Iron Man das Nachsehen um Platz 2 der Jahrescharts hatte. Dennoch war Steven Spielberg und George Lucas dieser Platz weltweit sicher. In chronologischer Reihenfolge markieren The Dark Knight, Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull und Kung Fu Panda die drei ertragreichsten Filme des vergangenen Kinojahres.

Laut der Internet Movie Database (IMDb) handelt es sich bei den drei populärsten Filmen des Jahres um The Dark Knight (8.9/10), Wall•E (8.5/10) und Gran Torino (8.4/10). Der Star des Jahres ist ohne Frage Will Smith, dessen beide Filme I am Legend und Hancock gemeinsam über 1,2 Milliarden Dollar eingespielt haben. Aus Diskonsens mit den Academy Awards will ich nun noch meinen Senf zu einigen Subkategorien abgeben, welche die Jahrescharts nicht abdecken. Mit je zwei Sichtungen habe ich lediglich Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull und Australia mehrfach im Kino gesehen. Sowohl Indiana Jones als auch Sweeney Todd wurden insgesamt drei Mal gesichtet, mit vier Sichtungen markiert jedoch Southland Tales den von mir meistgesehenen Film des Jahres.

Als beste Fernsehserie von 2008 klassifiziere ich die Gossip Girl, die all dem gerecht wurde, was sie versprach (beziehungsweise: drohte) zu sein. Den gelungensten Animationsfilm wiederum stellte Appleseed: Ex Machina dar, der zudem die überzeugendste Action des Filmjahres bot. Des Weiteren erachte ich wahrscheinlich entgegen dem mehrheitlichen Tenor nicht The Dark Knight sondern vielmehr Speed Racer als die beste und vorlagentreuste Comicadaption. Die beeindruckendste Dokumentation lieferte Seth Gordon mit The King of Kong ab, wobei auch No End In Sight sehr gut recherchiert war. Zwar zeigte Charles Ferguson darin nichts auf, was man wir hier in Europa nicht schon vor fünf Jahren gewusst haben, aber für Amerikaner dürfte das fraglos interessant gewesen sein.

Den Platz der viel versprechendsten Nachwuchstalente teilen sich 2008 die Mexikanerin Inés Efron für ihre Hauptrolle in XXY, sowie der junge Aborigine Brandon Walters mit seiner Nebenrolle in Australia. Der beste und überzeugendste männliche Darsteller des vergangenen Jahres fand sich in Ryan Gosling. Sowohl in Lars and the Real Girl als auch in Half Nelson vermochte er eine komplexe Rolle zu transferieren und zugleich den jeweiligen Film auf seinen Schultern zu tragen. Bei den Damen war es da schon etwas schwerer. Letztlich fiel die Wahl auf Cate Blanchett, die in I’m Not There (als Frau wohlgemerkt) von allen Bob Dylan-Interpretationen die Gefälligste präsentierte. Selbst wenn sie nicht umhin kam, sich in ihrer Porträtierung bisweilen im overacting zu verlieren.

Resümierend betrachtet kann man mit dem Filmjahr 2008 insgesamt sehr zufrieden sein, war es doch nicht schlechter als die Vertreter aus dem Vorjahr - wenn nicht sogar besser. Wie so oft fanden sich dabei viele der besten Filme des Jahres bereits in den ersten beiden Monaten des Kalenders, was hinsichtlich der Beiträge des kommenden Jahres, die ich bereits sehen konnte, keine allzu großen Hoffnungen schüren lässt. Die folgenden zehn aufgelisteten Filme repräsentieren den gelungensten Dekalog des Jahres 2008, mit Werken wie Dance of the Dead, Vicky Cristina Barcelona, The King of Kong und WALL•E als Runner Ups. Aber langer Rede kurzer Sinn - es folgt zum Jahresausklang meine Top 10 (wie im Vorjahr führe ich die Flop 10 als ersten Kommentar auf):


10. Australia (Baz Luhrmann, AUS/USA 2008): Nach langjähriger Planung (und mehrjähriger Pause) hatte es Luhrmann endlich geschafft, sein erhofftes Epos über sein Heimatland auf die Leinwand zu bannen. In fast epischen zweieinhalb Stunden gelingt es ihm dabei, zahlreiche unterschiedliche Genres von Romanze, über Komödie und Kriegsfilm zu einem homogenen Ganzen miteinander zu verbinden und vor träumerischer Naturkulisse die vermutlich mitreißendste Liebesgeschichte des Jahres zu erzählen.

9. Vratné lahve (Jan Sverák, CZ/UK 2007): Erneut gelingt es dem Vater-Sohn-Gespann eine unterhaltsame und doch zutiefst patriotische Geschichte zu erzählen. In Leergut, so der deutsche Titel, widmen sich die Sveráks einem sturen Lehrer, will sagen „Grüßer“, der nicht umhin kann von seinen patriarchalischen Methoden loszukommen. Seine erotischen Phantasien sind ihm dabei keine Hilfe. Eine mit sehr sympathischem da einfachem Humor ausgestattete Komödie aus dem tschechischen Lande.

8. The Darjeeling Limited (Wes Anderson, USA 2007): Auch in mit seinem fünften Spielfilm weiß Anderson zu gefallen und offeriert dem Publikum vor der intensiven Kulisse Indiens eine Familie, die durch den Tod des Familienoberhauptes auseinandergerissen wurde. Nicht nur von einander, sondern auch von sich selbst. Auf einer schrullig-schrägen Reise zu ihrer Mutter finden die drei ungleichen Brüder wieder zu einander. Anderson kombiniert hier exzellent Bilder, Geschichte und musikalische Untermalung.

7. Lars and the Real Girl (Craig Gillespie, USA 2007): In diesem Dramödie über das Andersein zelebriert Gillespie nicht nur das Gute im Menschen, sondern auch die Akzeptanz dessen, was man ist und nicht dessen, was man tut. Dass es dem Film dabei gelingt, zu keinem Zeitpunkt in lächerlichen Kitsch abzugleiten oder seinen Protagonisten der Lächerlichkeit preiszugeben, ist zum einen sein größter Verdienst und zum anderen ein ergreifendes Manifest für tolerantes Verhalten allgemein.

6. XXY (Lucía Puenzo, RA/E/F 2007): Mit ihrem Film erschuf Puenzo ein eindringliches Drama über eine 15-jährige Intersexuelle, deren Eltern bestrebt sind, ihr durch eine Operation ein eindeutiges Geschlecht und damit zugleich auch eine klare Identität zuzuordnen, die dem Mädchen zu fehlen scheint. Dabei verkommt der Film, ebenso wie Lars and the Real Girl, zu einem Pamphlet für Akzeptanz und Toleranz. Nicht nur gegenüber anderen Menschen, sondern zuvorderst auch sich selbst gegenüber.

5. Sweeney Todd - The Demon Barber of Fleet Street (Tim Burton, USA/UK 2007): Burton weiß nicht zu enttäuschen und liefert eines der opulentesten und harmonischsten Film-Musicals der Gegenwart ab. Seine Adaption von Stephen Sondheims Kult-Musical ordnet sich perfekt in das Sujet des Regisseurs ein und bezaubert den Zuschauer mit dem Rachefeldzug seines größenwahnsinnig gewordenen Helden in einer Geschichte, in der Liebe nur möglich scheint, wenn dafür andere Figuren zu Schaden kommen.

4. Southland Tales (Richard Kelly, USA/D/F 2006): Die wahrscheinlich umfangreichste Arbeit der letzten Jahre hat sich Kelly mit seinem von der Presse gescholtenen Donnie Darko-Nachfolgers gemacht. Sein Film ist nicht nur eine Adaption der Johannes-Offenbarung, sondern zugleich auch Spiegelbild der aktuellen amerikanischen Gesellschaft. Auch hier gehen die visuellen Bilder mit der brillanten musikalischen Untermalung Hand in Hand und bilden ein so faszinierendes wie vielschichtiges Gebilde.

3. In Bruges (Martin McDonagh, UK/USA 2008): Der Ire McDonagh liefert die Überraschung des Jahres ab, mit seiner schwarzen Komödie über zwei irische Auftragskiller. Der Film begeistert nicht nur wegen seiner harmonischen und gut aufspielenden Darsteller, sondern speziell durch sein pointiertes Drehbuch, das stets zum rechten Zeitpunkt die richtige Wendung nimmt. Ein kleines Meisterwerk des Gangsterfilmes und eine Liebeserklärung an Brügge: “It’s a fairytale fucking town, isn't it?“.

2. Into the Wild (Sean Penn, USA 2007): Bis ins kleinste Detail adaptierte Penn perfekt die Vorlage von Jon Krakauer und lieferte dem Publikum ein eindringliches Porträt einer faszinierenden Persönlichkeit. Die Unschuld, Naivität und Aufrichtigkeit von Christopher McCandless ist in Emile Hirschs starkem Spiel stets spürbar. Die Bilder von Eric Gautier und Eddie Vedders Score avancieren in Verbindung mit Krakauers Recherchen unter Penns Regie zu einem Plädoyer für die untrügliche Freiheit des Menschen.

1. Le scaphandre et le papillon (Julian Schnabel, F/USA 2007): Nicht weniger brillant ist Schnabels Umsetzung des Romans von Jean-Dominique Bauby, in welchem er über sein Schicksal Locked-in-Syndrom philosophiert. Die Musik (Paul Cantelon) bildet mit den Bildern (Janusz Kaminski) und dem Drehbuch (Ronald Harwood) unter der Regie ein eindringliches Drama und zugleich Fest für die Sinne. Die Intensität mit der Jean-Do um sein Leben kämpft ist faszinierend wie der ganze Film perfekt. Un poème d’un film.

28. Dezember 2008

Tropa de Elite

Rio de Janeiro is a city at war.

Polizisten sind schon arme Schweine. Von wegen Freund und Helfer, in den meisten Fällen erfahren die Ordnungshüter des Staates Ablehnung und Anfeindung. Und wie es scheint, ist dies in Brasilien ganz besonders der Fall. In José Padilhas Tropa de Elite besteht die Polizei aus Korruption, Korruption und dann noch etwas Korruption. Hier kommen Polizisten nur zu Hilfe, wenn man sie vor Ort dafür bezahlt. Genauso wie sie auch nicht zu Hilfe kommen, wenn man sie dafür bezahlt. Eigentlich wollen sie nur bezahlt werden, die Polizisten in Rio de Janeiro. Die Polizei ist sogar so korrupt, dass sie sich gegenseitig bestiehlt. Offiziersanwärter Neto (Caio Junqueira) soll die Wagen der Hauptkommissare warten, kann dies jedoch nicht, da jemand aus der Abteilung Wagenteile geklaut hat. Als Neto eine Untersuchung einleiten will, blockt sein Vorgesetzter ab. Solange kein Geld fließt, gibt es auch kein Interesse.

In der Stadt selbst sieht das alles nicht besser aus. Einer der Abteilungsleiter lässt Wagen abschleppen, was den Geschäftsbereich eines Ladens absperrt. Der Besitzer ruft seinen örtlichen Abteilungsleiter Fábio (Milhem Cortaz), da er diesem quasi „Schutzgeld“ bezahlt. Doch Fábio ist kein ranghohes Tier, seine Forderung wird beim Hauptkommissar abgeschmettert. Willkommen in Rio de Janeiro. Padilhas Polizeiskizzierung erweckt zweifelsohne einen erbärmlichen Zustand. In einer Uni-Seminarssitzung lässt der Regisseur seine Darsteller die Meinung des Volkes vertreten. Korrupte Bullen, die Selbstjustiz in den Favelas ausüben. Die Klasse ist sich einig, abgesehen von André (André Ramiro). Seine Kommilitonen hätten ein verzerrtes Bild von der Polizei, meint er. Schließlich kennt André zwei Kumpels, die selbst Polizisten sind und bei denen das nicht so sei. Diese beiden Kumpels sind André selbst und sein Kindheitsfreund Neto.

