26. Februar 2009

Kurz & Knackig: Kino kontrovers

Boksuneun naui geot (Sympathy for Mr. Vengeance)

Er war auf der Berlinale erfolgreich, in Cannes und bei den Filmfestspielen von Venedig. Der Südkoreaner Park Chan-wook zählt zu der Beletage der internationalen Regisseure. Besonders die „Rache“-Trilogie sticht dabei aus der Filmographie von Park hervor. Von 2002 bis 2005 widmete der Koreaner sich dem Thema Rache und ließ auf das Publikum einen audio-visuellen Bilderrausch los. Den Anfang bereitete sein Boksuneun naui geot, der vor sieben Jahren erschien. Die Geschichte selbst ist ziemlich tragisch. Der taubstumme Ryu (Shin Ha-kyun) versucht Geld für die lebensnotwenige Operation seiner Schwester aufzutreiben. Dabei entführt er die Tochter des Industriellen Dong-jin (Song Kang-ho), die aufgrund zufälliger Umstände ums Leben kommt. Dong-jin beginnt seinen Rachefeldzug.

In seinem Erstlingswerk spielt Park noch sehr viel umfangreicher mit schwarzem Humor als bei den beiden Nachfolgern. Allein die bittere Ironie, dass Ryu seine Niere spendet und sein Vermögen bezahlt, um eine Niere als Ausgleich zu kriegen, nur um letztlich ohne Niere(n) und Geld dazustehen, entbehrt nicht eines gewissen Zynismus. Hinzu kommen die beiden sehr unglücklichen Todesunfälle seiner Schwester und des entführten Kindes. So endet Boksuneun naui geot wie eine klassische griechische Tragödie, wenn am Ende des Filmes alle Beteiligten den Tod erleiden. Abgesehen von einen geistig Behinderten, der quasi als der Narr des Stückes überleben darf.

Der erste und zugleich schwächste Teil von Parks „Rache“-Trilogie macht bereits einiges richtig und manches doch falsch. Der Film beherbergt einige überaus gelungene Szenen, beispielsweise Ryu und seine Freundin Yeong-mi (Bae Doona), die über einen Spiegel miteinander kommunizieren oder auch Ryus Rache an den Organhändlern. Doch im Gegensatz zu den beiden Nachfolgern fällt die Konstruiertheit der Geschichte hier weitaus stärker ins Gewicht. Speziell die Ermittlungen von Dong-jin wirken teilweise unglaubwürdig. Zudem ist der Behinderte, obschon er der Auslöser für die Mehrheit der Morde ist, ein Lästigkeitsfaktor. Nie macht sich Park die Mühe zu erklären, was er eigentlich so weit außerhalb zu suchen hat. Nichtsdestotrotz ist Boksuneun naui geot verhältnismäßig gelungen, zumindest ein guter Auftakt für die Trilogie.

6/10

Oldeuboi (Oldboy)

Quentin Tarantino wollte Park Chan-wooks Oldeuboi 2003 in Cannes die Palm d’Or verleihen, musste sich allerdings den restlichen Jurymitgliedern hinsichtlich Michael Moores Fahrenheit 9/11 geschlagen geben. Nichtsdestotrotz hat Parks Mittelteil seiner „Rache“-Trilogie inzwischen Kultstatus erreicht. Da man in den USA allerdings recht wenig mit Filmen anfangen kann (oder will), die aus dem nicht-englischsprachigen Raum kommen, muss wie so oft ein Remake her. Die Kombination der neuen Produzenten sorgte bei Fans des Filmes für Belustigung. Steven Spielberg produziert das Remake, welches Will Smith in der Hauptrolle sehen wird. Sehr lustig, speziell erste Photoshop-Bilder, die Smith mit einem Walkie-Talkie in der Hand zeigen. Hollywood – die Albtraumfabrik.

Eben noch betrunken in der Polizeiwache gesessen, verschwindet Oh Dae-su (Choi Min-sik) im Seouler Regen plötzlich. Für die nächsten fünfzehn Jahre wird er in eine Einzimmerwohnung gesperrt. Er erfährt weder den Grund für seine Gefangennahme, noch wer ihn gefangen hält und wie lange die Gefangenschaft anhalten wird. Während dieser Zeit wird Dae-sus Frau umgebracht, der Mord ihm in die Schuhe geschoben. Nach fünfzehn Jahren folgt die Kehrtwendung. Man lässt Dae-su frei und gemeinsam mit der unbekannten Mi-do (Kang Hye-jeong) macht dieser sich auf die Spurensuche. Sein mysteriöser Entführer, Woo-jin (Yu Ji-tae), gibt sich schließlich zu Erkennen, doch Dae-su muss selbst den Grund herausfinden, weswegen er die letzten Jahre inhaftiert war.

Die erste Stunde lang gibt Oldeuboi sich hochkomplex, während die Auflösung des ganzen Tramtrams dann im Grunde etwas enttäuschend ist. Hier ist die Konstruktion der Geschichte offensichtlich, wirkt jedoch nicht als so großer Störfaktor wie im Vorgängerfilm Boksuneun naui geot. Der treffende Ausdruck für die Auflösung des Filmes ist wohl „übertrieben“. Übertrieben ist es, dass Dae-su sich scheinbar nicht mehr an Soo-ah erinnern konnte, übertrieben ist es, wie das Gerücht ungeahnte Ausmaße annimmt, übertrieben ist es, wie Woo-jin letztlich deswegen reagiert. Viele inhaltliche Aspekte ließen sich Parks Film gegenüber vorwerfen, doch werden die meisten Faktoren dann doch von der audio-visuellen Wucht der Inszenierung egalisiert.

Die Komposition der Szenen, allen voran bereits die dramatische Einführung bis hin zur legendären Flur-„Schlacht“ sind mitreißend. Die finale Enthüllung von Woo-jins Geheimnis sitzt dabei wie ein Schlag in die Magengrube, wie ohnehin der Showdown im Penthouse abgesehen von den Rückblenden ganz besonders gelungen ist. Die Darsteller spielen dabei allesamt exzellent und liefern eine großartige Ensembleperformance ab. Das Sahnehäubchen ist jedoch Jo Yeong-wooks Komposition zum Film, die mit zahlreichen Stücken Vivaldis angereichert wurde. Insgesamt ist Oldeuboi der gelungenste Teil der „Rache“-Trilogie Parks, da einfach am mitreißendsten und bildgewaltigsten inszeniert.

8.5/10

Chinjeolhan geumjassi
(Sympathy for Lady Vengeance)

Zwei Jahre nach Oldeuboi folgte mit Chinjeolhan geumjassi der Abschluss von Park Chan-wooks „Rache“-Trilogie. Das Rachemotiv wird diesmal auf eine weibliche Protagonistin projiziert und Choi Min-sik verkommt nunmehr vom Opfer zum Täter. Ähnlich wie auch die beiden Vorgänger gelang es Park auch in diesem Film ein überzeugendes audio-visuelles Paket zu schnüren, das jedoch hinsichtlich der Konstruiertheit der Handlung auch dieselben Mängel aufweist. Hinzu kommt, dass Aspekte wie die Gefängnisszenen nicht besonders originell wirken, kennt man diese doch bereits aus Sasori. Grundsätzlich bildet der Film jedoch einen stimmigen und abgerundeten Abschluss unter die Trilogie, speziell natürlich, weil er deren Geist treu bleibt und dieselbe Stimmung zu evozieren weiß.

„Sie müssen das Messer nach oben halten, sonst rutscht es ab“, erklärt der polizeiliche Ermittler einer Frau, die im Begriff ist kollektive Selbstjustiz auszuüben. Es ist jene Sequenz im verlassenen Schulgebäude, die ohne Zweifel harter Tobak ist. Die herzensgute Frau Geum-ja (Lee Young-ae) hat sie allesamt zusammengebracht, die Eltern von fünf ermordeten Kindern. Der Peiniger sitzt den Flur hinunter und hört sich per Stereoanlage an, wie man seinen Mord plant. Wie auch in den beiden Vorgängern ist Chinjeolhan geumjassi ein Film über kaltblütige Rache einer verstörten Figur. Wie auch in den beiden Vorgängern ist die Handlung nicht unbedingt sauber ausgearbeitet. Es wird nie klar, welchen psychischen Schaden Geum-ja als Schülerin hatte und was sie in die Arme von Herrn Baek (Choi Min-sik) trieb. Auch der Mord an jenem ersten Kind wird nicht wirklich thematisiert, vieles bleibt hier ungeklärt.

Doch auch hier weiß, wie schon bei Oldeuboi der Fall, der Inszenierungsstil von Park einiges zu retten. Dabei wird der Film fast ausschließlich von Lee Young-aes brillanter Darstellung getragen, ähnlich wie auch schon bei Choi im Vorgänger. Höhepunkt von Chinjeolhan geumjassi ist jenes Selbstjustiz-Treffen und der anschließende Mord an dem Verursacher für alles Leid. Großer Störfaktor des Filmes ist allerdings Jenny, Geum-jas Tochter, die sie sich aus Australien ausgeborgt hat. Dieser versucht sie in brüchigem Englisch beizubringen, weshalb diese einst von ihrer Mutter zurückgelassen wurde und weshalb diese nun tun muss, was sie tut. Nicht ganz so stark wie Oldeuboi komplettiert Parks Abschluss jedoch die Trilogie sehr gekonnt.

7/10

13 Tzameti

Damals ging ich ab wie Schnitzel, als ich den Trailer zu Géla Babluanis 13 Tzameti gesehen habe. Na gut, sagen wir wie ein Kinderschnitzel. Und letztlich hat der Film dann die Erwartungen nicht enttäuscht. Durch den Schwarz-Weiß-Ton wird ein gewisses Arthouse-Feeling erzeugt, das dem Film gut zu Gesicht steht. Die Einleitung der Geschichte durch Dachdecker Sébastien (George Babluani), der auf eine mysteriöse Einladung zu einem lukrativen Schwarzmarktspiel stößt, ist überzeugend inszeniert. Sébastiens Bruder hat eine Behinderung, die Familie braucht Geld, der Dachdeckerjob wird nicht entlohnt, da der Auftraggeber verstorben ist. Da dem Jungen nicht viel übrigbleibt, nimmt er kurzerhand die Einladung an, die eigentlich seinem ehemaligen Auftraggeber gebührte. Vor Ort angekommen stößt seine Anwesenheit auf Unwillen, aber was wollen die Beteiligten machen? Denn das Spiel beginnt und ein Spieler ist von Nöten.

Erst jetzt merkt Sébastien worauf er sich eigentlich eingelassen hat. In einem Keller werden 13 Männer in einem Kreis aufgestellt. Jeder erhält eine Kugel in seine Revolvertrommel. Die Mündung wird an den Hinterkopf des Vordermannes angelegt und wenn eine Glühbirne aufleuchtet, hat man abzudrücken. Reiche Geschäftsleute setzen nebenbei verschiedene Summen auf den Erfolg ihres Spielers. Ein makabres Szenario, das man in seiner perversen Lüsternheit aus Hostel gewohnt ist. Nur ist Babluanis Film sehr viel besser als Eli Roths torture porn. Die große Stärke von 13 Tzameti ist es, dass der Zuschauer mit Sébastien jede Runde mitfiebert, mit ihm leidet und auf das Aufleuchten der Birne gespannt ist. Dabei steht außer Frage, dass er überlebt, anders wäre die Geschichte nicht zu erzählen. Dennoch eine derartige Intensität zu erzeugen, verdient sich zweifellos Lob.

Denn obschon die Ereignisse in Babluanis Film vorhersehbar sind, in jedem einzelnen Viertel lässt sich das Ende erahnen, gelingt es dem Georgier nicht nur Sympathien für seinen Protagonisten zu erwecken, sondern auch das Publikum am Ball halten zu lassen. Die Übergänge der verschiedenen Akte gelingen meist problemlos, die Simplizität der Geschichte fällt kaum auf. Mit 13 Tzameti ist Babluani ein intensives Seherlebnis gelungen, dass bis zu seinem konsequenten Ende stark inszeniert ist. Die Besetzung des amerikanischen Remakes liest sich prinzipiell recht gut (Jason „The Stath“ Stafam, Mickey Rourke, die Ray’s Winstone und Liotta), doch wird der Film in Farbe wenig überzeugend sein. Oder anders gesagt: das Remake stinkt schon jetzt, allein weil man Stafam nicht dieselbe Nervosität und Todesangst eines George Babluani abkaufen wird (ich gehe einfach mal davon aus, dass es The Stath sein wird, der die Hauptrolle übernimmt). Von daher gilt: schnell noch das Original anschauen, dann kann man sehen, wie wenig es eigentlich braucht, um einen packenden Thriller zu drehen.

