27. Januar 2011

The Wire - Season Five

The bigger the lie, the more they believe.

Es war Adolf Hitler, der sagte: „Je größer die Lüge, desto mehr Menschen folgen ihr.“ Eine solche Lüge löste am 1. September 1939 mit dem Angriff auf Polen den Zweiten Weltkrieg aus. Und eine solche Lüge bestimmt im fünften Jahr der hoch gelobten HBO-Serie The Wire das Geschehen ihrer letzten Staffel. Nach dem die Stadt konsumierenden Drogenhandel in den Ghettos von Baltimore, den kriminellen Tätigkeiten auf den Hafendocks, der korrupten Stadtpolitik und dem brachliegenden Schulsystem, widmeten sich David Simon und Ed Burns in den letzten zehn Episoden ihrer Schöpfung dem sterbenden Zeitungswesen. Und damit zugleich dem letzten Mosaikstein in ihrer Zeitgeistanalyse einer urbanen Problemstadt.

Wie in keiner der Staffeln zuvor zeigen sich nun Parallelen zwischen den beiden Haupthandlungssträngen auf. Sowohl die Zeitung „The Baltimore Sun“ als auch die Polizeibehörde leiden unter Einsparungen von ihrer jeweiligen Zentrale und erhalten die Anweisung, mit weniger mehr zu machen. Was bei der Zeitung rund um Redakteur Gus Haynes (Clark Johnson) damit zu tun hat, dass die Menschen ihr Medium nicht mehr lesen, lässt sich bei der Polizei auf das Haushaltsloch in Bürgermeister Carcettis (Aidan Gillen) Schulpolitik zurückführen. Die Folge sind auf der einen Seite mögliche Jobentlassungen und auf der anderen Seite unbezahlte Überstunden und mangelhafte Arbeitsvoraussetzungen.

Dies hat wiederum direkten Einfluss auf die Spezialeinheit von McNulty (Dominic West), Freamon (Clarke Peters), Greggs (Sonja Sohn) und Sydnor (Corey Parker Robinson) und deren Ermittlung gegen Marlo Stanfield (Jamie Hector). Als Einsparungsmaßnahme wird dessen Verfolgung vorerst ausgesetzt, was einen desillusionierten McNulty wieder in Alkoholismus und Promiskuität treibt. Um seine gewünschten Ressourcen zu erhalten, trifft McNulty eine schwerwiegende Entscheidung und beginnt ab Unconfirmed Reports tote Obdachlose als vermeintliche Serienmorde zu kostümieren. Mit Hilfe des betrügenden Reporters Scott Templeton (Thomas McCarthy) nimmt die Lüge dann größere Ausmaße an.

Und wie die meisten Figuren in The Wire hat auch Templeton ein Vorbild aus dem wahren Leben. Er basiert auf Journalisten wie Stephen Glass, der von 1995 bis 1998 für das Magazin „The New Republic“ schrieb und dabei Zitate und Artikelinhalte fälschte. Angesichts des Stellenrückgangs sieht Templeton seinen Arbeitsplatz in Gefahr und beginnt zuerst, einige seiner Beiträge zu frisieren, ehe er mit Kopf voraus in McNultys Lügenkonstrukt abtaucht. Als besonderer Running Gag zeigt sich zudem der Anspruch des Herausgebers, dem dickens’schen Gesichtspunkt der jeweiligen Geschichte zu folgen. So adapiert die sechste, The Dickensian Aspect genannte, Folge wie die meisten Episodentitel Begriffe aus dem Zeitungswesen.

Die Handlungen im Redaktionsraum der Baltimore Sun und der Mordkommission ähneln sich des Öfteren, beispielsweise wenn Journalisten wie Polizisten sich in einer Besprechung zum angeblichen Obdachlosen-Serienmörder befinden. Auch dass beide Einrichtungen mit dem Motto „more with less“ umzugehen haben und jeweils über einen Lügner in den eigenen Reihen verfügen, der die Aufmerksamkeit auf seine Arbeit zieht, verschafft der fünften Staffel diesbezüglich einen schön Touch von zweiseitiger Beleuchtung ein und desselben Themas (sowie letztlich dem Umgang von „oben“ mit den Konsequenzen aus dem eigenen Tun). Fast mehr als die Medien sind jedoch „Lügen“ das Thema der fünften Staffel.