Die Handlungsebene von Tropa de Elite ist dreigeteilt. Zum einen folgt der Zuschauer der Geschichte von Neto und André, wobei André im Zentrum steht, und zum anderen bleibt die Kamera auf Capitão Nascimento (Wagner Moura). Nascimento selbst gehört nicht zur Polizei sondern zur BOPE: dem Batalhão de Operações Policiais Especiais. Die Titelgebende Eliteeinheit ist der Stolz von Rio de Janeiro und kommt immer dann zum Einsatz, wenn die Weicheier von der Polizei scheiße gebaut haben oder nicht mit den Gangstern aus den Favelas klarkommen. Mit einem solchen Einsatz leitet Padilha seinen Film auch ein. Während einer Party in einer der Favelas kommen Polizisten, um sich schmieren zu lassen. Heimlich still und leise haben sich Neto und André eingeschliechen, die das Publikum zu diesem Zeitpunkt noch nicht kennt. Beide beginnen aus unerfindlichen Gründen, die später aufgeklärt werden, das Feuer. Aus der Favela wird eine Kriegszone und kurz darauf rückt BOPE mit Nascimento an, um die Situation zu bereinigen. Und mit bereinigen kann man ruhig bereinigen verstehen.

Der narrative Rahmen des Filmes behandelt zwei Aspekte. Der erste und etwas stärker gewichtete ist die Figur von André. Der Polizist studiert nebenher noch Jura und ist sich unschlüssig, welchen der beiden Berufe er später einmal ausüben will. Nur dass der den Bürgern Rios helfen will, das weiß er. An seiner Uni weiß jedoch keiner, dass André ein Polizist ist. Auch nicht seine Freunde wie Maria (Fernanda Machado), mit der André schließlich anbandelt. In seinem Freundeskreis muss er schnell lernen ein Auge zuzudrücken. Die meisten aus seiner Klasse kiffen nebenher, ein anderer arbeitet als Drogendealer für einen der Favelabosse. Im Laufe des Filmes muss sich André entscheiden, welchen moralischen Weg er einschlagen will. Am Ende des Filmes hat sich André entschieden, welchen Weg er einschlagen wird.

Die übergeordnete Geschichte, die sich eher im Hintergrund abspielt, ist die Schwangerschaft von Nascimentos Frau. Durch das Kind will der Einsatzleiter aus dem Dienst ausscheiden. Hierfür muss er einen Nachfolger rekrutieren und ausbilden. Grundsätzlich findet die Bewerbung zum BOPE freiwillig statt und unter anderem melden sich Fábio, André und Neto. Es ist eine kraftaufreibende Ausbildung nach dem Motto: nur die Harten komm in Garten. Durchschnittlich fünf Bewerber halten bis zum Schluss durch, in Nascimentos Jahrgang waren es nur drei, wie er dem Zuschauer verrät. Wie zu erwarten war, gehören André und Neto zu denjenigen, die durchhalten. Doch kurz darauf soll sich das Leben der beiden Freunde für immer verändern.

Bei der diesjährigen Berlinale konnte Tropa de Elite den Goldenen Bären als bester Film mit nach Hause nehmen. Zuvor hat er Film schon eine Menge durchgemacht, als in der Firma, die für die Untertitel verantwortlich war, eine Raubkopie angefertigt worden war, die anschließend auf den Straßen von Rio de Janeiro landete. Drei Millionen Menschen sollen diese Kopien gesehen haben – mehr als ins Kino gegangen sind. Dem Film tat dies keinen Abbruch, er war der meistgesehene in Brasilien in seinem Entstehungsjahr. Diskutabel ist Padilhas Werk dabei allemal. Die Darstellung der Polizei ist recht einseitig, wobei es unerheblich ist, ob sie dem realen Bild gerecht wird. Als Kontrast dazu wird Nascimento und seine Elitetruppe beinahe schon glorifiziert. Als Ritter in schimmernder Rüstung erscheinen sie stets um den Tag für alle zu retten. Das Ganze geschieht dann mit höchst fragwürdigen Methoden, die gerne die Grenzen des Legalen überschreiten. Der Zweck heiligt scheinbar die Mittel.

Ohne die Favelabosse in Schutz nehmen zu wollen haben jedoch andere Filme und Medienelemente, darunter zum Beispiel Fernando Meirelles’ Cidade dos Homens-Serie, aufgezeigt, dass die Favelas sich durchaus selbst zu organisieren und zu verwalten wissen. Es herrscht keine Anarchie, die Bosse regeln den Ablauf aller Anwohner und üben auf ihre eigene Art und Weise Recht und Unrecht aus. Damit soll lediglich zum Ausdruck gebracht werden, dass es zwei Seiten der Medaille gibt, die Padilhas Film nicht wirklich einzufangen weiß. So ist sein einseitiger Blickwinkel nicht nur manipulativ, sondern auch bisweilen etwas frustrierend. Für sich selbst gesehen ist Tropa de Elite durchaus ansprechend umgesetzt und nimmt teilweise richtig Zug auf. Alles in allem verliert er sich jedoch oft in Klischees, idealisiert stark und hinterfragt zu wenig. Für eine nähere Betrachtung der Favelas in Rio de Janeiro empfehlen sich daher die Filme aus Meirelles Feder.

6.5/10

26. Dezember 2008

Cidade dos Homens - Season Three

Es gibt Momente, wo man sagen muss was man fühlt.

Sie sind zurück, die beiden Favela-Jungs Laranjinha (Darlan Cunha) und Acerola (Douglas Silva). In Europa markiert die dritte Staffel von Fernando Meirelles’ Serie Cidade dos Homens auch gleichzeitig das Ende der Serie. Wer sich die vierte Staffel zu Gemüte führen will, der muss schon auf eine US-Import DVD setzen. Auch in ihrem dritten Jahr dreht sich in der Serie alles um das Thema „Frauen“. Aber auch Familienfragen werden thematisiert, alles in Relation zum harten Leben in den Armenvierteln von Rio de Janeiro. Man merkt es den beiden Laiendarstellern Cunha und Silva inzwischen an, dass sie etwas eingespielter sind und ihre Szenen daher glaubwürdiger rüber bringen können. Die Vermischung von amüsanten die dramatischen Elementen gelingt eine Spur besser als in den vorherigen beiden Staffeln.

In der ersten Folge ist die Sexualität der Jugendlichen noch allgegenwärtig. Laranjinha treibt es mal wieder vogelbunt und Acerola will eigentlich nur ein paar Intimitäten mit seiner Liebe Cristiane (Camila Monteiro) austauschen. Ein von den Jungs selbst gemixter Liebestrunk soll die weiblichen Mitschülerinnen gefügig machen. Die Aktionen der beiden Freunde haben dieses Mal weitreichende Folgen. Während Laranjinha seine Jungfräulichkeit an eine Gangsterfreundin verliert, schläft Acerola kurz darauf mit Cristiane. Hinterher müssen beide mit den Resultaten auskommen. Laranjinha hat das Viertel zu verlassen, da sein Leben auf dem Spiel steht und durch den ungeschützten Sex mit Acerola wird Cristiane gleich bei ihrem ersten Mal schwanger.

Doch das Leben in der Favela ist hart und schnell. Laranjinhas Verfolger stirbt und so kann der Romantiker zurückkehren, nur um sich gleich den nächsten Ärger aufzuhalsen. Die dritte Folge Vacilo é um só ist die beste der dritten Staffel. Acerola hilft einem Bürgerkomitee, um etwas Geld für eine Abtreibung zusammen zu kriegen. Laranjinha hingegen beginnt eine Romanze mit Tina (Kamilla Rodrigues). Tina wiederum entstammt einem kaputten Elternhaus. Ihr Vater betreibt einen Kiosk und schlägt seine Frau regelmäßig. Die Jugendliche setzt ihre ganzen Bestrebungen dahin, von Madrugadão (Jonathan Haagensen) in die Bande aufgenommen zu werden. Gegen Ende der Folge eskaliert die Situation. Als Ausgleich für diese sehr ernste Folge ist die vorletzte Episode der Staffel etwas lockerer, aber nicht weniger gefährlich. In Cidade dos Homens ist die Gefahr für alle Beteiligten stets präsent, eine falsche Entscheidung kann hier schnell zum Tod führen.

Etwas stärker als zuvor wird in der dritten Staffel das Thema der Vaterschaft angesprochen. Laranjinha ist weiterhin auf der Suche nach seinem Vater und es diese Suche, die schließlich dazu führt, dass Acerola sich zu seinem eigenen Kind bekennt und eine Abtreibung ablehnt. Doch nicht nur die Ablehnung der Abtreibung ist ausschlaggebend, sondern auch die Tatsache, dass Acerola zur Cristiane steht. „Willst du dass dein Kind ohne Vater aufwächst wie wir?“, fragt Laranjinha seinen besten Freund in einer der entscheidenden Szenen. Von ihrer Grundstimmung her ist auch die „letzte“ Staffel durchaus gelungen, speziell in ihrem Gleichgewicht zwischen Gewalt und Humor. Somit bietet diese wie keine andere Staffel der Serie den besten Aufhänger für den Abschluss der Reihe im gleichnamigen Kinofilm. Dieser wartet selbstverständlich mit einigen bekannten Gesichtern auf.

8/10

24. Dezember 2008

The King of Kong: A Fistful of Quarters

Never surrender.

Es ist die bezeichnendste Szene im gesamten Film: Steve Wiebe sitzt auf der Rückbank seines Vans, seine Frau fährt die Familie zum Flughafen. Neben Wiebe sitzt seine kleine Tochter Jillian. „Some people sort of ruin their life to be in there“, sagt sie mit Unverständnis. Steve blickt kurz in die Kamera, ein zaghaftes Lächeln auf den Lippen. Dann blickt er zu seiner Tochter, wieder zur Kamera – man merkt, er hat keine Antwort parat. Es gibt keine Antwort. Ein kleines Mädchen demaskiert das Verhalten ihres Vaters und hunderter anderer Menschen. Steve Wiebe ist ein High School Chemie Lehrer. Seit einem Jahr erst. Er hat eine Frau und zwei wunderbare Kinder. Gelegentlich spielt Steve auf dem Schlagzeug seines Sohnes, schließlich hatte er selbst immer eines gewollt. Was Steve jedoch immer am meisten wollte, war der Erste zu sein. Egal wo. Irgendwann hat Steve sich einen Donkey Kong Spielautomaten in die Garage gestellt. Irgendwann hat Steve den über zwanzig Jahre alten Highscore von Billy Mitchell geknackt. Steve war dennoch nie Erster. Als ein neues Guinness Buch der Rekorde erscheint macht sich Steve auf nach Florida, um dort Billys Rekord zu knacken. Offiziell. Seine kleine Tochter sitzt neben ihm im Van. „Some people sort of ruin their life to be in there“.

Donkey Kong ist ein Arcade-Spiel von Nintendo aus dem Jahr 1981 und das erste auf der bekannten Mario-Reihe. Prinzipiell geht es darum, dass Mario mehrere Etagen erklimmt, um eine Prinzessin vor Donkey Kong zu retten. Donkey Kong wiederum schmeißt Fässer und ähnliches, um Mario aufzuhalten. Von Experten wird das Spiel als eines der schwersten aller Zeiten eingestuft, die wenigsten Spieler kommen über das dritte Level hinaus. Ein Jahr nach seiner Veröffentlichung stellte Billy Mitchell einen Rekord auf, den über zwanzig Jahre niemand auch nur ansatzweise gefährden sollte. Mitchell gilt offiziell als der beste Arcade-Spieler des vergangen Jahrhunderts. 1999 war er der erste Mensch, der es schaffte Pacman durchzuspielen. Mitchell ist eine Ikone und eine Legende in der Arcade-Szene. Schiedsrichter und Videospielgesellschaftsgründer Walter Day spricht von ihm als „the closest thing to a Jedi“. Während Regisseur Seth Gordons Dokumentation The King of Kong merkt man Mitchell an, dass jene 25 Jahre seit seinem Rekord auf ihn abgefärbt haben. Er macht nun in Restaurantsaucen und hat drei Initialen: U, S and A. Seine Krawatten zeigen die Staatsflagge oder die Freiheitsstatue. Er ist ein Amerikaner. Er ist ein Gewinner. Und er ist selbstverliebt.