8/10

Seul contre tous (Menschenfeind)

Den Film mochte ich mal. Sozusagen. Ich hatte ihn zuletzt vor sechs Jahren etwa gesehen und hatte zu dieser Zeit noch nicht viele Filme der „Kino Kontrovers“ Reihe gesehen oder generell Filme, die man als „kontrovers“ ansehen ko(e)nnte. Im Nachhinein ist der Film über weite Strecken doch enttäuschend, speziell ob seines verkappten Endes, das weder Fisch noch Fleisch sein möchte und seiner unwahrscheinlichen Geschwätzigkeit, die einen Woody Allen Film glatt zum Stummfilm degradieren würde. Ja, der Schlachter (Philippe Nahon) ist ein armes Schwein, hat ihn doch die Mutter verlassen, der Vater wurde im Krieg getötet. Als es dann aufwärts ging, mit der eigenen Metzgerei und einer schicken Fabrikantin, ist die auch von dannen gezogen, als die Tochter kam. Wie unterkühlt die Beziehung zu dieser ist (er musste sich stets beherrschen sie nicht zu vergewaltigen), erklärt sich in ihrem Schweigen, welches letztlich auch mit zur eigentlichen Tragödie führt.

Aufgrund eines Missverständnisses (siehe Carne) landet der Schlachter im Bau und die Tochter im Heim. Jetzt ist er fertig mit der Welt und auch seine Neue ist eigentlich nur am Nerven. Aber er ist ein Schwanz und muss hart sein, um die Löcher zu stopfen. Irgendwann ist es jedoch zuviel, der Druck der Gesellschaft als solcher ist ihm zu groß. Es eskaliert und der Schlachter steht mit dem Rücken zur Wand. Nachvollziehbar. Die Freunde wollen oder können ihm kein Geld leihen, ohnehin herrscht gerade eine Rezession. Life is a bitch and the butcher married one. Der deutsche Verleihtitel ist ausnahmsweise gut gewählt: Menschenfeind. Der Schlachter ist ein Misanthrop par excellence, hasst er doch alles und jeden. Wenn ihm jemand krumm kommt, ist er ein Ausländer oder Homosexueller. Ohnehin braucht Frankreich mal wieder einen wie Robespierre. Und selbst wenn nicht, er - der Schlachter - wird sie alle ficken; soviel steht fest.

Mit seinen rasanten Schnitten, untermalt von dem explosiven Geräusch einer Gewährkugel, und seinen Kameraeinstellungen weiß der argentinisch-stämmige Gaspar Noé visuell durchaus zu überzeugen. Nur der Inhalt, der sich bisweilen bei Martin Scorseses Taxi Driver bedient, bleibt da etwas auf der Strecke. Die inneren prätentiösen Monologe des Schlachters sind zwar mitunter recht nett, aber auf die Dauer ermüdend. Dass er nur faselt, ohne zu Handeln, ist konsequent hinsichtlich seiner nicht vorhandenen Entwicklung, stagniert aber nach seiner Flucht aus Lille, ehe es ins Finale übergeht. Dieses wird von Noé kongenial mit einer Titelkarte eingeleitet, die letztlich aber verpufft. „Die Befriedigung mir meinen Wunsch erfüllt zu haben und nicht die Vorstellung der anderen“, erklärt der Schlachter in der finalen Einstellung, wenn er seine Tochter doch nicht erschossen hat, wie man es ja eigentlich erwarten würde. Damit reißt Noé kurz sein absurdes „Happy“ End - sehr zynisch mit Johann Pachelbels „Canon in D Major“ unterlegt - heraus, würde er es mit dem Inzest nicht sogleich wieder korrumpieren. So möchte Seul contre tous etwas sein, was ihm schließlich nicht gelingt darzustellen. Eine sehr positive (und gute, das will ich nicht abstreiten) Besprechung findet sich beim zeitverschwender - meine Sympathien sind allerdings verflogen.

6/10

Irréversible

„Kennst du Le Tenia?“, hallt es durch das „Rectum“ und wohin das Auge reicht sieht man sich sexuell befriedigende Homosexuelle (sowie den Regisseur Gaspar Noé). In seinem Film Irréversible rühmt sich das DVD-Cover damit, dass fast jeder zehnte Zuschauer bei der Premiere in Cannes den Saal vorzeitig verlassen hat. Noés Geschichte einer rückwärts erzählten Vergewaltigung und ihrer folgenden Rache lässt sich leicht als prätentiöses, homophobes Filmchen beschreiben. Aber auch als unglaublich tiefsinniges, metaphysisches Paradebeispiel auf Determinismus und Kausalität in diesem unserem Universum. Generell ließe sich sagen, dass es ein Werk ist, auf das man sich einlassen muss - wenn man sich denn darauf einlassen könnte. Die Intensität der ersten Hälfte ist berauschend und mitreißend. Ein Sog von Gewalt und rasender Wut. Die Vergewaltigung von Alex (Monica Bellucci) bildet hierbei das Mittelstück von Irréversible und zugleich das Ende beziehungsweise den Anfang einer von zwei Teilgeschichten.

Im Kleinen ist Noés Nachfolger von Seul contre tous - der Schlachter erhält einen Kurzauftritt - ein visuelles Meistwerk. Nicht nur dass die Handkamera durch ihre vollständige Auslastung den Zuschauer mitnimmt auf diese emotionale tour de force, sondern sie passt sich auch der Geschichte an. Mit fortlaufender Erzählung gewinnt sie an Statik, wird ruhiger, wie auch die Handlung ruhiger wird. Sinnbildlich hierzu sind auch die beiden männlichen Protagonisten zu betrachten. Zeichnet sich Marcus (Vincent Cassel) in der ersten Hälfte des Filmes als wild gewordener Rächer aus, den Pierre (Albert Dupontel) versucht zu beschwichtigen, so wandelt sich das Bild, wenn das Trio sich auf den Weg zur Party macht. Hier ist Marcus der Besonnene und Ruhige, während Pierre in aller Öffentlichkeit seiner Eifersucht und Paranoia freien Lauf lässt und eine Szene aufgrund des Sexlebens seiner Ex, Alex, veranstaltet. Über Alex wiederum erfährt das Publikum erst in den letzten zehn Minuten etwas mehr, bildet sie zuvor lediglich den Antrieb und roten Faden der Geschichte.

In seinen letzten Minuten offenbart Noé dann viel über seinen Film selbst. Zum einen hängen in Marcus’ und Alex’ Schlafzimmer Plakate sowohl von What’s Love als auch von 2001: A Space Odyssey (letzteres mit dem berühmten Spacebaby), welche wiederum Bezug auf die Beziehung zwischen Marcus und Alex nehmen. Dann wiederum erzählt Alex ihren Traum von dem in roter Farbe getauchten Tunnel, in welchem sie später/vorher vergewaltigt wurde und Marcus zeigt seine Intention, mit ihr Analverkehr zu haben, was ebenfalls wieder die Vergewaltigung vorweg nimmt. Zuletzt inszeniert Noé seine Darstellerin dann in der wohl friedlichsten Montage des Filmes, im Park das Buch An Experiment With Time von J.W. Dunne lesend. Diese wiederum beschäftigt sich mit jener Zeitebenengleichheit und dem Bewusstsein des Menschen. Zu guter Letzt endet der gebürtige Argentinier dann seinen wohl stärksten Film mit der passend-zynischen Einblendung der Worte: le temps detruit tout (Die Zeit zerstört alles). Irréversible ist ein intensives Seherlebnis und hat über all die Jahre seit meiner letzten Sichtung nicht wirklich von seiner Stärke eingebüßt.

8/10

Zoo

Toleranz ist ja immer so ne Sache. Wo fängt sie an und wo hört sie auf? Im amerikanischen Bundesstaat Washington lebten einige Männer auf einer Farm, wo sie sexuellen Kontakt zu Pferden hatten. Das ganze wurde letztlich öffentlich, als Kenneth Pinyan, einer der Männer, aufgrund einer Bauchfellentzündung starb, die ihm durch Sex mit einem Araberhengst zugeführt wurde. Seitdem ist in den USA nunmehr Sex mit Tieren per Gesetz verboten. In seinem etwas mehr als einstündigen Essayfilm widmet sich Robinson Devor nun jenen Männern aus Enumclaw und ihrer … ungewöhnlichen sexuellen Neigung. Devors Zoo mutet zwar wie eine Dokumentation an, ist jedoch nicht als solche inszeniert. Dafür wirken die meisten Szenen zu künstlich und gestelzt, ganz davon abgesehen, dass zahlreiche engagierte Schauspieler Rollen übernommen haben.

Ich selbst hab nicht wirklich Zugang zum Film bekommen, der irgendwie keinen richtigen Inhalt besitzt oder eine Botschaft verkünden möchte. Devor zeigt eben diese Männer, die sich auf ihrer Farm besaufen und erklären, dass sie Pferde lieben. Und zwar etwas mehr als nur auf platonische Weise. Dabei ergreift Devor keinerlei Partei, sein Essayfilm ist durchaus schnörkellos inszeniert. Dass die Mehrheit der Zuschauer jene Aktionen eher weniger gutheißen, dürfte jedoch offensichtlich sein. Und so erzählt uns Zoo auch nichts unbedingt Neues. Denn wenn ein Mann lieber mit einem Pferd Sex hat, als mit einem Menschen, dann gehe ich davon aus, dass da auch eine emotionale Bindung herrscht. Schön photographiert ist Devors Film jedoch fraglos. Speziell die Einstellungen, welche die Natur mit einbeziehen, sind von einer fast schon poetischen Schönheit. Der Inhalt der Bilder kann da jedoch weniger mithalten. So ist Zoo eigentlich nicht mehr, als nachgestellte Szenen von Männern, die über Pferde reden, als wären es Menschen. Dem Kleriker hat’s gefallen, mir leider nicht.

4/10

Ex Drummer

Skandal, im Sperrbezirk! Damals brannte wohl die Hütte, als Koen Mortiers Adaption von Hermann Brusselmans Roman in die belgischen Kinos kam. Brusselmans, seines Zeichens ohnehin ein Skandalautor, schreibt gerne über Promiskuität und Alkoholismus. In Ex Drummer schickt er den erfolgreichen Schriftsteller Dries (Dries Van Hegen) auf eine kleine Recherchereise in die Untiefen der Asozialität. Drei mehr oder weniger Behinderte klingeln eines Tages an Dries’ Luxusapartment in Ostende. Einen Drummer brauchen sie, für ihre Band. Einzige Voraussetzung ist, dass Dries eine Behinderung vorweisen muss. Macht er. Er kann nicht Schlagzeug spielen. Obwohl er es eigentlich doch kann. Aber warum sollte er sich diese Gelegenheit entgehen lassen? Recherche direkt am Objekt. Die niederste Stufe der menschlichen Gesellschaft. Das schreit nach einem neuen Buch. Und nebenher kann man auch etwas Spaß haben.

Zu Beginn offeriert Mortier einige visuelle Spielereien, lässt er doch seine Einleitung rückwärts ablaufen. Und den misogynen Koen (Norman Baert) filmt er unentwegt kopfüber, was zugegebenermaßen gut aussieht. Brusselmans Geschichte handelt von der Band „The Feminists“, die einen Rockwettbewerb gewinnen wollen. Der Star: die einzelnen Bandmitglieder. Koen, der gerne Frauen zusammenschlägt, ist vorbestraft und bezeichnet seine frühere Berufskarriere als „Gewalttätigkeit“. Interessant ist es dann allerdings zu sehen, wie er im Laufe des Filmes mehr und mehr das Kommando an Dries abgibt, wobei dieser ihm körperlich unterlegen sein dürfte. Jan (Gunter Lamoot) hat einen gelähmten rechten Arm, seit ihn seine Mutter beim Onanieren erwischt hat und Ivan (Sam Louwyck) ist taub, weil er seine Mutter wiederum beim Sex erwischt hat. Dries andererseits ist arrogant, was sich angesichts seiner sozialen Stellung von selbst ergibt. Mit seiner Freundin Lio (Dolores Bouckaert) lebt er in einer offenen Beziehung und amüsiert sich über die Stupidität des Pöbels.

