29. Februar 2008

No Country for Old Men

There’s a lot of bad luck out there. You hang around long enough and you’ll come in for your share of it.
(No Country for Old Men, p. 234)

Was soll man groß zu einem Film schreiben, den die halbe Bloggersphäre bereits rezensiert hat und dessen grober Inhalt bzw. Terror seiner Figur Anton Chigurh auch den meisten schon bekannt sind? Braucht man zu einem solchen Film überhaupt noch eine weitere Kritik? Und wenn ja, wie fängt man diese an? Vielleicht mit einem Satz, wie er paradoxer nicht sein könnte: „Hübsch ist Javier Bardem gewiss nicht“. Was ein Satz, optimal um mit jemanden in ein Gespräch zu geraten, am besten noch zu No Country For Old Men, dem aktuellen Film mit Bardem. Javier Bardem ist nicht hübsch, findet zumindest Stern-Redakteurin Christine Kruttschnitt, wie sich in der aktuellen zehnten Ausgabe des Magazins nachlesen lässt. Hübsch ist Javier Bardem gewiss nicht, allein sein „Zinken“, wie die gute Frau Kruttschnitt Bardems Riechorgan tituliert. Trotzdem verdammt sie ihn zum „Sexsymbol“, wohl weil er Spanier und daher Latino ist – Latinos müssen Sexsymbole sein, auch wenn sie nicht hübsch sind. Nicht nur Bardem bekommt sein Fett weg in Kruttschnitts Bericht, auch Johnny Depp wird von ihr charakterisiert als Mann der „drollige Irre spielt“. Da hat scheinbar jemand Pirates of the Caribbean gesehen, jemand der bei Daniel Day-Lewis sieht, dass dieser in seinen Rollen seine „Seele“ offen legt, wie man in seinen soziopathischen Figuren in Gangs of New York und There Will Be Blood sehen kann. Bardem ist nicht hübsch – Kruttschnitt wiederholt dies selbst mehrfach in ihrem Artikel, man möge mir meine Redundanz also verzeihen – und die Autorin wird nicht müde zu verraten, wer denn nun eigentlich ihrer Meinung nach hübsch sei. Kruttschnitt blickt ihren eigenen Worten nach sehnsuchtsvoll nach Australien und stößt ein „Russell!“ (Crowe, Anm. d. Red) aus, während ich mich allmählich frage, wie so jemand Redakteurin werden konnte, wie so jemand überhaupt in Printmedien schreiben darf.

Wer noch nichts über den Inhalt des Filmes weiß, dem sei nunmehr folgende Einleitung gegeben: der pensionierte Vietnamkriegsveteran und leidenschaftliche Jäger Llewelyn Moss (Josh Brolin) findet in der texanischen Einöde mehrere leerstehende Pickups und dazugehörige Leichen. Nebst einer Menge mexikanischen Heroins stößt er auch auf einen Handkoffer voller Millionen von Dollar. Sein Schicksal kommen sehend, steckt er das Geld dennoch ein und muss alsbald um sein Leben fürchten und seine Frau Carla Jean (Kelly MacDonald) zu ihrer Mutter nach Odessa schicken. Einer der vielen Männer die hinter Llewelyn her sind ist Anton Chigurh (Javier Bardem – im übrigen nicht sonderlich hübsch, hab ich gelesen), ein psychopathischer Auftragskiller. Auf der Spur von Chigurh befindet sich der zuständige Sheriff Ed Tom Bell (Tommy Lee Jones), der hinter dessen Leichen aufräumen darf, während mit Carson Wells (Woody Harrelson) ein weiterer Auftragskiller angeheuert wird, der Chirgurh ausschalten soll. Während Moss mit nach einem blutigen Aufeinandertreffen mit Chigurh nach Mexiko flieht, versucht Bell bei Carla Jean auf Informationen zu stoßen, die ihm helfen könnten Llewelyn vor seinem unausweichlichen Schicksal zu retten, während Chigurh die Schlinge um alle Beteiligten etwas enger zieht. Immer dabei sein Bolzenschussgerät und seine Münzen, dies alles in einem Land, das wahrlich kein Land mehr ist für alte Männer, ein Land voller Gewalt und Drogen.

Zurück zu Frau Kruttschnitt, die, nachdem sie eine halbe Seite lang über Bardems Aussehen geurteilt hat, schließlich noch in zwei Sätzen ihre Meinung zu No Country for Old Men kundtut, dabei in dem Satz kulminiert, dass „die halsbrecherische Flucht vor einem Hund“ schon alleine „das Eintrittsgeld lohnt“ und dem Film dann doch nur vier von fünf Sternen vergibt. Ob Brolins Flucht vor einem Hund – welche an sich nicht einmal eine solche ist, da er vielmehr vor den Mexikanern mit den Schrottflinten flieht – tatsächlich das Eintrittsgeld wert ist, das sei den Mann-flieht-vor-Hund-Filmfetischisten überlassen. Es finden sich jedoch auch sonst kaum schlechte Worte, über das neueste Werk von Joel Coen und seinem Bruder Ethan Coen, die vergangene Woche mit drei Oscars (bzw. eigentlich sechs) ausgezeichnet wurden. Manch ein Blogger beschreibt den Film, als „das sehnlich erhoffte Meisterwerk“, ein anderer hingegen meint er „ist schlichtweg perfekt“ und „hebt sich (…) bisweilen meilenweit von seinen Kollegen ab“. Förmlich überschlagen sich die Lobpreisungen für die Adaption von Pulitzerpreisträger Cormac McCarthys 2005 erschienenem Western-Thriller des gleichen Namens, auch wenn mancher einer der begeisterten Blogger eine „recht lose Verfilmung“ gesehen haben will. Dabei haben sich die Coens ziemlich exakt an McCarthys Vorlage gehalten, neben ganzen Dialogen auch die Chronologie des Romans übernommen, dabei gut zweieinhalb Seiten pro Minute auf Zelluloid gebannt.

Erstaunlich, dass der in Rhode Island geborene US-Autor sein Werk im typischen texanischen Slang geschrieben hat, dabei ein überaus dialoglastiges und mitunter nichtssagendes Werk erschaffend, welches doch versucht ein Statement abzugeben über ein Land, eine Generation, eine Zeit. Kein Land für alte Männer, geschrieben von einem solchen alten Mann, hierbei einen anderen alten Mann, Sheriff Ed Tom Bell, als Erzähler inthronisierend. Seine Sätze wirken oft ärmlich konstruiert, durch die unglaubliche vielfache Verwendung des Bindegliedes „und“ zusammengehalten. Dabei gelingt es McCarthy eine starke, umklammernde Atmosphäre zu schaffen, Llewelyn auf seiner Flucht und Chirgurh auf seiner Jagd begleitend. Jedes Kapitel wird eingeführt durch die Gedankenspielereien von Sheriff Bell, die sich meist überhaupt nicht mit dem Fall Moss/Chigurh beschäftigen, sondern mit dem Verfall der Sitten und Bells Privatleben. Seine Geschichte lebt vor allem von dem trockenen Humor von Llewelyn Moss (“The point is there aint no point.“, p. 227) und der Kaltblütigkeit von Chigurh, Bell selbst spielt kaum eine bis gar keine Rolle, ist lediglich der alte Mann im falschen Land, die persona rationalis der Geschichte mit der sich der Zuschauer verbunden fühlen kann. In einer Szene, im Film wie im Buch, referiert Bell einen Zeitungsartikel über ein Pärchen, dass Rentner umbrachte und erst überführt werden konnte, als eines der Opfer mit Hundehalsband vom Grundstück floh. Aus reiner Ungläubigkeit muss Bell hier lachen, wie wohl die meisten rationalen Menschen verzweifelt mit dem Kopf schütteln mögen und sich fragen, wo das mit unserer Gesellschaft eigentlich noch hinführen soll.

Sein lediglich 306 Seiten langer Roman – ohnehin mit sehr großzügigem Zeilenabstand und Schriftgröße gedruckt – bricht dann schließlich in seinen letzten vierzig Seiten ein, als McCarthy seine eigentliche Geschichte erzählt hat und nur noch vor sich hin schwadroniert. Man entfernt sich von der Handlung und Bell fokussiert die Geschichte auf sich selbst, ein zusammenhangloses Geheimnis seiner Vergangenheit entlüftend. Ein überdurchschnittlicher Roman wird hier von seinem Autor gegen die Wand gefahren und gerade diese Facette, die der Vorlage das Genick bricht, wird von den Coens glücklicherweise ausgelassen. Bells philosophische Auswüchse werden auf ein Minimum reduziert, seine Vergangenheit und sein Privatleben bleiben im Grunde unangetastet. Der Fehler den die beiden Brüder allerdings begehen, ist die Dialogen der Geschichte zu kürzen. Die Geschichte, die eigentlich von ihren Dialogen lebt (Herzstück ist dabei der Dialog zwischen Llewelyn und einem weiblichen Tramper, deren Figur im Film ganz fehlt), wird hier im Grunde massakriert. Die großartigen Gespräche von Llewelyn mit seiner Frau, Carson Wells und dem weiblichen Tramper, zwischen Ed Tom Bell und seinem Deputy oder zwischen ihm und Carla Jean, all diese wunderbaren Dialoge – die im Endeffekt keinen Inhalt haben und doch durch ihre Inhaltslosigkeit einen solchen versprühen – sind im Film auf ein Mindestmaß, auf ihre Essenz komprimiert. Die Coens begrenzen die Dialoge auf den Inhalt, den sie eigentlich erfüllen und schreiten zur nächsten Szene fort.

Dies führt dazu, dass das, was in der Vorlage das Herz der Geschichte war (auch wenn es mit der Geschichte selbst nichts zu tun hatte, diese jedoch zusammenhielt), dem Film völlig abgeht. Was die Coens erschaffen haben, ist ein technisch perfekt gemachter Film, um wieder auf ein Zitat eines Bloggerkollegen zurückzugreifen, No Country for Old Men ist „wie zwei Stunden in einem Filmwissenschaftsseminar zu sitzen“. Licht, Kamera, die Einstellungen, Ausleuchtung, alles stimmt, man könnte nicht wirklich etwas kritisieren – auch das Fehlen jeglicher Musik bemerkt man nicht wirklich, da sie eigentlich nicht notwendig ist. Was dem Film schließlich fehlt, ist eine Seele und dies liegt nicht an Anton Chigurh oder der Brutalität der Geschichte, sondern daran, dass man die Geschichte des Filmes leblos erzählt, ohne Emotion, ohne Hingabe. Viel wichtiger scheint dem Regisseur-Autoren-Produzenten-Brüderpaar die visuelle Umsetzung gewesen zu sein, die reine Formalität von McCarthys Geschichte adaptierend und ebenjene essenziellen Dialoge auslassend. Da jene wie angesprochen das Herz der Geschichte sind, fehlt dem Film der Coens eben dieses Herz. Er ist kalt, leb- und lieblos, berührt einen nicht und wird einem nach einer gewissen Zeit schnurzegal. Die Figuren erhalten keine Tiefe, so wie man Carson Wells einbaut, braucht man ihn eigentlich auch gar nicht einbauen, seine Charakterisierung, die sich vor allem im finalen Dialog mit Chigurh findet, wird hier von den Coens umgeändert, ähnlich wie es später in der Szene mit Carla Jean der Fall sein wird. Durch das Umschreiben beider Figuren geht auch ein wichtiger Hinweis zum Verständnis von Chigurhs Person verloren.