Als Steve Wiebe den Rekord von Mitchell bricht, dämmert es schon und er spielt in seiner Garage. Sein Spiel zeichnet er auf, sein Sohn quengelt aus dem Inneren des Hauses. Einige Tage später schaut sich der Chefschiedsrichter Robert Mruczek von „Twin Galaxies“, dem von Day gegründeten Videospielverband, Wiebes Rekord an. Mruczek ist ein seltsamer Kerl, nicht so sehr aufgrund seines Verhaltens, sondern weil man das Gefühl nicht loswird, dass man Paul Giamatti sieht, wie er eine Person namens Robert Mruczek darstellt. Die Ähnlichkeit ist verblüffend, man kann ihn googeln und sich selbst überzeugen. Welche Auswirkungen Wiebes Rekord hat, kann man sich vorstellen. Stimmen werden laut, die Leute sind erstaunt. Eines Tages stehen zwei Männer vor der Garage der Wiebes, bauen den Arcade auseinander. Es sind Freunde von Billy Mitchell, sie überprüfen die Festplatte. Als sie erfahren, dass Steve diese von Roy Shildt erhalten hat, beginnen ihre Zweifel. Der Rekord wird nicht anerkannt, da nur auf Videoformat vorhanden. Steve steht es frei jederzeit vor Live-Publikum einen neuen Versuch zu unternehmen.

Roy Shildt ist innerhalb der Szene besser bekannt als „Mr. Awesome“. Billy Mitchell sieht Shildt als seinen persönlichen „Nemesis“ und behauptet der Zwist zwischen ihnen spalte die Szene genauso wie die Abtreibungsfrage. Was ist ein Mann, der zwei Jahrzehnte lang für einen Rekord verantwortlich war, wenn ihm dieser genommen wird? Er ist Vergangenheit und genau das möchte Mitchell nicht sein. Immer wenn sich Steve aufmacht, um in einer öffentlichen Einrichtung den Rekord zu knacken, schickt Mitchell seine „Untertanen“ wie Brian Kuh oder Steve Sanders aus, damit diese Wiebe beobachten. Teilweise sitzen sie direkt neben ihm, wenn er spielt und mit direkt meine ich direkt. Bei Donkey Kong nennt man das letzte Level „Kill Screen“, weil man das Spiel nicht zu Ende spielen kann. Die Leistungskapazität der Arcades ist nicht groß genug. Als Steve bei einem Auftritt kurz davor steht, jenen „Kill Screen“ zu erreichen, macht sich Kuh auf, um so viele Zuschauer wie möglich zusammen zu trommeln, dabei sie Druck erzeugen können.

Gordon erzählt in seinem Dokumentarfilm vom dem klassischen Kampf des David gegen Goliath. Und es ist ein harter Kampf, speziell dann, wenn er mit ungleichen Mitteln geführt wird. Zwar erkannte „Twin Galaxies“ Steves ersten Rekordbruch auf Video nicht an, als dieser den Rekord jedoch live aufstellt und Mitchell in Abwesenheit ein Video mit technischen Mäkeln einsendet, landet sein neuer Rekord innerhalb von wenigen Minuten auf der Homepage des Verbandes. In der Folgeszene sieht man Wiebe weinen. Es wirkt, als kämpfe er einen aussichtlosen Kampf gegen Lobbyisten, die alles unternehmen, um den Status Quo aufrecht zu erhalten. „Some people sort of ruin their lifes“. Fraglos hat das Geschehen Auswirkungen auf Wiebes Familienleben. Die Zeit, die der Vater in der Garage oder auf Wettbewerben zubringt, fehlt seinen Kindern. Auch an seiner Frau geht die emotionale Belastung nicht spurlos vorbei. Im Laufe des Filmes kämpft Steve weniger darum Erster zu sein, sondern nur noch darum Anerkennung zu erfahren. Als bei einem Wettbewerb Mitchell erscheint und wie ein Tiger um Steve herumschleicht, grüßt er diesen nicht einmal zurück. Die Angst ist ihm in jedem direkten Interview stets in die Augen geschrieben. Mitchell weiß ganz genau, dass er ohne seinen Donkey Kong Rekord gar nichts mehr wert ist.

Die Auseinandersetzung zwischen Wiebe und Mitchell schaffte es sogar in einer ganzen South Park-Folge (More Crap, d. Red.) referiert zu werden. Scheinbar spitzte Regisseur Seth Gordon den einen oder anderen Aspekt zu, um die Thematik seiner Dokumentation dienlicher zu machen. Bis zur Abweisung von Wiebes erstem Rekord vergingen wohl drei Jahre und auch vor dem finalen Turnier sollen sich die beiden Konkurrenten schon mal in persona begegnet sein. Nichtsdestotrotz ist Gordon mit seinem Film eine packende Dokumentation eines unscheinbaren Milieus gelungen. Männer wie Walter Day oder Robert Mruczek widmeten ihre Freizeit für die Errichtung ihres Arcadeverbands. Mit welcher Verbissenheit und insbesondere auch Taktik „professionelle“ Spieler wie Wiebe und Mitchell an ihre Spiele herangehen, ist beeindruckend. Mit Skizzen und Diagrammen werden hier bestimmte Bewegungen einstudiert. The King of Kong ist eine unterhaltsame und spannende Dokumentation über den Ehrgeiz, Stolz und die Angst zweier Männer, die aus ihrem normalen Alltag versuchen auszubrechen, indem sie auf unspektakuläre Weise etwas Spektakuläres erreichen wollen.

8.5/10

22. Dezember 2008

Half Nelson

I'm part of the machine. But if I'm part of it, then so are you.

Dieses Jahr hat Ryan Gosling in seiner Karriere einen enormen Sprung getan. Der ehemalige Hauptdarsteller der Fernseh-Spinoff-Serie Young Hercules, der in den letzten Jahren als Nebendarsteller der Krimis Murder by Numbers und Fracture war, gewann dieses Jahr die Presse für sich. Sowohl in Lars and the Real Girl als auch in Half Nelson überzeugte Gosling in Charakterrollen. Für seine Portraitierung des High School Geschichtslehrers Daniel Dunne erhielt Gosling letztes Jahr schließlich eine Oscarnominierung als Bester Hauptdarsteller. Wahrscheinlich nicht die letzte für den gebürtigen Kanadier, der Brad Pitt in dem AIDS-Drama The Dallas Buyer’s Club ersetzt hat. Half Nelson ist sein Film und sein Film durch und durch. Als drogenabhängiger Geschichts- und Sportlehrer versucht er seinen hauptsächlich afroamerikanischen Schülerinnen und Schülern die Bedeutung von Wechselwirkungen näher zu bringen. Ein Wechsel findet immer dann statt, erklärt Dunne in einer Szene, wenn zwei gegensätzliche Kräfte aufeinandertreffen. Als gelernter Historiker sei gesagt, dass dies sicherlich eine Begriffsdefinition in ihrer Kurzfassung ist. Mit seiner individuellen Art eckt Dunne jedoch an. Mehrfach weist ihn die Schulleiterin darauf hin, gefälligst dem Lehrplan zu folgen und den Kindern die Bürgerrechte anhand der Schulbücher beizubringen. Dabei ist Dunnes Art zu unterrichten die offensichtlich aufnehmbarere für die Jugendlichen. Dadurch ist Dunne selbst eine oppositionelle Kraft innerhalb der Maschinerie, der er selbst angehört.

Regisseur Ryan Fleck inszeniert seinen Dan Dunne als durchaus pflichtbewussten Junkie und opfert für dieses Porträt ein großes Maß an Glaubwürdigkeit. Denn vor oder während der Schule nimmt Dunne keine Drogen zu sich. Zwar leidet er unter seinem Drogenkonsum und versucht diesen durch Augentropfen und Kaffee zu verschleiern, dennoch würde ich ihm nicht im Traum einfallen, während der Unterrichtszeit high zu sein. Dafür wartet er nach dem Basketballspiel seiner Mannschaft ab, bis alle Mädchen aus der Umkleide verschwunden sind, um dort eine Crackpfeife zu rauchen. Hier beginnt nun der Wandel, den der Film selbst beschreitet. Drey (Shareeka Epps), eine von Dunnes Schülerinnen, erwischt den völlig breiten Lehrer auf der Toilette. Nachdem er von seinem Trip runtergekommen ist, fährt der Lehrer die Schülerin nach Hause. Zuerst gehen sich beide die nächsten Tage aus dem Weg, dann beginnt jedoch zögerlich eine Freundschaft zwischen ihnen zu entstehen. Durch Drey versucht sich Dunne selbst etwas zu beweisen. Das Mädchen ist sozial stark vernachlässigt, der Vater ist abwesend und vernachlässigt seine Pflichten, die Mutter übernimmt Extraschichten, um ihrer Tochter aus dem Weg zu gehen. Da ihr älterer Bruder Mike im Gefängnis sitzt weil er für den Nachbarschaftsdealer Frank (Anthony Mackie) Drogen verkauft hat, fühlt sich dieser verantwortlich nach der Jugendlichen zu sehen.

Drey und Dunne sind nun zwei gegensätzliche Kräfte, die aufeinander prallen und einen Wandel vollziehen. Beide alleine wissen sich nicht aus ihrem Dilemma zu helfen. An einem Abend ordert Dunne gemeinsam mit wildfremden Leuten Kokain in ein Motelzimmer. Es ist schließlich Drey, die ihm auf Geheiß von Frank die Drogen ausliefert. Für beide ihr augenblicklicher Tiefpunkt. Dank der Aufmerksamkeit, die Drey von ihrem Lehrer entgegengebracht wird, fühlt diese sich lebendiger und Dunne wiederum glaubt durch seine Beziehung zu dem Problemkind eine Seele aus dem Fegefeuer der Straße retten zu können. Fleck erklärt seinem Publikum nicht, was Dunne dazu bewog mit den Drogen anzufangen, die dessen ganzes Leben ausmachen. Er lebt in einer spartanischen Wohnung, die nur das nötigste beinhaltet. Wenn er nicht in der Schule ist, ist er high. Als er eines Tages seinen Kater füttern will, merkt er, dass dieser bereits verhungert ist. Diese beiden Welten wollen nicht wirklich zusammen passen und hier scheitert Half Nelson am meisten. Ein Mann, der verpeilt seine Katze zu füttern, aber jeden Tag nüchtern zur Arbeit erscheint. Es wäre hier in der Tat hilfreicher gewesen zu erfahren, was Dunne eigentlich zu seinem Drogenkonsum gebracht hat. Als eine Ex-Freundin auftaucht geht er dieser ebenso aus dem Weg, wie er allen anderen Menschen in seinem Leben aus dem Weg geht. Abgesehen von Drey, für die er bald extreme Beschützerinstinkte entwickelt.

Somit spricht es für sich, wenn jeder anderweitige soziale Kontakt, seien es Bekanntschaften in der Bar, ein Besuch bei den Eltern oder eine sexuelle Affäre mit einer Kollegin stets nur im Drogenrausch für Dunne möglich sind. Einzig mit Drey kommt er ohne Drogen aus und es sind zu einem Großteil die Szenen mit Dunne, die Drey lächeln lassen. Man muss Fleck loben, dass er die Beziehung zwischen Dunne und Drey nie pädophile Züge annehmen lässt. Letztlich sind es zwei Menschen, die aufgrund ihres sozialen Umfeldes einander bedürfen. Abgesehen von einer Szene filmte Fleck Half Nelson dabei ausschließlich mit einer Steadycam, deren Bilder bisweilen einen semidokumentarischen Stil erzeugen. Aufgrund seiner Thematik des makelbehafteten Lehrers hebt sich der Film von Genrevertretern wie Dangerous Minds oder 187 gelungen ab, ohne vollends glaubwürdig zu sein. Die Chemie zwischen den drei Hauptdarstellern Gosling, Epps und Mackie stimmt, sowohl untereinander, als auch in der Gruppe. Speziell Gosling und Epps heben sich hierbei hervor und wissen den Film auf ihren Schultern zu tragen.