In Ex Drummer begibt sich nun Dries in die Untiefen der Gesellschaft, um diese letztlich vorzuführen und seinen Spaß an ihnen zu haben. Bezeichnend, dass er abgesehen von seinem eigenen Umfeld mit niemandem aus der Mittelschicht (die ohnehin im Film nicht vertreten ist) verkehrt. Es ließe sich also durchaus argumentieren, dass Koen und die anderen nur deshalb so asozial daher kommen, weil das Publikum sie quasi durch die Augen von Dries so wahrnimmt. Dies würde wiederum die Frage aufwerfen, wie Dries zur Mittelschicht stünde, welche Fratze er ihr verleihen würde. Was Mortier als Komödie beginnen lässt (die durchaus einige unfassbar komische Momente aufbietet), wandelt sich schließlich immer mehr zu Dries’ diabolischen Plan, der einem im Nachhinein nicht wirklich klar werden will. Dafür überschlagen sich am Ende die Ereignisse, ohne eine tiefere Bedeutung zu haben. So ist der Film im Grunde okay in seiner Intention dem Publikum den Spiegel vorzuhalten (ob dies bei jedem funktioniert, ist eine andere Frage), selbst wenn dies nur gelegentlich zu gelingen vermag. Ehrlich gesagt hatte ich mir jedoch nach all dem Tram-Tram im Vorfeld doch etwas Skandalöseres versprochen.

6/10

Salo o le 120 giornate di Sodoma
(Die 120 Tage von Sodom)

Wer Salò nicht einmal in seinem Leben gesehen hat, der hat nicht gelebt, sondern ist vor dem Leben geflohen. „So einfach ist das“, erklärt die Regisseurin Catherine Breillat in einem Interview zu Pier Paolo Pasolinis letztem Film, bevor er unter mysteriösen Umständen ermordet wurde. Eines dürfte unbestritten sein, Salo o le 120 giornate di Sodoma erhitzt die Gemüter. Einige – darunter die australische und zeitweise auch die deutsche Regierung – sehen in dem Film des Italieners reine Pornographie und eine Unzumutbarkeit. Andere, wie der französische Regisseur Bertrand Bonello, sind der Ansicht, der Film sollte aufgrund seines pädagogischen Ansatzes jedem Gymnasiasten gezeigt werden. Schließlich sei es „der wichtigste Film aller Zeiten“. Die Verfilmung eines Romans des Marquis de Sade, zeitversetzt in die Endphase des italienischen Faschismus in Mussolinis Reststaat Salò, erweckt Kontroversen und ruft bei einigen Regisseuren (siehe Breillat und Bonello) diskutierbare Aussagen hervor. Gaspar Noé gestand immerhin ein, dass er bezweifelt, dass man 10-Jährige mit dem Film etwas anfangen können.

Ich wiederum bin mir ziemlich sicher, dass ein 10-Jähriger mit dem Film nichts anfangen kann. Pasolinis Allegorie auf den Faschismus ist in seinen ersten fünfzig Minuten noch sehr zurückhaltend und beginnt dann seine ganzen anarchischen Ausmaße anzunehmen. Der Höllenkreis der Scheiße ist fraglos einer der Momente, die mir persönlich den Magen umgedreht haben. Doch selbst wenn es nicht meine erste Sichtung des Filmes war, bleibt mir bisweilen der Zugang zur Materie verschlossen. Viele Szenen ergeben einen Sinn, doch der Zweck einiger anderer (die in etwa in dieselbe Richtung stoßen), will sich mir bis heute nicht erschließen. „In Saló steht Sexualität für Degeneration, Macht, Vernichtung“, schrieb Otto Schweitzer im Metzler Filmlexikon (S. 556). Das wird deutlich, da Pasolini derartige Szenen mehrfach abspielt. Wieder und wieder, sodass sie bisweilen eintönig werden. Da wird auf den Boden geschissen und die Scheiße gegessen, da werden Nägeln in Essen gesteckt und Menschen gefüttert, da werden Mädchen gezwungen, Beamten ins Gesicht zu pinkeln. Während Bonello hier die explizite Darstellung der Gräuel des Zweiten Weltkrieges sieht, die in schriftlicher Form nie greifbar wären, wirken die Schockmomente Pasolinis auf die Dauer redundant.

Inwiefern Pasolinis Salò als bedeutsam und wichtig angesehen werden kann, entschließt sich meiner Urteilskraft. Auch unabhängig von seinem Film wäre eine ansatzweise Greifbarkeit der Gräuel des Holocaust beziehungsweise Faschismus (die meiner Ansicht nach ohnehin nur von den Opfern und keinem Außenstehenden wirklich greifbar sind) möglich gewesen. Daher ist mir (mal wieder) der Hype um einen Film nicht sonderlich geheuer. Etwaige Analogien, wie dass die Faschisten ihren Opfern ihre Scheiße sprichwörtlich zum Essen vorsetzen, sind vom Ansatz her ganz nett, in ihrer Umsetzung jedoch nahezu unkonsumierbar. Mir selbst ist nicht klar, ob Pasolini hier – ähnlich wie Michael Haneke Jahrzehnte später mit Funny Games – einen Film erschaffen wollte, der den Zuschauer zum Verlassen bewegt. Daher würde ich selbst nicht sagen wollen, dass es ein wichtiger Film ist, sondern „interessant“ trifft es für mich eher. So weit zu gehen, dass man nicht gelebt hat, wenn man nie in den Genuss (sicherlich das falsche Wort für den Film) von Salò gekommen ist, würde ich dann allerdings ohne Frage nicht.

7/10

Eraserhead

Öhem. Ja, gut. Hier weiß ich schwerlich wo ich anfangen soll. Seit der letzten Sichtung hat sich nicht viel geändert, da ich immer noch keine Ahnung habe, worum es in David Lynchs Debütfilm geht. Aber wie es scheint, bin ich nicht alleine damit, denn immerhin hat der Regisseur und Autor selbst gesagt, dass bisher noch niemand die wahre Bedeutung von Eraserhead erkannt hat (zumindest seines Wissens nach). Erzählt wird auf jeden Fall die Geschichte des Druckers Henry (Jack Nance). Dieser erfährt bei einem Abendessen mit seiner Freundin und deren Familie, dass er Vater einer Frühgeburt ist. Gezwungenermaßen heiratet er die Mutter und lässt diese mit dem Kind, einem deformierten Etwas, bei sich einziehen. Als das Wesen nicht aufhört zu schreien, zieht die Mutter zurück zu ihren Eltern und Henry gibt sich seiner eigenen phantastischen Welt hin. Voll von auf Spermien tanzenden pausbackigen Blondinen und missgestalteten Männern in Planeten. Die Interpretationen reichen von einer Wochenbettpsychose über Abtreibung zu einer nuklearen Katastrophe. Wie dem auch sei, Eraserhead zählt zu den Lieblingsfilmen von unter anderem Stanley Kubrick und George Lucas und bescherte Lynch sein Regieengagement für The Elephant Man, nachdem Mel Brooks Lynchs Debütwerk in Augenschein genommen hatte.

Für Lynch-Fans ist sein Erstling fraglos ein Muss, da der Kultregisseur hier bereits etliche Motive seiner späteren Werke wie Blue Velvet oder auch Mulholland Drive mit einbaut. In schwarzweißen Bildern untermalt er seinen Film ausschließlich mit industriellen Geräuschen und präsentiert seinem Publikum eine surreale Geschichte par excellence. Fünf Jahre hatte der Produktionsverlauf gedauert, da Lynch nebenher Zeitungen austragen musste, um das Budget zusammenzukriegen. Inzwischen gilt Eraserhead als Kultfilm, bei vielen Usern der OFDB finden sich etliche „Meisterwerks“-Bekundungen und 10/10-Bewertungen. Worum es geht, weiß niemand. Aber das sieht ja so fucking surreal aus! So gesehen ist David Lynch ein losgelassener Hund. Theoretisch könnte er eine Parkszene drehen, in der nichts passiert, außer das plötzlich ein kleinwüchsiger Plan auf einem Einrad ins Bild fährt, einen Revolver zückt und sich erschießt. Die Fans würden jubeln. Es ist also anzunehmen, dass Lynchs Filme vormerklich Kunstwerke sein wollen, denn wirkliche Filme. Wie dem auch sei, Eraserhead zählt ähnlich wie Zoo zu jenen Werken, zu denen ich keinen Zugang erhalten habe.

Da Lynch einem das Verständnis nicht leichter machen möchte, muss man sich auf seine eigenen Interpretationen verlassen. Daher ergibt sich für mich folgendes Szenario: da die Geburt des Kindes sowohl für Henry als auch für seine Freundin überraschend kam, wird das Kind (das zugleich eine Frühgeburt ist) aufgrund der eigenen Unvorbereitung als „deformiert angesehen“. Mit den Anforderungen an die Elternschaft sind beide Elternteile überfordert, die ohnehin schon stark industrialisierte Welt treibt Henry derart in den „Wahnsinn“, dass er sich in seiner Phantasie nach der Frau in der Heizung sehnt. Als ihm der ganze Stress zuwider wird, mit Albträumen von seinem Kind, das seinen eigenen Platz einnimmt, entledigt er sich des Wesens. Ein interessanter Aspekt ist die „Krankheit“ des Kindes, die Henry kurzzeitig wie einen guten und fürsorglichen Vater dastehen ließ. Somit wäre „Eraserhead“ eine Allegorie auf die unvorbereitete Elternschaft (Lynchs Frau erwartete zu Beginn der Dreharbeiten selbst ihr erstes Kind) - verpackt in Surrealismus. Trotz allem bleibt der Film für mich vormerklich eine Art „Kunstwerk“ und The Elephant Man mein Lieblingswerk von Lynch (da verständlicherweise sein zugänglichstes Werk). C.H., wenn du den Film noch nicht gesehen hast, empfehle ich ihn dir. Und wenn du ihn schon gesehen hast, erleuchte uns respektive mich doch bitte mit einer deiner ausführlichen Analysen.

6.5/10

Ett hål i mitt hjärta (A Hole In My Heart)

Da hatte sich Lukas Moodysson 2004 ne ganze Ecke aus dem Fenster gelehnt, mit seinem experimentellen A Hole In My Heart. Dabei springt einem die Gesellschaftskritik förmlich in jeder Szene an. „Die wollen das doch sehen“, erklärt Rickard (Thorsten Flinck), als er über seinen Amateurporno spricht. Immer schön Löcher stopfen, schließlich sind wir eine Pornogesellschaft. Da geht es nur um Triebbefriedigung, da liegt die Kohle. Deshalb hat sich Tess (Sanna Bråding) auch die Schamlippen entfernen lassen. Damit es besser flutscht und aussieht. Ihre Vaginaloperation scheint dabei aktuelle die letzte einer größeren Anzahl an Verbesserungen zu sein, die sie für ihren Körper vorgenommen hat. Simultan zu ihrer Aufzählung schneidet Moodysson dann Rickards Sohn Eric (Björn Almroth), der Regenwürmer als Haustiere hält. Die sehen normal aus, seien aber alle anders, berichtet er dem Publikum. Damit stehen die Regenwürmer natürlich sinnbildlich für Eric selbst, aber auch Tess, Rickard und dessen Pornokumpel Gecko (Goran Marjanovic).

Da ist es schon zynische Heuchelei, wenn Rickard gegenüber Tess ausruft „Don’t fuck with the nature“, weil diese sich zu oft wäscht und daher ihr Genitalbereich angeblich riecht. Doch obschon sie sich nicht mögen, bleiben die vier doch die meiste Zeit zusammen in ein und derselben Wohnung. Sogar Eric, der sich gar nicht an den Amateurpornos seines Vaters beteiligt. Stattdessen hockt er in seinem Zimmer und hört Noise-Musik, um den Geräuschen aus dem Wohnzimmer zu entgehen. Später wird er sich sogar die Augen mit Pflastern zukleben. Der einzige Grund, der Eric wohl davon abhält dem Treiben nach Draußen zu entgehen, ist wohl seine deformierte rechte Hand. Tess hingegen weiß im Grunde nicht, wo sie anders hin soll. Ein kurzer Ausflug in den Supermarkt raubt ihr fast den Verstand. Alle seien so langweilig, erklärt sie, ehe sie die schlafenden Rickard und Gecko darum bittet, sie mögen sie ficken. Dabei sehnt sich Rickard eigentlich nur nach der Anerkennung von Eric und Gecko versucht seinem Leben einen Sinn zu geben, ehe er (aus unerfindlichen Gründen) ins Gras beißen muss.

