27. Februar 2010

A Clockwork Orange [Uhrwerk Orange]

What’s it going to be then, eh?

Es vergeht kaum eine Woche ohne dass in Deutschland Jugendliche andere Menschen auf offener Straße oder in Bus und Bahn krankenhausreif prügeln. Dank der Medien ein allgegenwärtiges Thema, aber kein rein aktuelles. So erzählte Stanley Kubricks A Clockwork Orange vor fast 40 Jahren bereits die Geschichte gewaltgeiler junger Delinquenten. Der Film selbst basierte dabei auf dem gleichnamigen Roman von Anthony Burgess, der gut zehn Jahre zuvor erschien, ein Jahr nach den Jugend-Gangs in West Side Story. Auch Rebel Without a Cause zeigt, dass Jugendgewalt schon 1955 ihren Weg ins Kino fand. Zwar erklärt das Bundesamt für Statistik, dass die Zahl jugendlicher Straftäter seit 1990 kontinuierlich gestiegen ist, ein neues Phänomen ist die Gewaltbereitschaft junger Menschen deshalb keineswegs. So wenig Jugendgewalt in dieser Hinsicht aktuell ist, desto aktueller ist aber vielleicht gerade Burgess’ Kultroman über die Katharsis des jungen Alex.

Burgess präsentiert seinem Leser mit Alex, der selbst als “your humble narrator” gelegentlich die vierte Wand durchbricht, einen durchweg unsympathischen Charakter. Einen 15-jährigen Delinquenten, in Kubricks Film vom damals 27-jährigen Malcolm McDowell kongenial porträtiert, der sein Elternhaus sowie die unmittelbare Umgebung terrorisiert. Alex und seine Freunde leben in ihrer eigenen Welt mit ihrer eigenen Sprache. “Nadsat“ nannte Burgess sein Mischmasch aus Russisch und Englisch, das von “droogs” (Kumpel), “tolchocks” (Schlägen), “twenty-to-one” (Gewalt) und anderen “veshches” (Dingen) erzählt. Was in der Reclam-Ausgabe mittels Fußnoten funktioniert, steht im Film für sich. Verständlich, dass Kubrick nicht unentwegt in “nadsat” verfällt, mehr als löblich, dass er dieses dennoch unkommentiert in A Clockwork Orange integriert hat. Wie ohnehin der Film weitestgehend perfekt Anthony Burgess’ literarische Vorlage adaptiert.

“The night belonged to me and my droogs and all the rest of the nadsats, (…) but the day was for the starry ones”, erklärt Alex im Buch an einer Stelle. Es gibt also eine Aufspaltung in Tag und Nacht, während Letzterer man sich am besten nicht nach draußen traut (was auch Alex’ Vater bestätigt). Die Nacht gehört den Jugendlichen, die ihr Unheil treiben, von Diebstahl über “twenty-to-one” bis hin zur “ultra-violence” (Vergewaltigung). Ein durchschnittlicher Abend für Alex und seine “droogs”, die sich in billigen Kneipen von alten Alkoholikerinnen ein Alibi durch Freigetränke erkaufen. Kubrick adaptiert einen solchen Abend zu Beginn nahezu identisch aus Burgess’ Roman, der die gesamte Palette der Grausamkeiten beinhaltet. Selbst andere Jugendbanden wie die von Billyboy werden aufgemischt, sodass Alex in jener Szene sogar wie ein Ritter in schillernder Rüstung wirkt, wenn er Billyboys “devotchka” (Mädchen) vor dessen “ultra-violence” rettet.

Seiner Zeit war A Clockwork Orange ein Skandalfilm, der für den britischen Markt erst 2000 wieder zugänglich gemacht als Nachahmer ihr Unwesen im Königreich getrieben hatten. Dabei ist der Film selbst sehr viel entschärfter als Burgess’ Roman, angefangen mit der Vergewaltigung von Mrs. Alexander in der Mitte des ersten Teils. Diese wird lediglich angedeutet, jedoch vollkommen ausgeblendet. Hinzu kommt Alex’ Bekanntschaft im Plattenladen, in der zum einen die beiden “devotchkas” nicht 10 Jahre alt sind, sondern eher im selben Alter wie Alex selbst. Zugleich erscheint ihre Ménage à trois einvernehmlich und nicht wie die Vergewaltigung zweier unschuldiger Kinder. Später wird Kubrick zudem Alex’ zweiten und im Gefängnis verübten Mord aussparen, wie der Film auch im weiteren Verlauf was die Gewalt angeht – man denke an Alex’ Aufeinandertreffen mit Dim und Pete – nie wirklich schockieren kann, geschweige denn dies überhaupt will.

Schockierender als die explizite Darstellung der Gewalt scheint also allein ihre Thematisierung zu sein, selbst wenn Kubrick sie nicht mit der Kamera einfängt. Eine Selbstreflexion der Jugendlichen findet nicht statt, weder im Film, noch im Roman. “They don’t go into what is the cause of goodness, so why of the other shop?”, ist Alex das Thema im Buch auch leid. Was er und seine “droogs” verbrechen, machen sie aus Spaß an der Freude. Der Konsequenzen sind sie sich dabei bewusst. “If I get loveted, well, too bad for me”, meint Alex dort. Woher der Spaß am Leid der Anderen kommt, wird nicht erörtert. Eine perverse Befriedigung, wie man sie eben in jüngeren Jahren gelegentlich verspüren mag. Die Ironie ist, dass sich Alex im ersten Teil der Handlung gar nicht bewusst ist, dass ihm die Sympathie seiner Leser beziehungsweise Zuschauer fehlt. Die Wendung, die Burgess betreibt, ist die, dass sich dies im Laufe der nächsten beiden Kapitel ändern wird.

Es ist Alex’ Liebe zur klassischen Musik, die ihn von seinen “droogs” abhebt und letztlich den weiteren Verlauf seines Lebens bestimmt. Ein Zwist mit Dim & Co. führt zu jenem Überfall, der eine alte “ptitsa” (Frau) das Leben und Alex durch den Verrat seiner “droogs” die Freiheit kosten wird. Er hat sein Glück ausgereizt, es kommt, was kommen musste und absehbar war. Dem Aufenthalt im Gefängnis widmet sich Kubrick nur sporadisch. In wenigen Szenen wird die Brücke zum Ludovico-Programm geschlagen. Einer Idee des neuen Innenministers, die – und darauf kommt es Alex an – Straferlass gewährt. Hier beginnt die Moralitätsfrage der Geschichte einzusetzen, wenn Burgess und Kubrick das Konditionierungsprogramm der Ludovico-Technik vorstellen. Eine ungewollte Auseinandersetzung mit Gewaltdarstellungen und ein Serum sollen zu einem korrigierten Verhalten führen. Was Alex im Begriff ist für seine Freiheit aufzugeben, ist nichts weniger, als seine Menschlichkeit.

“Goodness comes from within (..) Goodness is something chosen. When a man cannot choose, he ceases to be a man”, erklärt der Gefängniskaplan Alex, als dieser zum ersten Mal das Ludovico-Programm zur Sprache bringt. Bevor Alex dank seiner Bestrebungen ins Programm aufgenommen wird, erneuert der Kaplan seine Warnung: “What does God want? Does God want goodness or the choice of goodness? Is a man who chooses the bad perhaps in some way better than a man who has the good imposed upon him?” Wenn ein Mensch sich nun gut verhält, weil er so konditioniert ist, ist er dann noch ein Mensch, da sich dieser ja durch die Eigenschaft seines freien Willens auszeichnet? Heiligt der Zweck der sozialen Integration die Mittel, die dazu nötig sind? Alex denkt natürlich nicht soweit, sieht lediglich die Freiheit als Folge all dieser medizinischen Experimente. Dass er infolgedessen seine geliebte Musik opfern muss, ahnt er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Die vermeintliche Resozialisierung geschieht und nach einer öffentlichen Demütigung als Demonstration ist Alex äußerlich frei, sein Wille bleibt jedoch eingesperrt. Damit er nun endlich merkt, in welcher Lage er sich befindet, wiederholen sich im dritten Teil der Geschichte die Ereignisse des Beginns. Zu Hause ist Alex nicht mehr willkommen, bemitleidenswert in die Ferne starrend wird er von einem ehemaligen Opfer wiedererkannt und muss selbst “tolchocks” einstecken. Gewalt erzeugt Gegengewalt, das machen nicht nur der Obdachlose und seine Kumpanen deutlich, sondern auch Dim und Pete, die inzwischen bei der Polizei gelandet sind und nun ihrem ehemaligem Peiniger gegenüberstehen. Am deutlichsten wird dies in der Darstellung von Mr. Alexander (Patrick Magee), der vom Opfer zum Täter mutiert und Alex vice versa. Ein Kreislauf, den Kubrick zum Schluss abschließt, auch wenn die eigentliche Geschichte von Burgess im Roman hier noch gar nicht endet.