8/10

20. Dezember 2008

Australia

Would you like to hear a story?

Es ist eine harte und raue Welt, da unten im Down Under. Kein Wunder, hat Australien seinen Ursprung doch in einer Gefängniskolonie gefunden. Hier sind die tödlichsten und gefährlichsten Lebewesen der Erde beheimatet. Schlangen. Haie. Quallen. Menschen. Alle auf einem Kontinent vereint, sodass es nur natürlich ist, dass die englische Adelige Lady Sarah Ashley (Nicole Kidman) bei ihrer Ankunft als Fremdkörper herausragt. Ihres Mannes wegen ist sie hier, der eine Rinderfarm betreibt. Um den Verkauf jener Farm voran zu treiben, hat sich Lady Ashley auf den weiten Weg in die Kolonie gemacht. Dabei schreibt man das Jahr 1939 und der Krieg gegen Hitler steht vor der Tür. Das zarte englische Blümchen hat hier also nichts verloren, sind sich die Einheimischen sicher. „Sie wird in der Wüste verdorren“, meint Neil Fletcher (David Wenham) abschätzig, als er Lady Ashley zum ersten Mal begegnet. Fletcher ist ein Mann mit verräterischen Augen, der Verwalter von Faraway Downs, jener Farm im Besitz der Ashleys.

Während Fletcher zu Beginn von Australia noch eine kleine Nummer ist, nicht mehr als eine Randnotiz, stilisiert er sich im Laufe des Filmes immer mehr zum Hauptantagonisten heraus. Fletchers Familie arbeitet in der dritten Generation auf Faraway Downs, seine Loyalität liegt jedoch bei King Carney (Bryan Brown), dem Hauptkonkurrenten der Ashleys. Die britische Armee muss mit Rindfleisch versorgt werden und außer Faraway Downs muss Carney keine Konkurrenz fürchten. Um sein Monopol zu sichern hat er Fletcher die Hand seiner Tochter versprochen und diesem somit den Weg zu einem unermesslichen Erbe geebnet. Doch beide haben die Rechnung ohne die Wirtin gemacht, denn erst einmal auf der Farm angekommen und mit den dortigen Schicksalen der Bewohner konfrontiert, beginnt sich Sarah schon bald gegen Carney und Fletcher zu stellen.

Alle Jahre dreht der Australier Baz Luhrmann mal einen Film und wenn er dies tut, kann man sich sicher sein nicht enttäuscht zu werden. Jahrelang hatte er um sein Australia-Projekt gekämpft, zuerst die Hauptrollen mit Nicole Kidman und Russell Crowe besetzt, ehe Crowe ausschied, weil er Gehaltseinbußen hinnehmen sollte. Da Luhrmann sein Heimatprojekt patriotisch halten wollte, fragte man bei Heath Ledger an, der jedoch zu Gunsten von The Dark Knight ebenfalls absagte. Und weil Mel Gibson wohl schon zu alt ist, entschied man sich letztlich für den neuen Sexiest Man Alive: Hugh Jackman. Jackman wiederum wurde von Kidman dazu überredet die Rolle anzunehmen, ohne wie sie das Drehbuch vorher gelesen zu haben. Dieses wurde unter anderem von Stuart Beattie und Ronald Harwood mitgeschrieben. Der Film markiert die dritte und letzte Zusammenarbeit zwischen Regisseur Luhrmann und Hauptdarstellern Kidman. In einer Szene des Filmes erklärt Sarah, dass sie nicht im Stande ist Kinder zu gebären. Eine emotionale Szene für die Darstellerin, die selbst zwei Fehlgeburten erlitten hatte, ehe sie während der Dreharbeiten schwanger wurde. Bedauerlich, dass diese beiden australischen Größen nunmehr nicht wieder beruflich zusammen kommen werden.

Die erste Viertelstunde von Australia ist im Stile einer Komödie gehalten. Nach einer graphisch verspielten Einleitung ist es das Aufeinandertreffen der beiden Commonwealth-Kulturen, das zur Amüsierung beiträgt. Aus Zeitmangel schickt Sarahs Mann ihr einen seiner Mitarbeiter nach Darwin um sie abzuholen. Der für sie mysteriöse Drover (Hugh Jackman) ist in Darwin selbst ein bekanntes Gesicht. „Er scheint wohl verhindert zu sein“, stellt Sarah fest, als sie ihn vergebens in einer Bar aufsucht. Währenddessen prügelt Drover sich gerade vor jener Bar mit einem Rassisten. Nützliche Verwendung findet er dabei in Sarahs Gepäckstücken. Ihr Blick verrät, dass es bessere Wege gibt sich vorzustellen. Ohnehin will der Viehtreiber (engl. drover) ihr ja nur an die Wäsche, findet die Engländerin. Nicht mal wenn sie das letzte Stück Fleisch auf dem Kontinent wäre, winkt der raubeinige Australier ab. Die Szene wird entlastet durch das Auftauchen einer Herde Kängurus. „Ach, sind die süß“, meint Sarah. Endlich ein gemeinsamer Nenner, glaubt sie, niemand kann diese Säugetiere nicht süß finden. Doch Drover ist nicht niemand, Australien ist nicht irgendwo und nur weil beide Commonwealth-Länder dieselbe Königin haben, sind sie sich deswegen noch lange nicht ähnlich.

Auf der Farm angekommen stellt Sarah fest, dass ihr Mann ermordet wurde. Luhrmann wechselt den Ton seines Filmes, die humoristischen Elemente lassen nach. Stattdessen etabliert der Regisseur nunmehr das Thema eines Western. Die Rinder der Farm wurden gestohlen, die Ureinwohner werden misshandelt. Der kleine Mann muss sich gegen das große Industriemonopol durchsetzen. Experte Drover muss eine Bande von Amateuren um sich versammeln, damit er die 1.500 Rinder der Farm rechtzeitig nach Darwin eskortieren kann, ehe das Militär Carneys Vieh übernimmt. Später in Darwin wechselt Luhrmann dann erneut den Ton des Filmes, vom Western zum Liebesfilm. Die Funken glühen zwischen Sarah und Drover, ein scheinbares Heile-Welt-Szenario. Zu diesem Zeitpunkt hat Australia etwa die Hälfte seiner Laufzeit erreicht, doch Luhrmann lässt den Film noch lange nicht enden. Erneut wechselt er das Genre und inszeniert fortan ein Kriegsdrama bis schließlich der Abspann rollt. Australia ist ein Film und doch mehrere Filme, ist sowohl Kriegsdrama, wie Romanze, Komödie und Western. Das ist nicht zufällig, sondern beabsichtigt. Und es gelingt. Es gelingt, wenn der Regisseur mit Screwballelementen beginnt, um in einen aufreibenden Western zu wechseln, nur um schließlich eine Romanze zu zelebrieren.

Während des Filmes fragt Sarah den Aboriginejungen Nullah (Brandon Walters) ob sie ihm eine Geschichte erzählen soll. Kurz zuvor ist Nullahs Mutter gestorben, als sich beide vor der Obrigkeit verstecken mussten. Sie ist nicht die einzige Figur, die innerhalb des Filmes stirbt, und insbesondere nicht die einzige aus jener Gruppe von Menschen, die mit Sarah zu tun haben. Doch die Tode dieser einzelnen Personen zählen nichts in Luhrmanns Geschichte über Sarah, Drover und Nullah. Sie sind Randerscheinungen, so schnell vergessen wie geschehen. Es ist kein Charakterfilm, sondern eine Geschichte über eine Familie. Eine Familie von ungewöhnlicher Natur. Eine Geschichte von drei Menschen, die alle jemanden verloren haben und schließlich sich selbst ineinander finden. Man kann es Luhrmann lediglich zum Vorwurf machen, dass er seinen Film als Rassenfrage anbiedert, indem er auf die gestohlenen Generationen von Aboriginemischlingen wie Nullah verweist. Unter jenem Aspekt leitet er seinen Film ein und lässt ihn auch ausklingen. Doch auch die gestohlenen Generationen bleiben letztlich nur eine Randerscheinung in Australia und werden dem epischen Charakter der Geschichte untergeordnet.

Wie schon bereits bei William Shakespeare’s Romeo + Juliet und Moulin Rouge! beeindruckt Luhrmann mit einem visuellen Meisterwerk. Die Ausleuchtungen der Szenen sind sprichwörtlich episch und verleihen dem Geschehen oftmals etwas von einem Gemälde. Hinzu kommen beeindruckende Landschaftsaufnahmen von Mandy Walker, die der Schönheit des fünften Kontinents gerecht zu werden wissen. Die digitalen Effekte sind in diesem period piece nicht immer sauber, speziell beim Luftangriff der Japaner auf Darwin erkennt man dies, auch an anderen Stellen. Allerdings hat Luhrmann auch hier eine Absicht gehabt und verwendet die Effekte eher als Kulisse im Hintergrund als sie zentral in den Vordergrund zu stellen. Zudem gelingt es dem Regisseur die Laufzeit von über zweieinhalb Stunden wie im Fluge vergehen zu lassen. Kaum Langatmigkeit, hervorgerufen durch die fliegenden Genrewechsel wähnt man sich stets in einem neuen Umfeld, ohne zu lange in diesem zu verweilen und Langeweile aufkommen zu lassen. Zwar zitiert Luhrmann durchaus andere Filme, darunter auch Pearl Harbour, doch macht dies Australia stets charmant und ziemlich gelungen. Der Film erzeugt das Gefühl einem klassischen Epos beizuwohnen, wie man sie früher zu drehen pflegte. Hierzu passt dann auch das Finale des Filmes, welches ebenso wenig wie die restlichen Szenen zu irgendeinem Zeitpunkt droht in seinem Kitsch verloren zu gehen.

Hauptdarstellerin Nicole Kidman blüht in Australia auf, wie sie nur unter Regisseur Luhrmann aufblüht. Hierbei sieht man ihr an, dass gerade die komödiantische erste Viertelstunde ihr besonderes Vergnügen bereitet hat. Dass die Chemie zwischen ihr und Landsmann Hugh Jackman stimmt sieht man in den Liebesszenen. Beide schlagen sich wacker und gebührend in diesem umfangreichen und mitunter gewaltigen Film. Komplettiert wird das Bild dann von David Wenham, der einen außerordentlich charismatischen Gegenspieler abgibt. Zwar bleibt im Dunkeln, was ihn genau zu jener Person macht, die er darstellt, doch ist dies wie so vieles andere im Film nur eine Notiz am Rande die das Gesamtbild kaum zu trüben weiß. Ein Gewinn ist zudem der zwölfjährige Brandon Walters, der in der Rolle des Nullah sein Schauspieldebüt gibt. Der Film leidet jedoch speziell in den Szenen mit Nullah an seiner deutschen Synchronisation, wie generell Australia noch mal zusätzlich an Charme und Atmosphäre gewinnen dürfte, wenn man ihn in seiner australischen Originalfassung zu sehen bekommt. Kurz vor Jahresschluss zählt Luhrmanns Neuester durchaus zu den Gewinnern des Jahres und zeugt erneut von der Klasse des Australiers. Es ist somit hinzunehmen, dass der Regisseur nur alle Jahre dreht, solange dabei so gute Filme herauskommen, wie sie in seiner Filmographie zu finden sind.

8.5/10

18. Dezember 2008

Heroes - Volume Three (Villains)

With gift comes opportunity.

Wenn eine Serie im letzten Jahr besonders unter dem Autorenstreik zu leiden hatte, dann ist das neben 24 wohl Tim Krings Heroes gewesen. Ursprünglich sollte die zweite Staffel aus zwei Bänden bestehen, doch mit dem Streik der Autoren im Herbst verzögerte sich alles so weit, dass man den dritten Band in die dritte Staffel schob. Diese besteht nun aus zwei Bänden, von denen der dritte zu Ende gegangen ist und in 6 Wochen der vierte startet. Kring versprach aus seinen Fehlern des Vorjahres zu lernen. Damals hatte er dem Publikum zwei vollkommen unnötige Nebenhandlungen mit Hiro (Masi Oka) und Sylar (Zachary Quinto) geschenkt, die abseits des normalen Geschehens stattfanden. Nach der brillanten ersten Staffel wirkte die zweite nicht nur unwahrscheinlich zäh, sondern auch uninspiriert. Zu wenig akut wurde die Gefahr durch die Epidemie dargestellt, fehlte dem Geschehen doch jene Tiefe und in gewissem Sinne auch Redundanz wie es bei der Explosion in der ersten Staffel der Fall war.