Moodysson spielt mit seinem visuellen Inszenierungsstil, lässt die Charaktere mal wie in einer Dokumentation direkt zur Kamera sprechen, dann wiederum wie beim Psychiater Szenen von den Charakteren mit Puppen nachstellen oder macht einen auf Big Brother, wenn er den Pöbel in eine dunkle Kammer steckt, wo sie in die Nachtsichtkamera ihr Innenleben auskotzen. Seine Kommerz- und Konsumkritik bringt der Schwede schließlich auf subversive Weise auch dadurch zum Ausdruck, dass er die Markennamen aller Artikel blurrt und oftmals kitschige Popmusik als Untermalung einspielt. Was in A Hole In My Heart sehr gut beginnt, wandelt sich gegen später dann bedauerlicherweise zum Teil zur Farce, wenn in bester Marco Ferreri Manier eine lüsterne Völlerei dargestellt wird, die natürlich ausarten muss. Erst ein dunkles Geheimnis – vollkommen unangekündigt und irgendwie deplatziert – bringt zu guter Letzt die Wende und beschert den Charakteren so etwas wie Harmonie. Grundsätzlich ein guter Ansatz, der sich dann allerdings verliert.

6.5/10

C’est arrivé près de chez vous (Mann beißt Hund)

Für gewöhnlich beginnt er seinen Monat mit einem Mord an einem Briefträger und gerne regt er sich auch auf, wenn die Stadt afrikanischstämmige Nachtwächter anstellt. „What a dirty trick! So you can’t see him! Who would ever think so low?”, echauffiert sich Benoît in Richtung Kamera. In ihrem Debütfilm inszenierten die drei belgischen Filmstudenten Rémy Belvaux, André Bonzel und Benoît Poelvoorde eine bitterböse Mediensatire. Ein dreiköpfiges Kamerateam rund um Regisseur Rémy und Kameramann André begleitet den Serienkiller Benoît bei seinen mörderischen Streifzügen. Was als objektive Dokumentation beginnt artet schließlich zu Mittäterschaft und letztlich sogar zu aktiven Verbrechen der Journalisten aus. Mitten drin: Benoît, ein skrupelloser Mörder, bei dem man dennoch nicht umhin kommt gewisse Sympathien für ihn zu hegen.

Benoît ist ein Chauvinist und Rassist, daran besteht kein Zweifel. Der afrikanischstämmige Wachmann muss prüde gewesen sein, befindet der Mörder. Schließlich habe er, was das Vorurteil bestätigt, ein enormes Glied gehabt und sich dennoch nicht prostituiert, wie es dieses „Volk“ für gewöhnlich macht. In selber Szene zeigt Benoît allerdings gleichzeitig eine gehörige Portion Respekt, wenn er von zwei Arabern erzählt, die er irgendwann mal in eine Mauer einbetoniert hat. „Facing Mecca, of course”, erklärt er. Seine Morde sind nicht politisch motiviert, er ist kein Triebtäter. Ähnlich sieht es auch seine Freundin Valerie. „Everyone’s got to eat“, ist ihr einziger Kommentar zu Benoîts Beruf. Dieser ist sich auch nicht zu schade, seine Beutezüge hinterher mit Rémy, André und dem aktuellen Tontechniker zu teilen. Der Beginn für den Niedergang des Dokumentationsteams, das spätestens hier vom Beobachter zum Teilnehmer wechselt.

Sie alle waren sich der Gefahr bewusst, erklärt Regisseur Rémy als Patrick, der erste Tonmann, an einem Drehtag erschossen wird. Besonders traurig ist dieser Augenblick, weil Patrick eben erst mit seiner Verlobten Marie-Paule zusammengezogen ist. Die obendrein noch schwanger von ihm war. Auch der zweite Tonmann, Franco, überlebt sein Engagement nicht lange. Aber Rémy ist sich sicher, dass Franco gewollt hätte, dass sie weiterdrehen. Weshalb er diesem kurzerhand den Film widmet, auch hinsichtlich der Tatsache, dass Franco gerade erst mit seiner Freundin zusammengezogen ist. Die Marie-Paule heißt. Und die ein Kind von ihm erwartet. Es gelingt Belvaux, Bonzel und Poelvoorde unzählige schreiend komische Momente zu erschaffen, die in ihrer Natur abstoßend sind, jedoch von Poelvoorde dermaßen genial rüber gebracht werden, dass man nicht anders kann als lachen. Das brillant geschriebene Drehbuch ist hierbei neben der Medienkritik gespickt mit dutzenden grandiosen Szenen. Als Benoît während einer Verfolgungsjagd sein Kommunionsarmband verliert, ist er betrübt. Immerhin hat es ewig gedauert dieses zu stehlen, da er erstmal einen Jungen finden musste, der dieselben Initialen hatte wie er selbst.

Halten sich Rémy und die anderen zu Beginn noch so gut wie möglich von Benoît fern – sie lehnen es ab mit ihm nach einem Mord gemeinsam an die Küste zum Muscheln essen zu fahren -, so werden sie letztlich zu Komplizen. Sie helfen Leichen beseitigen, halten Kinder fest, die Benoît umbringt und beteiligen sich an Weihnachten schließlich sogar an einer Gruppenvergewaltigung eines Einwandererpärchens. In ihrer journalistischen Tätigkeit versagen sie also, wenn sie stets nach der besten Story aus sind. Der so genannten Mann-beißt-Hund-Geschichte, die einen Ruhm bescheren kann. Wie sehr die Medien bereit sind Grenzen zu überschreiten, verdeutlicht eine Szene, in der Benoît und die anderen bei einer Hetzjagd auf ein anderes Kamerateam treffen, welches dieselben Intentionen besitzt. Mit C’est arrivé près de chez vous ist dem belgischen Trio ein außerordentlicher Film gelungen. Bezeichnend, dass Poelvoordes Familie sich im Film selbst spielt, ohne zu wissen, worum es geht. Die Authentizität der Darsteller ist somit gesichert. Traurig, dass Regisseur Belveaux sich vor drei Jahren das Leben nahm. Denn dies ist wahrscheinlich der schwarzhumorigste Film, den ich je gesehen habe. Prädikat: Besonders Wertvoll.

10/10

20. Februar 2009

Milk

A homosexual with power... that's scary.

Letztes Jahr wurde in Kalifornien dem Antrag 8 stattgegeben, der es Homosexuellen untersagt, gleichgeschlechtliche Ehen einzugehen. Schon 2003 hatte der damalige US-Präsident George W. Bush klargemacht, dass seiner Ansicht nach die Ehe für Mann und Frau vorbehalten sei. Dabei sind gleichgeschlechtliche Ehen heutzutage in vielen aufgeklärten Ländern wie Deutschland oder Kanada Alltag, doch in Amerika ticken die Uhren der größtenteils konservativen Gesellschaft eben anders. Dabei wurde dreißig Jahre zuvor ein kleiner Sieg errungen, gegen einen ähnlich kontroversen Antrag. Dieser, namentlich Antrag 6, sah die Entfernung aller Homosexuellen und deren Unterstützer aus dem Schulwesen vor. Denn homosexuelle Lehrkräfte erzeugen homosexuelle Schülerinnen und Schüler – so die Befürchtung einiger Erzkonservativer wie John Briggs oder Anita Bryant. Der Antrag wurde in Kalifornien abgelehnt, doch der vermeintliche Fortschritt erfuhr dreißig Jahre später einen bitteren Rückschlag.

Eine der zentralen Figuren in der damaligen Bürgerbewegung war der homosexuelle Stadtrat Harvey Milk. Oder besser gesagt, der erste sich öffentlich zur Homosexualität bekennende städtische Beamte. Nach mehreren Versuchen Mitte der siebziger Jahre gelang es Milk schließlich 1977 ins Amt eines Stadtrates gewählt zu werden. Allerdings wurde der damals 48-Jährige nach nur elf Monaten im Amt von seinem ehemaligen Kollegen Dan White erschossen. White, der zuvor von seinem Amt zurückgetreten war und dieses wenige Tage später wieder rückgängig machen wollte, erschoss am 27. November 1978 nicht nur Harvey Milk, sondern auch seinen Vorgesetzten und San Franciscos Bürgermeister George Moscone. Für Aufsehen sorgte schließlich Whites Verurteilung, in welcher er die Todesstrafe umschiffte, basierend auf der Verteidigung, er habe einen Zuckerschock durch Fast Food erlitten und dieser hätte in einer Depression gemündet. Urteile, wie sie nur in Amerika zu Stande kommen. Rob Epstein würdigte dem Leben von Harvey Milk 1984 mit The Times of Harvey Milk ein dokumentarisches Denkmal und wurde dafür mit einem Academy Award ausgezeichnet. Nun, fünfzehn Jahre später, ist Milk, ein Spielfilm von Gus Van Sant, ebenfalls bei den Academy Awards vertreten.

Die Verfilmung von Harvey Milks Aufstieg endete wie so viele Hollywood Produktionen in der Entwicklungshölle. Zu einem Zeitpunkt war Oliver Stone daran interessiert das Projekt zu übernehmen, dann wanderte es von den homosexuellen Regisseuren Bryan Singer zu Gus Van Sant. Dieser wollte den Film zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit verschiedenen Darstellern in der Rolle von Milk umsetzen. Darunter waren Robin Williams, Richard Gere und Daniel Day-Lewis. Schließlich ging der Part an Charakterdarsteller Sean Penn und die Nebenrolle von Dan White wurde an Josh Brolin übergeben, der Matt Damon ersetzte, weil dieser aus zeitlichen Gründen unabkömmlich war. Mit einem ziemlich bescheidenen Budget von 15 Millionen Dollar wurde Milk an zahlreichen realen Schauplätzen gedreht, darunter der berühmten Castro Street in San Francisco und in Milks damaliger Wohnung. Mit Nominierungen in acht Kategorien blickt Gus Van Sants Rückkehr zu kommerziellen Pfaden nach Indie-Dramen wie Elephant und Paranoid Park hoffnungsvoll zur Verleihungen des prestigeträchtigsten Preises des Jahres.

Van Sant platziert Harvey Milk (Sean Penn) als den Erzähler seiner eigenen Geschichte, indem er den Film durch Milks Aufzeichnung seines Testamentes, neun Tage vor seiner Ermordung, ein- und ausleiten lässt. Über dieses Stilmittel, welches gemeinsam mit der Darstellung des Vorabends von Milks Tod fast schon Züge einer Kassandra einnimmt, lässt sich sicherlich streiten. Wirklich nötig war dieser narrative Faden nicht und oftmals wirkt er im Erzählfluss etwas störend. Ohnehin ist Van Sant der ganze Einstieg in seinen 13. Film (seine beiden Beiträge zu zwei Episodenfilmen nicht mitgezählt) eher misslungen. Von der ersten Einstellung des Kennenlernens von Milk und seinem Lebenspartner Scott (James Franco) wechselt das Bild anschließend direkt in eine neue Lebensphase des gebürtigen New Yorkers. Mit langen Haaren und wildem Bart machen sich die beiden Männer auf nach San Francisco, klar im Hippie-Wahn aber ohne den Weg dahin zu reflektieren.

Anschließend kaufen sich die beiden ihr eigenes Geschäft und es ist durchaus charmant, wenn der Regisseur sie vor diesem schmusend ablichtet, während in der Innenscheibe des designierten Kameraladens ein Schild mit der Aufschrift „Yes, we’re open“ hängt. Doch das Vorspulen durch Milks prä-politische Phase geht weiter. Die Diskriminierungen gegen Homosexuelle nehmen zu und finden schließlich auch ein Todesopfer. Auch hier weiß Van Sant durch eine nahezu brillant eingefangene Szene von Milk und einem Polizeisprecher in der Reflektion einer Trillerpfeife (die eigentlich zum Schutz der Homosexuellen gedacht war) zu gefallen. Drehbuchautor Dustin Lance Black versucht überdeutlich in wenigen Szenen das Vorleben Milks zu zeigen, doch wirken diese Augenblicke stark überhastet und lassen die Motivationen und Intentionen der Figuren nicht immer deutlich werden. Ein Einstieg direkt bei der ersten Kandidierung unter Bezugnahme auf die vorangegangenen Ereignisse in Dialogform wäre wahrscheinlich empfehlenswerter gewesen.