Kubrick verwehrt uns die Moral von der Geschichte, scheint Alex nach seinem Suizidversuch wieder „normal“, womit das Dilemma im Grunde von vorne startet. In Burgess’ 21. Kapitel beginnt derweil Alex’ Metanoia: Vom Staat wird er mit einem ansprechenden Arbeitsplatz versehen, wo er nicht nur gut verdient, sondern auch seine geliebte Musik hören kann. Als er dann mit seinen neuen “droogs” in seiner alten Bar sitzt, realisiert Alex, dass er dieses Lebens überdrüssig wird. Bei den “tolchocks” schaut er nur noch zu und auf Raubzüge möchte er auch nicht gehen. Seine Katharsis vollzieht sich schließlich vollends, als er in Pete einen seiner alten “droogs” in einem Cafe trifft. “I was like growing up”, resümiert Alex, nachdem in ihm plötzlich die innere Sehnsucht nach einer Familie angefacht wird. “Youth must go”, reinterpretiert er im Grunde die Worte Paulus’ aus dem 1. Kor., Kapitel 13, Vers 11 („Als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war“).

Mit dem Alter kommt die Weisheit. So erklärt das Bundesamt für Statistik, dass die Gewaltverbrechen der Jugendlichen im Alter zurückgehen. Und nicht von ungefähr umfasst Burgess’ Geschichte 21 Kapitel, ist dies doch jenes Alter, in dem weithin der Reifeprozess als abgeschlossen erachtet wird. Eine hoffnungsvolle Note, die sicher nicht für alle betroffenen Jugendlichen zutrifft, aber doch bei einigen. Im jugendlichen Akt der Rebellion gegen die Eltern und das System muss die Einsicht von selbst erfolgen, dass Letzteres notwendig und sinnvoll ist. “Goodness is something chosen”, sagte der Kaplan. Mit Güte wird man nicht geboren, sondern sie ist etwas, das man wählt. Nicht grundsätzlich, sondern immer wieder. Nicht alle Jugendliche, die gegenwärtig Leute in öffentlichen Verkehrsmitteln schlagen, werden in zehn Jahren ganz „normal“ leben. Aber einige. Wie auch in zehn Jahren vermutlich noch Jugendgewalt ein Thema sein wird. Und weitere zehn Jahre danach.

Ein Kreislauf, dessen sich auch Alex bewusst wird und den Kubrick der Figur in seiner Adaption versagt. Er stellt ihn vielmehr als unbelehrbar dar. So gelungen A Clockwork Orange bis dahin auch war, ist das Ende des Filmes doch fehlgeleitet und seiner eigentlichen Botschaft beraubt. Zugleich reflektiert Alex auch bei Burgess nicht über sein Handeln, sieht nicht ein, dass er sich falsch verhalten hat. Er ist bloß seiner Handlungen überdrüssig. Ein wirklicher Zugang zur Figur scheint somit weder bei Kubrick noch bei Burgess möglich. Letztlich bleibt es vermutlich ein reines Problem der Pubertät, das heute so aktuell ist, wie es schon immer war. Schließlich soll bereits Sokrates gesagt haben: „Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“ Und wieso sollte sich ändern, was bereits vor 2.400 Jahren Gültigkeit besaß?

8.5/10

24. Februar 2010

Food, Inc.

You’re eating meat that’s been produced by the system.

In Deutschland gibt es das Sprichwort: Man ist, was man isst. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass die eigene Gesundheit zu einem Großteil von der Ernährung abhängig gemacht wird. Und wo einerseits immer vom Welthunger gesprochen wird, steht dem wiederum andererseits die Fettleibigkeit der Welt gegenüber. Über eine Milliarde Menschen hungern, fast 350 Millionen wiederum leiden an Fettleibigkeit. Dass es sich hierbei primär um Westler handelt, dürfte klar sein. Mit 97 Millionen Menschen nehmen die Vereinigten Staaten von Amerika hier die Spitzenposition ein. Beinahe jeder dritte fettleibige Mensch ist somit US-Staatsbürger. Eine Quote, die auch in den USA selbst zum Tragen kommt, wo jeder Dritte Amerikaner an Fettleibigkeit und jeder Vierte an Übergewicht leidet. In einem Land mit derartiger Sozialversicherung durchaus ein ernst zu nehmendes Problem. Speziell wenn sich bewahrheitet, was Robert Kenner in seiner Dokumentation Food, Inc. prognostiziert.

Gemeinsam mit den Journalisten und Buchautoren Eric Schlosser und Michael Pollan wirft Kenner einen Blick nicht nur auf das amerikanische Lebensmittelsystem, sondern auch auf die Effekte, die dieses für die Landwirtschaft hat. Lobbyismus und Korruption soweit das Auge reicht. Und hinter allem natürlich der Versuch, die Geschehnisse und insbesondere die Lebensmittelherstellung der Bevölkerung gegenüber zu verschleiern. Damit diese nicht erfahren, was alles in ihrem Essen ist und auch nicht, wie dieses zubereitet wird. „If you knew, you might not want to eat it“, lautet eines der frühen Resümees. Dass sich die Ernährung als Ganzes innerhalb der letzten fünfzig Jahre mehr verändert hat, wie die eintausend Jahre davor, ist keineswegs ein Geheimnis. Dennoch rekapituliert Kenner zu Beginn des Filmes in einer Kurzzusammenfassung - bei der die für Dokumentationen scheinbar obligatorisch gewordenen Animationen und Grafiken nicht fehlen dürfen - den Weg, welchen die Lebensmittelgesellschaft im 20. Jahrhundert genommen hat.

Unser Essen kommt inzwischen kaum noch von Farmen, sondern aus Fabriken („This isn’t farming, this is mass production“). Die Idee hierzu hatten angeblich die Gebrüder Richard und Maurice McDonald für ihre Fast-Food-Kette. Hier wurde das Arbeitsschema der Fabrik übernommen, wo jeder sich auf eine Aufgabe beschränkt und die einzelnen Aufgaben in Fließbandarbeit zu einem fertigen Produkt führen. Und ähnlich wie beispielsweise im Verlagswesen, werden hier verschiedene Subunternehmen zusammengeführt. So kommt es, dass die meisten Farmen einer verschiedenen Firma zuarbeiten. Wer nicht kuscht, ist auf sich allein gestellt. Was oft gleichbedeutend mit dem beruflichen Aus ist. Und weil Firmen auf Gewinn aus sind - was im Kapitalismus an sicht natürlich nicht verwerflich ist -, wird alles für die Gewinnmaximierung getan. Wenn unterwegs nicht nur die Gesundheit der Bevölkerung auf der Strecke bleibt, sondern auch die betreffenden Tiere in KZ-ähnlichen Zuständen gehalten werden, interessiert das niemanden.

Zumindest solange nicht, wie keiner mit dem Finger drauf zeigt. Auf lebende Kühe, die mit einem Gabelstapler umgefahren werden. Auf 32.000 Schweine, die in einem einzelnen Schlachthaus pro Tag geschlachtet werden. Oder fast schon euthanasiert. Eine Aufnahme Kenners zeigt, wie mehrere Säue zusammengepfercht in eine abgeschlossene Kammer transportiert werden, um kurz darauf tot am anderen Ende wieder zu erscheinen. Grauenvolle Bilder, wie man sie so nur aus Bildern des Holocausts kennt. Nicht besser die Hühnerzucht, wo Verordnungen lauten, dass die Hühner während ihrer 48 Lebenstage in abgedunkelten Hütten leben, ohne je Sonnenlicht zu sehen. Jene Hühner wurden dabei genetisch so verändert, dass sie mehr Brustfleisch entwickeln, wobei der Rest ihres Körpers natürlich bleibt. Dies führt dann dazu, dass die Vögel ihr eigenes Gewicht nicht mehr tragen können, und nach wenigen schwachen Schritten kollabierend zusammenbrechen.