Vergleicht man No Country for Old Men mit den früheren Filmen der Coens, so fällt einem merkbar auf, dass ihnen bei ihrem letzten Werk die Liebe gefehlt zu haben scheint, zu dem, was sie da erschaffen haben. Dagegen ist gerade Fargo eine Liebeserklärung an seine Figuren und seine Geschichte, wie es auch bei Barton Fink, The Big Lebowski oder selbst dem grausigen Ladykillers-Remake der Fall war. No Country for Old Men ist einfach nur ein Film, nicht mehr und nicht weniger, es gelingt zu keinem Zeitpunkt eine wirkliche Beziehung zu seinen Charakteren aufzubauen. Die Oscarverleihung der letzte Woche reflektierend lässt sich sagen, dass es eigentlich nur einen Oscargewinner als Besten Film geben konnte und das war der Film der Coens. Schließlich wählt die Academy seit Jahren traditionell den überbewertesten Film zum Preisträger, sodass in der Tat nur There Will Be Blood noch ernsthafte Konkurrenz war. Wie es im Jahr zuvor der Fall war, durften die Coens ihren lang verdienten Oscar als beste Regisseure für einen durchschnittlichen Film entgegennehmen und die Ironie setzt sich auch bei der Auszeichnung für das beste adaptierte Drehbuch fort, welches wie selbstverständlich nicht an die gelungeneren Atonement oder Le scaphandre et le papillon ging. Hübsch ist Javier Bardem gewiss nicht, eine Aussage, die wirklich falscher nicht sein könnte. Bardem ist ohne Frage hübsch und er ist ohne Frage ein guter und überzeugender Schauspieler, reflektiert man seine Leistung in No Country for Old Men, ist es ein kleiner Skandal, dass der überzeugendere Casey Affleck für seine Leistung in The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford übergangen wurde. Aber was ist man von der Academy schon anderes gewohnt? Und mit den Lieblingsworten von Sheriff Ed Tom Bell aus McCarthys Roman endend: “That’s that to that“.

6.5/10

27. Februar 2008

Vorlage vs. Film: Die Welle

The Wave (1981)

Im April 1967 nahm der amerikanische Geschichtslehrer Ron Jones im kalifornischen Palo Alto an der Cubberley High School mit seinen Schülern und Schülerinnen den Zweiten Weltkrieg durch. Das Thema warf bei manchen Schülern die altbekannte Frage auf: wie konnten die Deutschen während des Nationalsozialismus nicht gewusst haben, was geschah? Dass Juden transportiert und umgebracht wurden, alles ohne dass es die deutschen Bürger mitbekamen? Die amerikanische Jugendlichen konnten es nicht glauben und Jones selbst wusste keine Antwort auf ihre Frage. Aber er beschäftigte sich mit ihr und wollte, dass die Jugendlichen die Antwort selber rausfinden. Er initiierte ein Experiment, mit dem er in der folgenden Woche der Schülerschaft begegnete. Diese sollte gerade sitzen und sich diszipliniert verhalten, was sich auch in ihrem Auftreten gegenüber der Lehrkraft ausdrücken sollte. Was den Kindern wie ein Spiel erschien, machte ihnen scheinbar tatsächlich Spaß und so trieb Jones das Experiment noch weiter, er gab seiner Klasse Exklusivität, indem er sie The Third Wave nannte, versehen mit Mitgliedskarten und eigenem Salut. Das Gefühl von Disziplin und Gemeinschaft führte zu einer Stärkeentwicklung unter den Schülern, die neugeschaffene Freiheit nahm jedoch bald faschistische Züge an. Das ganze ging soweit, dass Jones das Experiment am fünften Tag abbrechen musste, jedoch nicht ohne der Schülerschaft die Antwort auf ihre Frage zu geben.

Diese Ereignisse von Palo Alto verarbeitete Jones selbst fünf Jahre später in dem Artikel The Third Wave, der 1972 erschien. Weitere neun Jahre später bildete der Artikel und die Geschehnisse die Grundlage für die Novelle The Wave des amerikanischen Autors Todd Strasser, welches er jedoch unter seinem Pseudonym Morton Rhue verfasste. In seiner Novelle gab er den Schülern und Schülerinnen mehr Gestalt, bzw. arbeitete manche von ihnen zu interessanten Charakteren mit eigenem Hintergrund heraus. Die grundlegende Story blieb dabei dieselbe. Der junge ambitionierte und bei der Schülerschaft beliebte Geschichtslehrer Ben Ross trifft beim Thema Nationalsozialismus auf die Frage der verleugneten Schuld der deutschen Bevölkerung. Ross stürzt sich in Bücher und entwickelt sein Experiment „The Wave“, dem zu Beginn die ganze Klasse begeistert folgt. Selbst der Außenseiter und introvertierte Robert macht mit, wird sogar nicht mehr von seinen Klassenkameraden wie Brad gehänselt. Die intelligenteste und beliebteste Schülerin Laurie, die mit dem Kapitän des Footballteams liiert ist, erzählt ihrer Mutter zu Hause begeistert von der Erfahrung, welche die Disziplin und das daraus resultierende Zusammengehörigkeitsgefühl in ihr ausgelöst hat. Am folgenden Tag konfrontiert Ross seine Klasse mit dem Namen ihrer Gruppe und dem dazugehörigen Salut (einer Geste, die dem Hitlergruss nachempfunden ist). Zudem erhalten alle Anwesenden eine Mitgliedskarte, drei der Schüler werden sogar als Spione abgestellt, die dafür sorgen sollen, dass die anderen auch den Regeln von The Wave folgen.

Aus den dreißig Schülern und Schülerinnen von Ross’ Klasse werden innerhalb weniger Tage an die dreihundert, sodass Jugendliche aus anderen Klassen ihren Unterricht schwänzen, um bei The Wave dabei sein zu können. Laurie schwant allmählich, dass die Exklusivität ihrer Mitschüler auch umschlagen kann, denn bald werden Nicht-Mitgliedern ausgestoßen und zum Teil auch bedroht. Doch ihre Äußerungen werden von ihrem Freund David und ihrer besten Freundin Amy nicht ernst genommen, beide werfen Laurie vor, dass sie lediglich eifersüchtig ist, da sie nun nicht mehr im Mittelpunkt steht. Laurie engagiert sich vermehrt bei ihrer Schülerzeitung und nach einem gewaltsamen Vorfall auf dem Schulhof laufen auch die Eltern allmählich Amok. Bens Frau Christy nötigt ihn dazu das Experiment abzubrechen, doch Ben hat sich fast schon an seinen Führer-Status gewöhnt, zudem will er das Projekt nicht abbrechen ohne den Kindern etwas dadurch mitzugeben. In der Schule spitzt sich die Lage derweil zu und manche der Schüler scheinen den Bezug zur Realität zu verlieren. Laurie und ihre Redaktionskollegen starten eine Offensive gegen The Wave mit der sie sich selbst jedoch nur noch mehr in Gefahr bringen. Nach einem Vorfall zwischen Laurie und David suchen beide Mr. Ross auf, der daraufhin für den nächsten Tag plant The Wave endgültig zu beenden – doch wie soll er dies machen und wie werden seine Schüler reagieren?

Rhues Buch ist interessant und spannend geschrieben, sehr viel lebhafter, da ausgefeilter, als Jones Artikel, der relativ pragmatisch und unpersönlich war. Dabei unterscheidet sich die Schülerschaft von damals nicht großartig von der heutigen, es gibt den gehänselten Außenseiter und die Pausenhof-Primuse, die Klassenclowns und die intelligenten Besserwisser. Rhue verleiht ihnen allen etwas Persönlichkeit, auch wenn diese nur vor amerikanischen Klischees triefen. Robert, der Außenseiter, hat sich selbst aufgegeben, da er glaubt niemals mit seinem erfolgreichen und beliebten Bruder aufschließen zu können. Amy, Lauries Freundin, ist neidisch auf deren Beziehung und gute Noten, fühlt sich in der Schatten und unterdrückt. David hingegen wäre gerne wichtiger, als er es momentan ist, als Kapitän eines Football-Teams, das nicht gewinnt. Die beiden Redaktionsmitglieder die nur Albernheiten im Kopf haben, alle Charaktere sind nach einem typisch amerikanischem Klischee gezeichnet, auch wenn dieses sich ohne Frage in vielen Regionen Amerikas, besonders den Mittelstaaten, zu bewahrheiten weiß. Das Experiment selbst ist interessant, fast noch interessanter ist jedoch, dass es sich gegen den Initiator selbst zu wenden scheint, der gefallen an seinem Status findet. Kritisch bleibt lediglich, dass niemand in der Klasse so kurz nach der Durchnehmung des Zweiten Weltkrieges die faschistischen Züge von The Wave bemerkt, aber vielleicht sind dies auch nur Begleiterscheinungen einer Bewegung.


Die Welle (2008)

Entweder du machst mit oder du gehst.

Deutsche Filme sind meistens Ware zweiter Klasse – Kamerastil und Bildmaterial wirkt wie aus einer Dokumentation und kann mit amerikanischen oder auch französischen Filmen selten mithalten, nicht zuletzt des Inhaltes wegen. Dass der deutsche Film einen so schweren Stand hat, wird auch dadurch markiert, dass die meisten Filme, wenn nicht gar alle, nicht nur einer sondern gleich verschiedener Filmförderungen bedürfen – eine wirklich unabhängige deutsche Filmindustrie gibt es also nicht, allerhöchstens wenn Herr Eichinger persönlich in die Schatullen greift um eine weitere armselige Videospieladaption zu verfilmen. Und wenn wir Deutschen mal annehmbare Filme drehen, sind das meist auch diejenigen, die von der amerikanischen Filmakademie für einen Fremdsprachen-Oscar vorgeschlagen werden. Zugleich sind es meistens jedoch auch die Filme, die sich mit dem Lieblingsthema der Deutschen auseinandersetzen, bzw. eigentlich dem einzigen Thema, dass sich unter der Marke „Deutsch“ tatsächlich verkaufen lässt: der Nationalsozialismus. Sei es Caroline Links Oscargewinner Nirgendwo in Afrika oder Oliver Hirschbiegels Der Untergang, Marc Rothemunds Sophie Scholl und all die anderen Filme, darunter auch Dennis Gansels Napola, wirklich gut wird ein Film nur dann, wenn er sich mit dem Nationalsozialismus beschäftigt. Und wenn das nicht geht, dann eben das geteilte Deutschland, das zweitliebste Kind der deutschen, erst letztes Jahr mit Das Leben der Anderen mit einem Oscar bedacht.

Irgendeine Stadt in Deutschland, relativ sauber und sozial gesichert. Der junge und enthusiastische Politikwissenschaft- und Sportlehrer Rainer Wenger (Jürgen Vogel) würde gerne bei der Projekt-Woche seines Marie-Curie-Gymnasiums den Schülern und Schülerinnen Anarchismus näher bringen, wird jedoch von einem älteren Kollegen ausgebootet und mit Autokratie abgespeist. Seine Klasse stellt dabei einen Querschnitt durch die heutige Schülerschaft dar, die populärste und zugleich meistverachtete Schülerin Karo (Jennifer Ulrich), ihr Freund und Wasserballkapitän Marco (Max Riemelt), Karos beste Freundin Lisa (Cristina Do Rego), der Außenseiter Tim (Frederick Lau), der Snob Jens, sowie die Möchtegerne Kevin, Bomber und Sinan (Elyas M’Barek). Zudem einige Punks, Klassenclowns, Ökos und was das Herz begehrt, Gruppengleichheit sozusagen. Mit Autokratie können sie jedoch recht wenig anfangen und die Herrschaft einer Minderheit über den Rest klingt in ihren Ohren wie Faschismus und der ist schließlich nicht mehr möglich. Gut, denkt sich Rainer, und präsentiert ihnen nach zehnminütiger Pause einen Crashkurs in liberaler Autokratie, was den Jugendlichen zu gefallen scheint. Am nächsten Tag reizt Rainer sein Experiment noch ein wenig aus, die Klasse bilde fortan eine Gemeinschaft, ein Zusammengehörigkeitsgefühl, eine Einheit. Doch nur Mitglieder haben Zugang zu der Einheit, deren Name demokratisch mit „Die Welle“ bestimmt wird und wenige Stunden später bereits eine MySpace-Seite hat. In „Der Welle“ sind alle gleich, egal ob Außenseiter, Deutsch-Türke oder zweite Geige – doch während bei den einen die neugefundene Konformität auf Gefallen stößt, wollen andere der Begeisterung nicht folgen.

