12. Januar 2010

Traffic

It's all about the money.

Man stelle sich vor, ein Mann läuft durch ein kleines Dorf. Er fragt alle Einwohner, ob sie Orangen hätten. Ob sie ihm welche verkaufen könnten. Aber es hat niemand Orangen. Am nächsten Tag kommt ein anderer Mann ins Dorf. Auch er fragt die Einwohner nach Orangen. Auch er verlässt das Dorf ohne das Obst. Dieses Spiel wiederholt sich noch mehrere Tage. Gegebenenfalls Wochen. Immer wieder fragen Männer nach Orangen. Irgendwann beginnt einer der Dorfbewohner in die Berge aufzubrechen. Er findet Orangen und nimmt eine Wagenladung mit in sein Dorf. Als das nächste Mal ein Mann ins Dorf kommt und nach Orangen fragt, verkauft er diesem welche. Er deckt mit seinem Angebot die Nachfrage. Je mehr Leute nach Orangen fragen, desto mehr Umsatz macht er. Nun sind Orangen keine Drogen und dementsprechend auch nicht illegal. Aber das Beispiel veranschaulicht sehr gut, dass im Kampf gegen die Drogen nicht die Dealer das Problem sind, sondern die Konsumenten.

In Steven Soderberghs Film Traffic, einer Spielfilmadaption der britischen Fernsehserie Traffik von 1989, legt Drehbuchautor Stephen Gaghan einer Figur eine ähnliche, wenn auch näher an der Materie liegende Ausführung in den Mund. Der amerikanische Richter Robert Wakefield (Michael Douglas) wird zum Direktor der Nationalen Drogenbekämpfungsbehörde befördert. Nichtsahnend, dass seine eigene 16-jährige Tochter Caroline (Erika Christensen) bereits der Drogensucht zum Opfer gefallen ist. Als diese nach einer ersten Rehabilitationsmaßnahme ausbüxt, macht er sich mit ihrem Klassenkameraden und Drogenversorger Seth (Topher Grace) auf die Suche nach ihr. In einem eher heruntergekommenen Viertel von Cincinnati scheint der Familienvater zu kapitulieren. Die Straßen sind bevölkert von Afroamerikanern, die an jedem Hauseingang nur darauf warten, Geschäfte machen zu können. Verbittert und angewidert presst Wakefield hervor, an welchen Ort Seth seine Tochter gebracht habe. „To this place?“, wiederholt dieser ungläubig. „What is that shit?”

Seth führt sein Beispiel an. Von Hunderttausenden Weißen, die in den Innenstädten jeden Schwarzen fragen würden: „You got any drugs? You know where I can score some drugs?” Die Männer also, die nach Orangen fragen. „Think about the effect that that has on the psyche of a black person, on their possibilities?”, echauffiert sich Seth. Sein Gegenbeispiel sieht vor, dass Hunderttausende Afroamerikaner in die Vororte der kaukasischen Bevölkerung fahren und jeden Weißen nach Drogen fragen. „Within a day, everyone would be selling. Your friends. Their kids”, behauptet der Schüler. Drogenhandel sei eine „unbeatable market force“ mit „three hundred percent markup value”. Für zwei Stunden Arbeit verdiene man am Tag fünfhundert Dollar. Der Rest des Tages stünde zur freien Verfügung. „And…I’m sorry. You’re telling me… you’re telling me that white people would still be going to law school?”, lautet Seths ungläubiges Fazit. Wakefield entgegnet ihm nichts. Sei es, weil er nicht antworten will oder er keine Antwort weiß.

Orangen sind keine Drogen. Sie mache nicht süchtig, sind im Gegenteil sogar gesund. Niemand würde sich daran stören, wenn man Orangen verkauft. Tatsächlich stört sich auch niemand daran. Die Drogenpolitik in der Gesellschaft ist nun variabel. In Deutschland klammert das Betäubungsmittelgesetz Drogen wie Nikotin, Koffein und Alkohol aus seinen Bestimmungen aus. Im Jahr 2007 wurden in Deutschland 532 000 Patientinnen und Patienten „infolge des Konsums von sogenannten legalen Drogen vollstationär behandelt“, wie das Bundesamt für Statistik mitteilt. Dem gegenüber stehen 80 000 vollstationäre Behandlungen infolge des Konsums von illegalen Drogen. Daraus ließe sich nun lesen, dass die Zahl deswegen nur 80 000 beziffert, eben weil diese Drogen illegal sind. Was jedoch zur Folge hätte, dass man im Sinne des Allgemeinwohls handeln würde, wenn man auch die so genannten „legalen“ Drogen rechtlich verbieten lassen würde.