Schockierende Bilder, die dem Publikum präsentiert werden. Wo sich der Mensch im natürlichen Kampf mit der Natur früher seine Nahrung durch die Jagd verdiente, werden nun Preise bezahlt, um Tiere zu züchten, für die die Bezeichnung „Lebewesen“ eigentlich Hohn ist. Im Dunkeln geboren, werden sie im Dunkeln gehalten, um schließlich auch im Dunkeln zu sterben. Legalisierte Tierquälerei, ohne Respekt nicht nur für das Leben, sondern auch für den Dienst, den jene Tiere durch ihr Ableben und dass daraus resultierende menschliche Fortleben leisten. Sicherlich nicht Jeder, aber Manche würden sich bei einem derartigen Anblick vielleicht das nächste Mal zwei Mal überlegen, ob sie nicht zumindest ein Freilandhaltungsprodukt kaufen, wenn nicht sogar ganz ein derartiges System boykottieren. „If you knew, you might not want to eat it.“ Dass es auch anders geht, zeigt Kenner mittels des Farmers Joel Salatin.

Salatin führt die Polyface Farm, wo zwar ebenfalls Hühner durch Massenschlachtung getötet werden, zuvor jedoch wenigstens in Freilandhaltung leben und richtige Nahrung fressen durften. Salatin wiederum stellt die Ausnahme dar, produziert er doch für sich selbst und nicht für einen der Lebensmittelgiganten wie Tyson oder Monsanto. Die wiederum haben das System ansonsten gut im Griff. Unentwegt werden ihre Angestellte zur Regierung abgestellt, um dort für das Gesundheits- und Ernährungswesen zu arbeiten beziehungsweise engagieren sie Angestellte, die zuvor in jenen Regierungswesen aktiv waren. Ein Korruptionskreislauf, der nicht zu durchbrechen scheint. Die Auswirkungen bleiben dabei auf der Strecke. Zum Beispiel, dass laut Food, Inc. 90 Prozent der Lebensmittel im Supermarkt Spuren von Mais enthalten. Und dass die Preise für Gemüse und gesunde Nahrung so hoch sind, dass die eigenen Produkte immer günstiger erscheinen.

Wenn es finanziell klamm wird, warum sollte man dann einen Brokkolikopf für $1,29 kaufen, wenn man für 99ct bei McDonalds einen Double Cheeseburger bekommt? Es geht darum, die Kinder satt zu machen und am Beispiel einer Familie - die Eltern bereits übergewichtig, die beiden Töchter noch nicht - macht Kenner diese Diskrepanz zwischen Übergewicht beziehungsweise Fettleibigkeit und Hunger sehr gut deutlich. Die Folgen eines derartigen Systems können jedoch drastische Folgen haben, wenn Kenner und Co. auf Basis des CDC (Centers for Disease Control and Prevention) prognostizieren, dass jedes dritte - bei Minderheiten sogar jedes zweite - nach 2000 geborene Kind in den USA im Laufe seines Lebens Diabetes entwickeln wird. Zahlen, die die Lebensmittelmogule kaum erschüttern und ebenso hingenommen werden, wie Todesfälle von Kindern, die wie Barbara Kowalcyks Sohn nach dem Verzehr von schlechten Hamburgern an Escherichia coli sterben.

Kenner deckt viele Themenfelder ab, betrachtet mal das Ganze, dann wieder auch das Einzelne. Die Grafiken nehmen im Verlauf des Filmes ab, was ansprechend ist, da sie obschon informativ doch auf gewisse Weise stören. Hinzu kommt, dass Food, Inc. thematisch überfrachtet wirkt, wechselt Kenner die Schauplätze bisweilen sehr hastig und abrupt. Hier die Hühnerzucht, dort Kowalcyk, dann Salatin und die vereinzelten Kämpfe einiger Sojafarmer, während über allem stets der politische Verlauf der letzten Jahrzehnte schwebt. Man vermag dem zwar ohne größere Probleme zu folgen, selbst wenn Kenner durch das 20. Jahrhundert vor und zurück springt, eine bessere Verteilung wäre jedoch passender gewesen. Nichtsdestotrotz sind die Bemühungen, unterschiedliche Beteiligte und Betroffene zu Wort kommen zu lassen - in dem Rahmen, der ihnen durch die Lobby möglich ist -, sehr löblich. So wie es schade ist, dass von der Lobby selbst niemand Stellung nehmen wollte.

Insgesamt betrachtet ist Food, Inc. eine überaus gelungene Dokumentation, die ein in der Öffentlichkeit oftmals vernachlässigtes Thema anschneidet. Formal vielleicht nicht ganz so gut gelungen wie Louie Psihoyos’ The Cove hätte Kenners Film bei den diesjährigen Academy Awards eventuell doch den Vorzug verdient. Beide Filme sprechen einen Akt menschlicher Tierquälerei an und sind insofern von immenser Bedeutung in ihrer Ansprache an jene Geschehnisse. Inhaltlich wichtiger für die amerikanische Bevölkerung dürfte jedoch ohne Zweifel Kenners kritischer Blick auf das eigene Lebensmittelsystem sein. Zahlen wie die der CDC zur Fettleibigkeit der Amerikaner an sich, sowie der bevorstehenden Diabetes ihrer Kinder, sollten eine Warnung sein, die zu Änderungen führt. Ansonsten ist in wenigen Jahren nicht nur jeder Dritte Amerikaner wirklich fettleibig, sondern zugleich auch noch diabetisch. Weshalb gerade die Amerikaner auf das Sprichwort achten sollten: Man ist, was man isst.

9/10

21. Februar 2010

Heroes - Volume Five (Redemption)

Defeat the dark side, we will.

Ein Mindesthaltbarkeitsdatum dient im Grunde der Orientierung, bis wann ein Produkt in vollem Umfang noch verwendbar ist. Ist jenes Verfallsdatum überschritten, wird es kritisch. In Anbetracht von Heroes ließe sich wohl sagen, dass die Serie bereits in ihrem zweiten Band ihre Haltbarkeit überschritten hat, allerspätestens jedoch mit ihrem dritten Handlungsgerüst. Das vierte Abenteuer im vergangenen Jahr dümpelte dann bereits auf teilweise ungenießbarem Niveau vor sich hin und auch wenn Tim Krings Schöpfung sich im fünften Band, der passend Redemption getauft wurde, wieder etwas rehabilitieren kann, gelingt es der Serie nicht, an alte Stärken anzuknüpfen. Die Probleme von Heroes, die seit Jahren vorhanden sind, wurden auch in diesem Band wieder offensichtlich. Ein Held ist nur so gut, wie sein Bösewicht. Das wusste bereits M. Night Shyamalan in Unbreakable zu konstatieren. Bei Tim Kring ist es scheinbar (immer noch) nicht angekommen.

So funktionierte Sylar (Zachary Quinto) im ersten Band mit der nuklearen Bedrohung für New York City noch sehr gut, wohingegen Arthur (Robert Foster) und Nathan Petrelli (Adrian Pasdar) in den vergangenen beiden Handlungssträngen weit weniger Profil hatten. Wurden die Heroes in Fugitives noch gejagt, erhielten sie am Ende des Bandes ihre Freiheit zurück. Wie der Name schon sagt, handelt Redemption nun davon, dass sich viele der Figuren auf gewisse Weise reinwaschen. Sei es Noah Bennett (Jack Coleman) oder allen voran Sylar selbst. Als antagonistisches Element wird dieses Mal Robert Knepper als Kirmesleiter Samuel eingeführt, dessen Agenda - die Auslöschung der Menschen für die Herrschaft der Speziellen, wenn auch in kleinem Rahmen - an Col. Stryker aus Bryan Singers X2 erinnert. Hinsichtlich des Twists in der Finalepisode Brave New World scheinen sich Kring und seine Autoren auch weiterhin nicht zu schade, frei von ihren filmischen Comic-Kollegen zu klauen.

So gut Knepper als zweitrangige Bedrohung in Prison Break auch funktioniert hat, ist seine Figur des Samuel einfach viel zu schwach ausgearbeitet, als dass sie wirklich über ein Dutzend Episoden als Gegenspieler dienen könnte. Es verwundert daher nicht, dass die Samuel-Handlung bereits nach einigen Folgen eintönig und redundant wird. Eine mysteriöse Tätowierung zu Beginn mit den Schlüsselfiguren Sylar, Peter (Milo Ventimiglia) und Claire (Hayden Panettiere) ist in Anbetracht der Umstände reichlich ungenügend ausgearbeitet beziehungsweise ins Geschehen integriert. Ohnehin verwischen die Schauplätze viel zu sehr, wenn Hiro (Masi Oka) einerseits wieder Raum und Zeit mehrfach hinter sich lässt, aber andererseits wie seine Kollegen andauernd miteinander in verschiedenen Subplots in Kontakt gerät. Handlungsstränge wie Hiros Mission, Charlie (Jayma Mays) zu retten, werden dabei nach Belieben aufgegriffen, fallen gelassen und schließlich mehr schlecht als recht zu einem vermeintlichen Ende geführt.