Der Artikel von Jones war nicht nur Vorlage für die Novelle von Morton Rhue, sondern wurde 1981 mit Bruce Davison in der Hauptrolle für das amerikanische Fernsehen inszeniert. Die Rechte an dem Stoff hatte Ron Jones jahrelang den Amerikaner für einen Kinofilm verwehrt, diese jedoch an den deutschen Produzenten Christian Becker nach jahrelanger Anfrage verkauft, der den Stoff wiederum mit seiner eigenen kleinen Clique inszeniert hat. Zusammen mit Regisseur Dennis Gansel und Autor Peter Thorwarth, sowie Produzentin Nina Maag war Becker gemeinsam auf der Filmhochschule in München gewesen, sodass man mal sehen kann, wozu Vitamin B nicht alles führt. Jones selbst scheint dabei begeistert von Gansels Film zu sein und auch die Macher selbst werden nicht müde sich selbst für ihre Leistung auf die Schulter zu klopfen, enttäuschend das hier ein gewisser natürlicher Sinnd für Selbstkritik nicht gegeben scheint. Man habe die Crème de la Crème der Jungschauspieler bekommen, heißt es da, doch einen Tom Schilling, eine Karoline Herfurth oder einen Kostja Ullman hat man nicht bekommen (oder zählen die nicht zur selben Elite wie eine Jennifer Ulrich?). Auch die Lobpreisung für die authentische Darstellung einer Schule macht relativ wenig Sinn, wenn man den Film in einer authentischen Schule filmt – ebenso kritisch ist die neutrale Darstellung der Stadt, in der jeder finanziell etabliert lebt, die meisten sogar im gehobenen Mittelstand. Angesetzt wird die Thematik dann auch noch explizit auf einem Gymnasium, sodass man sich fragt, ob die in Die Welle dargestellte Problematik nicht vielleicht verallgemeinert wird, bzw. eine neutrale Positionierung durch den freigestellten Ort gewissermaßen korrumpiert.

Von der Nationalsozialismus-Thematik bleibt in Gansels Film nicht mehr viel übrig, vielmehr beschäftigt sich der Film allein mit Faschismus, genauer gesagt mit der Möglichkeit des Ausbruches von faschistoiden Zügen. Rainers Schüler glauben nicht daran, dass Faschismus wieder massenhaft ausbreiten könnte und werden nach einer zehnminütigen Pause gleich eines besseren belehrt. Stramm stehen und reagieren, nicht zu viel nachdenken, sondern machen was einem gesagt wird. Als faschistisch durchschauen tut das keiner der Jugendlichen, obschon sie erst wenige Minuten zuvor darüber gesprochen haben. Und wirklich autokratisch, bzw. diktatorisch ist das auch nicht, denn Rainer lässt die Schülerschaft ganz liberal und demokratisch über alle möglichen Dinge abstimmen, während sich diese und ihre Aktionen verselbstständigen. Gansels Rainer hat sehr viel weniger mit Jones selbst oder den von Rhue dargestellten Ben Ross gemeinsam, da letztere die Zügel des Spiels selber in der Hand hatten und auch den Sog, welches es entwickelte am eigenen Leib spürten. Die Einbindung der Lehrerfigur in das ganze Geschehen wird daher im Film etwas unterschätzt, bzw. nicht entsprechend dargestellt. Hier geht die Transformation, bzw. das Eintreten des Integrationsgefühls zu schnell vonstatten. Schade eigentlich auch, dass zwar Friedrich Dürrenmatts Der Besuch der Alten Dame im Film kurz angesprochen wird, da ihn die Theater AG inszeniert, auf die Parallelen der Handlungen geht der Gansel dann jedoch bedauerlicherweise nicht mehr ein, obschon hier Potenzial lag.

Sicherlich gestaltete sich die Umsetzung des Stoffes in Deutschland etwas schwerer, weshalb man die Wendung vom Nationalsozialismus weg und zum faschistisch-autokratischen System hin nachvollziehen kann. Wirklich abkaufen tut man dies den Jugendlichen im Film jedoch nicht, denen es finanziell an nichts zu mangeln scheint. Auch die Rolle des Lehrers wird etwas fahrlässig dargestellt und lediglich der erste Teil des Finales weiß die Kraft zu entwickeln, die der Handlung innewohnte und vom Trailer angedeutet wurde. Was sich Gansel und Thorwarth mit der Auflösung des Filmes versprochen haben, die gänzlich weg von der Grundlage der Geschichte – man erinnere sich, es ging darum dass die Jugendlichen eine Lektion lernen – abweicht und in das klischeebedingte Alltagsgeschehen abdriftet. Unterlegt wird der Film jugendgerecht mit all den kleinen Feinheiten – MySpace, Skype, Graffiti – die bei den heutigen Schülern und Schülerinnen aktuell sind, sodass aus der ehemaligen Schullektüre eine aktuelle Verfilmung stattfinden kann, was in Zeiten wo Kinder immer weniger bis gar nicht mehr lesen vielleicht auch nicht das Falsche ist. Die Darsteller wissen dabei in ihren Rollen zu überzeugen, auch wenn man sich einige Vertiefungen des Drehbuchs in die Geschichte gewünscht hätte. Die Welle ist nun irgendwie doch ein Film mit Nationalsozialistischer Thematik und doch auch irgendwie nicht. Zumindest ist es eine ansehnliche Verfilmung, die sich von der üblichen deutschen Kinozote eines Til Schweiger hervorhebt.

6/10 - erschienen bei Wicked-Vision

25. Februar 2008

Kurz & Knackig: Gefühlschaos

Cidade de Deus – Fernando Meirelles’ Meisterwerk über das Leben in den brasilianischen Favelas schildert Geschichten über die ersten Lieben (Buscape) bis hin zu den ersten Morden (Löckchen) vieler junger Menschen, deren Leben bestimmt ist von Gewalt und Drogen. Anhand seiner beiden Figuren Buscape und Löckchen zeigt der Film die unterschiedlichen Wege auf, die ein junges Leben unter denselben Bedingungen nehmen kann. Zu einem Großteil mit Laiendarstellern gedreht muss man sagen, dass so sehr auch Meirelles’ Film durch seine Optik und musikalische Untermalung zu gefallen weiß, Cidade de Deus bei meiner fünften Sichtung langsam recht dated wirkt. Der Handlungsbogen ist zu gestreckt und Meirelles verliert sich auf vielen Nebenschauplätzen wie beispielsweise der Geschichte um Mané, auch das Intro mit den Wild Angels hätte der Regisseur etwas straffen können. Wegen dieser kleinen Makel verliert der Film einen Punkt in seiner Wertung, bleibt aber dennoch ein Meisterwerk unserer Zeit und erhält 9/10.

Herr Wichmann von der CDU – Im Jahr 2002 begleitete der Regisseur Andreas Dresen den Wahlkampf (insofern sich von einem solchen reden lässt) des CDUlers Henryk Wichmann im Wahlkreis Uckermark-Oberbarnim. Oberflächlich betrachtet handelt es sich hierbei um eine der amüsantesten deutschen Komödien aller Zeiten, wenn der 25jährige Wichmann mit Rechtsradikalen debattiert, seine Politikerkonkurrenten mit Worten wie „Märchenstunde“ abwatscht oder nicht müde wird gegen die Grünen zu wettern. Sehr vorausschauend auch, wenn er bereits 2002 auf die Frage „Wem kann man noch vertrauen“ wie aus der Pistole geschossen mit „Der Frau Merkel“ antwortet. Dresens Film bleibt dennoch eine Dokumentation und der erzeugte Humor ist fraglos ungewollt. Sehr demaskierend zeigt er die Hoffnungslosigkeit eines Wahlkampfes in einer demoralisierten Umgebung. Niemand will Wichmann zu hören, die Broschüren werden nur wegen der gratis Kugelschreiber mitgenommen, ein wirkliches Interesse an der Bundestagswahl gibt es nicht. Dass Wichmann sich dabei in ein Muster zwängen lässt, welches er selbst gegenüber seiner schwangeren Frau vor der Kamera aufrecht erhält, verdient sich dennoch zum Brüllen komische 9/10.

Enduring Love -Ltztes Jahr war Ian McEwan ja in aller Munde bzw. vielmehr die Filmadaption seines Romans Atonement. Drei Jahre zuvor hatte sich Theaterregisseur Roger Michell 2004 an McEwans gleichnamigen Roman von 1997 versucht. Erzählt wird die Geschichte eines fatalen Heißluftballon-Unfalls, der den homosexuellen Jed (Rhys Ifans) in eine Erotomanie zu dem ebenfalls anwesenden Joe (Daniel Craig) treibt. Währenddessen macht sich Joe schwere Vorwürfe wegen des Unfalls, da dabei eine der beteiligten Personen zu Tode kam. Seine Beziehung zu seiner Freundin Claire (Samantha Morton) hat darunter zu leiden und Jed verrennt sich immer mehr in seine Liebe zu Joe, bis das ganze tragisch endet. Für diesen Liebes-Thriller scheint Michell, vorher für den Liebesfilm Notting Hill und den Thriller Changing Lanes verantwortlich, wie geschaffen zu sein, doch die Abänderungen gegenüber der Vorlage führen dazu dass die ganze Spannung der Geschichte verloren geht. Der Film gibt sich schließlich der Belanglosigkeit und Eintönigkeit her, ohne Spannung, ohne Tiefgang, eigentlich ohne gar nichts, außer einem Kuss zwischen James Bond-Craig und Sienna Miller-Stecher Ifans. Wirklich viel Potenzial wurde dabei nicht einmal verschenkt, von meiner Seite aus gibt es einschläfernde 3/10.

23. Februar 2008

Californication - Season One

I wish you’d have said that before the blood started rushing to my cock.

Auf die Gefahr hin mich zu wiederholen, aber was sich derzeit so alles im US-Fernsehen für Serien finden lassen, ist fast schon nicht mehr feierlich. Schaut man dagegen ins Kino, findet sich selten so starke Qualität, wie sie zu Hause über die Mattscheiben flimmert. In Deutschland braucht man das Fernsehen eigentlich gar nicht mehr einzuschalten, außer asozialen Familien die sich gegenseitig die Mütter austauschen, dumm-debilen Gerichtsshows oder ständigem Dauergekoche finden sich kaum etwas. Ironisch dabei ist, dass dies das Unterhaltungsniveau der Deutschen zu sein scheint, da eben jene starken US- oder auch UK-Serien in unserem Land nach wenigen Folgen oftmals abgesetzt oder ins Nachtprogramm geschoben werden. Fraglich ob es manche US-Serien in den deutschen TV-Pool schaffen werden, ein dieser Serien dürfte Californication sein. Die dieses Jahr mit einem Emmy für den besten Hauptdarsteller ausgezeichnete Serie aus der Feder von Tom Kapinos hatte ich beim ersten Reinsehen gleich mal wieder zur Seite geschoben (und dabei glatt eine nackte Madeline Zima verpasst). Nachdem sich foxmulder und bullion wärmstens über die Serie ausgelassen haben, wollte ich ihr dann doch eine zweite Chance geben und prinzipiell hat sich dies am Ende dann, wenn man es so sagen kann, gelohnt.

Hank Moody (David Duchovny) ist ein ehemaliger Stern am Autorenhimmel. Geschrieben hat er schon eine Weile nichts mehr und auch die Hollywood-Verfilmung eines seiner Romane ist von ihm nicht sonderlich gut aufgenommen worden. Seine freie Zeit vertreibt sich der kiffende und saufende Hank zumeist mit Frauen jeglicher Art, unabhängig von ihrem Alter oder Lebensstatus. Sich an Rudy Valentino orientierend schläft sich Hank innerhalb der Serie durch die Betten Hollywoods und landet unter anderem mit seinem 16jährigen Fan Mia (Madeline Zima) im Bett. Ihr Alter erfährt Hank allerdings erst hinterher, als er sie als zukünftige Stieftochter seiner Ex-Freundin Karen (Natasha McElhone) wiedertrifft. Um ebenjene Ex-Freundin dreht sich auch alles in Hanks Leben, da er sie immer noch liebt und ihre Ehe mit Mias Vater so gut es geht versucht zu sabotieren. Eine enge emotionale Verbindung besteht zwischen den beiden dank ihrer gemeinsamen Tochter Becca, die ebenso wie Hank die Hoffnung auf eine Versöhnung noch nicht aufgegeben hat. Einen Nebenhandlungsstrang eröffnet sich durch das Leben von Hanks Agenten Charlie Runkle (Evan Handler) und dessen Affäre mit seiner karrieregeilen Sekretärin Dani (Rachel Miner), was sich schließlich auch in das Leben von Hank niederschlagen wird. Derweil steuert die Serie mit jeder kommenden Folge stets auf die Hochzeit von Karen zu.