Grundsätzlich schlägt der dritte Band hier nun eine neue, andere, alte Richtung ein, ohne jedoch völlig frei von den Fehlern aus dem Vorjahr zu sein. Gelegentlich wird man das Gefühl nicht los, dass die Autoren etwas überfordert sind, was kreative Aus- und Charakter Einarbeitung betrifft. So wurden Figuren wie Monica (Dana Davis), West (Nicholas D’Agosto) oder Molly (Adair Tishler) scheinbar einfach aus der Serie geschrieben. Taucht Molly zu Beginn zwar noch auf, wird allerdings im Laufe des Bandes keine Erklärung gegeben, wo sich die Waise aufhält, während Matt (Greg Grunberg) und Mohinder (Sendhil Ramamurthy) abwesend sind. Auch auf Maya (Dania Ramirez) wird größtenteils verzichtet. Bei all dem Terz des Vorjahres ist dies sicherlich kritisch zu betrachten, bedenkt man dass diese aufgezwungenen Figuren einem wieder genommen werden, nachdem man sich an sie gewöhnt hat.

Im Staffelauftakt The Second Coming erfährt das Publikum wer auf Nathan (Adrian Pasdar) schoss, als dieser die Existenz der Mutanten aufdecken wollte. Peter (Milo Ventimiglia) aus der Zukunft hatte einen neuerlichen Besuch abgestattet. Diese Zukunft ist, wie so oft, im Arsch. Nachdem die Superhelden bekannt geworden sind, hatte sich die Menschheit gegen sie gewendet. X-Men lässt grüßen. Allerdings stirbt Nathan nicht, wie so oft. Während er eine Läuterung erfährt und mit neuen christlichen Idealen seinen Posten als Senator antreten möchte, wird Gegenwarts-Peter von Zukunfts-Peter in den Körper eines Gefangenen gepfercht. Auch für unsere anderen Helden werden einige Überraschungen parat gehalten. Sylar besucht Claire (Hayden Panettiere), um fortzuführen, was er im ersten Band begonnen hatte. Wie sich herausstellt ist Claire unsterblich und Sylar selbst hat eine weitere nützliche Fähigkeit dazu gewonnen.

Sein Schicksal wendet sich, als er seine vermeintlich echte Mutter trifft und schließlich sogar die Firma mit Noah (Jack Coleman) unterstützt. Allerdings braucht man sich dieses Jahr nicht großartig mit Allianzen beschäftigen, denn diese werden schneller gewechselt, als man schauen kann. Grundsätzlich geht es diesmal darum… die Welt zu retten. Dafür sind Peter und Hiro natürlich sofort Feuer und Flamme und machen sich beide auf getrennten Wegen auf die ominöse Formel zu zerstören, die Normalsterblichen eine genetische Mutation verleiht. Da der Band nun Villains heißt, bedarf es auch eines würdigen Gegners, für all unsere Helden, von denen jeder seine eigene Schlacht zu schlagen hat. Und um das Ganze etwas spannender und familiärer zu gestalten, erscheint Peters und Nathans Vater Arthur (Robert Forster) wieder auf der Bildfläche – als scheinbar omnipotenter Größenwahnsinniger.

Kring hat sich um einen packenden Band bemüht, das merkt man den Folgen durchaus mitunter an. Nur will die Handlungsprämisse nicht immer passen. Speziell die vielen Seitenwechsel gehen einem mit der Dauer auf die Nerven. Statt einen Judgement Day abzuziehen, wie man kurzzeitig erwarten würde, fällt Heroes doch wieder in alte Muster zurück. Dabei hätte ein guter Sylar durchaus Potential gehabt, wie in I Am Become Death
zu sehen war. Ohnehin ist Sylar inzwischen eine müßige Figur geworden, die sich charakterlich nicht wirklich weiterentwickelt. So tötet er seine Opfer beispielsweise immer noch, obschon er gelernt hat auch so an ihre Fähigkeiten zu gelangen. Da wirkt es im Bandfinale geradezu lächerlich, wenn sich Noah zum zigsten Male aufmacht, Sylar zu töten. Wo hier die Spannung bestehen soll, wenn eine Figur gejagt wird, die nicht sterben kann, wissen wohl nur die Autoren. Exemplarisch steht dieser Aspekt für die teilweise abwesende Kreativität der Serie. Auch die anderen Figuren, am prominentesten Claire und Peter, stagnieren enorm in ihrer Entwicklung. Ohnehin ist es fraglich, inwiefern es mit Charakteren wie Peter und Hiro im nächsten Band weitergehen soll.

Die Titulierung Villains ist zugleich ein starker Euphemismus, existiert im Grunde nur ein richtiger Bösewicht. Dass es sich hierbei um Arthur Petrelli handelt stößt etwas sauer auf, zum Teil auch dadurch, dass Robert Forster nicht so recht in die Rolle des Familienvaters passen will. Sowohl die Etablierung der Figur als auch ihre Platzierung innerhalb des Bandfinales Dual lassen zu wünschen übrig. Auch hier merkt man wie der Serie die Ideen zur Neige gehen und die ersten Eindrücke des vierten Bandes lassen hier nicht wirklich auf eine Besserung hoffen. Wie schon in der zweiten Staffel ist die Gefahr, in der sich die Welt befindet, kaum spürbar und schon gar nicht greifbar. Hier tut man sich mit diesen kurzen Bänden von etwas mehr als zehn Episoden keinen Gefallen. Gerade dann nicht, wenn man dramatische familiäre Strukturen wie Claire und Meredith (Jessalyn Gilsig) oder die Petrellis einbauen möchte. Unter der Quantität an Nebenhandlungen hat im Nachhinein die Qualität der einzelnen Folgen zu leiden. Es verwundert daher nicht, dass die Auftaktfolge The Second Coming die unterhaltsamste des Bandes geworden ist.

Hier sind die Helden konzentriert und nicht wie schon kurz darauf in alle Welt verstreut und mit ihren eigenen Problemen behaftet. Wenn das Publikum alle paar Minuten zwischen Hiro und Ando (James Kyson Lee) in Tokyo, Matt in Afrika, Sylar hier und Peter da wechseln muss, kann kein Handlungsstrang irgendwann seine nötige Tiefe erhalten. Hinzu kommt, dass die neuen Figuren weit weniger interessant sind, als es früher der Fall war. Pseudobösewichter wie Knox (Jamie Hector) oder Flint (Blake Shields) - letzterer ist übrigens auch Teil der großen Serienfamilie - sind langweilig und nicht mehr als Anhängsel. Ihre Kräfte zudem mehr als unspannend. Andere Charaktere wie Eric Doyle (kann Menschen zu Marionetten machen) oder Stephen Canfield (Gravitationsmanipulation) wären weitaus unterhaltsamer einzusetzen gewesen. Lediglich Daphne (Brea Grant) ist ein akzeptabler Neuzugang, sowohl vom Charakter als auch ihren Kräften her gesehen.

Nach einer kultigen ersten Staffel ist Heroes nunmehr im oberdurchschnittlichen Serienmittelfeld gelandet. Zwar sehe ich die Serie immer noch außerordentlich gerne, allerdings hat sie an derselben fehlenden Inspiration zu knabbern, wie es auch bei Prison Break der Fall geworden ist. Themen wie Mohinders fehlgeleitete Selbstinjektion und seine anschließende Tätigkeit für Pinehearst sind zu Beginn interessant, bald darauf jedoch schon anstrengend und müßig. Grundsätzlich lässt sich dies von allen anderen Themen dieses Bandes auch sagen. Besonders schade, dass selten wirklich Kapital aus der Serie geschlagen wird, sieht man hier doch Superhelden, die ihre Superkräfte kaum effektiv nutzen (bezeichnenderweise außer Sylar). Während das Finale des zweiten Bandes hier mal ein bisschen was wagte, ist das diesjährige Finale eine kleine Enttäuschung. Allgemein ist die zweite Hälfte des dritten Bandes schwächer als die erste. Lediglich Our Father knüpft von der Qualität an die ersten sieben Folgen an. 

Neben Robert Forster geben sich in Gastrollen auch wieder Ali Larter, George Takei, Malcom McDowell und Kristen Bell die Ehre. Außerdem sind in Cameos Seth Green und Breckin Meyer zu sehen. Von Villains selbst hatte ich mir sehr viel mehr versprochen und man hätte weiß Gott auch mehr daraus machen können. Eine ähnliche Zuversicht ist für den vierten Band Fugitives nicht vorhanden. Aufgrund seiner Dreharbeiten zum neuen Star Trek-Film scheint Quinto für diesen Band auszuscheiden, wie oben angesprochen ist unklar was aus Peter beziehungsweise speziell aus Hiro werden wird. Generell wäre es empfehlenswert, wenn nicht an jeder Ecke ein Verwandter der Petrelli-Familie auftauchen würde und sich zumindest ein paar der Charaktere ernsthaft weiterentwickeln. Ansonsten wir mit Heroes bald nicht mehr viel anzufangen sein, wie die zurückgehenden Quoten bereits drohend anzudeuten wissen.

8/10

My Own Worst Enemy

Yesterday I did blow up two guys in the middle of the desert. You would probably call that just a Tuesday.

Sie sind en vogue, die Agentenfilme rund um xXx, Jason Bourne und James Bond. Unbesiegbare menschliche Waffen, mit brillanter technischer Klasse versehen und dabei ebenso präzise wie effektiv. Im Kino kann sich dieser Schlag Mann schon länger austoben, im Fernsehen ist das eher die Seltenheit. Das scheint sich auch Jason Smilovic gedacht zu haben. Der Autor, der sich sowohl für den Fernsehmehrteiler Kidnapped als auch den schwarzhumorigen Actioner Lucky Number Slevin verantwortlich zeichnet, erschuf für das diesjährige Fernsehjahr eine neue Serie, die allerlei Referenzen beherbergt. In My Own Worst Enemy zelebrierte Smilovic ein solches Agentenmuster – nur fand es beim Publikum keinen Anklang. Um fast fünfzig Prozent fielen die Quoten des Staffelfinales im Vergleich zum Piloten. Das dies das Aus der Serie bedeutet, ist nachvollziehbar. Und obschon die Autoren die Serie, die lediglich neun Folgen umfasst, gebührend zu Ende bringen wollten, erhielt My Own Worst Enemy nun doch sein ursprüngliches, offenes Ende. Man erfährt nicht was mit den Figuren wird und wie sich die Geschichte weiterentwickelt. Bedenkt man, dass die Serie aber gar keine richtige Geschichte zu erzählen weiß, fällt das Finale weit weniger schwer ins Gewicht, als man vermuten könnte. Die offenen Handlungsstränge lassen sich durch naheliegende Mutmaßungen zu Ende führen.