Auch bei der Interpretation von Milks Tod tritt Van Sant in das eine oder andere Fettnäpfchen. Der prophetische Besuch der unheilsvollen Oper Tosca am Vorabend seiner Ermordung und Verbindung mit Milks letztem Moment vor seinem Tod ist derartig kitschig, dass es schon beinahe widerlich ist. Dabei wäre auch diese Schwäche wie die anderen sehr leicht abwendbar gewesen und wären dem Film zu Gute gekommen. Denn in den neunzig Minuten zwischen Einleitung und Schluss ist Milk ein geradliniges und mitreißendes Biopic. Milks unermüdlicher Kampf zu der erstrebten politischen Position und sein Effekt auf seine Umgebung werden anschaulich portraitiert. Auf der Strecke bleiben dafür dann jedoch sein eigenes Innenleben, seine Zweifel und seine emotional schwachen Momente, insbesondere jedoch eine genauere Beleuchtung prinzipiell aller Nebenfiguren. Hat Scott zu einem Zeitpunkt keine Lust mehr auf Harvey politische Agenda, taucht er plötzlich wieder bei einem Treffen auf, sitzt in der Mitte, quasi als wäre er nie abwesend gewesen.

Mit der Kameraarbeit von Harris Savides war ich selbst nicht immer zufrieden. Ich hätte mir ruhigere Bilder und mehr Totalen gewünscht, anstatt dass Milk quasi in jeder Einstellung den Mittelpunkt stellte (selbst wenn der Film Milk heißt und sich auf diese Figur konzentriert). Dagegen wusste Danny Elfmans Score meinen Geschmack zu treffen, da er sich sehr harmonisch mit den Bildern funktioniert und weit weniger aufdringlich ist wie in manch anderen Filmen des letzten Jahres (z.B. Changeling). Ein großes Lob gebührt auch dem Darstellerensemble, selbst wenn ich – perfide wie ich bin – Damon in der Rolle von White gegenüber dem robusteren Brolin für geeigneter gehalten hätte. Die Nebendarsteller von Franco über Diego Luna bis hin zu Emile Hirsch machen ihre Sache, wie auch Brolin, gut. Doch gegen die Sean Penn-Show haben auch sie keine Chance. Seine nasale Stimme ist zwar nicht in jeder Szene mein Fall, aber man muss eingestehen, dass Penn hier oftmals eine starke Darbietung liefert, die sich über viele seiner durchschnittlichen (so auch Mystic River) hebt.

Letztlich ist Milk ein gutes Biopic, mit einem starken Mittelteil aber unzureichenden Außenstücken. Allgemein lässt sich jedoch sagen, dass Van Sants Film gerade für Amerika ein wichtiger und bedeutender Film sein dürfte. Speziell dahingehend, dass er im selben Jahr erschienen ist, wie dem Antrag 8 zugestimmt wurde. Erschreckend, wie wenig weit es die Gleichberechtigung Homosexueller in den USA innerhalb von dreißig Jahren geschafft hat und wie nötig man auch heute noch einen Mann wie Harvey Milk hätte.

8/10

17. Februar 2009

The Wrestler

It didn’t feel like a mistake to me.

Jeder Mensch hat Dinge, die seine Jugend und Kindheit nicht nur aus- sondern ganz speziell machen. Ein altbekanntes Klischee ist die Faszination von Mädchen für Pferde und Puppen, während sich die Jungs für Dinosaurier und Autos interessieren. Ein entscheidender Faktor dürfte für jene Jungs auch eine Sportart sein, die im Grunde nicht wirklich eine solche ist. Wrestling dient weniger dem sportlichen Wettkampf, sondern zuvorderst der Unterhaltung. Ein Showkampf, vollkommen inszeniert und doch von den Fans frenetisch gefeiert. Und ihren Zweck haben diese Männer durchaus erfüllt, wenn auch Jahrzehnte später noch Namen wie Hulk Hogan, Bret ‘Hitman’ Hart, ‘Macho Man’ Randy Savage, Yokozuna, The Undertaker, Lex Luger, Mr. Perfect und all die anderen im Gedächtnis nun erwachsener Männer verankert sind. Doch welchen Preis dieser Beruf hat, bleibt unter Verschluss und wird vom Publikum kaum wahrgenommen.

Wrestling hat seinen Ursprung als Jahrmarktsattraktion des 19. Jahrhunderts, heute ist es ein Massen- und Merchandise-Unternehmen. Bis zu 400 Millionen Dollar setzt World Wrestling Entertainment (WWE) dadurch um. Die Akteure kümmern die WWE allerdings wenig. Keine Form von Rente oder Krankenversicherung gibt es für die professionellen Catcher. Der Job fordert seinen Tribut, auf die eine oder andere Art. Der bekannte Wrestler Owen Hart, Bruder des berühmteren Bret ‘Hitman’ Hart, starb 1999, als er von einem Gerüst in den Ring hinein sprang. In den letzten zehn Jahren verstarben 65 Wrestler durch jahrelange Anwendung von Steroiden, fast 40% von ihnen erlagen einem Herzinfarkt. Was die Zuschauer amüsiert, verlangt mehr körperliche Kraft, als das Publikum einzustehen bereit ist. Darren Aronofsky setzt diesem Sport nun im Allgemeinen und jenen Sportlern per se mit The Wrestler ein Denkmal.

In seinem vierten Kinofilm zelebriert Aronofsky einen solchen Kinderhelden. Zu rockig unterlegter Musik und in einem dementsprechend gestyltem Vorspann feiert er seinen Hauptprotagonisten Randy ‘The Ram’ Robinson (Mickey Rourke) und dessen legendären Kampf gegen Nemesis The Ajatollah. Nachdem der Vorspann zu Ende ist beginnt dann der eigentliche Film oder besser gesagt: die Demontage. Der Bildschirm ist schwarz, ein verschleimtes Husten bricht die Stille. Da sitzt er nun, der Held der Geschichte, auf einem Klappstuhl, den Rücken zur Kamera gewandt. Es ist offensichtlich, er ist fertig mit sich, mit der Welt. Randy ist müde und alt. Oder Randy ist müde, weil er alt ist. Es spielt keine Rolle. Er lässt sich bezahlen und schlürft mit seinem Trolli aus einer Schulsporthalle. Seine Winterjacke ist an mehreren Stellen mit Tapeband gekittet, im Radio läuft derweil Don't Know What You Got (Till It's Gone) von Cinderella.

Randy, der einst ‘The Ram’ war, hat den Absprung nicht geschafft. Vielmehr ist er ein Gefangener seiner Nostalgie. Von einem Kollegen lässt er sich mit Steroiden versorgen. Die Aufzählung aller Produkte erinnert in ihrer Ausführlichkeit an Raoul Dukes Drogenkollektion aus Fear and Loathing in Las Vegas. Um den Körper zurück in die achtziger Jahre zu katapultieren, werden dann noch die langen Haare blondiert und die Haut im Solarium gebräunt. In seinem Auto steht eine Live Action Figur von ihm selbst, zu Hause hat er sich extra einen alten Nintendo angeschafft, um damit sein einziges Spiel zocken zu können: ein Wrestling-Spiel. Gelegentlich kann er einen der Nachbarsjungen dazu bringen, sich zu ihm zu gesellen und dann spielen beide als ‘The Ram’ und The Ajatollah gegeneinander. Doch das alles sind nur Requisiten für Randys Show. Privat zeigt uns Aronofsky ihn dann mit Lesebrille, Hörgeräten und Arthritis.

Den Einschnitt bildet ein Herzinfarkt, den Randy nach einem Kampf erleidet. Nun nimmt ihm Aronofsky auch das Letzte, das ihm geblieben ist: seine Identität. “I don’t wanna be alone”, erklärt Randy gegenüber Stripperin Cassidy (Marisa Tomei). Sie ist so etwas wie seine Lebensgefährtin, bezahlt er sie doch hin und wieder, damit sie ihm zuhört, wenn er von seinem Leben berichtet. Cassidy, die eigentlich Pam heißt und für sich und ihren Sohn einen Lebenswandel anstrebt, ist Randys scheinbar einziger sozialer Kontakt abseits seiner Wrestling-Gemeinde. Zwar hat er in Stephanie (Evan Rachel Wood) eine Tochter, doch ist der Kontakt seit Jahren abgebrochen. Jetzt, wo Randy alleine und ohne sein Hobby ist, versucht er in den Alltag zurück zu finden. Es folgen zaghafte Versuche, eine Art Familiengerüst mit Pam und Stephanie aufzubauen, sowie die Akzeptanz eines undankbaren Jobs als Fleischwarenverkäufer.

“The only place where I can get hurt is out there”, resümiert Randy am Ende bezüglich der Realität. Die Akzeptanz seiner Fans ist zuverlässig, da sie darauf basiert, dass Randy so ist, wie er ist. Gegen die Ablehnung von Pam und Stephanie kann er sich nicht schützen. In diesen Momenten, wenn Randy zwischen Vergangenheit und Gegenwart pendelt, erinnert er ein wenig an Baby Jane Hudson oder Norma Desmond. Ein naiver Ex-Star, dazu verdammt, in seiner Erinnerung weiterzuleben. Eine gescheiterte Existenz, die nie gelernt hat, sich in die Realität einzugliedern. Etwas, das man nicht unbedingt in dieser Vollständigkeit von Hauptdarsteller Mickey Rourke sagen kann, der sich hier auf gewisse Weise selbst spielt. Rourkes Spiel beeindruckt, weniger wegen seiner Klasse, sondern weil man den Star der Achtziger so (gut) wohl noch nie hat spielen sehen. Seine überzeugende Darstellung wird ergänzt durch Tomei und Wood.

Formal hebt sich Aronofskys neuer Film deutlich von seinen Vorgängern ab. Keine visuellen Spielereien, keinerlei Effekte jeglicher Art. Im Gegenteil, für sein quasi Biopic von Randy ‘The Ram’ wechselte der Regisseur seinen Stammkameramann Matthew Libatique aus und ersetzte ihn durch Maryse Alberti, sonst eher Dokumentarfilmerin. So wirkt The Wrestler bisweilen aufgrund seiner blassen Bilder selbst wie ein Dokumentarporträt, wenn die Kamera als Verfolger die meiste Zeit den Rücken von Randy einfängt und diesen somit auf seinen Lebenswegen begleitet. Jener Lebensweg ist dabei nicht speziell innovativ oder auf das Wrestler-Milieu zugemünzt. Eine ähnliche Geschichte hat man in dieser oder ähnlicher Form schon gefühlte 20 Mal – besser und schlechter - gesehen und der Bezug zum Wrestling ließe sich hierbei natürlich auch durch Football oder andere aufreibende Sportarten ersetzen.

Bisweilen vermisst man dann die Seele des Films, der teils etwas steril wirkt. Zu persönlich für eine Dokumentation, zu unpersönlich als mitfühlendes Drama. Deshalb ist keineswegs schlecht, im Gegenteil. Angefangen vom Vorspann bis hin zum Finale, das durch Guns N’ Roses Sweet Child O’ Mine eingeleitet wird, erreicht der Film seinen Höhepunkt in jener Einstellung, in der Randy unter frenetischem Jubel durch die Gänge spaziert und sich letztlich darauf vorbereitet, seinen Job in der Fleischwarenabteilung anzutreten. Ohne The Wrestler schlechter reden zu wollen als er ist, bedeutet er dennoch einen leichten Rückschritt für Aronofsky, der hier seine kreative Individualität aufzugeben scheint, indem sein neuester Film sich in die Reihe der Indie-Dramen einreiht. Dass The Wrestler jedoch zu einem sehr guten Indie-Drama geworden ist, zeichnet dann letztlich aber doch wieder die Klasse von Darren Aronofsky aus.

8.5/10 – erschienen bei Wicked-Vision

14. Februar 2009

Kurz und Knackig: For Your Consideration?