In 43 Prozent aller Länder wird ein Anstieg des Drogenhandels verzeichnet. Über 25 Prozent aller Nordamerikaner und Mitteleuropäer konsumieren zumindest ein Mal in ihrem Leben Cannabis. Ebenfalls über 25 Prozent konsumieren die Droge ihr Leben lang. Im Jahr 2008 lag die Zahl der Menschen, die zumindest ein Mal Drogen gleich welcher Art genommen haben bei 172-250 Millionen Personen zwischen 15 und 64 Jahren. Das heißt, dass 2008 beinahe 1,5 Prozent der Weltbevölkerung illegale Drogen konsumiert hat. Unabhängig davon, dass dies gesetzlich verboten ist. Es besteht eine Nachfrage und diese wird gedeckt. In den USA werden jedes Jahr bis zu 50 Milliarden Dollar über den Drogenhandel umgesetzt. Die Hälfte davon wandert zur Geldwäsche nach Mexiko, das zugleich den Hauptmarkt für den amerikanischen Drogenhandel darstellt. Neunzig Prozent des Kokains, das in die Staaten wandert, wird über Mexiko geschmuggelt.

Die Drogenbekämpfungsbehörde, deren Vertreter Michael Douglas in Traffic nun repräsentiert, gibt es in den USA seit 1988. Vor sieben Jahren gaben die USA über 13 Milliarden Dollar für ihren Krieg gegen die Drogen aus. „Our budgetary process (..) makes us pale in comparison“, legt Gaghan im Film einem Regierungsverteter in den Mund, als dieser Robert Wakefield erklärt, wie sich das Budget der USA gegenüber dem der Drogenkartelle verhält. 13 Milliarden Dollar im Jahr entsprach 2003 einer Ausgabe von 600 US-Dollar pro Sekunde. Aktuell hat sich diese Zahl verdreifacht. Sprich, pro Sekunde geben die USA 1.800 Dollar für den Kampf gegen den illegalen Drogenhandel aus. Als Resultat lässt sich vorweisen, dass innerhalb der letzten neun Jahre – also seit Ausstrahlung von Traffic – der Zugang amerikanischer Schüler zu Kokain um nahezu sechs Prozent gefallen ist. Dafür nimmt jedoch der Cannabis-Konsum zu. Allein 2010 wurden bereits über 25.000 Personen diesbezüglich festgenommen.

Ein scheinbar aussichtsloser Kampf, der sich wohl auch nicht gewinnen lässt. Traffic fängt diesen Kampf hinsichtlich seiner oberflächlichen Präsentation sehr gut ein. Gaghan teilt seine Handlung auf, in drei, wenn man generös ist auch vier, individuelle Geschichten. Er widmet sich der Drogenbekämpfung sowie der Auswirkungen des Drogenhandels und –konsums auf amerikanische Familien. Die drei Handlungsstränge werden dabei als Hilfestellung für den Zuschauer durch Farbfilter voneinander getrennt. Dem Geschehen in Mexiko widmet sich Soderbergh dementsprechend in Sepia-Tönung und Handkamera. Erzählt wird die Geschichte des Polizeiermittlers Javier Rodriguez Rodriguez (Benicio Del Toro), der in einen Strudel aus Korruption hineingerät. Die blau gefärbten Bilder rund um die Familie Wakefield hingegen beschäftigen sich mit den Auswirkungen von Drogen im kleinen Raum. Und die sehr hellen und klaren Bilder rund um Helena Ayala (Catherine Zeta-Jones) und den Drogen-Prozess gegen ihren Mann, sowie ebenjene Ermittlung von DEA-Agent Montel Gordon (Don Cheadle) bilden letztlich nochmals eine Zusammenfassung der beiden Segmente.