Mit einem Sniper-Gewehr sitzt er in einem verlassenen Fabrikgebäude irgendwo an der europäisch-asiatischen Grenze. Edward Albright (Christian Slater) ist einer der Top-Agenten einer geheimen amerikanischen Organisation. Als sein Attentatsziel eintrifft, wird Edward schwummrig vor den Augen, nachdem er seine Sicht wieder gewonnen hat, ist er eine andere Person. Seine Deckung fliegt auf und in letzter Sekunde kann die Person, die sich als Henry Spivey zu erkennen gibt, von Edwards Partner Raymond (Mike O’Malley) gerettet werden. Was folgt bringt Henrys Welt ins Wanken. Die Geheimdienstleiterin Mavis Heller (Alfre Woodward) eröffnet Henry, dass er selbst nur ein Alter Ego von Edward sei. Eine Tarnung quasi. Immer wenn Edward für einen Auftrag gebraucht wird, bootet Techniker Toni (Omid Abtahi) ihn hoch. Oder fährt Henry herunter. Wie man es eben sehen will. Doch beim letzten Auftrag ging etwas schief, Henry wurde ungewollt aktiviert und seither besteht keine Kontrolle mehr, wann Henry zu Edward wird und umgekehrt. Zwar hatte Henry gegenüber seiner Firmenpsychologin Dr. Skinner (Saffron Burrows) schon länger Vermutungen geäußert, doch das Ausmaß plättet ihn. Die Wechsel zwischen den Persönlichkeiten beeinflussen fortan Henrys Familienleben mit seiner Frau Angie (Mädchen Amick), sowie Edwards Agentenleben. Sollte sein Chef (James Cromwell) herausfinden, dass Edward zu einem Risikofaktor geworden ist, dürfte sich dieser seines Lebens nicht mehr sicher sein. Jenes Leben bringt dann auch Henry regelmäßig in Gefahr, während er im Grunde nichts anderes möchte, als sein altes Leben wieder zurück zu erhalten.

Der Hauptkritikpunkt der Serie liegt von vorneherein offen: wozu einen Geheimagenten mit gespaltener Persönlichkeit? Der Sinn und Zweck von Henry wird weder im Piloten noch innerhalb der Serie deutlich. Was hätte der MI6 davon, wenn man 007 die Hälfte des Tages auf Eis legen würde und ihm mit einer falschen Identität eine Familie großziehen lässt? Keinen. Eine augenscheinliche Frage, die My Own Worst Enemy nicht zu beantworten weiß und eigentlich nicht mal zu beantworten versucht. Das hilft der Serie nicht sonderlich weiter. Da die Anleihen von Robert Louis Stevensons Dr. Jekyll and Mr. Hyde enorm sind – die Namen der Protagonisten Edward und Henry wurden Jekyll und Hyde entnommen – hätte Smilovic durchaus einfach auf eine von Natur aus gespaltene Persönlichkeit zurückgreifen können. Dann hätte man Mavis einfach nicht eingeweiht und es wäre eine weitaus persönlichere und subjektivere Geschichte geworden. Auch die wäre hart zu schlucken gewesen, aber immerhin plausibler als die Prämisse der Serie. Unglaubwürdig ist zudem die Tatsache, dass man den Agenten einen Chip ins Gehirn einsetzt, bei Fehlfunktion jedoch keinen Schimmer hat, wie man diesen Chip reparieren soll. Es ist dieser Aspekt, der Smilovics Serie die größten Probleme bereitet und mitunter das Serienvergnügen trübt, wenn man denn überhaupt von einem solchen sprechen will.

Denn selbstverständlich wird Henry immer während Edwards Mission wach, naheliegend um die Spannung aufrecht zu erhalten beziehungsweise zu erzeugen. Bisweilen macht dies auch durchaus Spaß, wenn Henry mit einer Waffe in der Hand aufwacht und um sein Leben fürchten muss oder Edward sich mit seinen Kindern auseinander setzen soll, die eigentlich nicht seine Kinder sind. Über ihr Mobiltelefon oder ihre Webcam kommunizieren Edward und Henry miteinander, wobei hier „drohen“ besser passt als kommunizieren. Gelegentlich kommt es dann vor, dass beide voneinander sogar profitieren, wenn zum Beispiel Henrys und Angies Sexleben angekurbelt wird, weil Edward am Zuge ist. Hauptsächlich ist es jedoch Edward, der Henry aushilft. Bedenkt man, dass Henry die erschaffene Persönlichkeit ist, verwundert es zum einen, dass er den Vornamen von Jekyll und nicht von Hyde bekommen hat und zum anderen, dass auf ihm der Fokus der Serie liegt. Christian Slater schlägt sich tapfer mit der Doppelrolle, auch wenn er für beide Figuren jeweils nur einen Gesichtsausdruck parat hat. Auch die übrigen Darsteller spielen ihre Charaktere problemlos runter, wobei man sich wünschen würde, etwas mehr von Mädchen Amick zu sehen. Ihre Figur, wie allgemein Henrys Familie, kommt weitestgehend zu kurz. Das würde nicht so sehr irritieren, wenn man nicht tiefere Einblicke in Raymonds Privatleben bekommen würde, beziehungsweise dem Privatleben seines eigenen Alter Egos. Die Agentenszenen selbst orientieren sich hier zu einem Großteil an den Bourne-Filmen sowie auch Computerspielen wie Splinter Cell und Konsorten. Zu den gelungensten Folgen der Staffel/Serie zählt vor allem The Night Train to Moscow, aber auch die beiden finalen Folgen sind recht ansehnlich geworden. Alles in allem ist My Own Worst Enemy jedoch eine Serie, die weit hinter den Erwartungen zurückbleibt und letztlich wohl zu recht eingestellt wurde. Da stört auch der Cliffhanger im Finale nicht sonderlich.

6.5/10

16. Dezember 2008

Dexter - Season Three

Liar liar pants on fire.

Man könnte die Werbemaßnahmen von RTL 2 ja durchaus diskutieren. „Keine Angst, der will nur töten“ als Plakat an Bushaltestellen zu hängen ist sicherlich ein Eyecatcher, ob es ethisch vertretbar ist so um Zuschauer zu buhlen wäre eine andere Frage. Doch das wichtigste ist, der sympathischste Serienkiller (so wirbt Showtime um seine Figur) ist wieder zurück. Gerne würde ich jetzt schreiben „Zurück - und wie!“, aber dem wird die dritte Staffel dann doch nicht so gerecht. Gerade der Beginn ist relativ schleppend, dafür die finalen Folgen wieder sehr gelungen. Grund hierfür ist ohne Frage auch der Wandel, denn die Figur und ihre Serie jedes Jahr durchgehen. Am Anfang war der Mord und Dexter (Michael C. Hall) sah, dass er gut war. Und so tat es auch der Zuschauer. Ein Serienmörder, der andere Serienmörder jagt und umbringt. Das moralische Gewissen der Stadt Miami. Der Mann, der den Müll raus bringt. Dabei immer mit einem amüsanten, da gefühlskalten Einzeiler auf den Lippen.

Für Staffeln wie die Erste von Dexter wurden Begriffe wie „Kult“ erfunden. Eine in sich geschlossene Geschichte über zwei Serienmörder, die dennoch unwahrscheinlich viel Platz für ihre zahlreichen Nebenfiguren offen gelassen hatte. Ein mehr als stimmiges Ende und ein Einstieg wie man ihn sich nur wünschen konnte. Die Prämisse der zweiten Staffel war zwar mehr als gelungen – Dexter insgeheim als neues Ziel seiner Einheit -, aber verlor sich speziell durch die Beziehungen von Dexter mit Lila und Deb mit Lundy etwas. Der Jäger wurde zum Gejagten und das war der Staffel nicht allzu zuträglich. Denn das Dexter davon kommen würde, war von vorneherein absehbar. Nichtsdestotrotz fügte sich auch die zweite Staffel gut in den Kanon ein und spielte weiterhin in der ersten Liga mit. Die Prämisse für die dritte Staffel ist dagegen etwas schwächer, die Charakterentwicklungen dafür umso stärker.

Bei einer nächtlichen Streiftour will sich Dexter des Drogendealers Freebo entledigen. Doch er wird bei der Arbeit gestört, ein Streit geht in Freebos Haus vor und während der Dealer flüchten kann, tötet Dexter den anderen Kontrahenten in Notwehr. Wie sich herausstellt, handelt es sich hierbei um den jüngsten Bruder von Staatsanwalt Miguel Prado (Jimmy Smits). Während dieser zuerst misstrauisch gegenüber Dexter ist, nimmt die Beziehung der beiden kurz darauf eine neue Wendung. Prado ertappt Dexter dabei, als dieser das Kapitel Freebo beschließt. Als die Katze aus dem Sack ist, stellt Dexter fest, dass auch Miguel einen dunklen Begleiter hat. Langsam aber sich lässt der Blutforensiker den Staatsanwalt in seinen inneren Kreis und ernennt ihn schließlich auch zu seinem Trauzeugen, als er seiner langjährigen Freundin Rita (Julie Benz) einen Heiratsantrag macht. Da diese zudem schwanger ist, muss sich Dexter einer völlig neuen Verantwortung stellen.

Vorbild in mehrfacher Funktion, ein Vater für sein ungeborenes Kind und ein Ausbilder für Miguel. Währenddessen treibt ein neuer Serienmörder sein Unwesen. Er ist auf der Suche nach Freebo, nur ist dieser tot und außer Dexter und Miguel weiß niemand davon. Angel (David Zayas) und Deb (Jennifer Carpenter) ermitteln im „Skinner“-Fall, der seinen Opfern bei vollem Bewusstsein die Haut abzieht. Für Deb stellen sich ebenfalls neue Weichen, verliebt sie sich doch in den Polizeispitzel Anton (David Ramsey) und wird bezüglich einer Beförderung von den internen Ermittlern aufgefordert ihren neuen Partner Quinn (Desmond Harrington) auszuspionieren. Während Deb sich zwischen Karriere und Gefühlen entscheiden muss, beginn Dexter sich von Harrys (James Remar) Code zu lösen und individuelle Entscheidungen zu treffen. Entscheidungen, die wie immer vielen Beteiligten das Leben kosten wird.

Zu Beginn des Staffelauftakts wähnt man sich in Our Father wieder in guten alten Zeiten. Dexter auf der Pirsch. Schnell macht die Staffel dann eine Wende. Mit der Einführung von Miguel Prado nimmt die Serie eine völlig andere Zweigung, als man sich zuerst gewünscht hat. Die ersten drei Folgen sind dann auch etwas holprig, da ungewohnt. Man weiß nicht wohin das führt, was man da sieht und auch retrospektiv dreht sich die Serie hier etwas zu stark im Kreis. Richtig losgehen kann es dafür dann, als Miguel Dexters Geheimnis lüftet. Seinen Höhepunkt erreicht die dritte Staffel in The Damage a Man Can Do, wenn Miguel und Dexter gemeinsames „murder shopping“ betreiben und der lateinamerikanische Staatsanwalt wie ein kleines Kind durch den Spielzeugladen streift, um die besten Mordinstrumente auszuwählen. Ein kleiner Magic Moment innerhalb der Serie. Schon bald verdichtete sich jedoch die Freundschaft der beiden und die wahren Karten werden auf den Tisch gelegt. Jimmy Smits ist hier eine Bereicherung für die Serie und verleiht seinem Charakter genau den Charme, den dieser bedarf, um innerhalb der Handlung funktionieren zu können. Wie in den beiden Vorgängerstaffeln findet Dexter also auch dieses Mal einen „Seelenverwandten“, mit dem es letztlich aber doch nicht so klappen möchte, wie alle Beteiligten sich das zuvor ausgemalt haben. Es ist jene Beziehung zwischen Dexter und Miguel, die das Kernstück und somit das Herz der diesjährigen Staffel ausmachen.

Der fortlaufende Serienmord, der als Aufhänger dient, ist jedoch der des Skinners. Da dieser nun weder mit Dexter verbunden ist oder dieser selbst, tangiert der Fall unseren Forensiker nur peripher. Umso mehr Spielraum für die zweite Mannschaft der Serie, angeführt von Jennifer Carpenter. Während man von Laguerta (Lauren Vélez) nicht allzu viel sieht, ist es in allen Aspekten Angel, der die Funktion von Doakes übernimmt. Sehr nett, dass man auch Masuka (C.S. Lee) nicht aus den Augen verloren hat und ihm einige herrliche Momente schenkt. Einziger Störfaktor dieser Truppe ist der Einbezug von Quinn, der nicht so richtig stimmig sein möchte. Intern wird gegen ihn ermittelt, doch was genau es damit auf sich hat und wie es endet wird zu den finalen Folgen hin nicht mehr weiter verfolgt. Bisweilen vermutet man auch nicht zu Unrecht dass hinter Quinn der Skinner steckt oder zumindest die gegen ihn erbrachten Anschuldigungen begründet sind. Löblich lediglich, dass man ihn nicht zu einem von Debs „Betthäschen“ hat verkommen lassen.