Gerade die Vernachlässigung zahlreicher Figuren schmerzt ungemein. Tauchte Micah im vierten Band nach zwei Jahren wieder auf, spielt er hier keine Rolle mehr. Tracy Strauss (Ali Larter) und Mohinder (Sendhil Ramamurthy) fungieren als Werkzeuge, die gelegentlich benutzt werden, ehe sie wieder in der Schublade verschwinden. Das Prozedere macht auch vor neuen Charakteren wie Edgar (Ray Park) keinen Halt. Dies hat zur Folge, dass der fünfte Band zugleich überfrachtet und leer wirkt. Wäre die Bedrohung besser ausgearbeitet und die Figurenzahl etwas reduziert, dafür jedoch mit Tiefe versehen, ließen sich einige Längen in der Handlung ausmerzen. Warum zum Beispiel nicht einfach mal einen Band lang auf Mohinder und Matt Parkman (Greg Grunberg) verzichten? So spart man sich wie die Kollegen bei Lost hinsichtlich Emilie de Ravins Rolle Claire eine sinnlose Einbindung und schafft sich Raum, um später wieder an diese Figur anzuknüpfen.

Grundsätzlich ist der Start in das neue Kapitel im Vergleich zum Finale des Vorjahres vielversprechend von Statten gegangen. Die zweite Episode Ink ragt dabei aus dem 18-Episoden-Handlungsgerüst quasi einsam und verlassen als beste Folge heraus. Neben Ray Park geben sich auch Ernie Hudson und Louise Fletcher in Gastauftritten die Ehre, Madeline Zimas Nebenfigur als Claires lesbische Mitbewohnerin wird auf dem Weg zum Finale dabei ebenso inhaltlich geopfert, wie Edgar und Co. So unausgegoren Redemption auch geworden ist, stellt der fünfte Band immerhin eine Steigerung zum katastrophalen Vierten dar. Scheinbar fand man noch eine genießbare Stelle zwischen all dem Schimmel, auch wenn sie nicht wirklich satt gemacht hat. Ob es zu einem sechsten Band kommt, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht sicher. Bedenkt man den Iron Man-Cliffhanger in Brave New World, wollen Kring und Co. wohl erstmal Iron Man 2 abwarten, bevor sie neue „Ideen“ für ihre nächste Geschichte entdecken. Anstatt an einem abgenagten Knochen zu lutschen, wäre es allerdings ratsamer, sich etwas Neues zu Gemüte zu führen.

7/10

18. Februar 2010

The Box

Are you for real?

Am Donnerstag, den 16. Dezember 1976, schaltet in Richmond, Virginia ein Wecker auf 5:45 Uhr. Ein Moment, der das Leben von Norma (Cameron Diaz) und Arthur Lewis (James Marsden) für immer verändern wird. Norma hört Geräusche, schreitet die Treppen herab zu ihrer Haustür und findet ein Paket vor. In diesem befindet sich eine Box, in der wiederum ein in einem Holzrahmen gefasster Knopf. Ein Zettel verweist auf eine Kontaktaufnahme durch einen gewissen Mr. Steward am späten Nachmittag. Als Norma um 17 Uhr zur Tür gerufen wird, erwartet sie jener Arlington Steward (Frank Langella), dem ein Teil seines linken Kiefers fehlt. Steward erklärt, die Box sei ein Angebot, das 24 Stunden gilt. Drücken Norma und Arthur in dieser Zeit den Knopf, erhalten sie tags darauf eine Million Dollar. Dafür wird im Ausgleich irgendwo eine Person sterben, die das Ehepaar nicht kennt.

Bei diesem Szenario handelt es sich um eine Prämisse aus der Psychologie, auf die Richard Mathesons Ehefrau einst aufmerksam wurde. Und die ihr Mann 1970 in seiner Kurzgeschichte Button, Button literarisch verarbeitete. Eine Handlung, wie geschaffen für die Fernsehserie The Twilight Zone, die Mathesons Kurzgeschichte 1986 in einer gleichnamigen Folge adaptierte. Wie seine Geschichte The Twilight Zone inspirierte, so tat sie dies auch beim jugendlichen Richard Kelly. Der sah sich bisher mit den zwei Seiten der Hollywoodmedaille konfrontiert. Für sein Debüt Donnie Darko hochgelobt, wurde Kelly fünf Jahre später für Southland Tales in Cannes ausgebuht. Eine ungewohnte Situation für einen jungen Regisseur, den man plötzlich für jene Skurrilität verdammte, die man einige Jahre zuvor noch als Genie titulierte.

Wenig Menschen vermochten etwas mit Southland Tales anzufangen, andere befanden Kellys apokalyptische Sozialsatire als weiteren Geniestreich. Wo sowohl Donnie Darko als auch sein Nachfolger von ihrer Undefinierbarkeit lebten, die es dem Zuschauer überließ, aus den Geschichten herauszulesen, was sie wollten, stellt The Box nun in gewisser Hinsicht eine Kehrtwende dar. Zwar führt Kelly Mathesons Prämisse selbstständig fort, grundsätzlich bleibt es aber eine Adaption. Vielleicht präsentiert Kelly daher seinem Publikum nicht nur Mysterien, sondern auch Erklärungen. The Box erscheint bisweilen wie ein Hybrid aus einem echten Richard-Kelly-Film und dem Versuch, sich der Kinomasse anzubiedern. Denn nach 75 Minuten endet der zweite Akt von The Box mit dem letzten bisschen von Kellys eigener Handschrift.

Würde das Bild nicht weiterlaufen, wäre man gewillt aufzustehen und zu gehen. Man hat keine wirklichen Antworten bekommen, wird sich selbst überlassen. Wie man es von Kelly kennt. Doch The Box geht an dieser Stelle noch eine halbe Stunde weiter. Versucht eine Erklärung für die Mysterien zu bieten und an seinen Anfang zurückzukehren. Und verkommt nach einem zuvor unzufriedenstellenden zweiten Akt zu einem Finale, das auch von M. Night Shyamalan hätte stammen können. Die Ereignisse überschlagen sich, Kelly präsentiert ein paar unsinnige Bilder und verlagert das Geschehen schließlich an das Ende des Weges, auf den er das Publikum gut anderthalb Stunden eingeladen hat. Zu diesem Zeitpunkt fühlt sich The Box bereits nicht mehr wie ein Film von Richard Kelly an. Eher als hätten Shyamalan und Roman Polanski gemeinsam einen mysteriösen Sci-Fi-Thriller gedreht.

Dabei beginnt der Film mit einer spannenden Exposition. Man bekommt mit, wie die Schulgebühren von Normas Sohn erhöht werden und wie Arthur aus einem Astronautenprogramm der NASA ausscheidet. Ein ernstes finanzielles Problem, lebt die Familie doch über ihrem Niveau. Im Nachhinein die perfide Ausgangsbasis für Stewards Angebot. Bei Matheson wurden Norma und Arthur lediglich $50.000 angeboten. Wie verführerisch müssen sich da erst eine Million Dollar anfühlen? Es heißt immer: Jeder Mensch hat seinen Preis. Und hier kommt die psychologische Komponente ins Spiel. Würde man für eine Million Dollar das Leben einer anderen Person opfern, die man zum einen nicht kennt und deren Tod man zum anderen nicht mitbekommt? “Everbody dies”, entgegnet Arthur in einer Szene gegenüber Norma.

Bei der liebevollen Einführung seiner Figuren verliert sich Kelly in eben deren Darstellung. Basierend auf seinen eigenen Eltern erhält Norma den rechten Fuß von Ennis Kelly, an dem vier Zehen amputiert werden mussten, als diese im Teenageralter war. Arthur wiederum arbeitet wie Lane Kelly für die Viking-Mission der NASA und baut seiner Frau selbstständig eine Prothese. Viele nette Momente und Referenzen an die eigenen Eltern, die aber für The Box völlig unerheblich sind. Die Zeit, die Kelly hier opfert, versucht er im Finale wieder wettzumachen. Einige Unverständlichkeiten dürften auch daher resultieren, dass manche Szenen für die endgültige Fassung geschnitten wurden. Zwar platzierte Kelly sie nicht auf der DVD und Blu-ray, jedoch zeigt der Trailer, dass mehr als eine Einstellung der Schere zum Opfer fiel.