The Visitor – Es gibt sie noch, die kleinen aber feinen, stets unscheinbaren, Dramen. Da zelebriert Thomas McCarthy in seinem zweiten Spielfilm einen gebrochenen College-Professor (Richard Jenkins), der durch ein unerwartetes Ereignis wieder lernt, das Leben zu schätzen. McCarthy nimmt sich all die Zeit, die er braucht, um die bizarre Freundschaft zwischen Vale, dem Professor, und Tarek (Haaz Sleiman), einem illegalen Einwanderer, zu erzählen. Als roter Faden dient hierbei die Musik (per se), die den Film ein-, wie ausleitet- und zugleich den Initiator für die Männerfreundschaft bildet. Äußerst gelungen vollzieht The Visitor dann die Kehrtwende zum Post-9/11-Drama. Als der Syrier Tarek ohne nachvollziehbare Gründe in der New Yorker U-Bahn verhaftet, interniert und letztlich abgeschoben wird. „You can’t treat people like that“, schreit Vale zu einem Zeitpunkt einen der Wärter und damit quasi das amerikanische System an. Ein System, dass schon lange nicht mehr richtig funktioniert. Somit fungiert McCarthys Film als Rückbesinnung, dass nicht alles (oder jeder) Fremde unbedingt schlecht sein muss und dass das Leben nicht verharrt, sondern stets weiter geht. Getragen wird das Ganze dann praktisch allein von Richard Jenkins, der eine formidable Leistung abliefert. Ein wenig mehr Tiefe in das Innenleben der Figuren hätte dem Drehbuch dann allerdings auch nicht geschadet. Dennoch ein guter Film: 7/10.
  Frozen River – Ein weiteres Indie-Werk entstammt der Feder von Courtney Hunt, die mit Frozen River ihr Drehbuch- und Regiedebüt gibt. Ihre Geschichte von einer White Trash Mutter, die aus Geldnöten gemeinsam mit einer Mohawk-Kriminellen illegale Einwanderer über einen gefrorenen Fluss schmuggelt. Hier prallen nicht nur zwei Kulturen aufeinander, sondern hier wird auf die Vielschichtigkeit der sozialen Zwiebel deutlich. Das Resultat ähnelt dann doch sehr McCarthys The Visitor, denn der Film wird fast ausschließlich von Hauptdarstellerin Melissa Leo getragen – die nebenbei bemerkt eine grandiose Leistung abliefert -, knabbert jedoch ebenfalls an seiner bisweilen fehlenden Tiefe. Die Umstände aller Figuren werden nicht immer deutlich, beziehungsweise hätten noch deutlicher gemacht werden können. Warum haut zum Beispiel der Ehemann ab und inwieweit ist die Familie jetzt von den Schulden geplagt? Misty Uphams Lila bleibt als Mohawk-Frau auch erschreckend unterrepräsentiert in ihrer Charakterausarbeitung. Hier wäre noch ein bisschen mehr drin gewesen. Für ein Debütprojekt ist der Film allerdings durchaus beachtlich. Weshalb Quentin Tarantino ihn als „Thriller“ klassifiziert, wird mir selbst zwar nicht klar, da ihm die meiste Zeit doch die Spannung abgeht und er diese auch nicht wirklich versucht zu erzeugen. Trotz allem ein recht nett photographierter Film mit mitreißender Handlung und einer exzellent aufspielenden Hauptdarstellerin: 7.5/10.
  Encounters at the End of the World – Ja mei, in der Antarktis leben schon echt interessante Menschen. Vom Flughafen holt einen ein Banker ab, in der Wissenschaftskolonie fährt ein Philosoph Bagger und im Restaurant wird die Eiscreme von einem Filmemacher zubereitet. Wie abgefahren! Findet Werner Herzog, wenn er aus dem Off mit seinem deutschen Akzent Sätze säuselt wie: „Antarctica is not the moon, although sometimes it feels like it”. Muss er ja wissen, der Werner, wie sich der Mond anfühlt. Warum er extra ans Ende der Welt für seine Begegnungen gefahren ist, bleibt unklar. An der Eckkneipe in Wanne-Eickel hätte man sicherlich auch tolle Geschichten hören können. Besonders enttäuscht ist man dann, wenn sich herausstellt, dass der Überlebenstrainer früher nicht schon Präsident von einem Schwellenland war, sondern tatsächlich als solcher ausgebildet wurde. Viele der menschlichen Begegnungen von Herzog sind dann ziemlich belanglos und uninteressant. Einfach Jedermann-Menschen, denen man auch in der Bahn begegnen kann, wenn man denn scharf drauf ist. Hin und wieder dürfen dann einige Experten zu Wort kommen, unter ihnen ein Gletscherspezialist. In diesen Momenten ist Encounters at the End of the World schließlich auch unterhaltsam. Wenn man den wissenschaftlichen Aspekt in den Vordergrund geschoben hätte, wäre dies dem Film zum Vorteil gereicht. Denn so rutscht er oftmals doch etwas ins Lächerliche ab, wenn ein Linguist (der übrigens als Botaniker arbeitet) ernsthaft behauptet in sechzig Jahren wären neunzig Prozent der Sprachen ausgestorben oder sich drei Forscher aufs Eis legen, um den Seehundgesängen zu lauschen. Die Szene wirkt, als hätte man die Blue Man Group ins Ewige Eis verfrachtet. Zu Beginn meint Herzog, er sei nicht in die Antarktis gekommen, um Pinguine zu filmen – vielmehr beschäftigen ihn Fragen wie „Warum reitet der Affe nicht auf einer Antilope in den Sonnenuntergang?“. In der Mitte des Filmes fängt der Deutsche dann aber doch Pinguine ein. Es ist die beste Szene des Filmes, denn als sich ein Clan von Pinguinen aufteilt, bleibt ein einzelner zurück und watschelt schließlich gen Gebirge. Dieses ist fünf Kilometer entfernt, der Pinguin wird mit Sicherheit sterben. Zwar fragt Herzog einen nebenstehenden Pinguinexperten, warum dieser so handelt (bzw. behauptet Herzog, dass er ihn gefragt hätte), doch eine Antwort erhält man nicht. Die einzigen wertvollen „Begegnungen“ sind daher die, welche Herzog mit der Natur macht. Neben dem Pinguin sind speziell die Unterwasseraufnahmen Gold wert (auch wenn die musikalische Untermalung einmal nahelegt, dass Herzog sich zu oft Ghost in the Shell angesehen hat). Davon hätte man ruhig mehr einfangen können. Und wenn am Ende eingeblendet wird, dass diese Dokumentation Filmkritiker Roger Ebert gewidmet sei, ergibt sich von selbst, wieso Ebert dem Ganzen dann die volle Punktzahl gegeben hat. Hätte er ihn lieber mal mir gewidmet: 5.5/10.
  Happy-Go-Lucky – En-ra-ha! Aber hallo. Letztes Jahr sorgte Mike Leighs Gute-Laune Film ja für ordenlich Zunder. Sally Hawkins gewann für ihre sympathische Darstellung der optimistischen Poppy sogar den Silbernen Bären auf der Berlinale. Und man muss zugeben, dass einen die erste halbe Stunde richtig aufheitert. Diese Poppy, mit ihrer freundlich-nervigen Art. So Menschen gibt es ja nicht oft, die fortweg strahlen, es wären sie Jokers Lachgas zum Opfer gefallen. Selbst der rassistische Fahrlehrer (herrlich: Eddie Marsan) kann da kein Wässerchen trüben. Dumm nur, dass das alles nach einer Stunde irgendwie beginnt auszuleiern und uninteressant zu werden. So nett und süß das auch ist, aber irgendwann geht’s einem dann leider am Arsch vorbei. Oder ist zuviel des Guten. Wie man es dreht oder wendet, das Resultat bleibt das Gleiche. Zudem ist die Botschaft auch etwas missglückt, denn obschon Poppy so herzensgut ist, reagiert ihre Umwelt doch sehr brüsk auf sie. Das ist man aus Hollywood irgendwie anders gewöhnt. Lache und die Welt lacht mit dir. So war das doch, dachte ich. Und eigentlich funktioniert das auch im echten Leben. Wenn man freundlich ist, wird man meist auch freundlich behandelt. Egal. Mein erster Film von Mike Leigh lässt mich jetzt zwar nicht begeistert in die Videothek stürmen, um den Rest seiner Filmographie zu studieren, aber ist im Grunde doch ganz nett. Durchaus. Ein Gute-Laune-Film, denn man am besten auch schaut, wenn man selbst welche hat. Sonst geht sie einem nur auf die Nerven, diese grinsende Trulla: 6.5/10.
 
Bolt – Hier muss ich Abbitte leisten … let’s put a pin there. Nach dem Trailer war ich damals nicht sonderlich angetan, aber wie es scheint muss man Disneys Animation Bolt in ihrem Kontext sehen. Die ersten zehn Minuten sind zum Totlachen, köstlich wie hier mit den Genreklischees gespielt wird. Dann denke ich mir: Hach, wenigstens das, bevor nachher das auf Homeward Bound-Getrimme alles kaputt macht. Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Hier passt eigentlich fast alles, die Animation ist gelungen, die musikalische Untermalung sehr stimmig und John Travolta als Hund (look who’s talking, now) ein echter Gewinn - bitte nur noch Sprechrollen, Mr. Travolta. Die Story vom Filmhund, der in der realen Welt ohne seine Superkräfte (was er jedoch nicht weiß) versucht seine Besitzerin Penny zu retten, weiß zu unterhalten. Die vielen kleinen Referenzen zu X-Men, Finding Nemo, The Truman Show und Co. sind weniger Störfaktor als liebevolle Ergänzung zu einer ohnehin schon liebevollen Geschichte. Bedauerlich, dass der Film dennoch kaum eine Chance haben dürfte, bei den Academy Awards. Dafür scheint Wall•E ähnlich wie Heath Ledger schon viel zu sehr gebucht zu sein. Mit jener Arthouse-Mentalität des Pixar kann Byron Howards und Chris Williams’ Film zwar nicht mithalten – will er jedoch auch überhaupt nicht. Dafür ist der Unterhaltungsfaktor hier sehr viel höher als in Andrew Stantons redundantem (Wall•Eeeeee – Evaaaaa) Stück. Bisweilen jagt eine Pointe die nächste und auch die Sidekicks wie Rhino oder die Tauben (alle von ihnen) funktionieren prächtig. Für mich persönlich ist Bolt somit der amüsanteste der letztjährigen Animationsfilme, dem ich im Grunde auch den Sieg nächste Woche wünschen würde. Schon allein wegen solchen Dialogen: „What’s this red liquid coming from my paw?“ (Bolt) – „It’s called blood, hero!“ (Mittens) – „Do I need it?“ (Bolt). Einfach nur absolut ridonkulous: 8/10.
  The Duchess – Langsam wird’s echt mal Zeit, dass sich amnesty international einschaltet. So geht das doch nicht weiter, irgendwer muss Keira Knightley mal was zu essen geben. Wie hat es das EMPIRE Magazin in seiner Januar-Ausgabe so schön bezeichnet: Miss Knightley stand kurz davor, als Schrägstrich in Frost/Nixon besetzt zu werden. Hinzu kommt noch, dass sie unabhängig von ihrem Untergewicht (Knightley ist so dick wie einer der Arme von Herzogin Georgiana allein) gänzlich fehlbesetzt scheint und sah selten bubenhafter aus als in The Duchess. Dafür scheint sie einfach nicht geschaffen, in diesem Quasi-Remake von Sofia Coppolas Marie Antoinette – abzüglich der MTV-Elemente. Als Modeikone ihrer Zeit leidet sie unter der unerfüllten Ehe zu ihrem Gatten (einziger Lichtblick: Ralph Fiennes). Aus der unglücklichen Ehe entspinnt sich kurz darauf eine menage a trois, die sich schließlich zur Vierecksbeziehung wird (Haley Atwell und Dominic Cooper vervollständigen das Bild). Das ganze entspinnt sich um das klassische Streitthema der Primogenitur und der Affärenlandschaft im verruchten Mittelalter. Kennt man ja schon zur Genüge, weshalb einen Saul Dipps Film nicht wirklich zu fesseln weiß. Oder zu unterhalten. Ein Kostümfilm wie er im Buche steht, angereichert mit teilweise so dämlichen Szenen, dass man nicht umhin kann zu lachen und musikalischer Untermalung, die einen dazu anregt, sich zur Rettung Omas Stricknadeln in die Ohren zu rammen. Nee, nee, das war wohl nix, da schau ich doch lieber The Other Boleyn Girl, da ist wenigstens der Intrigenfaktor sehr viel höher und damit auch das Unterhaltungspotential. Und jetzt gebt doch der Keira bitte mal was zu Essen. Das ist ja nicht mit anzusehen: 2/10.