Wenn Californication von etwas lebt, dann von nackter Haut. Wer immer schon mal den Hintern von Hauptdarsteller David Duchovny sehen wollte oder nicht genug von nackten Brüsten kriegen kann, der dürfte hier an der richtigen Adresse gelandet sein. Hank ist ein scheinbar hoffnungsloser und äußerst destruktiver Charakter, demaskierend ehrlich gegenüber seinem Gegenüber und diesen ohne jegliche Scham analysierend. Dass dies nicht immer schlecht für Hank ausgeht, darf man in der Serie begutachten. Allgemein geht es Hank grundsätzlich weit weniger schlecht, als er selbst immer versucht zu implizieren. Er hat eine Tochter die ihn liebt, eine Ex-Freundin die an ihm hängt, einen Agenten der sein bester Freund ist und finanziell keine Sorgen. Zudem kommt natürlich die Tatsache hinzu, dass er schier unwiderstehlich bei dem weiblichen Geschlecht zu sein scheint, es vergeht kaum eine Folge in der Hank keine sexuellen Eskapaden treibt. Mit Hollywood selbst hat die Serie dabei eher weniger zu tun, Hank prügelt sich zwar gerne mit dem Regisseur seines Filmes und hat auch sonst nicht viel für die Unterhaltungsbranche übrig, eine wirkliche Rolle spielt diese allerdings nicht. Auch das interessante Thema bezüglich Plagiate wird nicht näher untersucht, fungiert lediglich als kleines klimatisches Mittel.

Eine Serie mit einer nackten Madeline Zima und zusätzlich dazu noch einer reizenden Natasha McElhone kann eigentlich nicht verlieren und wenn dann auch noch Evan Handler und David „Mulder“ Duchovny dabei sind sollte dem Vergnügen nichts mehr im Wege stehen. Irgendwie ist dem aber nicht so. Die Serie hat ihre amüsanten Szenen und diese hängen eigentlich immer mit Hank zusammen (die Tampon-Szene im Supermarkt z.B.), dazu offeriert sie viele Nacktszenen der weiblichen Gastdarstellerinnen. Subtrahiert man diese beiden Faktoren bleibt jedoch nicht mehr viel übrig, da es der Serie an einer echten Handlung mangelt. Zudem ist Californication keine reine Sitcom wie Friends oder Scrubs, die nonstop Lacher darbietet, sondern lässt sich eher einem Sex and the City zuordnen – nicht nur, aber auch wegen der Nacktszenen. Funktionieren tut das, was man da zu sehen bekommt, dank dem Schauspiel von Duchovny, der sicherlich nicht unverdient mit dem Emmy dieses Jahr ausgezeichnet worden ist. Californication hat seinen gewissen Charme, seine magic moments dank Hanks zynischen Kommentaren, weist davon jedoch zu wenig auf und versucht es mit nackter Haut auszugleichen. Das geht bei zwölf dreißigminütigen Folgen gerade noch so gut, bedenkt man die Auflösung des Staffelfinales bleibt es fragwürdig in welche Richtung sich die zweite Staffel entwickeln mag. Einen Blick ist die Serie jedoch zweifellos wert.

7/10

21. Februar 2008

Die Top 5: Strandszenen

A prison could hardly have been built with more formidable walls, 
although it was hard to think of such a place as prison-like.
(Alex Garland, The Beach, p. 102)

Menschen verbinden Strände mit Romantik, Entspannung, Urlaub – dem Loslassen von Lebenssorgen. Strände symbolisieren Freiheit, Freiraum, ein Refugium des Friedens. Meistens sind sie von unbestreitbarer Schönheit und je nach dieser Schönheit wählen Menschen ihre Ferienziele aus. Abschalten vom Alltag, die Seele baumeln lassen, den warmen Sand zwischen den Zehen spüren, sich die Sonne auf den Bauch scheinen und das Meer durch die Beine spülen lassen. In The Beach thematisierte der britische Autor Alex Garland den Strand als Garten Eden: ein abgeschiedenes Ressort des Friedens vor der Gesellschaft. Doch der Strand wandte sich gegen die Bewohner und wurde zum Verhängnis.

In der Tat stellt ein Strand eher eine Begrenzung als eine Öffnung dar. Früher forderten diese Grenzen eine Überwindung, ein Erforschen neuer Länder jenseits des eigenen Landes. Ausbruch aus dem Gefängnis der Natur, nur um einen neuen Strand und somit ein neues Gefängnis zu betreten. Als solche Szenerie der Vorstellung eines Agierens mit dem Rücken zur Wand funktionieren Strände meist in Kriegsfilmen wie Steven Spielbergs Saving Private Ryan oder Clint Eastwoods Flags of Our Fathers. Eine Kriegszentrierung auf eine kleine Fläche, ohne Fluchtchance. Auch in Filmen wie John Carpenters The Fog oder Spielbergs Jaws birgt der Strand ein grauenvolles Geheimnis, als Pforte zwischen Meer und Land.

In Knockin’ on Heaven’s Door (Thomas Jahn, D 1997) wollen die sterbenskranken Martin (Til Schweiger) und Rudi (Jan Josef Liefers) vor ihrem Tod den Strand sehen.
Diese Kleinflächigkeit dient aber auch Konzentration von Glück, so wie in der unvergessenen Liebesszene in From Here To Eternity. Zugleich dienen Strände oft auch als Schlussmotiv, um eine gewisse Hoffnung der Charaktere auszudrücken. Der junge Neonazi Shaun löst sich in This is England am Strand von seinen faschistischen Zwängen, der Jahrelang inhaftierte Red trifft an einem mexikanischen Strand in The Shawshank Redemption auf einen alten Freund und auch auf eine nicht mehr erhoffte Freiheit. Strände stehen für somit Träume, für etwas nicht Greifbares, etwas Fernes und Hoffnungsvolles. Und doch immer irgendwie zugleich als ein abgeschlossener Raum, trotz ihrer sichtlichen Großflächigkeit.

Durch das Anknüpfen an das Meer verkörpern sie eine Barriere, die nicht weiter zu überwinden ist. Bis hierher und nicht weiter. In ihnen zeigen sich die Dämonen der Charaktere. Was sie belastet, was ihnen wichtig ist. Dadurch gelingt es, unvergessliche Filmmomente zu erzeugen, zum einen durch ihre natürliche Schönheit, zum anderen wiederum durch die erläuternde Funktion, die sie wegen ihrem gefängnisähnlichen Erscheinungsbild bei den jeweiligen Figuren erzeugen. Im Folgenden sollen die eindrucksvollsten fünf Strandszenen vorgestellt werden, die nicht nur durch ihre Ausstrahlung an sich, sondern auch durch ihren Zusammenhang Eindruck auf das Publikum machen (gewisse Spoiler sind enthalten!):


5. Deep Impact (Mimi Leder, USA 1998): In der etwas ernsteren Variante von Michael Bay’s Armageddon prallt ein Komet auf die Erde und bewirkt einen Riesentsunami. Die Journalistin Jenny Lerner (Teá Leoni) sucht im Angesicht des nahenden Todes ihren Vater (Maximilian Schell) an dem Strand ihrer Kindheitserinnerungen auf, sich mit diesem nach vielen zerstrittenen Jahren versöhnend, ehe die Todeswelle über sie hereinbricht.

4. City of Angels (Brad Silberling, USA/D 1998): In Silberlings US-Remake von Wim Wenders Der Himmel über Berlin wird die Liebesgeschichte des Engels Seth (Nicolas Cage) zu der Ärztin Maggie (Meg Ryan) erzählt. Hierbei finden die über die Menschen wachenden Engel ihren einzigen (Seelen-)Frieden darin,  sich jeden Morgen bei Sonnenaufgang am Strand von Malibu zu versammeln, um die ersten Sonnenstrahlen zu beobachten.

3. Planet of the Apes (Franklin J. Schaffner, USA 1968): Astronaut George Taylor (Charlton Heston) landet nach einer missglückten Weltraummission auf einem Planeten, auf dem intelligente und zivilisierte Affen über unterentwickelte Menschen herrschen. Am Ende macht er die erschreckende Erkenntnis, dass es sich bei dem betreffenden Planeten um die Erde handelt, als er am Strand die Überreste der Freiheitsstatue trifft.

2. The Piano (Jane Campion, AUS/NZ/F 1993): Die stumme Ada (Holly Hunter) ist mit dem in Neuseeland lebenden Alisdair (Sam Neill) eine vereinbarte Ehe eingegangen und wartet mit ihrer Tochter (Anna Paquin) am Strand darauf, von ihm abgeholt zu werden. Das einzige Ausdrucksmittel ihrer Emotionen stellt dabei ihr geliebtes Piano dar, welches aufgrund seiner Größe am Strand zurückgelassen werden muss.

1. Atonement (Joe Wright, UK/F 2007): Am Strand von Dünkirchen trifft der Engländer Robbie (James McAvoy) auf desillusionierte britische und französische Truppen. Tödlich verwundet zieht er in einer einzigen, minutenlang ungeschnittenen Kamerafahrt von Seamus McGarvey durch die Trostlosigkeit der Szenerie, des Krieges, des gesamten Daseins aller Soldaten gleich welcher Nation, die sich am Strand eingefunden haben.

19. Februar 2008

Lars and the Real Girl

What would Jesus do?

Außenseiter. Jeder kennt sie und die meisten wollen mit ihnen nichts zu tun haben. Denn Außenseiter sind meistens verschroben, eigenartig, seltsam. Eben nicht normal und niemand will mit jemanden gesehen werden, der nicht normal ist, denn dann wird gleich die eigene Normalität hinterfragt. Am häufigsten werden Außenseiter in High School Filmen inszeniert, die nerdigen Brillenträger oder Dickerchen, die im Sportunterricht immer als letzte gewählt werden und in der Umkleide vom Quarterback eins mit dem Handtuch hinten drauf kriegen. Und wer kannte an seiner eigenen Schule nicht auch einen solchen Außenseiter, jemand den man nie in seiner Gruppe haben wollte. Einfach weil er komisch, weil er anders war. Eben nicht normal, nicht so wie man selbst. Doch auch nach der Schulzeit spielt Konformität noch eine große Rolle, bloß nicht aus der Reihe tanzen, nicht auffallen, sich anpassen. Gerade diese erwachsenen Außenseiter sind meist kein Thema für große Filme, wenn sie nicht den pubertären Spielereien einer Teenie-Komödie dienen. Paul Thomas Anderson portraitierte Adam Sandler als einen solchen Außenseiter in Punch-Drunk Love. Darin spielte Sandler einen schüchternen, verklemmten Verkäufer, welcher nicht sonderlich gut mit Frauenbekanntschaften auskam. In der deutschen The Office-Adaption Stromberg wurde eine solche Figur von Bjarne Mädel verkörpert, dem Mobbing-Opfer seiner Büroabteilung. Diese Figuren leben von ihrer Umgebung isoliert, fallen durch ihre äußerliche Erscheinung auf und sind sexuell an sich abstinent. Sie leben in ihrer eigenen Welt und dienen als Lachnummer für den konformen Rest der sich selbst als normal erachtet.

Lars (Ryan Gosling) lebt ein unscheinbares Leben in einer Garage. Den Einladungen seiner im Haus nebenan lebenden Schwägerin Karin (Emily Mortimer) weicht er geschickt aus und zu seinem Bruder Gus (Paul Schneider) hat er auch ein unterkühltes Verhältnis. Im Geschäft und der Kirche ist er höflich und zuvorkommend, auf private Fragen oder gar Avancen seiner schrulligen Arbeitskollegin Margo (Kelli Garner) geht er jedoch nicht ein. Lars steht morgens auf, fährt zur Arbeit und von dort wieder zurück nach Hause. Er hat so wenig zwischenmenschliche Kontakte wie nötig. Durch seinen Arbeitskollegen wurde Lars jedoch auf eine Homepage aufmerksam gemacht, die lebensechte Sexpuppen vertreibt, deren Aussehen man selbst bestimmen kann und die sogar mit fiktiver Vorgeschichte geliefert werden. Sechs Wochen später trifft eine solche Puppe bei Lars ein und schlagartig ändert sich sein Leben. Er holt seinen schönsten Pullover heraus, kämmt sich die Haare und eröffnet seinem Bruder und seiner Schwägerin, dass er Frauenbesuch hat, was bei den beiden für ekstatische Euphorie sorgt. Beim Abendessen stellen sie dann schockiert fest, dass Lars neue Freundin Bianca, halb Dänin halb Brasilianerin, nicht nur im Rollstuhl sitzt, sondern nicht einmal echt ist. Da Lars sie jedoch wie eine reale Person behandelt, bringen sie ihn am nächsten Tag zur Allgemeinärztin und Psychologin der Stadt. Diese rät nicht nur Karin und Gus, sondern allen Einwohnern das Spiel um Bianca einfach mitzuspielen, bis sich Lars selbständig von seiner Illusion zu lösen bereit ist. Lars, der sich nun erstmalig in sein soziales Umfeld zu integrieren bereit ist, sieht bald dass seine Freundin mehr Zeit mit den anderen Bewohnern verbringt, als mit ihm.