Letztlich ist The Box vielleicht nicht so sehr per se eine Enttäuschung, aber wenn man bedenkt, dass der Film von Richard Kelly ist. Der interessanten Prämisse widmet er sich im Nachhinein nur sporadisch, das Szenario verkommt zum Aufhänger für ein Psychospiel zwischen Steward, dessen „Angestellten“ und dem Ehepaar Lewis. Der Sinn, der hinter all dem steckt, ist dabei so profan wie einfallslos. Das Mysterium hinter Steward, von dem man per Texttafel bereits zu Beginn erfährt, dass er nach einem Brandunfall von den Toten auferstanden ist, wirkt ausgesprochen altbacken. Während Langella den Part mit ruhiger Routine porträtiert, will man sich an eine überschminkte und verschreckte Cameron Diaz mit reichlich dickem Südstaatenakzent nicht so recht gewöhnen. So ist The Box ein Mystery-Thriller, der leider nur im ersten Akt und danach bloß gelegentlich zu gefallen weiß. Die Auswirkungen auf Richard Kellys Karriere bleiben abzuwarten.

4.5/10

15. Februar 2010

An Education

If you never do anything, you never become anyone.

Ein altes Sprichwort besagt: man lernt fürs Leben und nicht für die Schule. Seines Zeichens eine Umkehrung eines Zitats von Seneca dem Jüngeren, aber inzwischen zum geflügelten Wort verkommen. Und letztlich ist es ohnehin irrelevant, in welcher Reihenfolge man es liest, lernt man doch selbst fürs Leben, wenn man für die Schule lernt. Schließlich soll diese einen auf das (Berufs-)Leben vorbereiten. Aber mancher kennt es wohl aus seiner eigenen Jugendzeit, dass man sich mitunter fragt, wozu man eigentlich all diese Bücher liest und all diese Aufsätze schreibt. Besonders, wenn man in den sechziger Jahren als 16-Jährige auf einer reinen Mädchenschule war.

So wie Jenny (Carey Mulligan), der ihre Schulleiterin (Emma Thompson) erklärt, dass man es ohne Bildungsabschluss nicht weit bringt. Woraufhin Jenny entgegnet, dass dies auch nicht der Fall sei, wenn man einen habe. Speziell als Frau. In An Education präsentiert die dänische Regisseurin Lone Scherfig eine Episode aus dem Leben der britischen Journalistin Lynn Barber. Die hatte sich als Schülerin mit einem älteren Mann eingelassen, was sich letztlich negativ auf ihre Schullaufbahn auswirkte. Schriftsteller Nick Hornby adaptierte Barbers Autobiographie in dieses Drama mit humoristischem Unterton, in dem Mulligan den Part der becircten Schülerin übernimmt.

Jenny lechzt dabei weniger nach Bildung als nach dem Lebensstil der Boheme. Obschon ausgesprochen frankophil, muss Jenny auf Wunsch ihres Vaters (Alfredo Molina) Latein büffeln. Nur so kommt sie nach Oxford, nur so kann sie sich später selbst versorgen. Oder sie findet jemand, der dies für sie übernimmt. Und als der weitaus ältere David (Peter Sarsgaard) in ihr Leben tritt, scheint dieser Moment früher gekommen als selbst Jennys Vater erwartet hätte. Die Zuneigung Jennys zu David resultiert primär aus dessen freigeistigem Lebensstil. Mit seinen Freunden Danny (Dominic Cooper) und Helen (Rosamunde Pike) lebt er das Leben, das Jenny sich wünscht.

Sie besuchen klassische Konzerte, ersteigern Bilder von Edward Burne-Jones und machen Ausflüge nach Oxford oder Paris. Sie zelebrieren joie de vivre, wie Jenny es wohl nennen würde. Ihre Intelligenz und Kunstkenntnis sorgt dafür, dass die 16-Jährige innerhalb der Clique nicht untergeht. Bald schon interessiert sich auch Danny für sie, ist Helen doch eher ein Püppchen. Wie man sich denken kann, ist die Affäre zwischen David und Jenny keine ungefährdete. Weniger wegen des Altersunterschieds – den David gegen+ber Jennys Eltern stets dank Charme problemlos wett macht –, denn wegen der Leichen, die der adrette Lebemann in seinem Keller hat.

Es mag befremden, wie wenig sich Jennys Eltern gegen die Liaison mit David wehren, schließlich sind die Sechziger keine Epoche wie in Effi Briest oder Pride and Prejudice. Dennoch geht es Patriarch Jack (Alfred Molina) zuvorderst traditionell darum, dass seine Tochter später versorgt ist. Insofern kann die Beziehung der Liebenden auch ohne Einschränkungen gedeihen. Der Fokus von Scherfigs Film liegt weniger auf der Beziehung zwischen Jenny und David, als dem Mehrwert, den diese Romanze für Jenny bereithält. Zudem verbessern sich ihre (Latein-)Noten, entgegen der eigentlichen Vermutung, dass das Gegenteil der Fall sein müsste.

In An Education scheint das Leben also in der Tat der bessere Lehrmeister zu sein, wirkt es doch so, als könne Jenny alles haben. Schulerfolg und einen bohemehaften Lebensstil. Die Kostüme überzeugen und beschwören mit der Ausstattung und der Beleuchtung ein Gefühl der frühen Sechziger. Insofern mag der Film durchaus ein Period Piece sein, das dank Molina teils zur Komödie mutiert. Allerdings spult Scherfigs Film das Ende zu überhastet ab, was sich auch Hornbys  Drehbuch vorwerfen lässt, das die Geschichte zwar anders, aber nicht besser beendet. Dennoch bietet An Education in seiner Summe sehr gute Unterhaltung – auch dank des überzeugenden Ensembles.

8/10

12. Februar 2010

Elektra

Let’s keep your death between you and me.

Weibliche Superhelden, zumindest diejenigen unter ihnen, die ihr eigenes Franchise tragen können, sind die Seltenheit. Da gibt es natürlich Ausnahmen, wie Dark Horses Barb Wire oder DC’s Wonder Woman, aber für gewöhnliche kommen Frauen nicht über den Status des love interest oder der Teammitgliedern hinaus. Marvels Elektra zählt hier zu den oben erwähnten Ausnahmen. Erschaffen von Frank Miller als Nebenfigur im Daredevil-Universum, erhielt Elektra 1983 schließlich ihre eigene Comic-Serie, die bis heute Bestand hat. Will man Wikipedia Glauben schenken, so ist sie die Marvel-Figur, die die meisten Menschen auf ihrem Gewissen hat. Von Miller als Tochter eines griechischen Milliardärs entworfen, ist es (natürlich) der Tod des Vaters, der Elektra Natchios ihre dunklen Pfade beschreiten lässt. In China ließ sie sich von der Ninja-Organisation The Hand zur Killerin ausbilden. Hierbei hatte sie mit Stick denselben Lehrmeister, wie ihre große Liebe Matt Murdock. Als Auftragskillerin verdiente sich Elektra fortan ihren Lebensunterhalt und arbeitete dabei unter anderem für den Kingpin und mit Wolverine (in getrennten Comicserien).

Zwei Jahre nach ihrem Auftritt in Mark Steven Johnsons Daredevil wurde die Figur der Elektra (Jennifer Garner) für ein eigenes Kinoabenteuer ausgebaut. Die Regie übernahm X Files-Veteran Rob Bowman, der sich in seiner Filmhandlung auf Elektras Auseinandersetzung mit The Hand konzentriert. Hierbei folgt der Film zum Teil den Daredevil-Ausgaben Gantlet und Hunters, in denen sich Elektra mit dem legendären Krieger Kirigi konfrontiert sieht. Eingebettet wird das Ganze in eine Moralhandlung, in der Elektra damit beauftragt wird, einen Vater (Goran Visnjic) und seine Tochter (Kirsten Prout) zu ermorden. Amüsanterweise findet sich auch hier wieder eine crossmediale Referenz, bedenkt man, dass Visnjics Charakter den Namen Mark Millar trägt. Eben jenes Schöpfers der Comics Wanted und Kick-Ass. Abgesehen von zwei, drei direkten Panel-Übernahmen glänzt Bowmans Film jedoch im Vergleich zu Johnsons Umsetzung zwei Jahre zuvor nicht durch sonderliche Vorlagentreue. Zumindest nicht hinsichtlich der Kirigi-Storyline, abseits davon bin ich selbst mit Elektra als Stand-Alone-Werk nicht vertraut.