Entre les murs – Mit dem Cannes Festival ist es im Grunde wie mit jeder anderen Preisauszeichnungsveranstaltung auch: es gewinnt nicht immer der Film, der verdient hat zu gewinnen. Und manchmal tut er’s doch. Letztes Jahr ging die Palme d’Or an Laurent Cantets Entre les murs, die Verfilmung des gleichnamigen Romans des Literaten François Bégaudeau von 2006. Bégaudeau übernahm auch die Hauptrolle des liberalen Lehres Monsieur Marin, der jeden Tag in seine demoralisierte Klasse muss. Und auch die Schülerschaft in Frankreichs Beitrag für den Fremdsprachenoscar besteht aus Laiendarstellern, doch merkt man dem gesamten Ensemble seine Herkunft keineswegs an. Im Gegenteil, die darstellerischen Leistungen wirken sehr authentisch, wie ohnehin der gesamte Film von einer offensichtlichen Authentizität durchzogen ist. Dennoch ist Cantets Film irgendwie kein richtiger Film, sondern wirkt vielmehr wie eine wieder aufgefrischte Erinnerung an die eigene Schulzeit. Da gibt es Querulanten in der Klasse wie Esmeralda (Esmeralda Ouertani) oder Souleymane (Franck Keïta), bockige Arbeitsverweigerer wie Khoumba (Rachel Régulier) oder fleißige, allerdings sozial benachteiligte Schüler wie Wei (Wei Huang). Archetypen, wie sie jeder aus seiner eigenen Schulzeit kennt und während der Filmbetrachtung gleichermaßen im Kopf in Erinnerung ruft. Da die Thematik des Filmes so sehr aus dem Leben gegriffen ist, mutet dieser mitunter doch eher wie eine Art Dokumentarfilm an, denn ein ausgeklügeltes Drama. Innerhalb der Spanne eines Schuljahres versucht Bégaudeau die wenige vorhandene Bereitschaft der Jugendlichen sich am Unterricht zu beteiligen, aufzuzeigen. Da wissen Schüler nicht, was „Österreicherin“ heißt oder wie die erste Person Singular des Imperfekt Indikativ von „wachsen“ lautet. Erfreulicherweise ist Entre les murs frei von jeglichem amerikanischem anbiedernden Schulpathos a la Dangerous Minds oder Freedom Writers, wo die Lehrkraft überhöht dargestellt und als Retter der jungen Seelen verkauft wird. Exemplarisch hierfür die finale Szene des Filmes, wenn Marin die Klasse fragt, was sie dieses Jahr gelernt haben beziehungsweise was ihnen Spaß gemacht hat. Sein eigenes Fach, Französisch, wird nicht genannt. Eine Schülerin kommt nach dem Unterricht sogar auf ihn zu und gesteht betrübt, dass sie gar nichts gelernt hat. In diesem Sinne verfügt der Filme eigentlich über keine wirkliche Geschichte mit Anfang und Ende oder seine Hauptfigur über eine Katharsis. „Das ist mein viertes Jahr“, erläutert Marin zu Beginn bei der Vorstellung der neuen Lehrer. Er hat sich arrangiert mit der Schule und der Schülerschaft. Daher spiegelt der Film letztlich nur den Alltag wieder, der sich für Marin auch fortsetzen wird, wenn der Abspann für den Zuschauer schon läuft: 8/10.
 
Revanche – Tamara (Irina Potapenko) ist eine Prostituierte in Wien. Und sie ist hübsch. Sehr hübsch. Findet auch ihr Zuhälter, weswegen er Tamara in eine eigene kleine Wohnung stecken und zur Edel-Hure umfunktionieren will. Die Ukrainerin will darüber nachdenken, hat sich innerlich jedoch schon dagegen entschieden. Als einer ihrer Freier sie zusammenschlägt – nachdem er den Zuhälter für dieses Privileg bezahlt hat – schreitet Tamaras heimlicher Freund und Puff-Aushilfe Alex (Johannes Krisch) ein. Kurzerhand fliehen die beiden. Doch ihr schönes neues Leben auf Ibiza können sie erst wahr machen, wenn Alex’ Tamaras Schulden abbezahlt hat. Daher geht er auf eine Dorfbank, um Geld abzuheben. Allerdings nicht auf die gewöhnliche Art und Weise. Wie es der Zufall so will, macht der Streifenpolizist Robert (Andreas Lust) eine Routinekontrolle. Gerade bei Tamara, die im Fluchtwagen wartet. Als Alex kommt, muss schnell geflüchtet werden. Robert feuert einen Schuss auf die Reifen ab, trifft allerdings Tamara. Das Ereignis nimmt beide Männer mit. Als Alex, der bei seinem altersschwachen Großvater auf der Farm mithilft, erfährt, dass Robert die Straße weiter rauf lebt, beginnt er einen Plan zur Revanche zu schmieden. Götz Spielmann erzählt sein Drama über Liebe, Lust und Tod in stillen und größtenteils ruhigen Bildern. Selbst der Banküberfall geht praktisch friedlich von Statten und allein die Szene, in der Alex Tamara zu Hilfe kommt, weist eine eruptive Gewalt auf. Stattdessen alles schön gemach, nach alter österreichischer Tradition. Obschon sich die Handlung primär auf Alex konzentriert und mit Abstrichen noch auf Roberts Frau Susanne (Ursula Strauss), mit welcher Alex später eine Affäre eingeht, vernachlässigt Spielmann auch Roberts Innenleben nicht. In zwei, drei Einstellungen kehrt er dessen emotionalen Schmerz nach Außen, führt dem Publikum die Mitgenommenheit des Polizisten vor, der aufgrund seiner Labilität später sogar vom Dienst freigestellt wird. Damit klarkommen muss auch Susanne, die mit dem Kummer ihres Mannes nicht wirklich etwas anzufangen weiß. Dass sie sich schließlich Alex zuwendet hat einen Grund, der zum Ende hin auch erfüllt wird. Besonders stark ist die Szene, in der Susanne gegenüber der Frau eines Kollegen ihres Mannes, die schwanger ist, von ihrer eigenen Fehlgeburt erzählt. Wie Strauss kurz zusammenbricht, das Gesicht fallen lässt und sich doch sofort wieder fängt, das ist großartiges Schauspiel. Die Besetzung erweist sich als Geschenk, alle Figuren wurden punktgenau gecasted. In Verbindung mit der besonnen Regie, die sich oft voller Hingabe ihren Charakteren widmet, ist Revanche eine großartige Charakterstudie. Abseits von der etwas pathetischen Art eines Reservation Road gelingt es Spielmann die Geschichte auf ihre Essenz zu reduzieren. In dem Moment, als Alex erfährt dass Robert die Straße runter wohnt, rechnet der Zuschauer mit jener Eskalation, die im Genre den Sehgewohnheiten entspricht. Wie Spielmann mit dieser Situation umgeht und sie letztlich auflöst – sowohl im Großen wie im Kleinen – ist beeindruckend. Berücksichtigt man seine Konkurrenz, ist Revanche wahrscheinlich der stärkste Vertreter der diesjährigen Fremsprachenkategorie der Academy Awards. Dass er gewinnt – hinsichtlich der prätentiösen Heuchelei eines Waltz With Bashir und dem Vorjahresgewinn der Österreicher -, ist unwahrscheinlich. Aber auch losgelöst von dieser ohnehin nichtssagenden Preisverleihung, ist Spielmanns Film zu den gelungensten des Jahres zu zählen. Schon allein dank der Tatsache, dass ein österreichischer Film auf internationalem Niveau spielen kann. Ob es dem großen Bruder Deutschland gelingen wird, einen ähnlich starken Film dieses Jahr aufzubieten, ist zu bezweifeln: 8.5/10.
 
P.S.: W. – Oliver Stones Letzter spielt zwar keine Rolle für die Oscarverleihung dieses Jahr, aber den gibt’s einfach als Gratis-Geschenk oben drauf, weil ich sonst nicht wüsste wohin und mir das Ganze doch ein, zwei Zeilen wert ist. Amerikaner tougher Kritiker holt also zum Rundumschlag aus, jetzt, wo sich die Amtsperiode von George W. Bush dem Ende geneigt hat. Viele fragte sich: ist das jetzt Komödie, Satire, Drama oder einfach nur Scheiße? Ich selbst empfand den Film als Komödie. In den ersten Minuten. Da war er auch echt lustig, einfach weil er so authentisch war. Schließlich ist Bush so eine dämliche Person, dass man ihn nur lustig finden kann. Der Brüller – und die einzige Konstante in W. – ist aber sowieso Thandiwe Newton als Condoleezza Rice. Die Grimassen. Die Grimassen! Zum Totlachen, gerade weil Newtons Figur quasi für die Tonne ist, weil belanglos. Mein Favorit: Teufelchen Dick Cheney (Richard Dreyfuss) und Engelchen Colin Powell (toll: Jeffrey Wright) streiten darum, ob man grundlos den Irak angreifen soll. Condoleezza nickt brav und lächelt. Hätte nur noch gefehlt, dass Brolin sagt: „Honey, get us guys some beer, would ya?“. Aber back on track. Zumindest so halb. Nach einer Dreiviertelstunde wird W. dann etwas langweilig und ein Blick auf die Laufzeit (zwei Stunden!) zwingt mich zum Aufstöhnen. Irgendwie interessiert mich das Leben des Bush-Clans oder der Kampf zwischen Vater (James Cromwell) und Sohn nicht so richtig. Ohnehin liegt der Fokus des Films oft so, dass es wirkt, als wollte Stone Mitleid mit der Vollpflaume erzeugen. Not in my house. Seinen negativen Höhepunkt erhält dann das Engelchen und Teufelchen Szenario. Das erinnert mich grad an Fettes Brot: „Und während sich der Engel und der Teufel anschrein, entscheide ich mich für Ja, Nein, ich mein: Jein“. Das ist mir zu viel Beweihräucherung für Powell. Und der ganze Film ist mir zu wenig bissig, zu wenig demaskierend. Zu tolerant. Praktisch irgendwie Stones Antwort auf Helge Schneiders Mein Führer. Eine der böswilligsten Figuren der Zeitgeschichte als Loser dargestellt. Nee nee. Das Tragische ist, ich glaube mit Stone ist es allmählich echt vorbei. Pinkville geb ich ihm noch, aber danach mach ich langsam mal die Lichter aus: 4/10.

P.P.S.: Der Baader Meinhof Komplex – Dazu will ich keine großen Worte verlieren, alleine wegen der peinlichen Klausel zu den Pressevorführungen. Uli Edels und Bernd Eichingers Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung ist all das, was ich am deutschen Film verabscheue. Effekthascherei, überspielte Darsteller, punktlose Geschichten. Ein grauenhafter Film, wenn auch von technischer Seite bisweilen solide inszeniert. Allerdings letztlich nur ein zusammenhangloses Konglomerat aus historischen Photos, die Edel schick nachstellt mit seinem Who’s Who des deutschen Films. Da sind sich auch Jan Josef Liefers und Hannah Herzsprung (bei der hat mir echt das Herz geblutet, dass sie sich für so einen Rotz hergibt) sich nicht zu Schade Nebenrollen zu übernehmen. Schade, so muss man den grausigen Moritz Bleibtreu die meiste Zeit ertragen. Immerhin wird Alexandra Maria Lara relativ früh abgeknallt und was alle am Spiel der Gedeck fanden, erschließt sich mir auch nicht. Der größte Loser ist aber Bruno Ganz, dessen Figur dank Edels einseitiger Inszenierung (und teilweise Glorifizierung der Täter) im Grunde überflüssig da belanglos ist. Eine Schande, dass so was für den Oscar nominiert wird, selbst wenn da ohnehin dieses Jahr nicht grad berauschende Filme vertreten sind. Fehlt nur noch, dass er den Preis auch gewinnt. Dann lach ich mich ins Fäustchen: 3/10.

11. Februar 2009

Frost/Nixon

It’s like Paris without the French.