Mit Lars and the Real Girl ist Nancy Oliver eine großartige Geschichte über Einsamkeit, Liebe und Akzeptanz gelungen, die sehr viel mehr das Herz berührt als dass sie die Lachmuskeln anregt. Oliver, die einige Drehbücher für die tiefsinnig-humoristische HBO Serie Six Feet Under verfasst hat, stieß im Internet selbst eines Tages auf die Homepage der RealGirls, zu denen auch die im Film dargestellte Bianca gehört. Anstatt dies in eine debile konforme Komödie zu verpacken, schuf sie stattdessen eine tiefsinnige emotionale Geschichte. Produzent Sidney Kimmel, der gerne mal Independentfilme unterstützt gehört der größte Respekt gezollt, diese Geschichte tatsächlich auf die Beine gestellt zu haben. Als Regisseur gewann er den mehrfach ausgezeichneten Werbefilmer Craig Gillespie, der unter anderem für die Limonaden Mountain Dew und Pepsi (mit Justin Timberlake in der Hauptrolle) TV-Spots gedreht hat. Als weitere Produzenten kamen John Cameron an Bord, der mehrfach mit den Coen-Brüdern produzierte, aber auch Schauspieler und Regisseur Peter Berg unterstütze das Projekt, wie auch William Horberg der hinter Filmen wie Death at a Funeral und The Quiet American steht. Als Schauspieler konnten neben dem mehrfach nominierten Ryan Gosling auch solche bekannte Namen wie Emily Mortimer (Match Point), Patricia Clarkson (Dogville) und Paul Schneider (The Assassination of Jesse James) gewonnen werden, die allesamt perfekt harmonieren und den Film zu einem großartig gespielten Erlebnis machen.

Dass Lars so ist wie er ist, entspricht keinem Zufall, sondern hängt mit seiner Kindheit zusammen. Die Mutter starb bei seiner Geburt und durch ihren Tod wurde die Familie auseinander gerissen. Sein älterer Bruder Gus büchste irgendwann von zu Hause aus und der Vater lebte nach dem Tod seiner Frau mit gebrochenem Herzen weiter. So kam es, dass Lars von Haus aus nie wirklich Zuwendung oder Liebe verspürt hat, alles was er von seiner Mutter besitzt ist ein himmelsblauer Schal, den sie ihm genäht hat und den er immer bei sich trägt. Wer in einer isolierten und apathischen Umgebung aufwächst kann an sich auch nur isoliert und apathisch werden. So schlägt sich die fehlende Zuwendung und Nähe seiner Kindheit irgendwie selbstverständlich in Lars Haphtephobie nieder. Er trägt mehrere Kleider übereinander um vor Berührungen anderer Menschen, die er wie ein Brennen empfindet, gefeit zu sein. Wenn er dann nach einiger Zeit seiner Kollegen Margo die nackte Hand zum Schütteln entgegenreicht, besitzt dies eine unaussprechliche Ausdrucksstärke. Selbst Bianca berührt Lars nur äußerst selten und der eigentliche Sinn, den sie erfüllen sollte, tritt bei Lars überhaupt nicht auf. Zu Bett gebracht wird sie von Gus und schlafen tut sie im ehemaligen Zimmer von Lars’ Mutter, sodass alles Sexuelle zwischen den Beiden entfällt und der Kuss zwischen ihnen am Ende sinnbildhaft für diese Beziehung steht. Während des ganzen Filmes ist sich Gus immer sehr wohl bewusst, was Lars eigentlich wirklich fehlt bzw. gefehlt hat und wie sehr ihn dies auch selbst belastet. Durch Lars’ Umstände ist Gus gezwungen mehr Zeit mit seinem Bruder zu verbringen, als er es vorher je tat und durch diese gemeinsam verbrachte Zeit gelingt es ihm schließlich sich selbst zu vergeben.

Der Umstand das Lars Bianca wie eine reale Person behandelt sorgt für die Einwohner im Film zuerst für dasselbe Unverständnis und Amüsement wie bei den Kinozuschauern. Dabei zeigt Gillespie in seinem Film sehr bald, dass nicht wirklich etwas Belustigendes an Lars’ Verhalten ist. Jeder Mensch hat seine Spinnereien oder Illusionen und während manche eine Sexpuppe als real erachten, ziehen andere ihren Katzen Kleider an, hängen an ihren Actionfiguren oder Kuscheltieren, führen Selbstgespräche, lassen ihre Kinder in dem Stadion ihres Lieblingsfußballvereins taufen oder hoffen darauf, dass sie ein vor zweitausend Jahren ermordeter jüdischer Zimmermann eines Tages erretten wird. Jeder Mensch hat folglich seine Illusionen und es macht wenig Sinn sich über die einen mehr lustig zu machen,als über die anderen. Während des Filmes mag man sich die Frage stellen, was so abwegig an Lars’ Verhalten sein soll. Dieselben kleinen Gespräche führt jeder auch mit seinen realen Partnern, was unterscheidet Lars’ Beziehung zu Bianca so sehr von Gus’ Beziehung zu Karin? Oliver portraitiert in ihrem Drehbuch gekonnt wie durch Lars und Bianca allen anderen Einwohner der Stadt ein sozialer Spiegel vorgehalten wird. Lars behandelt seine künstliche Freundin zuvorkommend, freundlich, höflich und gerade durch sein Verhalten zu Bianca beeinflusst er auch das Verhalten der anderen zu Bianca. Natürlich spielen diese das Spiel nur aus Liebe zu Lars mit, aber in ihren Begegnungen mit der Puppe entwickeln sich auch alle anderen Einwohner – allen voran Gus – menschlich weiter.

Ohne Frage ist Lars and the Real Girl witzig, wenn Lars eine Blume wegwirft als er Margo gegenübersteht oder mit Bianca in irgendwelchen sozialen Szenen verwickelt wird. Es ist aber vor allem ein sehr bewegender und emotionaler Film, exzellent bebildert, sodass Lars nie wirklich ins Lächerliche gezogen wird. Wenn er plötzlich beginnen muss seine Freundin mit anderen zu teilen, so ist dies ebenso toll dargestellt wie die Tatsache, dass sich Lars erst durch Bianca traut am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Bianca wird von allen deswegen akzeptiert, weil Lars von ihnen akzeptiert wird und spätestens an diesem Punkt verlässt der Film dann die Konventionen durchschnittlicher Kinofilme. Natürlich wird man nirgends eine solche Stadt finden, die einen der Einwohner umsorgt, der eine Beziehung mit einer Sexpuppe führt. Der Grund hierfür liegt aber an uns, den Einwohnern, den Zuschauern, dem Publikum. Wer würde so etwas schon akzeptieren? Den Außenseiter, der nicht normal ist, weil er nicht wie wir ist. Gus steht stellvertretend für alle anderen, wenn die erste Frage die ihm in den Kopf schießt lautet: was werden die anderen von uns denken? Konformität, von jeher der Fluch des Menschen. Was werden die andern von uns denken, wenn wir in einem jüdischen Geschäft einkaufen?, wird man sich 1934 in Deutschland gedacht haben. Was wird man von uns denken, wenn die Nachbarn herausfinden, dass das eigene Kind, der Kumpel, der Mannschaftskamerad womöglich homosexuell ist? Was wird man von uns denken, wenn der eigene Bruder eine Beziehung mit einer Puppe eingeht und zum ersten Mal in seinem Leben glücklich ist und sich angenommen und geliebt fühlt?

Oliver und Gillespie zaubern in schönen Bildern und toller musikalischer Untermalung eine superbe kleine Moralfabel auf die Leinwand, die sich weniger damit beschäftigt, dass sich Lars an die Allgemeinheit, sondern vielmehr die Allgemeinheit an Lars anpassen soll. Das dies auf der Leinwand so hervorragend funktioniert, ist zu einem Großteil natürlich Ryan Gosling zu verdanken, der hier wieder einmal beweisen kann, weshalb er zu den aufstrebenden jungen Charakterdarstellern unserer Zeit gehört. Verdient waren die Golden Globe Nominierungen für Gosling und Oliver allemal und es liegt wohl allein an der starken Konkurrenz dieses Jahr, dass es Gosling zu keiner Oscarnomierung gebracht hat. Zu guter Letzt lässt sich sagen, dass Lars and the Real Girl ein unglaublich mutiger Film ist, da er von den wenigsten entsprechend aufgenommen wird. Mutig ist es, einen solchen Film tatsächlich zum Finanzieren zu bekommen und ihn auf so magische und berührende Weise schließlich zu inszenieren. Dass die gesamte Crew des Filmes am Set die Sexpuppe Bianca tatsächlich wie eine reale Person behandelt hat, ist bei Betrachtung des Filmes nicht weiter verwunderlich und steht stellvertretend für das Herz dass diese Geschichte besitzt. Einziger Wemutstropfen ist die Tatsache, dass man den plötzlichen Wandel, welchen die Figur von Lars erlebt, nicht ohne weiteres nachvollziehen kann. Die fehlende Liebe ist das eine, weshalb er jedoch mit 27 Jahren anfängt eine Sexpuppe im Internet zu bestellen und sie wie eine reale Person zu behandeln ist das andere. Hier hätte man sich noch etwas mehr Ausarbeitung des Charakters gewünscht. Lars and the Real Girl zählt fraglos zu den besten Filmen dieses Kinojahres und sicherlich nicht zu denen, die jeder gesehen haben sollte, denn um den Film wirklich zu verstehen, muss man sich auf ihn einlassen. Dann behandelt man hinterher vielleicht auch den einen oder anderen Außenseiter in seiner Umgebung mit etwas mehr Respekt.

8.5/10

18. Februar 2008

Kurz & Knackig: Bleihaltig

Judge Dredd – eine der vielen Sly Stallone Trash-Perlen, die es sogar schafft Demolition Man zu übertreffen. In schrillen und modetechnisch abstoßend hässlichen Uniformen macht Sly als britische Comic-Figur Judge Dredd die Strassen von Mega-City unsicher und darf dabei im Gegensatz zum Comic nicht nur sein Gesicht zeigen, sondern sogar mit Judge Hershey (Diane Lane!) anbandeln. Damals war Jürgen ´the German’ Prochnow noch Szene-Bösewicht Nummer Eins und auch Max von Sydow lässt sich nicht lumpen. Obendrauf gibt es noch zwei der coolsten One-Liner überhaupt: „I am the law“ und „I knew he’d say that“. Für so viel Trash gibt es dann auch verdiente 7.5/10.

Les Pétroleuses – Western-Komödie von 1971 die sich um die beiden Damen Brigitte Bardot und Claudia Cardinale dreht als zwei Gaunerinnen, die sich um ein Grundstück schlagen, welches Petroleum beherbergt. Passend dass die Bardot dabei vier Schwestern und die Cardinale vier Brüder hat – den Rest kann man sich ja dann wohl denken. Dazu gibt es noch Michael J. Pollard als depperten Sheriff der Französisch mit amerikanischem Akzent trällern darf. Der Film ist so vorhersehbar wie unlustig, wobei das auch an den Pointen der Sechziger Jahre liegen kann, die für die Autoren als maßgebend galten. Wenn man auch damals drüber lachen konnte, außer den Dekolletés der Bardot und Cardinale gibt es bedauerlicherweise nichts zu sehen, daher mühsame 2/10.

Der Eisbär – und der Til-Schweiger-Preis für den besten Film geht an Til Schweiger! Na, so weit ist es dann nicht gekommen, auch wenn der Ernst-Lubitsch-Preis für den schrottigen KeinOhrHasen des Guten zu viel war. Mit Der Eisbär feierte der gute Til einst sein Regiedebüt und war sich nicht zu schade bei den Herren Rodriguez und Tarantino zu klauen. Was dabei herumkam ist Benno Fürmann als potenzieller 16jähriger und noch zig andere deutsche „Stars“ (Katharina Thalbach, Willy Tomczyk, Ralf Richter – wo war Martin Semmelrogge?). Im Vergleich zu KeinOhrHasen ist das hier ein Meisterwerk und auch sonst eine relativ unterhaltsame Gangsterkomödie die einzig und allein von Karina Krawczyk zusammengehalten wird – wer sich am Ende nicht in ihr Lächeln verliebt hat, dem kann keiner mehr helfen und dafür gibt es auch durchschnittliche 5/10.