Sie sei eine Legende, heißt es zu Beginn des Filmes. Ein Mythos, in Wirklichkeit schon vor Jahren gestorben. Ausgebildet in der Kunst der Ninjas, zurückgebracht von den Toten durch ihren Lehrmeister Stick (Terence Stamp). Ausgegrenzt von diesem aufgrund ihres Charakters. „Is this a test?“, fragt Elektra noch, ehe sie ihr Leben im Exil antritt. Als kaltblütige Auftragsmörderin treibt sie ihre nächste Mission an einen träumerischen See. Hier macht sie unwissentlich die Bekanntschaft ihrer nächsten Opfer. Es eher der Umstand, dass Millar seine Tochter Abby alleine großzieht (und damit Erinnerungen der Halbwaise Elektra evoziert), als der Kontakt zu ihnen, der Elektra dazu bewegt ihren Auftrag abzubrechen. Da The Hand daraufhin einfach Ersatz schickt, obliegt es Elektras Talent und Güte, ob die Millars weiterleben werden. Mit ihrer Einmischung in die Belange ihrer alten Organisation macht sich Elektra allerdings diese zum Feind. Kirigi (Will Yun Lee) übernimmt die Jagd auf die Millars gemeinsam mit seinen Gefolgsleuten wie Tattoo oder Typhoid. Im Gegensatz zur Elektra-Millar-Storyline sind es Kirigi und seine Helfer, die primär Phantastisches in die Comicverfilmung tragen, die ansonsten sehr stark in der Realität verankert ist.

Die Handlung rund um Kirigis Jagd nach Abby, als auserwählter Schatz zwischen den Mächten von Gut und Böse wirkt in der filmischen Verortung reichlich abgehoben. Die Wiedererkennung von Elektra in dem Mädchen als Motiv ist dagegen glaubwürdig und nachvollziehbar. Obschon auch hier, ähnlich wie in Daredevil, der Antagonist wieder als Verursacher des Elternmordes ausgemacht wird. Und wäre die Verwendung des überzogen Comichaftem in dieser zu realen Umgebung nicht, hätte man Bowmans ansonsten relativ soliden Film sicherlich auch besser aufgenommen. Zudem verkommen Typhoid und Co. nur zu bloßen Bauern im Schachspiel von Kirigi, deren Kräfte – bedenkt man, dass Elektra eben keine Mutantin oder dergleichen ist – als überbordende Bedrohung wahrgenommen werden müssen. Von dem etwas fehl platzierten The Shining-Zitat im Finale ganz zu schweigen. Zwar war Kirigi auch in Gantlet ein übermenschlicher Gegenspieler, doch fand dies eine andere als eine mystische Begründung. So wirkt er als Antagonist relativ blass, sein finaler Kampf gegen Elektra etwas flach und die gesamte Vermischung von übersinnlichen Fähigkeiten und Realität ziemlich unharmonisch.

Zudem ergibt sich eine große Frage nach der Chronologie. Schließlich sah man in Daredevil, wie Elektra die Kette ihrer Mutter Matt Murdock hinterlassen hat. In Elektra wiederum trägt sie diese Kette, auch wenn sich die Darstellung des Anhängers verändert hat. Bedenkt man die geschnittene Traumsequenz mit Murdock (Ben Affleck) – eine Reminiszenz an den Director’s Cut von Terminator 2: Judgment Day -, so ist nicht wahrscheinlich, dass Elektra zwischen den Ereignissen von Elektra und Daredevil nochmals Kontakt zu Murdock hatte. Nichtsdestotrotz weiß Bowman auch einige Dinge richtig zu machen. Zum einen darf Elektra hier endlich ihr klassisches, rotes Kostüm tragen (selbst wenn das Kopftuch fehlt), zum anderen weiß die musikalische Untermalung im Gegensatz zu Daredevil besser zu gefallen, da hier ausschließlich auf einen instrumentalen Score gesetzt wurde. Der gesamte Film ist jedoch in seiner Grundhaltung stark familiär ausgelegt. Elektra als Ersatzmutter neben Millar und Abby läuft etwas ihrem Ruf als eiskalte Killerin zuwider. Dennoch ist Elektra keineswegs ein missratener Film, selbst wenn er selten wirklich sein Potential auszuschöpfen vermag.

5.5/10

9. Februar 2010

Clerks.

I’m not even supposed to be here today!

Für Smith-Fans ist die Geschichte der Entstehung von Clerks. ein alter Hut. Nicht zuletzt, weil er sie bei verschiedenen Gelegenheiten, sei es ein Audiokommentar zu einem der späteren Filme oder seinen Evenings with Kevin Smith, gerne selbst rezitiert. Angefangen mit Kevin Smiths Wunsch Regisseur zu werden. Der Besuch einer Filmhochschule in Vancouver wird nach vier Monaten abgebrochen, weil Rumsitzen und nicht selbst Drehen dem New Jerseyer missfiel. Erinnerungen an Francis Ford Coppola und seine Zeit an der UCLA werden wach. Immerhin lernte Smith in Kanada Scott Mosier kennen, der nicht nur zu seinem Freund sondern View-Askew-Partner werden sollte.

Mit 23 Jahren drehte Smith anschließend über einen Zeitraum von drei Wochen jede Nacht zwischen 22.30 und 05.30 Uhr an seinem Arbeitsplatz seinen Debütfilm. Dabei arbeitete der Twen damals selbst tagsüber noch im Quick Stop Lebensmittelgeschäft, worin sich auch seine Inspiration zum Film findet. Finanzieren konnte Smith den Film nur deshalb, weil er einen Großteil seiner Comicsammlung verkaufte, Kreditkartenanträge stellte und sich Geld von Freunden und Familie lieh. Was folgte, waren Auszeichnungen bei den Filmfestivals in Sundance, sowie in Cannes und der Start einer Karriere, die bis heute anhält.

Nachdem Harvey Weinstein und Miramax die Filmrechte kauften, wurde der erste Schnitt von Smith und Mosier erst einmal getrimmt, unter anderem auch bezüglich des sehr unstimmigen aber dennoch im Grunde passenden Endes. Als Miramax die musikalische Untermalung austauschte, kam es zu dem bizarren Vorfall, dass die Rechte an den Musikstücken teurer waren, als der eigentliche Film selbst. Rechnet man beide Kosten zusammen, kostete Clerks. selbst insgesamt so viel, wie eine Sekunde von James Camerons Welterfolg Titanic drei Jahre später. Und obschon Smiths Debütfilm nie mehr als auf fünfzig Leinwänden gleichzeitig lief, gelang es dem Film das 23-fache seiner Kosten einzuspielen.

Daraus resultierte eine jahrelange Partnerschaft zwischen Smith, Mosier und Weinstein bzw. View Askew und Miramax, welche bis heute anhält. Dass Smith mit Clerks. den Auftakt zu seinen Askewniverse Chronicles bilden würde, war ihm damals noch nicht bewusst. Auch nicht, dass zwei nebensächliche Figuren wie Jay (Jason Mewes) und Silent Bob (Kevin Smith) zu Kultfiguren avancierten, die Smiths Karriere über ein Jahrzehnt lang begleiten sollten. Zwölf Jahre später würden Smith und Co. an ihre Ursprünge zurückkehren und mit Clerks II einen Film drehen, dessen Einspiel von 24 Millionen Dollar Beweis genug ist, welche Fangemeinschaft Smith insbesondere dank Clerks. aufgebaut hat.

Was Kevin Smiths Filme auszeichnet, sind seine Dialoge. Ähnlich wie bei Filmen von Woody Allen spielt sich weniger eine Handlung ab, als dass die Hauptfiguren nonstop drauf los quatschen. Im Gegensatz zu seinen späteren Filmen merkt man Clerks. jedoch an, dass die Darsteller nicht nur wenig Erfahrung mit Schauspiel haben, sondern das Zeitfenster auch sehr gering war. Die Dialoge zwischen Dante (Brian O’Halloran) und Randal (Jeff Anderson) sind oftmals wie ein Shoot-Out mit einem Maschinengewehr, in welchem sich die beiden Schauspieler die Sätze ohne wirkliche Pause wie Bälle zu spielen. Als würde man einem Match zwischen Roger Federer und Rafael Nadal zuschauen, zumindest was die Geschwindigkeit angeht.

Das ist nicht sonderlich tragisch, aber wirkt etwas unnatürlicher als es in seinen späteren Projekten der Fall ist. Allerdings muss man Smiths Film auch im Kontext seiner Entstehung sehen, spielen doch fast ausschließlich Freunde und Verwandte die Rollen in seiner Geschichte. Manche wie Scott Mosier und Walter Flanagan übernahmen sogar drei oder mehr Rollen, während mit Anderson ein High School Freund von Smith in einer der Hauptrollen auftaucht, obwohl er noch nie geschauspielert hat. Umso beeindruckender, dass Clerks. letztlich Andersons Film durch und durch ist, im Vergleich zu späteren Filmen, wo Mewes diesen Part übernehmen würde.