Nimmt man an, dass die 140 Minuten Laufzeit distributiv auf die drei Segmente entfallen, müsste jeder der Handlungsstränge eine Dreiviertelstunde laufen. Wie in Episodenfilme oft gepflegt, verwebt Gaghan die Geschichten an manchen Stellen, wenn auch nicht sonderlich gezwungen oder plakativ. Jedes Segment fängt sehr schön die Ohnmacht ein, welche die jeweiligen Figuren überfällt. Und doch lässt Gaghan jede Geschichte auf einer positiven Note enden. Auf einem Hoffnungsschimmer. Wenn Gordon am Ende seine Ermittlungen von vorne beginnt bzw. weiterführt. Wenn Caroline Wakefield sich erneut in die Rehabilitation begibt und ihr Vater zur Unterstützung seinen Posten in Washington D.C. aufgibt. Wenn Javier in der Schlusseinstellung ein von Flutlicht beleuchtetes Baseballspiel beobachtet. Während die Ayala-Handlung lediglich andeutet, dass man nicht aufgeben soll, versucht Gaghan in den anderen Fällen Lösungsvorschläge anzubieten.

Sowohl die Wakefield-Handlung als auch die in Mexiko veranschaulichen, dass das Problem an der Wurzel bekämpft werden muss. Und dass diese Wurzel nicht die Drogenkartelle in Mexiko sind. Robert Wakefield erkennt, dass er den Kampf gegen die Drogen zuerst Zuhause in seiner eigenen Familie beginnen muss. Denn wenn er ihn dort nicht gewinnt, ist er in Mexiko bereits verloren. Ähnlich verhält es sich bei Javier, der mit den amerikanischen Behörden zusammen arbeitet. Als diese ihm Geld für seine Informationen anbieten, lehnt er ab. „We need lights for the parks so kids can play at night. So it’s safe. So they can play baseball. So they no become burros para los malones. Everybody likes baseball. Everybody likes parks. Listen, I believe it’s important that the United States take an interest in Tijuana now.” Das Interesse der USA an Tijuana liest sich als Spiegelbild für das Interesse an den eigenen Kindern. Seien es die Mexikanischen, die von der Straße geholt werden sollen, oder die Töchter und Söhne, denen in der Rehabilitation Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. „We’re here to listen“, erklärt Wakefield zum Schluss.

Die beiden Handlungsstränge ergänzen sich somit sehr gut, wohingegen das Segment über den Ayala-Prozess etwas heraus fällt. Während der eine Teil rund um die Bewachung des Kronzeugen (Miguel Ferrer) von Gordon und Ray Castro (Luis Guzmán) „lediglich“ veranschaulicht, dass die Mühlen des amerikanischen Justizapparates langsam und mühsam mahlen, präsentiert der zweite Teil um Helena Ayala zumindest die interessante Note, wozu eine großbürgerliche Frau im Stande ist, um ihren gesellschaftlichen Status aufrecht zu erhalten. In ihrer Botschaft gleicht sich jedoch auch diese Episode wieder an die anderen Beiden an. Eine Botschaft, die wie auch die Übrigen ein Echo in einem Monolog erfährt. Beziehungsweise in diesem Fall in einer Anekdote von Wakefields Vorgänger (James Brolin), die auf humoristische Weise den Teufelskreis beschreibt, in welchem sich die Figuren in Traffic, aber auch ihre Spiegelbilder in der Realität befinden.

Die Anekdote erzählt von Nikita Sergejewitsch Chruschtschow, dem ehemaligen Regierungschef der Sowjetunion. Dieser soll seinem Nachfolger (vermutlich Breschnew) bei seiner Amtsübergabe zwei Briefe geschrieben haben. Sollte sein Nachfolger in eine Situation geraten, aus der er keinen Ausweg findet, würde er Rettung im ersten Brief finden. Sollte es zu einer weiteren Situation kommen, würde er Rat im zweiten Brief finden. Schon bald fand sich Chruschtschows Nachfolger in einer solchen Situation und öffnete den ersten Brief. „Blame everything on me”, stand in diesem und so schob der Nachfolger alles auf seinen Vorgänger. Alles verlief bestens, aber es folgte natürlich eine weitere Situation. Der Nachfolger nahm den zweiten Brief zur Hand und öffnete ihn. „Sit down and write two letters”, stand in diesem. Auch Traffic passt sich dieser Anekdote an und öffnet zum Schluss seinen ersten Umschlag. Sehr

6/10

2 Kommentare:

  1. Ich mochte den noch nie... Schon zwei Versuche gestartet und immer abgebrochen. Schon diese eklige Visualisierung (zumindest habe ich so eine in Erinnerung) machten mir den zunichte. Von Soderbergh halte ich ohnehin nicht viel.

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  2. Einer der allerfürchterlichsten Filme der letzten 10 Jahre. Nicht formal, eher wegen seiner inhaltlichen Begrenztheit.

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