Die darstellerischen Leistungen überzeugen, wobei gerade Julie Benz darunter zu leiden hat, dass ihre Figur eine positive Entwicklung durchgemacht hat. Von der abgefuckten Rita zu Beginn der Serie ist nicht mehr viel übrig, insofern kann Benz hinsichtlich einer normalen, geerdeten Figur nicht mehr so hervorstechen, wie sie es in den vorherigen Staffeln getan hat. Abgesehen von den ersten drei Folgen ist lediglich Easy as Pie auf einem durchschnittlichen Level angesiedelt. Die übrigen Episoden sind sehr stimmig, bisweilen mit enorm viel Tiefe und Atmosphäre ausgestattet. Auf ihre Art und Weise stechen hier Si Se Puede, About Last Night und I Had a Dream hervor, die gemeinsam mit The Damage a Man Can Do in Kurzfassung die Beziehung und Entwicklung von Dexter und Miguel charakterisieren. Alles in allem ging die dritte Staffel wieder einen Schritt in die richtige Richtung, verbesserte sich gegenüber der zweiten und lässt auf die vierte Staffel nächsten September hoffen. Denn wie das Staffelfinale zeigte, könnte nächstes Jahr die Blutsbande mit Deb für Dexter eine ganz neue Richtung einschlagen.

8.5/10

Californication - Season Two

Declaring Jihad on your pussy.

So viele gut gemachte und stark besetzte amerikanische Unterhaltungsserien, sowohl im Drama als auch im Comedy Bereich. Und wo landen diese zu einem Großteil? Auf RTL 2, eine wahre Schande ist das. Sei es die zerstückelte Dead Like Me oder aber Heroes, Dexter und ebenjene Californication. Die Serienschöpfung von Tom Kapinos hat sich nicht zuletzt dadurch einen Namen gemacht, dass ihr Hauptdarsteller David Duchovny dieses Jahr mit einem Emmy für seine Rolle als notorischer Weiberheld Hank Moody ausgezeichnet wurde. Kurz vor Start der zweiten Staffel holte die Realität dann die Fiktion ein. Duchovny wies sich selbst wegen Sexsucht ein, kurz darauf verließ ihn seine langjährige Ehefrau Teá Leoni. Auswirkungen auf die Staffel selbst scheint dies kaum gehabt zu haben und auch die dritte Staffel ist zumindest planungstechnisch in trockenen Tüchern. Die zweite Staffel zeichnet sich dadurch aus, dass sie zu drei Serien zählt, die in diesem Jahr die fantastische Mädchen Amick als Darstellerin gewinnen konnte. Außerdem gab sich auch die nicht weniger fantastische Meredith Monroe die Ehre, sowie ihr Dawson’s Creek-Kollege (obschon beide nie gemeinsam gespielt haben) Hal Ozsan. In ganzen fünf Folgen lässt sich Amick bewundern und ist somit fast in der Hälfte der Staffel zu sehen. Damit kann Monroe nicht aufwarten, die lediglich in Vaginatown auftritt, was jedoch nur einer der Gründe ist, die jene fünfte Folge zur gelungensten und amüsantesten der ganzen Staffel verkommen lassen.

Es war ja äußerst verstörend, das Finale der ersten Staffel. Da hat Karen (Natasha McElhone) geheiratet und Mia (Madeline Zima) Hanks neuen Roman geklaut. Und aus heiterem Himmel brennt Karen dann mit Hank und Becca (Madeleine Martin) durch. Kapinos hat jenen Schachzug nun nicht wirklich vorbereitet, aber gut, die Welt ging auch nicht unter. Nun sind sie also wieder zusammen, der Hank und die Karen. Eitel Sonnenschein ist deswegen noch lange nicht. Denn der gute Hank soll sich einer Vasektomie unterziehen und ist über die Schmerzen nur merklich begeistert. Während einer Hausparty kommt es dann zu einem kleinen Missverständnis, als Hank im Dunkeln aus Versehen die falsche Frau oral befriedigt (was jedoch die wunderbare Bezeichnung „mouth rapist“ nach sich zieht). Nach einem Zwist mit der Liebsten landet Hank die Nacht über im Knast. Ein wegweisendes Erlebnis. Hier lernt er den Musikproduzenten Lew Ashby (Callum Keith Rennie) kennen. Und Ashby macht seiner Branche alle Ehre, kokst, raucht, säuft und vögelt was das Zeug hält und im Fall der Fälle wird dann auch die Shotgun raus geholt. Da sagt man nicht Nein, wenn einen diese Person darum bittet seine Biographie zu schreiben. Eitel Sonnenschein ist deswegen immer noch lange nicht. Nachdem eine (S)Ex-Beziehung von Hank ihre Schwangerschaft anmeldet ist mit Karen erstmal nicht mehr gut Kirschen essen. Stattdessen nähert diese sich leicht an Ashby heran, während Hank versucht an Ashbys große Liebe (Mädchen Amick) heran zu kommen, um Stoff für die Biographie zu erhalten. Nicht zu vergessen Charlie Runkle (Evan Handler), „coke smurf“ Marcie (Pamela Adlon) und eine ominöse Pornodarstellerin (Carla Gallo), der die Hauptrolle im Porno-Oscarfavoriten Vaginatown zufiel.

Ohne einen bestimmten Grund nennen zu können, ist die zweite Instanz von „Californication“ besser als die erste. Wobei das auch nur an der Eingewöhnungszeit liegen könnte, sprich ich habe der ersten damals Unrecht getan. Müsste ich noch Mal anschauen. Mach ich aber vorerst nicht. Die guten und schlechten Folgen halten sich diesmal die Waage, dabei sind manche Folgen wie The Raw & the Cooked oder In Utero überflüssig bis zum Anschlag (deswegen aber nicht grundsätzlich mies). Die oben erwähnte Episode Vaginatown ist nahezu perfekt, dicht gefolgt von drei anderen Folgen. Allgemein ist die Mitte der Staffel am überzeugendsten und konstantesten. Die Thematik ist etwas seriöser und wenn man so viel geprägt durch ein neu gewonnenes monogamere Bild. Hank muss sich der Verantwortung einer möglichen Schwangerschaft stellen, zugleich um seine Karriere kämpfen und seine Tochter erziehen. Diese wiederum rückt etwas mehr in den Fokus, bekommt eine eigene Beziehung. Beccas philosophische Ausschweifungen sind dann auch deswegen erträglich(er), da sie gestreuter daherkommen. Nervig sind lediglich die Szenen mit Boheme Julian (Angus Macfayden). Zuträglich ebenso die häufige Abwesenheit von Mia, deren Einbeziehung ich ohnehin nicht nachvollziehen kann beziehungsweise die relative Abgekühltheit in der Hank mit ihr umgeht. Das ganze Plagiatsthema hätte man mehr in den Mittelpunkt rücken können/sollen. Auch das ewige Hin und Her zwischen Hank und Karen – speziell nach dem Staffelfinale – wirkt extrem redundant und auf die Dauer eintönig (Grey’s Anatomy lässt grüßen). Unterm Strich gesehen ist Californication aber eine durchaus ansehnliche Serie per se sowie auch hinsichtlich ihrer zweiten Staffel. Höhepunkt hierbei der wohl politisch unkorrekteste Dirty Talk während eines sexuellen Interkurses. Herrlich!

8/10

14. Dezember 2008

Låt den rätte komma in

If I leave I live. If I stay I die.

Vampire sind etwa 290 Jahre alt. Also per se und nicht im Speziellen. Ihre erste Erwähnung finden sie 1718 in offiziellen österreichischen Dokumenten aus Serbien und der kleinen Wallachei. Im selben Jahrhundert fanden Vampire dann auch Einzug in etwaige Gedichte, darunter bei Goethe. Während Varney, the Vampire von James Malcolm Rymer Mitte des 19. Jahrhunderts ein Meilenstein für das Vampir-Genre war, ist der größte nachträgliche Einfluss sicherlich Bram Stokers Dracula aus dem Jahr 1897 zuzuschreiben. Im 20. Jahrhundert wiederum wurde der Mythos Vampir freizügig im Film gepflegt, allen voran in Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu von 1922. Als Klischeevampir neben Max Schrecks Portraitierung gelten auch die Darstellungen von Bela Lugosi und Christopher Lee. Sowohl Einzug in Romane wie auch den zugehörigen Filmen fanden Vampire in Anne Rices Vampire Chronicles oder neuerdings in Stephenie Meyers Twilight-Saga.

Dass Vampire wahrlich kaum auszusterben vermögen, merkt man auch an Joss Whedons langelebiger Reihe Buffy the Vampire Slayer oder der Comicadaption Blade und ihrer Auskopplung zu einer Trilogie. Außerdem nahmen sich auch Stephen Sommers in Van Helsing und Len Wiseman in seinen beiden Underworld-Filmen der Legende der Blutsauger an. Die Faszination für die bleichen Unsterblichen ist ungebrochen. In Deutschland bekannt sein dürfte die Kinderbuchreihe Der kleine Vampir von Angela Sommer-Bodenburg, in der die Freundschaft zwischen dem kleinen Anton und dem Vampir Rüdiger thematisiert wird. In eine ähnliche Richtung schlägt John Ajvide Lindqvists Roman Låt den rätte komma in aus dem Jahr 2004, der von Thomas Alfredson verfilmt wurde und übernächstes Jahr von Matt Reeves ein amerikanisches Remake erfahren wird.

In Blackeberg, einer Vorstadt von Stockholm, lebt der 12-jährige Oskar (Kåre Hedebrant) mit seiner alleinerziehenden Mutter in einem Blockbau. Oskar ist von hagerer Gestalt und wird in der Schule stets von drei Mitschülern gemobbt. Als eines Tages in seinem Haus neue Nachbarn einziehen, beginnt sich Oskar vorsichtig mit der scheinbar gleichaltrigen Eli (Lina Leandersson) anzufreunden. Fast jeden Abend trifft er sie bei beißend kalten Temperaturen nur im T-Shirt bekleidet an einem Klettergerüst an. Durch die Freundschaft mit Eli gelingt es Oskar seinem Alltag selbstbewusster gegenüber zu stehen. Was er allerdings nichts weiß: Eli ist ein Vampir, ein vor hundert Jahren kastrierter Junge, dessen Aufsichtsperson Håkan (Per Ragnar) des Nachts auszieht, um Unschuldigen im Wald aufzulauern und mit ihrem Blut Elis Durst zu stillen.

Als einer seiner Mordversuche schief läuft, sucht Håkan den Suizid. Auf sich allein gestellt überfällt Eli einen Kneipengast aus der Nachbarschaft. Dessen Kumpel Erik (Henrik Dahl) beginnt auf eigene Faust nach dem „Monster“ zu suchen. Während sich zwischen Eli und Oskar langsam eine sanfte Romanze entspinnt, steigert sich das Ausmaß der Bedrohung für die beiden. Denn Erik will den Mord an seinem Freund nicht ungestraft lassen, während Oskars neugewonnenes Selbstvertrauen in der Schule auf eine harte Probe gestellt wird. Im Kontext seiner Geschichte ist Låt den rätte komma in (dt. So finster die Nacht) weniger klassische Vampirmär als vielmehr ein sorgsames coming-of-age-Drama in Verbindung mit einer liebevoll aufbereiteten Liebesgeschichte zweier gesellschaftlicher Außenseiter entgegen allen Vorurteilen.