Eine wirkliche Handlung besitzt Smiths Debütfilm wie erwähnt nicht. Sieht man davon ab, dass Dante sechs Stunden im Quick Stop aushelfen muss und schließlich den ganzen Tag dort verbringt. Und davon, dass er sich mit seiner Freundin Veronica (Marilyn Ghigliotti) aufgrund deren Sexvergangenheit überwirft („My girlfriend sucked 37 dicks“ – „In a row?“) und versucht mit seiner Ex-Freundin Caitlin (Lisa Spoonhauer) zusammen zu kommen. Doch eigentlich beinhaltet der Film nur eine Ansammlung von kleinen Segmenten, die inhaltlich durch den Quick Stop als Handlungsort zusammengehalten werden. Dass Smith diese mit jeweils einem Fremdwort als übergreifende Einleitung versieht, zählt dabei eher zu den negativen Seiten seines Debüts.

Zumindest hätte es der Titelkarten nicht bedurft, insbesondere da sie den Erzählfluss der Handlung stören. Es ist wie schon das Dialogfeuer kein Dilemma, aber etwas, dass man hätte vermeiden können. Zu den Dingen, die nicht wirklich passen wollen, gehören auch die beiden Ausflüge außerhalb des Ladens. Sowohl das Hockey-Game als auch die Totenwache wirken etwas deplatziert und nur leidlich stimmig mit dem Rest des Geschehens. Das Hockey dabei noch mehr als die Totenwache, die zumindest aufgrund von Randals Geschichte über seinen und Brodys Cousin eine amüsante Note erfährt. Ebenso wie auch die verlorenen Szene der Totenwache selbst, die Smith als animierte Version auf die Clerks-X-DVD packen ließ, aufgrund ihrer Verbindung zu Mallrats und Chasing Amy nostalgisch gerät.

Die Einordnung ins Askewniverse ist zudem einer der Faktoren, die den Film so herzlich machen. Nicht nur, dass Clerks., wie sich herausstellt, einen Tag nach den Ereignissen in Mallrats spielt, sondern auch die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Figuren wie Randal und Brody oder Alyssa Jones und ihrer Schwester Heather. Unbestreitbar verfügt Smiths Debüt über allerlei Charme, schon alleine wegen der grandiosen Szene bezüglich des Todessterns in Star Wars. Für einen Debütfilm, der unter diesen Umständen entstanden ist, ist das sicherlich mehr als ordentlich, auch wenn der Film unter kritischen Augen nicht perfekt ist. Als Auftakt für eine Karriere, die später Werke wie Chasing Amy oder auch mit Jay & Silent Bob Strike Back den vielleicht größten Insider-Film aller Zeiten beinhalten würde, geht Clerks. schwer in Ordnung.

Da verzeiht man es dem Film auch, dass die Audiokommentare dieses Mal nicht so unterhaltsam sind, wie in späteren Beiträgen (wobei ein einschlafender Mewes im 95er-AK schon eine Wucht ist). Grundsätzlich lässt sich auch sagen, dass der ursprüngliche Schnitt etwas stimmiger daherkommt als die Kinofassung. Sieht man einmal vom Ende ab, welches zwar durchaus passend ausfällt, bedenkt man die Ironie, dass Dante eigentlich gar nicht arbeiten sollte, aber ein derart deprimierender Schluss nicht zum Rest des sonst so abstrusen Humors passen möchte. Ansonsten ist Clerks. aber eine wirklich gelungene und unterhaltsame verfilmte Anekdote aus dem Munde Kevin Smiths. Wenn man denn den Film als solche verstehen will.

7.5/10

6. Februar 2010

The X Files - Season Four

You can’t give up hope.

Mitte der neunziger Jahre waren Außerirdische oder besser gesagt: der Kontakt mit Außerirdischen richtig en vogue. Speziell im Jahr 1997, welches nicht nur Robert Zemeckis’ Contact mit Jodie Foster hervorbrachte, sondern auch Barry Sonnenfelds Men in Black. Letzter ungleich erfolgreicher als sein Kollege. Für Chris Carters The X Files sollte jenes Jahr mit seiner vierten Staffel der Mystery-Serie ebenfalls einen kleinen Quantensprung darstellen. Erstmalig gelang es durchschnittlich über 19 Millionen Amerikaner für sich zu begeistern. Und damit mehr als doppelt so viele, wie noch bei der zweiten Staffel der Fall. So gesehen konnte Carters Serie mit ihrer vierten und anschließenden fünften Staffel (die nochmals eine halbe Millionen Zuschauer mehr anzog) ihren Serienhistorischen Höhepunkt feiern. Was bei einer Staffelanzahl von Neun passenderweise auch irgendwie die Mitte markiert. Dabei setzt die Serie eher ihren Abwärtstrend fort.

Bemängelte ich in der dritten Staffel noch, dass der Serie ein roter Faden fehlt, so kriegt man diesen im vierten Jahr präsentiert. Allerdings mehr schlecht als recht. Was sich über einige Episoden zieht, beziehungsweise von der Mitte der Staffel bis zu ihrem Finale, ist eine Krebserkrankung von Dana Scully (Gillian Anderson). Allem Anschein nach ausgelöst durch ihre Obduktion durch Außerirdische aus der zweiten Staffel. Wirklich intensiv widmet sich die Serie jedoch nur in Memento Mori dieser Erkrankung, die ansonsten ein wenig vor sich hindümpelt, wenn sie denn überhaupt thematisiert wird. Zwar geht Assistant Director Walter Skinner (Mitch Pileggi) einen Deal mit dem Zigarettenmann (William B. Davis) ein, doch eine Heilung Scullys wird zu diesem Zeitpunkt noch nicht forciert. Dagegen schlägt sich Fox Mulder (David Duchovny) wie immer mit der Obduktion seiner Schwester Samantha und der Existenz der Außerirdischen herum.

Dem grundsätzlichen Schema der Show bleibt sich The X-Files auch weiterhin treu. Scully stellt weiterhin das skeptische Anhängsel dar, wie man zu Beginn von Folgen wie Elegy beobachten kann. Auch wenn sich ihre Bereitschaft an das Paranormale zu glauben inzwischen etwas verstärkt hat. Der Mythologie der Serie wird sich im Grunde genommen in vier Blöcken gewidmet. Zu Beginn wird in Herrenvolk der Cliffhanger der letzten Staffel aufgearbeitet, während traditionell eine mythologische Folge - hier Gethesemane – auch den Abschluss mit dem Finale bildet. Dazwischen befassen sich zwei Doppelfolgen einerseits mit dem schwarzen Krebs (Tunguska/Terma) und einem Zwischenfall des US-Militärs mit einem UFO (Tempus Fugit/Max). Grundsätzlich weiß hierbei keine der mythologischen Episoden besonders zu überzeugen, was auch daran deutlich wird, dass sie inhaltlich nicht einmal miteinander zusammenhängen.

Auch die monster-of-the-week-Folgen sind meist recht durchschnittlich geraten. Weder Inzenst-Familien, noch dämonische Tätowierungen, ein Golem, unsichtbare Ex-Soldaten oder autistische Mordprophezeiungen wollen wirklich begeistern. Selbiges gilt für Episoden wie The Field Where I Died und Demons, die sich reichlich ausufernd primär auf Mulder fokussieren. Was man in den mythologischen Folgen noch verzeihen kann, wirkt hier zu anstrengend. Aus der Masse an durchschnittlichen Folgen ragen speziell Leonard Betts, Small Potatoes und auch Synchrony hervor. Ein besonderes Lob verdient sich dabei wohl Small Potatoes, ähnelt die Folge doch von ihrem humoristischen Unterton stark der Vorjahresfolge War of the Coprophages. Speziell Duchovny kann hier sein komödiantisches Talent ausspielen und die Serie untermauert, dass Humor sich bestens in ihre Prämisse integrieren lässt.