Ron Howard ist ja so ein Fall für sich. Ich mag Parenthood und The Paper (hauptsächlich wegen Keaton), ohne zugleich sagen zu wollen, dass sie gut sind. Bei How the Grinch Stole Christmas ist es eher so, dass ich aufgrund der Tatsache, dass ich Dr. Seuss Charakter vorher nicht kannte, Howards Arbeit schlecht einschätzen kann, obschon ich auch diesen Film mag. Über seine restlichen Filme – allen voran The Da Vinci Code – hülle ich lieber den Deckmantel des Schweigens. Was ich lustig finde, wo ich grad IMDb offen hab, ist, dass der gute Mr. Howard vor Frost/Nixon erst zweimal für einen Academy Award nominiert war (mit A Beautiful Mind). Dabei hatte ich eigentlich das Gefühl, dass das Ginger Kid so ein Kandidat ist, denn die depperte Academy jedes gefühlte zweite Jahr nominiert. So kann man sich irren.

Seinen neuesten Film findet jeder toll. So im Querschnitt pauschalisier ich jetzt mal und sag, dass er als 9/10 gehandelt wird. Und wenn ich so was hör, bin ich immer sehr skeptisch und meistens auch (siehe The Wrestler) auch zu Recht. Howard adaptiert Peter Morgans gleichnamiges Bühnenstück von 2006, welches wiederum die Ereignisse des Jahres 1977 adaptiert, in welchem der britische TV-Moderator David Frost in einem Fernsehinterview ein Quasi-Geständnis vom ehemaligen US-Präsidenten Richard Nixon bezüglich der Watergate-Affäre entlocken konnte. Das bedeutsamste Fernsehinterview in der Geschichte, unken manche über jenes Ereignis, dessen Inhalt sich mir selbst nicht sonderlich erschließen will. Dass Nixon etwas zugibt, von dem eh jeder weiß, dass er es getan hat, revolutioniert nun mal nicht mein Weltbild.

Frost/Nixon beginnt mit dem Rücktritt des 37. amerikanischen Präsidenten Richard Nixon (Frank Langella), verfolgt vom britischen Fernsehmoderator David Frost (Michael Sheen). Letzterer lässt sich die Quoten für Nixons Abschiedsrede geben und spürt, dass ein Interview mit dem großen Mann ein Hit werden könnte. Doch selbstverständlich will Tricky Dick nicht unbedingt über Watergate reden. Frost fragt also an und blitzt zuerst ab. Allerdings sind eine halbe Million Dollar immer noch eine halbe Million Dollar und in Anbetracht der Tatsache, dass Entertainer Frost nicht wirklich als Bedrohung empfunden wird, sagt Nixon letztlich zu. Dumm nur, dass Frost das Interview nicht an den Mann bringen konnte und nun auf den Ausgaben sitzen bleibt, während er sich mit seiner Freundin (Rebecca Hall) vergnügt und seine Experten (Sam Rockwell, Oliver Platt) sowie sein Produzent (Matthew Macfadyen) in der Zwischenzeit die Interviewrunden vorbereiten.

Die meiste Zeit des Filmes über bestätigt sich das Bild, welches Nixon und seine Berater (u.a. Kevin Bacon) von Frost hatten. Er ist ein stümperhafter Journalist, der sich unvorbereitet in die Interviews stürzt und dabei auch prompt auf die Nase fliegt. Für Frost zählt nicht der Inhalt des Interviews, sondern seine Quote. Da diese sich jedoch erst dadurch definieren lässt, dass das Interview an den Mann gebracht wird, was wiederum auf seinem Inhalt basiert, ist es relativ unverständlich, weshalb Frost erst kurz vor knapp anfängt sich mit der Materie vertraut zu machen. Howard selbst schenkt dem Publikum hierzu keinen wirklichen Einblick, sondern fokussiert sich eher darauf die klassische Underdog-Story zu propagieren. Frost, von vielen belächelt, rafft sich auf und zeigt allen was eine Harke ist. Und weil die letzte Interviewrunde so gut lief, erklärt er, spielt der Dilettantismus in den übrigen drei keine Rolle. Eine komische Einstellung, aber scheinbar hat sie funktioniert, wie die Rezeption in der Geschichte zeigt.

Historisch genau scheint die Portraitierung von Nixon nicht immer zu sein, wie einige seiner Biographen bemerkten. Aber es geht auch weniger um historical correctness, sondern darum eine Art Mediendrama zu inszenieren. Der Versuch von Howard, dem ganzen einen dokumentarischen Touch zu geben, misslingt dabei. Selbstverständlich wirken die gespielten Interviews der Beteiligten, welche die Ereignisse reflektieren, mehr als gestelzt. Sowieso eignet sich die Thematik des Filmes besser für einen Dokumentarfilm oder einen Essay, denn einen Abendfüllenden Spielfilm. Zu belanglos ist das Gesehene und zu uninteressant die Verpackung. Das bisweilen auftauchende Getue auf Thriller ist da nur die Spitze des Eisberges.

Getragen wird Frost/Nixon, der Titel sagt es schon, von den beiden historischen Persönlichkeiten Frost und Nixon. Sheen wiederum gibt den dauergrinsenden Stümper auch recht überzeugend und Langella wirkt zwar nicht unbedingt wie Nixon, aber spielt nichtsdestotrotz intensiv. Die belanglosen Nebenfiguren wie Bacon, Hall, Rockwell und Co. fallen nicht weiter auf, müssen sie ja aber auch nicht. Insgesamt betrachtet zählt der Film also innerhalb von Howards Biographie zu seinen besseren (oder wenn man will: guten) Werken. Allerdings hätte es hinsichtlich der Thematik nicht wirklich eines zweistündigen Kinofilmes bedurft, eine zweiseitige Retrospektive in einem größeren Magazin hätte denselben Effekt erzielen können. Oder die Sichtung des Originalinterviews. Wobei, da ist ja nur ein Teil interessant. Und der wiederum nicht unbedingt informativ. Somit dürfte Frost/Nixon ein Film sein, der keinem wirklich wehtut. Wo der Hype herkommt, frag ich mich trotzdem.

7/10

8. Februar 2009

Taken

I will look for you. I will find you. And I will kill you.

Er hat ihr davon abgeraten. Europa ist gefährlich. Scheiße gefährlich. Kein Wunder also, dass direkt der erste Franzose, den die 17-jährige Kim (Maggie Grace) am Pariser Flughafen trifft, sie wenige Minuten später an einen Menschenhändler-Ring verrät. Bienvenu à Paris. Als sie entführt wird, telefoniert die Tochter gerade mit ihrem Vater. Anstatt ihr zu sagen, dass sie die Polizei alarmieren soll, unterhält sich Papa lieber noch Mal mit seiner kleinen Prinzessin. Könnte ja das letzte Mal sein. Und immerhin stellt die Stimmanalyse seines Kumpels fest, dass es sich um Albaner handelt. Sogar das Dorf kann dieser aus einem Satzfetzen rausfiltern. Und dass sich diese Gruppe auf den Menschenhandel fokussiert, hört man durch den Dialekt auch raus. Diese Ruskies sind doch alle gleich. Wie viel Zeit er noch habe, fragt Papa und Ex-Agent Bryan Mills (Liam Neeson). 96 Stunden, so die Antwort. Ich schaff’s in zwei, erwartet man fast zu hören. Aber die Szene fiel wegen Glaubwürdigkeit wohl der Schere zum Opfer.

Auf geht’s, ab geht’s, 3 Tage wach. Oder 4. Die Fans drehen am Rad, die Bloggersphäre gleich mit. Was ´ne geile Scheiße, was Pierre Morel – der Kameramann solcher unsterblicher Klassiker wie Unleashed und War – hier abliefert. Da gibt’s einen Liam Neeson als toughen Motherfucker, der Rambo aussehen lässt wie einen bebrillten Computer-Nerd, und französische Geheimagenten die tatsächlich auf den Namen „Jean-Claude“ hören und abends ein Baguette unterm Arm zum Abendessen mitbringen. Entweder das, oder ein blinder, alkoholabhängiger Affe fungiert für ihn als Ghost Writer. Anders lässt sich Taken, der wohl aufgrund von Steven Spielbergs depperter gleichnamiger Fernsehserie von anno Domini in 96 Hours umgetauft wurde, nicht erklären. Wunderschön übrigens, wie eine 26-jährige Maggie Grace hier ein unschuldiges 17-jähriges Mädchen gibt. Schade dass sie nicht Kim Basinger für die Rolle bekommen haben, aber die ersetzt bestimmt grad in irgendeinem anderen Projekt Dakota Fanning.

Wenn man gewillt wäre, könnte man meinen, Morel spielt ganz nett mit den Klischees des Genres. Wenn dem nur so wäre, denn der spielt gar nicht mehr, der Morel, nee. Der macht Ernst! So verkommt Taken ganz und gar zu einem einzigen Klischee und zwar einem der ziemlich bitteren Sorte. Da werden Menschen von Lastern überfahren (aber mit Ansage – 1, 2, 3, Brei!) und Deckenverankerungen glücklicherweise locker, damit man mal eben die Leute platt machen kann, die einen zuvor noch selbst platt machen wollten. Zok! Pow! Ja, das ist Balsam auf die Seele, wird sich auch Donald Rumsfeld denken, wenn er sich das Teil anschaut. Good ol’ Europe, da wo die Albaner unschuldige Amerikanerinnen entführen und die französische Regierung fett in die eigenen Taschen schaufelt, damit brav weggesehen wird. Disgusting, so was. Wäre sie nur in den US and A geblieben. Wobei, da will sie Sängerin werden und kurz zuvor ist Holly Valance fast abgemurkst worden, wäre Liam Neeson nicht gewesen.

Doch Häuptling Adlerauge hat aufgepasst und das Szenario mal schnell entlarvt. Denn der gute Super-Agent Mills sollte nur als “Don’t fuck with me or I fuck with you“-Guy eingeführt werden. Ho, ho, Monsieur Morel, Sie alter Fuchs, Sie! Gut, hören wir auf mit all den Albernheiten. Die Prämisse des Filmes ist dämlicher als dämlich, die Einleitung und das Ende sowieso. Ich will nicht weiter drauf rumhacken, selbst wenn ich wollte (und das könnte ich). Fassen wir einfach zusammen, dass Taken nicht die Unze eines Inhalts besitzt. Nie zu irgendeinem Zeitpunkt (halbwegs) glaubwürdig erscheint. Abstrahiert von all diesen Punkten, die normalerweise einen Film ausmachen, weiß Morels zweiter Spielfilm streckenweise sogar zu unterhalten. Richtig gelesen. Wobei dies davon abhängig ist, wie man „Strecken“ definiert. Also nicht im Sinne von Le Mans. Eher im Sinne von: Wie viele Meter kann eine Schnecke in zwei Sekunden zurücklegen?

Aber Butter bei die Fische. Maggie Grace und Famke Janssen kann man vergessen. Ohnehin ist das hier die Liam-Neeson-Show und man kriegt auch was für sein Geld. Die Story ist für die Katz, macht nie Sinn und die 0815-Verfechter werden sagen, dass sie das auch nicht will. Daher lieben den Film auch alle Blogger. Aber zurück zum Thema. Gelegentlich macht Taken sogar Spaß, weil es doch irgendwie Style hat, wie Liam Neeson in aller Seelenruhe Albaner verkloppt oder die Frauen seiner Kollegen anschießt. Yeah, Baby, Yeah. Lock and load. Das ist aber irgendwie nur in der Mitte des Filmes der Fall, das Ende wird dann doch recht überhastet abgespult. Mon dieu, Pierre. Pourquoi? Alles in allem ist das neueste Vehikel von Luc Besson ein adäquater Vertreter dessen Stumpfsinns-Œuvres, das bisweilen kurzzeitig Karten für die Entertainmentachterbahn löst, nur um letztlich von den Sicherheitskräften hinaus eskortiert zu werden, weil die erforderliche Größe nicht beachtet wurde.

3/10

He's Just Not That Into You

Ken Kwapis zeichnete sich als Regisseur einiger Episoden der kultigen Sitcoms The Office und Malcolm in the Middle aus. Seine Kinokomödien wie Licence to Wed stinken dagegen meist gewaltig. So auch sein neuestes Vehikel, welches stargespickt bis zum Anschlag daherkommt. Einen Grund sich das dennoch anzutun wäre die atemberaubende Jennifer Connelly. Meine Besprechung zum Film findet sich beim MANIFEST.

3.5/10