16. Februar 2008

Vantage Point

Stop! Rewind that.

Das der amerikanische Präsident nicht gerade zu den beliebtesten Menschen dieses Planeten gehört, das wissen wohl die meisten Menschen, und manchmal ist die Abneigung gegen diesen so groß, dass es Personen gibt, die einen Mordanschlag auf ihn verüben. Siebzehn Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika ist dies der Fall gewesen, in vier Fällen mit positivem bzw. negativem Ausgang. Was bezweckt man mit einem Attentat auf den mächtigsten Mann der Welt? Gegen die Politik eines Landes kann man dadurch nicht rebellieren, lediglich ein Lebenszeichen seines Widerstandes abgeben. Ein Attentat auf den amerikanischen Präsidenten nahmen sich auch die Kinoneulinge Barry Levy als Drehbuchautor und Pete Travis als Regisseur vor. In ihrem Action-Thriller Vantage Point besucht der US-Präsident Ashton (William Hurt) ein Gipfeltreffen bezüglich des Krieges gegen den Terrorismus in Salamanca, wo er sich mit dem Bürgermeister in der abgeschlossenen Plaza Mayor vor versammelter Zuschauermenge trifft. Währenddessen werden die Strassen vor der Plaza mit Protestgegner gegen Ashton gesäumt, von den Medien rund um Sendeleiterin Rex Brooks (Sigourney Weaver) jedoch ignoriert. Die Kritik am amerikanischen System ist für das Fernsehen nicht interessant, das macht sie auch gegenüber ihrer Reporterin Angie (Zoё Saldaña) klar, die sich einen Hinweis vor laufender Kamera über die Stimmung der Menge nicht verkneifen konnte. Man bekommt hier als Zuschauer eine entscheidende Szene zu sehen, die vielleicht die einzige Antwort auf all die Fragen bereitstellt, die Travis’ Film im Begriff ist loszutreten.

Bevor sich der Zuschauer versieht, wird das gesamte Geschehen nochmals auf Anfang zurückgespult, diesmal aus dem Blickwinkel eines anderen Beteiligten. Dies ist die Idee und das Konzept, für das Vantage Point steht, resultierend aus einem fünfzig Jahre alten japanischen Film. 1950 gewann Regisseur Akira Kurosawa für Rashōmon Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen von Venedig und zog somit die Augen der westlichen Filmwelt zum ersten Mal gen Osten. Sein Film beschäftigte sich mit dem Mord an einem Ehemann und reflektierte die Handlung über vier Augenzeugenberichte, sowohl durch den vermeintlichen Täter als auch das Opfer. Die Academy honorierte dies mit einer Nominierung zum besten fremdsprachigen Film und etablierte Kurosawa als einen der Regisseure unserer Zeit. Dieselbe Idee liegt nunmehr „8 Blickwinkel“ zugrunde, nur mit der Ausnahme dass es das Publikum mit der doppelten Anzahl von Blickwinkeln und weitaus mehr Action zu tun bekommt. Angepriesen wird der Film dabei mit dem Untertitel „8 Fremde, 8 Blickwinkel, 1 Wahrheit“, was, wie man am Ende des Filmes feststellen wird, nicht ganz den Tatsachen entsprechen dürfte. Zumindest drei der beteiligten Personen kennen sich, denn man erlebt das Attentat aus der Sicht von Ashton selbst, wie auch seiner beiden Secret Service Agenten Barnes (Dennis Quaid) und Taylor (Matthew Fox). Außerdem spielt auch der amerikanische Tourist Howard Lewis (Forest Whitaker) eine wichtige Rolle, denn er hat – wie einst Abraham Zapruder beim Kennedy-Attentat – die Schüsse auf den Präsidenten mit einer Kamera gefilmt und wird daraufhin in das Geschehen hineinverwickelt. Zudem gibt es noch ein Pärchen und mögliche Verdächtige deren Sicht wichtig ist.

Die Produzenten und Beteiligten von Vantage Point loben die Rashōmon-Struktur ihres Filmes über alle Maßen, denn man könne den Film nur verstehen, wenn man alle acht Blickwinkel kennt, da jeder einzelne ein Puzzlestück des ganzen sei. Dumm nur, dass diese Rechnung nicht aufgeht, denn schon in der Mitte des Filmes beginnt man spätestens zu wissen wie der Hase läuft, wer mit wem und wieso ergibt sich daraus von selbst. Hier hätte man mehr Einfallsreichtum beweisen können und einfach einen anderen Weg wählen sollen, als man es getan hat. Denn das problematischste an Travis’ Film ist dass er durch seine Handlung und seine Auflösung unwahrscheinliche viele Fragen aufwirft, bedauerlicherweise jedoch keine einzige davon beantwortet, zumindest nicht zufrieden stellend. Die ausgesuchte Geschichte funktioniert aber lediglich dann glaubwürdig, wenn man sie absichert, verbindet, erklärt, nachvollziehbar gestaltet. Einfach drauflos schreiben, in der Hoffnung überraschende Wendungen zu erzielen reicht da leider nicht aus. Die Auflösung enttäuscht ohne dabei per se schlecht zu sein, wäre man intensiver auf die Thematik des Handelns eingegangen. Hierbei hätten Rückblenden geholfen und eine Dehnung der einzelnen Charaktergeschichten, denn der Film muss nicht zwingend eine Lauflänge von neunzig Minuten haben, 15 Minuten mehr hätten ihm sehr gut getan, wenn dafür die Figuren und ihre Motivationen mehr Tiefe verliehen worden wäre.

Dabei ist der Hintergrund des Filmes der, dass niemand der ist, der er vorgibt zu sein. So gibt es überhaupt kein Attentat auf den Präsidenten, da dieser zu dem öffentlichen Auftritt ein Double geschickt hat und es stellt sich mit fortlaufender Dauer heraus, dass nicht die Frage ist, wer etwas mit dem Attentat zu tun hat, sondern wer eigentlich nicht. Held der Geschichte ist dabei der emotional labile Geheimdienstagent Barnes, der zum ersten Mal wieder im Einsatz ist, nachdem er vor einem Jahr Ashton das Leben vor einem anderen Attentat gerettet hat. Seine Begleitung, wie sich herausstellen wird, ist nicht ohne Hintersinn, so wie das meiste was geschieht nicht ohne Hintersinn ist. Und hier steckt die Crux des ganzen, denn das Attentat und seine Details sind so ausgearbeitet und hintersinnig, dass alles ziemlich unglaubwürdig wirkt und die Logik gerne mal ad absurdum geführt wird. An Action mangelt es Vantage Point jedoch nicht, auch wenn die hauptsächliche Action – das Attentat und seine Nachwehen – sich wiederholen. Denn Travis spult nach jedem Blickwinkel die Szenerie zurück, zurück zu zwölf Uhr, die Ausgangsbasis für den Film. Während Figuren wie Rex Brooks, Frank Barnes, Präsident Ashton, Howard Lewis oder der spanische Polizist Enrique (Eduardo Noriega) ihre Blickwinkel ausgiebig wiedergeben dürfen, werden die von Veronica (Ayelet Zurer), Suarez (Saïd Taghmaoui) und Javier (Edgar Ramirez) in ein einzelnes Kapitel komprimiert. Wenn man berücksichtigt, dass Sigourney Weaver kaum zu sehen ist, hätte man sich durchaus mehr Fokus auf Charaktere wie Kent Taylor oder andere gewünscht.

Seine Arbeit an Vantage Point stellt das erste Kinodrehbuch von Barry Levy dar und auch für Fernsehregisseur Pete Travis ist es der erste Ausflug auf die große Leinwand. Vielleicht findet sich hier die mangelhafte Ausarbeitung der Figuren, denn wie nah sich Figuren wie Barnes und Taylor stehen, erfährt man lediglich aus dem Presseheft („wie Brüder“, findet man dort). Diese und ähnliche andere Eigenschaften sucht man im Film vergeblich, denn dieser konzentriert sich allein auf seine Handlung und vernachlässigt dabei seine Charaktere. Da er sich jedoch am Ende wiederum auf diese beruft, kann seine Geschichte nicht anders als einbrechen. So gelingt es dem Action-Thriller tatsächlich den überbewerteten Rashōmon noch zu unterbieten, obschon die Actionszenen, Kameraführung und Schnitt bestens bearbeitet sind. Letzterer im Übrigen vom Ex-Regisseur Stuart Baird, nach erfolglosen Ausflügen ins Kino wieder an das Schnittpult zurückgekehrt. Am besten gelungen und das Herzstück des Filmes ist die exzellente Musik vom Isländer Atli Örvarsson, die jede Szene passend und äußerst spannend untermalt. Auch das Darstellerensemble weiß zu überzeugen, selbst wenn manche der Darsteller (5 US-Stars, 4 international-etablierte) durch ihre komprimierten Rollen nicht ihr ganzes Talent abrufen können. Vantage Point will vieles sein, ohne dem gerecht zu werden – das traurige daran ist, dass der Ansatz dazu da war. So ist der Film jedoch nicht mehr als ein technisch sehr gut gemachter doch inhaltlich durchschnittlicher Thriller mit Starensemble und 24-Feeling.

4/10

14. Februar 2008

Rambo

Rambo. Boom, boom.
(Gremlins 2: The New Batch)

Der Name ist Rambo, John J. Rambo. Ausgestattet mit der Lizenz zum Töten, merzte dieser Mann alles nieder, was sich ihm in den letzten 20 Jahren in den Weg stellte. Sozusagen. Denn seit zwei Jahrzehnten war Rambo eigentlich im Ruhestand, nachdem er 1988 in Afghanistan sein letztes Gefecht beendete, die Trilogie abschloss. Selbst in den Duden hatte er es anschließend geschafft, benannte man wild und ohne Rücksicht Agierende schließlich nicht „Terminatoren“ sondern „Rambos“. Nach drei Teilen in sechs Jahren nunmehr 20 Jahre Pause, ehe Amerikas Wild Boy zurück auf die Leinwand kehrt, ausgelöst durch Sylvester Stallones Nostalgie-Tour, mit der er durch Hollywood zieht. Reaktivierte er vor zwei Jahren seinen 60-jährigen Rocky Balboa, um ein letztes Mal in den Ring zu steigen (im Übrigen auch das Motto der vorangegangenen Teile), so darf nun noch mal John „The Animal“ Rambo über die Leinwand meucheln.

Logischerweise ist der nicht jünger geworden und Stallone gab unumwunden zu, sich mit Anabolika aufgeputscht zu haben, um seiner Paraderolle gerecht zu werden. Wer also schon immer mal Rambo auf Steroide sehen wollte, sollte sich schleunigst eine Kinokarte lösen. Dabei ist es jedoch so, dass ein Rambo heutzutage niemanden mehr schockt oder ins Kino lockt, wo Herren wie Eli Roth ungeniert ihre perversen Phantasien oder die des Publikums auf der Leinwand ausleben. Daher wurde von Stallone der Body Count seines vierten Abenteuers gehörig nach oben geschraubt. Nicht weniger als 236 Menschen lassen in Rambo ihr Leben, was exakt 2.59 Toten pro Minute entspricht. Dazu werden – auch wenn man es bei uns dank Zensur nicht sieht – Köpfe abgeschnitten, Kinder aufgespießt, Babys in Flammen geschmissen und sonst alles weggepustet, was über das Reisfeld huscht.