Durch die Kameraarbeit von Hoyte Van Hoytema und das Production Design von Eva Norén ist die kalte Tristesse von Blackeberg durchgängig spürbar. Es ist dem Film dabei sehr zuträglich, dass er durchgehend im Schnee spielt, was die Atmosphäre nochmals verstärkt. Daher transferiert sich ein Großteil des Filmes über seine Bildkomposition, die äußerst gelungen mit träumerisch-melancholischer Untermalung von Johan Söderqvist versehen wurde. Alfredson schafft es mit einem geringen Budget von 3.3 Millionen Euro sein Publikum nicht nur authentisch in das Jahr 1982 zurückzuversetzen, sondern zugleich auch tatsächlich den Eindruck eines Romanes in bewegten Bildern zu erschaffen. Dies speziell dadurch bewerkstelligt, dass die Handlung stets im Vordergrund steht und sich somit frei entfalten kann. Abgesehen von der einen oder anderen etwas misslungenen Szene. Auch die Besetzung zeichnet sich hier aus, überzeugt der blonde und karge Kåre Hedebrant als eingeschüchterter Oskar. Etwas zurückhaltender aber nicht weniger sympathisch spielt seine Nebendarstellerin Lina Leandersson. So verwundert es kaum, wenn es die Szenen der beiden Jugendlichen sind, die zu den beeindruckendsten des Filmes gehören. Allein die Komposition und Präsentation des dramatischen Finales wird einem hinterher noch in Erinnerung bleiben.

Generell stören jedoch die Sequenzen rund um Håkan oder Erik etwas den Erzählfluss des Filmes. Speziell bei Håkan ist dies der Fall, was nochmals dadurch unterstützt wird, dass er in einem öffentlichen Park im Licht einer Laterne (!) seine Opfer an Bäumen aufhängt und ausbluten lässt. Hier könnte man meinen, Håkan wäre zum ersten Mal für Eli unterwegs, sodass es auch nicht verwundert, wenn es der alte Mann schließlich nicht gebacken kriegt, seinen Auftrag entsprechend auszufüllen. Auch sein Suizidversuch wirkt hier nicht minder lächerlich, sodass die ganze Figur leidlich gelungen ist. Ähnlich verhält es sich mit Erik, dessen Handeln einem nicht immer klar wird. Gegebenenfalls findet dies seine Ursache in Alfredsons Schnitt, denn wie Erik es in einer Szene des Filmes schafft, in eine abgeschlossene Wohnung einzudringen, will sich dem Publikum nicht so recht erschließen. Auch die eine oder andere Szene zwischen Oskar und Eli verwirrt, wenn Oskar einerseits äußerst zärtlich und rücksichtsvoll erscheint, um kurz darauf geradezu aggressiv und brüsk zu reagieren.

In jenen Szenen ist man kurz überrascht, nur um kurz darauf wieder von Alfredsons Film mitgenommen zu werden, in jene dramatischen Umstände sowohl von Elis als auch Oskars Leben. Da der Fokus des Filmes eher auf letzterem liegt, erfährt man zusätzlich etwas über sein Familienleben, das durchaus einige seiner Verhaltensweisen erklärt. Die Mutter ist selten anwesend und wenn trotzdem abwesend. Der Vater weiß die Zeit mit seinem Sohn nicht entsprechend zu Nutzen, sondern lädt lieber seinen Liebhaber ein. Es ist diese Einsamkeit, die Oskar nicht wirklich darüber nachdenken lässt, dass Eli gar kein Mädchen ist. „Wir sorgen uns um sie mehr, als sie um sich selbst”, schreibt der amerikanische Filmkritiker daher sehr treffend in seiner Rezension zum Film über die beiden Jugendlichen. Und letztlich ist Låt den rätte komma in ein Vampirfilm, der eigentlich gar kein Vampirfilm ist.

8/10 - erschienen bei Wicked-Vision

12. Dezember 2008

Vicky Cristina Barcelona

Only unfulfilled love can be romantic.

Er ist eine lebende Kinolegende und sein Name ist Woody Allen. Seit 42 Jahren dreht der gebürtige New Yorker, dessen Filme zumeist in seiner Heimatstadt spielen, nunmehr schon Filme. Dabei ist Allen schon längst zu einer Institution geworden, zeichnete sich der hagere kleine Mann mit Brille doch allein in den letzten 31 Jahren mit Ausnahme von 1991 jedes Jahr für einen Film verantwortlich. Insgesamt finden sich in seiner Vita über drei Dutzend Filme, die unter seiner Regie entstanden sind. Hierbei sprangen für den Autor und Regisseur sagenhafte 21 Oscarnominierungen heraus, 14 davon allein in der Sparte „Bestes Originaldrehbuch“. Wenn in Hollywood also jemand die Kraft des gewitzten Wortes beherrscht, dann mit Sicherheit der 73-jährige New Yorker. Während der siebziger und achtziger Jahre hatte Allen bevorzugt zwei Musen, denen er in seinen Filmen eine Plattform bot: Diane Keaton und Mia Farrow.

Doch mit seinen beiden Ex-Freundinnen dreht der Regisseur schon seit Jahren nicht mehr, stattdessen engagierte er in den Neunzigern eine Vielzahl von namhaften Darstellern, für die es bis heute eine Ehre ist, unter der Regie von Allen aufzutreten. Bis vor vier Jahren, als Allen (s)eine neue Muse fand. Als er 2004 zum ersten Mal außerhalb Amerikas einen Film drehte, entwickelte sich am Set von Match Point eine Freundschaft zwischen ihm und Nebendarstellerin Scarlett Johansson, die anschließend noch in Scoop und nun in Vicky Cristina Barcelona Früchte tragen sollte. Nach seiner Europareise von vier Filmen, die drei Johansson-Werke sowie der Abschluss seiner London-Mord-Trilogie mit Cassandra’s Dream, kehrte Allen dieses Jahr nach New York City zurück, um dort seinen aktuellen Film Whatever Works zu drehen. Zuvor drehte er jedoch noch Vicky Cristina Barcelona, der unter anderem als Liebeserklärung an die andalusische Stadt Oviedo zu verstehen ist, die vor fünf Jahren eine Statue des Regisseurs aufstellte.

Es soll ein unvergesslicher Sommer werden für die beiden amerikanischen Touristinnen Vicky (Rebecca Hall) und Cristina (Scarlett Johansson). Und in der Tat dürfte dieser Sommer beiden wohl für immer in Erinnerung bleiben, eint die beiden Frauen doch gerade ein Aspekt, der sie sonst immer unterscheidet. Vicky besucht eine Freundin (Patricia Clarkson) der Familie, wenige Wochen bevor sie ihren Verlobten Doug heiraten wird. Doug ist ein gut verdienender Geschäftsmann, für den es aktuell speziell darum geht, in welches Haus er mit Vicky nach der Hochzeit ziehen soll. Da Vicky in Barcelona ihre Masterarbeit in katalonischer Kultur abschließen will, verbindet sie die Arbeit mit dem Vergnügen. Ihre beste Freundin Cristina hingegen hat weit weniger Ziele in ihrem Leben als Vicky. Ihr 12-minütiger Debütfilm, bei welchem sie Regie geführt und das Drehbuch geschrieben hat, lief nicht besonders gut.

In Spanien will sie sich nun etwas entspannen. Während es Vicky nach einer festen Bindung sehnt, ist Cristina, wie es Doug beschreibt, „leicht ins Bett zu kriegen“. Als beide nach einer Vernissage zusammen Essen gehen, nehmen ihre beiden Leben neue Wendungen. Der Maler und Boheme Juan Antonio (Javier Bardem) lädt die beiden Amerikanerinnen kurzerhand zu einem Wochenende in seiner Heimatstadt Oviedo ein – inklusive Sex. Während Vicky entrüstet ablehnt, fühlt sich Cristina zu dem Spanier hingezogen. Letztlich nimmt das Geschehen seinen Lauf und beide fliegen gemeinsam mit Juan Antonio nach Oviedo. Dort führt er sie durch die Stadt und erzählt von seiner Scheidung. Seine Ex-Frau Maria Elena (Penélope Cruz) hatte versucht ihn zu töten bzw. andersherum oder sowohl als auch. Als ein Magengeschwür Cristina in die Parade fährt, sind Juan Antonio auf sich alleine gestellt und es kommt, was kommen muss. Doch hier fangen die Probleme erst an, während Juan Antonio sich letztlich mit drei Frauen gleichzeitig auseinandersetzen muss.

Auteur Woody Allen bedient sich in Vicky Cristina Barcelona bisweilen der Dienste eines klassischen allwissenden Erzählers, der speziell die beiden Protagonistinnen zu Beginn der Handlung dem Publikum vorstellt. Obschon der Filmtitel ihre Namen enthält, ist im Grunde jedoch Javier Bardem der eigentliche Star des Filmes. Als sorgloser Künstler, der ganz dem Klischee entspricht, philosophiert er über das Leben, die Schönheit und Sex im Allgemeinen sowie im Speziellen. Man merkt es dem Film in den Szenen des Spaniers an, dass Allen ihm die Rolle auf den Leib geschrieben hat. Ohnehin besticht das gesamte Schauspielensemble, welches voll und ganz in den einzelnen Rollen aufgeht. So wie Allens neue Muse Scarlett Johansson, die sich zwar zu Beginn noch etwas schwer tut, dann jedoch gerade in der Dreiecksbeziehung ihr Können unter Beweis stellt.

Auch Rebecca Hall, die Hin und Her gerissen ist zwischen dem moralische Richtigen und ihren eigentlichen Gefühlen. Komplettiert wird die Besetzung von einer hinreißenden Patricia Clarkson sowie Penélope Cruz, der die Rolle der hysterischen und paranoiden Ex-Frau sichtlich Spaß gemacht hat. Und da Allens Filme zuvorderst Charakter- und Dialogfilme sind, steht und fällt der Film stets entsprechend mit seinen Darstellern. Das Ergebnis in Vicky Cristina Barcelona ist einfach nur glänzend. Das Ensemble glänzt durch die Handlung und die Handlung glänzt wiederum durch das Ensemble. Hier macht sich erneut deutlich, wie sehr es Allen beherrscht natürliche und aus dem Leben gegriffene Charaktere zu erschaffen, die seinen Filmen die nötige Glaubwürdigkeit verleihen, zugleich dabei jedoch nie in eine lästige Seriosität abdriften.

In Vicky Cristina Barcelona tauscht Allen das triste London gegen das sonnige Spanien ein. Und in der Tat besticht der Film durch eine warme Atmosphäre voll von katalanischem Charme. Die Drehorte, die Allen gewählt hat, beeindrucken durch ihre offensichtliche Schönheit. Speziell Oviedo, jene Stadt, die Allen selbst eine Liebeserklärung gemacht hat, wird von dem New Yorker besonders liebevoll ins Licht gerückt. Und es ist jene Szenerie, die Allens Geschichte, die dieser zuvor sicherlich auch schon das eine oder andere Mal in seinen New Yorker Filmen präsentiert hat, ihre romantische Aura verleiht. Wo sonst würde man den narzisstischen Worten Juan Antonios mehr Glauben schenken können, als im sinnlichen Spanien. Hier kann Woody Allen sich auch zugleich austoben in derartig simplen und charmant prätentiösen Dialogen, dass dem Publikum das Herz lacht. Gerade die Beziehung von Juan Antonio und Maria Elena rückt hier ins Zentrum, wenn ersterer Aussagen trifft wie „We are meant for each other and not meant for each other. It's a contradiction“.

Ebenso passend ist sein Beziehungsresümee für den gesamten Film, wenn nur unerfüllte Liebe wahrhaft romantisch ist. Somit knüpft Vicky Cristina Barcelona wieder an die alten Allenschen Liebesphilosophie-Filme an, nachdem sowohl Match Point als auch Cassandra’s Dream Ausflüge ins Thrillerfach bedeuteten und Scoop zu den klassischen Screwballkomödien der Drehbuchlegende zu zählen ist. Die Geschichte um die Fünfachbeziehung aller Beteiligten und deren Wünsche und Träume bezüglich der Liebe und des Lebens wird perfekt in neunzig Minuten verpackt. Ohnehin versteh es Allen wie kaum ein anderer seine Erzählungen im nötigsten Rahmen zu präsentieren und sich nicht in Nebenhandlungen zu verlieren, wie es heutzutage oft der Fall ist. Beeindruckend zu sehen, dass die Kreativität den 73-jährigen nach vier Jahrzehnten Filmgeschäft nicht verlassen hat und er weiterhin seine Publikum dermaßen zu unterhalten weiß, wie es hier der Fall ist.

8.5/10