Die vierte Staffel zeichnet sich durch eine gewisse Beliebigkeit aus. Dies merkt man schon daran, dass die Mythologiefolgen nicht miteinander zusammenhängen, aber auch an der Beteiligung von Krycek, der in der Doppelfolge Tanguska/Terma wieder auftaucht, um sich anschließend wieder zu verabschieden. Auch Lauren Holdens Figur der Marita Covarrubias darf gelegentlich (genauer gesagt: fünf) mal aus unterschiedlichen Gründen vorbeischauen. All jene Handlungselemente, auch die Weiterführung bzw. Wiederaufnahme von Samantha Mulders Obduktion oder der Tod von Mr. X, wirken gestreut und ohne richtigen Rahmen. Hierzu passen dann auch Scullys Krebs oder die Anhörung gegen Mulder. Ein stärkerer Fokus hätte an diesen Stellen nicht geschadet. Auch die Gaststars machen sich diesmal rar, stellen Tom Noonan (Paper Hearts) und Paul McCrane (Leonard Betts) doch neben den etablierten Lea und Holden die einzigen bekannten Gesichter dar.

Eine jedoch ausgesprochen löbliche Wendung ist die inzwischen verstärkt auftretende Annäherung zwischen Mulder und Scully. In Folgen wie Never Again und Memento Mori und Elegy wird das romantische Band zwischen den beiden Agenten allmählich fester gezurrt. In Small Potatoes kommt es sogar beinahe zum Kuss, auch wenn es sich hier lediglich um einen Mulder-Doppelgänger handelt. Ebenfalls nett geraten ist eine zentrierte Folge für den Raucher (Musings of a Cigarette Smoking Man), verschwindet dieser doch gerade in der zweiten Hälfte weitestgehend im Hintergrund. Trotz alledem bleibt die erhoffte Steigerung nach der abfallenden dritten Staffel aus. Auch wenn sich The X Files zumindest auf deren Niveau gehalten hat. Retrospektiv betrachtet hätte es vermutlich der Serie allgemein wie dieser und der letzten Staffel speziell nicht geschadet, wenn die Episodenzahl heruntergeschraubt worden wäre. Die Wahrheit auf diese These liegt jedoch wie das Meiste bei The X Files irgendwo da draußen.

7.5/10

3. Februar 2010

Deep Impact

Graphics. I need graphics!

In Otto - Der Außerfriesische gibt es eine Szene, in der Otto Waalkes ein Firmengebäude betritt und darin eine Plakette mit der Aufschrift „Die Erde ist uns nur geliehen, aber von zurückgeben hat niemand etwas gesagt“ entdeckt. Eine ähnliche Umschreibung findet sich in dem Sprichwort „Nach uns die Sintflut“ und beide Ausdrücke veranschaulichen die Haltung der Menschheit gegenüber der Umwelt beziehungsweise der Erde. So schlecht die Menschheit ihre Erde auch behandelt, ist sie letztlich doch von dieser abhängig und in dieser Konsequenz auch um sie besorgt. Und was einem am Herzen liegt, das befürchtet man, entrissen zu bekommen. Im letzten Jahr beschworen Roland Emmerich und Alex Proyas mit ihren Filmen 2012 und Knowing solche Szenarien herauf. Proyas’ Werk war dabei eines der wenigen im Genre, die in ihrer Bedrohung schließlich konsequent blieben. Auch Rudolph Maté mit When Worlds Collide (1951) und James Cameron mit The Abyss (1989) rückten bereits die Erde an ihren Abgrund.

Vor zwölf Jahren geschah dies gleich in doppelter Form, entstanden doch - nicht untypisch für Hollywood - zeitgleich zwei Filme zur selben Thematik. Hierbei geben bereits die Paarungen von Regisseur und Produzent die jeweiligen Richtungen vor, wenn auf der einen Seite Steven Spielberg und Mimi Leder und ihnen gegenüber letztlich Jerry Bruckheimer und Michael Bay stehen. Deep Impact, der zuerst in Produktion ging und zwei Monate vor Armageddon in den Kinos starten würde, sollte dabei im Nachhinein den Sieg für sich beanspruchen dürfen. Auch wenn es für einen Effektfilm im Grunde ein Schlag ins Gesicht ist, wenn man für die technische Umsetzung im Gegensatz zu seinem Konkurrenten keine Oscarnominierung erhält. Und sieht man einmal von einer durchaus ansehnlichen Riesenwelle ab - wie man sie fast zehn Jahre zuvor in The Abyss und zehn Jahre später in 2012 auf technisch beinahe identischem Niveau entdecken kann -, kann sich Deep Impact nicht wirklich als gelungener Effektfilm auszeichnen.

Wo sich Michael Bay ausschließlich der rettenden Mission in einer Art Science-Fiction-Komödie annähert, teilt Mimi Leder ihre Handlung in drei verschiedene Stränge auf. Den größten Fokus legt sie dabei auf die Mitteilung der anbahnenden Tragödie an sich, in Form der medialen Berichterstattung durch die Journalistin Jenny Lerner (Téa Leoni). Grundsätzlich ist Deep Impact jedoch ein Film über Familien, finden sich diese doch in allen drei Episoden wieder. Wo Lerner sich neben ihrer journalistischen Verpflichtung auch der entfremdeten Beziehung zu ihrem Vater (Maximilian Schell) stellen muss, gilt es im zweitwichtigsten Handlungsstrang für die Jugendlichen Leo Beiderman (Elijah Wood) und Sarah (Leelee Sobieski), ihre Familien und ihre Liebe zueinander zu retten. Passend dazu nimmt die eigentliche Weltraummission rund um den erfahrenen Astronauten Spurgeon Tanner (Robert Duvall) den wenigsten Raum ein, doch versäumt es Leder nicht, auch den Astronauten Momente mit ihren Familien zu schenken.

Was Deep Impact nun auszeichnet, ist die Tatsache, dass Leder durchgehend sehr nah an ihren Figuren bleibt. Die nie nur typisiert werden, wie im Fall von Armageddon, sondern die Gefühle haben und Ängste verspüren. Da schluckt Leoni merklich, als sie die Beschränkungen der Lotterie vorliest, die 800.000 Glückliche in die rettenden Bunker verfrachtet, jeden Bundesbürger über fünfzig Jahren - und somit auch Lerners Eltern - allerdings von dieser Lotterie ausschließt. Speziell die Lerner-Episode ragt aus dem Film hervor, weist diese im Vergleich zu den anderen beiden Erzählsträngen mehr Facetten auf. Hier kommt es dem Geschehen auch zugute, dass es sich weitestgehend in Washington D.C. abspielt, wodurch es sich in seiner Komprimierung glaubwürdiger und stimmiger anfühlt als die verbliebenen Episoden, die narrativ relativ unkompliziert, dafür jedoch komplex ausgefallen sind.

Obwohl Leder den Film jedoch im wahrsten Sinne des Wortes sehr geerdet hält, gelingt es ihr dabei allerdings nicht, auch unter die Oberfläche vorzudringen. So fällt nicht eine Dialogzeile ob der Perversität der Regierungsaktion. Wie makaber ist es denn, mittels einer Lotterie die nicht mal 0,5 Prozent der damaligen US-Bevölkerung auswählen zu lassen, die gerettet werden? Oder - wie es auch in Emmerichs 2012 geschah - Platz, der Menschen zufallen könnte, mit Kunstwerken aus Museen vollzustopfen? Ähnlich verhält es sich mit den negativen Szenarien, wie Aufständen und Tumulten, denen sich Leder in einer Montage in zwei kurzen, jedoch unkommentierten, Einstellungen widmet und dies auch eher nebenbei geschieht. In seinem Versuch, sich ausschließlich auf jene drei Episoden zu fokussieren, blockt Deep Impact alles, was abseits dieser Episoden geschieht, bedauerlicherweise komplett aus. Aspekte, die man weit weniger zu verzeihen bereit ist, wie Unstimmigkeiten in den Beiderman- und Tanner-Handlungssträngen.

Die Handlung scheint ob der vielen Figuren und Dreifachteilung ein wenig überlastet, sodass einige Ausarbeitungen aus Zeitgründen unausgewogen und vernachlässigt erscheinen. Zudem wollen für einen Effektfilm ebenjene Effekte, speziell die Szenen auf dem Kometen, nicht sonderlich überzeugen. Dafür strahlt Deep Impact durch einige gefällige schauspielerischen Leistungen seines namhaften Ensembles, wobei auch hier primär die Lerner-Episode mit Leoni, Schell und Vanessa Redgrave hervorsticht. Im Nachhinein ist es amüsant, wie sich Deep Impact und seine Schwesterproduktion Armageddon ähneln. In beiden Filmen obsiegt am Ende die junge Liebe, gibt es Verabschiedungen mittels Satellitenverbindung und Bildschirmgetatsche sowie den Heldentod der Astronautenfigur. Unterm Strich betrachtet gibt sich Leders Film dabei einerseits zwar sehr viel seriöser, vermisst dabei allerdings den Unterhaltungswert, den Bays Weltraumspektakel mit sich bringt.

5/10