Die Einleitung inthronisiert das Setting: Schauplatz ist Birma, die eiserne Hand von Than Shwe. Und damit niemand etwas falsch versteht, zeigt Stallone dem Publikum, wer die birmanischen Militärputschisten sind. Kriegsgefangene werden durch ein Minenmeer gejagt, die Überlebenden zur allgemeinen Belustigung anschließend erschossen. Ganz schön fiese Kerle. Kein Zweifel darf bestehen, dass sie der Abgrund der Menschlichkeit sind. Nazis wären Schmusekätzchen dagegen. Nachdem Stallone das erstmal geklärt hat, wirft er seinen Köder aus. Christliche Missionare kommen nach Thailand und fragen, ob Rambo (Sylvester Stallone) sie in seinem Boot nach Birma bringt. Doch der lehnt ab, hält es für Selbstmord und raunt: “Fuck the world!“. Aber als die liebliche Missionarin Sarah (Julie Benz) noch mal nachsetzt, entsprechend dem Motto „Was juckt es dich, was wir machen?“, betört sie den guten John J. soweit, dass er einwillig.

Dann kommt, was kommen musste (und von Rambo vorhergesehen wurde): Die Missionare werden von den Birmanen geschnappt und in ihr Lager gebracht. Was tun?, denkt sich ihr US-Pastor, und heuert eine Handvoll Söldner an. Rambo soll auch sie den Fluss hinauf bringen. Doch wenn man will, dass etwas richtig gemacht wird, macht man es am besten selbst. Nachdem Rambo das den Söldnern anschaulich verklickert hat, machen sich alle gemeinsam auf, um Sarah und Co. zu befreien. Bezüglich Rambo (der bei uns John Rambo heißt, weil damals First Blood bereits als Rambo lief) spalten sich die Meinungen. Auf der einen Seite hat es euphorische und zum Teil einäugige Reviews, auf der anderen Seite dagegen die weniger guten Rezensionen der Kritiker, die nicht nur die Gewalt im Film verdammen. Dabei steht fest: Wer Rambo erwartet, bekommt auch Rambo. Den Fans der Reihe dürfte das wohl genügen.

All diejenigen, die mit der Rambo-Filmreihe wenig bis gar nichts anfangen können, werden vermutlich nicht verstehen, was da nun gerade auf der Leinwand passiert ist. Stallones Verortung der Handlung nach Birma dürfte in der Heimat wie Fiktion anmuten, bedenkt man, dass die meisten US-Amerikaner sich nicht einmal wirklich in Europa auskennen. Und was Stallone dann zeigt, lässt sich zweifellos als chauvinistisch bezeichnen. Und mitunter gerät dies äußerst wahnwitzig, wenn er die Birmanen wie die Berseker in ein Dorf einfallen lässt, wo sie auf der Stelle alles und jeden abstechen/verbrennen/vergewaltigen, den sie in die Finger kriegen, während ihre Kollegen zur gleichen Zeit das Dorf bombardieren. Komisch, dass man Häuser beschießt, in denen sich die eigenen Leute aufhalten. Aber nicht ganz so komisch, wie eine Plastikkobra, die während eines ganzen Dialogs ohne sich zu bewegen Stellung bewahrt.

Hier merkt man Stallone sein etwas mangelndes Talent für die Regie durchaus an. Zudem fragt man sich, wieso diese birmanische Militärjunta unter Bombenhagel die einheimischen Frauen vergewaltigen (muss), dann jedoch die weiße Christin Sarah tagelang in ihrem Lager unangetastet lässt? Oder warum jeder Mensch im Dorf niedergemetzelt wird, nicht aber die westlichen Missionare? Aber an sich ist dies auch egal, schließlich handelt es sich bloß um einen Action-Film, weshalb dieser weder intelligent oder schlüssig zu sein hat. Hatte First Blood noch eine gewisse politische Note (fehlender Respekt gegenüber den heimkehrenden Vietnam-Veteranen) geht Rambo jede tiefere Bedeutung ab. Rambo lebt in Thailand, will seine Ruhe haben und hält sich fern von jeder Gewalt. Zumindest solange, bis Missionare in die Scheiße geraten, sodass John J. schließlich erkennt, dass er nicht dagegen ankämpfen kann, was er ist.

Da Richad Crenna vor einigen Jahren verstorben ist, kann Rambo kein Col. Trautman mehr als Gewissen dienen, und so inszeniert Stallone einen ziemlich lächerlich wirkenden inneren Monolog, der die nachfolgende Handlung erklären soll. Nein, Rambo hat nicht getötet, weil es sein Land wollte, sondern weil er selbst es wollte. Manche Leben sind eben etwas wert, andere nicht – “live for nothing, or die for something”. Plakative Äußerungen, Militärfetisch – eigentlich hat man darauf gewartet, dazu noch ein grimmiges „Nur ein totes Schlitzauge ist ein gutes Schlitzauge“ zu hören, aber das spart Stallone sich dann glücklicherweise doch. Obschon Graham McTavishs Söldner Lewis eine ähnliche Äußerung von sich geben darf. Im Folgenden gibt es dann eine Rückkehr zur Bebilderung der bösen Birmanen (falls einige Zuschauer vergessen hatten, wie böse sie sind) und die beginnende Klimax von Rambo gegen den Rest der Welt.

Dass da im Dschungel eine ehemalige Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg liegt, ist wahrscheinlich kein Zufall. Genausowenig, dass einer der Söldner eine Claymore-Miene im Rucksack trägt. Dabei ist ein großer Teil der nächtlichen Rettungsaktion weniger reine Action, als vielmehr in bester Splinter Cell-Manier gedreht. Dann folgt aber der Showdown und hier zeigen sich die Defizite in Stallones Regie, dabei hätte er angesichts seiner TV-Darsteller sicher auch einen talentierten TV-Regisseur für Rambo gewinnen können. Die Action ist dabei, klar, unnötig explizit dargestellt, zudem teils sinnlos und übertrieben. Um etwas Spaß kommt man aber nicht umhin, mag es das Testosteron sein oder das Geschehen, wenn Rambo Katz und Maus spielt, MG-Salven loslässt und alles vernichtet, was nicht bei 3 auf den Bäumen ist. Was allerdings auf der großen Leinwand funktioniert, erweist sich auf DVD als langatmig und kurzweilig.

Im Gegensatz zu einem Bruce Willis springt und turnt Stallone dann auch nicht die ganze Zeit über die Leinwand, sodass er sich weniger lächerlich macht, als man es von einem aufgedunsenen Rambo erwarten könnte. Eine wirkliche Handlung hat Rambo trotzdem nicht, eine Botschaft schon drei Mal nicht. Alles was man für sein Geld bekommt, ist Action, Action und Action. Diese macht gelegentlich sogar Spaß, zugegeben, aber am Ende war der ganze Film dann irgendwie doch sehr unnötig. Dabei bekommt der Film von mir noch zwei extra Boni, den einen für die überaus gelungene und mitreißende Musik von Brian Tyler (allein wegen des Battle Adagio könnte man sich den Soundtrack zulegen) und einen dafür, dass Schoolboy-Darsteller Matthew Marsden an den jungen Michael Biehn erinnert. Und es gibt niemand cooleres als Michael Biehn – auch nicht nach über 20 Jahren.

5/10

12. Februar 2008

In the Valley of Elah

And Saul and the men of Israel were gathered together,
and pitched by the valley of Elah,
and set the battle in array against the Philistines.

(1. Samuel 17,2)

Zwei große Volksstämme versammeln sich im Jahr 1000 vor Christi am Tal von Elah. Auf der einen Seite die Philister, auf der anderen die Israeliten um ihren König Saul. Unter den Philistern forderte ein Krieger namens Goliat aus Got, etwa 2,78 Meter groß, fortan 40 Tage lang einen der israeliten zum Zweikampf heraus. Der Gewinner würde den Krieg der zwei Parteien entscheiden – kein unüblicher Usus in der Antike. Eines Tages bot sich der Knecht David, von Gott zum König auserkoren, aufgrund der blasphemischen Äußerungen Goliats Saul als ebendieser Kämpfer an. Ohne Rüstung und lediglich mit fünf Steinen bewaffnet schritt der Knabe David hinunter in das Tal von Elah und bezwang den Philister Goliat mit einem Schleuderwurf in die Stirn. Im Namen seines Gottes war David ausgezogen, um einen scheinbar aussichtslosen Kampf gegen einen übermächtigen Gegner auszufechten.

Kriegsveteran Hank Deerfield (Tommy Lee Jones) erhält einen morgendlichen Anruf, der sich nach dem Aufenthaltsort seines Sohnes Mike, ebenfalls Soldat, erkundigt. Mike sei zurück in den Staaten, aber unauffindbar. Hank begibt sich nunmehr selbst auf die Suche nach seinem Sohn und verabschiedet sich von Gattin Joan (Susan Sarandon). In Mikes Militärstation findet er dessen Mobiltelefon und auf diesem einige Videodateien aus dem Irakkrieg. Um die Militärpolizei zu umgehen, nimmt Hank die Hilfe der örtlichen Ermittlerin Emily Sanders (Charlize Theron) in Anspruch. Da finden sich verbrannte Körperteile an einer Straßenkreuzung und es stellt sich heraus, dass es sich dabei um Mikes Überreste handelt. Doch Hank gibt nicht auf und will herausfinden, wer seinen Sohn umgebracht hat und wieso. Armee Lieutenant Kirklander (Jason Patric) tut dabei alles um die Arbeit von Emily zu sabotieren, während Hank auf ein Geheimnis um seinen Sohn stößt.

Vor zwei Jahren erhielt Paul Haggis bei den Academy Awards für sein Regiedebüt Crash die Auszeichnung als Bester Film und für das Beste Originaldrehbuch. In seinem zweiten Film wird sich der Kanadier keineswegs untreu, inszeniert vielmehr mit einem noch bescheideneren Budget von lediglich fünf Millionen Dollar. Darsteller Tommy Lee Jones sieht sich dank In the Valley of Elah nun seiner dritten Nominierung gegenüber, obwohl Haggis ursprünglich seinen Freund Clint Eastwood vorgesehen hatte. Der half Haggis wiederum, das Projekt ins Rollen zu bringen, da es sonst wohl wegen seines brisanten Themas keinen Produktionsstart erhalten hätte. Dies scheint sich gelohnt zu haben, denn es gelang dem Film allein in Amerika seine Kosten wieder einzuspielen, im Ausland brachte er bisher sogar das Doppelte ein, während In the Valley of Elah in Deutschland am 6. März starten wird.

Inspiriert wurde Haggis zu seinem Film von dem Playboy-Artikel Death and Dishonor, im Jahr 2004 geschrieben von Journalist Mark Boal. Er erzählt darin die wahre Geschichte des US-Soldaten Richard Davies, der 2003 aus dem Irakkrieg heimkehrte und umgebracht wurde. Sein Vater, der Kriegsveteran Lanny Davies, begann eigene Ermittlungen und bildete somit die Schablone für den von Haggis dargestellten Hank Deerfield. Haggis verband diese Geschichte mit einer weiteren und erschuf die Grundlage für sein Drama In the Valley of Elah, das man wohl als Antikriegsfilm bezeichnen könnte, ohne dem Film seinen Pathos und Patriotismus absprechen zu wollen. Denn Hank ist Patriot durch und durch und hält sogar auf seinem Weg zu seinem Sohn an der örtlichen Schule, weil dort der Hausmeister aus El Salvador versehentlich das Star Spangled Banner kopfüber gehisst hat.

Zudem ist Hank Militär durch und durch, was seine sporadische Bekleidung aus weißem Hemd über weißem T-Shirt beweist, ebenso wie sein pedantisches Bettbezug- und Schuhputzritual. Auch Hanks Söhne sind (oder waren) Militärs, was innerhalb der Familie – sprich: seiner Frau Joan – für Missstimmung sorgt. Denn nun ist nicht nur ihr ältester Sohn David verstorben, sondern auch ihr jüngster Sohn und letztgebliebenes Kind. Die Schuld daran gibt sie ihrem Mann, der seine Gattin in seine Ermittlungen und Informationen nicht einbezieht, diese ihr sogar vorenthält und praktisch als kurz vor der Pension stehendes Ein-Mann-Kommando fungiert. Dies muss auch die ermittelnde Polizistin Emily erfahren, die es in ihrer Behörde durch sexistische Anfeindungen der Kollegen eigentlich schon schwer genug hat, aber als Mutter um die Ängste über die eigenen Kinder weiß.

Während seiner Ermittlungen muss Hank dabei nicht nur feststellen, dass er seinen Sohn nicht so gut gekannt hat, wie er immer dachte und dessen Geheimnisse, zusammen mit denen der amerikanischen Regierung, wie die Verschwörung um Mikes Tod führen zu einer Erschütterung von Hanks Wertesystem. Die allein erziehende Emily, von ihrem Job genervt, merkt durch Hanks Pedanterie was es heißt zu ermitteln und erhält gegen Ende des Filmes noch mal eine eindringliche Lektion erteilt, ebenso wie ihre ganze Behörde. Der Titel von Haggis’ Werk ist dabei nicht ohne Hintersinn gewählt, denn auch in seinem Film wird ein Kampf thematisiert, den zu gewinnen eigentlich unmöglich ist. Die US-Soldaten stellen hierbei ebenjene unerfahrenen jungen Kämpfer dar, die sich gegen einen übermächtigen Gegner stellen müssen, in einem Krieg, der im Namen Gottes geführt wird.

Doch die Soldaten sehen sich nicht nur dem Schlachtfeld im Irak gegenüber, sondern auch einem zweiten und emotionalen Schlachtfeld, welches in ihren Köpfen beheimatet ist und in dem sie ganz alleine kämpfen müssen. Dass man erwartet, diese jungen Männer und Frauen, die sich im Irak im Prinzip für nichts wirklich verantworten müssen, anschließend wieder problemlos in die amerikanische Gesellschaft einzugliedern, ist ein utopischer Gedanke der Regierung. Denn was am Ende in der Nacht als Mike ermordet wird geschah, hängt mit dem Krieg zusammen und ist sowohl eine etwas profane Lösung und dann doch auch wieder irgendwie nicht. Zumindest ist es eine solche und Haggis lässt das Publikum lange um Unklaren, ob es nun tatsächlich eine Auflösung des Mordfalles oder ein Filmende a la Michael Hanekes Caché gibt. Sprich: Ein Ende, das einerseits viel zeigt und letztlich doch nichts ausdrückt.

Was etwas bitter aufstößt, ist eine Tatsache, die ironischer oder vielleicht auch gewollter Weise von einer der Figuren selbst angesprochen wird: Es handelt sich um Hanks ermittlerisches Gespür, ehemaliger Militärpolizist hin oder her. Wenn Hanks nachts im Dunkeln zum Tatort fährt und innerhalb von zwei Minuten das Mordszenario entwirft, das der Polizei entgangen war, dann denkt man sich nur das, was ihm Emily später vorwirft: Dass es schade ist, dass Hank die letzten 30 Jahre nicht zig Mordfälle gelöst hat. Hank hangelt sich in bester Columbo-Manier von einem Hinweis zum nächsten. Eine nächtliche Fast-Food-Rechnung wird subtrahiert und auf drei Verdächtige umgemünzt, auch mit Farben scheint die Polizei in New Mexico ihre Probleme zu haben. Dies wirkt unglaubwürdig, überhastet, zu sehr gewollt, neben Hank haben alle anderen Figuren keinen Platz und wirken inkompetent.

Die schauspielerischen Leistungen der Beteiligten sind dabei über allen Zweifel erhaben, besonders Jason Patric weiß zu gefallen. Man fragt sich jedoch, ob ein James Franco oder Josh Brolin in ihren kurzen Auftritten nicht etwas verschenkt sind, ebenso Susan Sarandon. Eingefangen und untermalt werden Haggis ruhige Bilder einer Suche nach seinem Sohn von Roger Deakins und Mark Isham und das es sich letzten Endes doch um einen Antikriegsfilm handelt, zeigt Haggis’ letzte und sehr schön geratene, wenn auch pathetische, Einstellung. Wie zuvor in Crash kratzt Haggis jedoch leider nur an der Oberfläche und opfert eine interessante Thematik seiner Familientragödie und wiederum diese entsprechend stark zu thematisieren. Betrachtet man aber seinen Rahmen, ist In the Valley of Elah ein durchaus gelungener Film mit einer der besten Finaleinstellungen der letzten Jahre.

7.5/10

10. Februar 2008

Charlie Wilson’s War

The Congressman has never been to rehab. They don’t serve whisky at rehab.

Las Vegas, die Stadt der Sünder, voller Betrüger, Geld und Prostituierten. Meist kulminiert alles am selben Ort, so zum Beispiel in einem Whirpool eines Apartments. Dort sitzen nicht nur zwei Stripperinnen, findet sich Alkohol und Kokain, sondern auch der texanische Abgeordnete Charlie Wilson (Tom Hanks). Doch er ist nicht ganz bei der Sache, denn im Fernsehen wird gerade ein Beitrag über die von den Russen unterdrückten Afghanen gezeigt. Wilson lässt sich vom Fernsehmoderator dazu überzeugen, den Etat für verdeckte geheime Subventionen von fünf auf zehn Millionen Dollar zu erhöhen. Doch damit tut er niemand einen Gefallen, im Gegenteil. Seine Gelegenheitsgeliebte und die sechsreichste Frau Texas, Joanne Herring (Julia Roberts), nötigt Wilson nun dazu sich aktiv für die Bekämpfung der Sowjets einzusetzen und eine Konsultation mit dem CIA führt ihn schließlich zu dem egozentrischen Agenten Gust Avrakotos (Philip Seymour Hoffman), der gemeinsam mit drei anderen versucht den Kalten Krieg zu amerikanischen Gunsten zu beenden.

Die unglaublichsten Geschichten sind aus Erfahrung immer diejenigen, die sich tatsächlich ereignet haben. So auch die Geschichte vom Krieg des Charlie Wilson gegen die sowjetischen Besatzer in Afghanistan Ende der Achtziger. Wilson war das, was man ohne Umschweife als Schürzenjäger und Trinker bezeichnen könnte und das wäre wohl noch euphemistisch ausgedrückt. Der echte Charlie Wilson meinte nach der Premiere von Charlie Wilson’s War lediglich, dass die Macher gnädig mit ihm gewesen sein und mit ebenjenen Machern meinte er Produzent und Hauptdarsteller Tom Hanks sowie Regisseur Mike Nichols. Über Wilsons Aktivitäten schrieb Ende der Neunziger der 60 Minutes-Journalist George Crile, der das Thema schließlich 2003 zu dem Roman Charlie Wilson’s War ausarbeitet, was wiederum Tom Hanks auf den Plan rief sich die Filmrechte zu sichern. Für das Drehbuch engagierte er den Schöpfer der politischen Dramaserie The West Wing, Aaron Sorkin, und holte als Regisseur Mike Nichols an Bord, der bereits mit Primary Colors und Catch 22 Erfahrungen im politisch-zynischen Bereich gesammelt hatte.

Eine nette Anekdote rund um die Entstehung des Filmes ist ein Treffen zwischen Nichols und George Clooney, der an der Rolle von Wilson interessiert war, als er jedoch erfuhr, dass sich Hanks bereits die Rechte gesichert habe mit den Worten ausbrach „Ich hoffe er stirbt!“. Wer würde nicht gerne einen versoffenen Weiberhelden spielen, der im Alleingang den Kalten Krieg beendete? Hanks spielte die Hauptrolle kurzerhand selbst, erntete dafür auch vor wenigen Wochen eine Golden Globe Nominierung, ebenso wie sein Nebendarsteller Philip Seymour Hoffman, der sich auch Hoffnungen auf einen Oscar machen darf. Namhaft besetzt ist er, Charlie Wilson’s War, mit drei Oscarpreisträgern in den Hauptrollen und einer für den Oscar nominierten Dame in einer Nebenrolle. Kein Wunder also, dass der Film bei den Globes noch so zahlreich vertreten war. Dabei hat Hanks sicherlich schon besser gespielt, als es hier der Fall ist, aber das komödiantische Fach liegt im dennoch fraglos. Er ist sich nicht einmal zu schade dem Publikum zum ersten Mal seinen blanken Hintern zu zeigen.

Aber das Fazit bleibt, wirklich aufgehen tut er in seiner Rolle nicht, zu unbegeistert wirkt die Begeisterung, zu friedlich seine Aufreger. Damit ist er jedoch sehr viel besser bedient als die Roberts, die abgesehen von ihrer Nuttenhaften Schminke total blass bleibt. Auch wenn dahingestellt ist, ob sie überhaupt schauspielerisches Talent besitzt, lässt es sich zumindest in Nichols Film nicht finden. Man muss ihr zu Gute halten, dass ihre Rolle auch nicht sonderlich viel hergibt, lediglich hier und da kurz auftritt, nur um etwas mit den Augen zu klimpern und Hanks ins Gewissen zu reden. Besser spielen tut da schon Amy Adams als Wilsons persönliche Assistentin Bonnie Bach, doch auch diese Figur wird nicht sonderlich ausgeleuchtet, erscheint stets als ungeschilderter Schatten von Hanks Charakter. Ähnlich verhält es sich auch mit Philip Seymour Hoffman, über dessen Rolle man zu Beginn erfährt, dass sie nicht befördert wird, womit sich das Private auch in Grenzen hält.

Höhepunkt des Filmes ist allerdings eben Hoffmans Figur, der provokativ-ehrliche Gust Avrakotos, der durch seine Bemerkungen und Äußerungen für die Lacher im Film sorgt. Hoffman spielt den Amerikaner griechischer Herkunft köstlich und absolut authentisch, ist zugleich Glanz und Gloria von Nichols Film, der außer den Szenen zwischen Avrakotos und Wilson selten wirklichen Humor zelebrieren kann. Wie bereits The Hunting Party möchte Charlie Wilson’s War gerne ein neuer Lord of War sein, ohne dies auch nur ansatzweise zu schaffen. Wenn Afghanen vom sowjetischen Helikopterfeuer dahingemäht werden, kann man solche Szenen nicht in eine Komödie einbauen, auch nicht in die von Nichols gedachte Satire. Sein Film ist über die gesamte Zeit zu unernst, um tatsächlich ernst zu sein und er ist zugleich zu unlustig, um eine wirkliche Komödie zu sein. Problematisch könnte auch sein, dass man die besten lustigen Momente des Filmes bereits monatelang in die Trailer platziert, sodass man im Kino selbst lediglich ein müdes inneres Lächeln bewerkstelligen will.

Wenn Wilson in seinem dunklen Zimmer sitzt, mit verheulten Augen, da ihm die zerfetzten afghanischen Kinder so nahe gehen, ist dies völlig aus dem Zusammenhang gerissen, da dem Publikum zuvor kein innerer Kampf dargestellt wurde, keine Nuancen, wieso Wilson sich das so sehr zu Herzen nimmt. Viel, was man hätte erzählen müssen, um die Geschichte den Zuschauern nahe zu bringen, versäumt man: Wilson bleibt ebenso im Dunkeln wie all die anderen Figuren, ihre Motivation wird vorausgesetzt. In der Tat scheint der Trailer dem Film das Genick gebrochen zu haben, den nicht nur die lustigsten Szenen werden vorweg genommen, sondern auch alle Szenen mit Shiri Appleby hineingepackt. Dieser Superlativ zu sexy taucht nicht so häufig im Film auf, wie man sich das aus dem Trailer vielleicht herzuleiten vermag, was einen dann am Ende doch etwas enttäuscht. So bleibt von Charlie Wilson’s War neben dem tollen Schauspiel von Hoffman nur noch die heiße Appleby. Der Rest ist relativ ermüdend und zu gezwungen komisch.

Was fehlt ist neben der Liebe der Macher zu ihrem Produkt vor allem die fehlende Tiefe der Figuren. Wieso genau will Ms. Herring ihre Ziele verfolgen? Was exakt motiviert Wilson? Wie sieht das Innenleben der Charaktere aus? Inwiefern ließ sich das umsetzen, was Wilson schließlich umgesetzt hat? Auch die Tatsache, dass die USA durch ihre Unterstützung der Mudschaheddin praktisch den späteren islamischen Fundamentalismus direkt finanziert, bzw. durch die Unterlassung weiterer Fördermittel diesen genährt haben, ist ein zu großes Thema, um es in einer einzigen fünfminütigen Szene abzuhandeln. Auch hier sieht man wieder, dass er Film zu ernst sein will, um Komödie zu sein, und zu lustig ist, um als Drama durchzugehen. Die Darsteller, besonders natürlich Julia Roberts, wirken dabei verschenkt, bloße Staffage in einer leblosen Handlung, die wie ein Ballon aufgeblasenes Konstrukt umherfliegt und bei einer ernsthaften Festigkeitsprüfung schließlich explodiert. Charlie Wilson’s War möchte vieles sein und schafft es am Ende schließlich wenig davon tatsächlich auszufüllen.

6.5/10