Denn gleichzeitig sieht sich der inzwischen zum Colonel beförderte Daniels (Lance Reddick) im Konflikt mit den Versprechungen von Carcetti während dessen Wahlkampfes, die dieser aufgrund des Haushaltsloches nicht zu halten im Stande scheint. Und auch Marlo muss sich mit Lügen rumschlagen, wenn seine street credibility von unterschiedlichen Randfiguren in den Schmutz gezogen wird. Allen voran von Omar (Michael K. Williams), der von Marlo aus seinem Exil zurück nach Baltimore gelockt wird und eine persönliche Vendetta startet. Lug und Betrug schleichen sich auch in Proposition Joes (Robert F. Chew) Kooperative, die mit Marlos skrupel- und kompromisslosem Verhalten nicht zu harmonieren scheint.

Marlos Bestrebungen, Joe auszuschalten und sich direkt an die Quelle für seine Drogen zu setzen, führen zur Rückkehr einiger bekannter Gesichter wie Avon (Wood Harris) und Sergei (Chris Ashworth) in Unconfirmed Reports, sowie von Spiros (Paul Ben-Victor) und dem Griechen (Bill Raymond) in React Quotes. Ohnehin bemühten sich Simon und Burns, zum Abschluss der Serie Figuren aus den vorherigen Staffeln für einige Cameos zu gewinnen. Ein Wiedersehen gibt es im Laufe der Staffel auch mit Nick Sobotka (Paul Schreiber), Poot (Tray Chaney), Namond (Julito McCullum) und Randy (Maestro Harrell), sowie Colvin (Robert Wisdom), Stan Valchek (Al Brown) und sogar Richter Phelan (Peter Gerety).

Das treibende Element ist dieses Jahr jedoch das Duo McNulty-Freamon, die sprichwörtlich über Leichen gehen, um an eine illegale Abhörung von Marlos Mobiltelefon und dadurch an seine Verbindung zu seinen Drogengeschäften zu kommen. Durch seine Maßnahmen schafft McNulty es zwar, dass viele der Polizisten, speziell die unter Carvers (Seth Gilliam) Kommando, endlich ihre Überstunden ausbezahlt bekommen, gleichzeitig entfernt er sich durch seine kriminellen Tätigkeiten von Kollegen wie Bunk (Wendell Pierce). Bauernrollen fallen hierbei bekannten „Opfer“ wie Sydnor oder auch dem inzwischen zwar entlassenen, aber immer noch zuverlässig inkompetenten Herc (Domenick Lombardozzi) zu.

Wenig verwunderlich dürfte sein, dass wie zuvor politisch-institutionelle Eitelkeiten die eigentlichen Ermittlungen torpedieren. So wollen McNulty und Freamon den Stanfield-Fall zwar ans FBI abtreten, der Bundesstaatsanwalt die Ermittlungen jedoch wegen gekränkter Gefühle dank Carcetti nicht annehmen. Und weil Baltimores Staatsanwalt Bond (Dion Graham) aus Karrieregründen Clay Davies (Isiah Whitlock, Jr.) vor ein städtisches Gericht stellen will, geht auch dieser Fall im Laufe der Staffel in die Binsen. Andere treibende Kräfte innerhalb des Rathauses wie Nerese Campbell (Marlyne Afflack) untermauern die These der Serienmacher, dass sich die USA politisch stets selbst ins Bein schießen.

Qualitativ legt The Wire in ihren letzten zehn Folgen nochmals eine Schippe drauf und erlaubt sich wohl auch wegen der reduzierten Episodenzahl keinen nennenswerten Ausreißer nach unten. Die fünfte Staffel avanciert im Gegenteil zur Überzeugendsten der Serie, in der die Folge Clarifications als emotionaler Höhepunkt herausragt, gefolgt von Not for Attribution und Late Editions. Dass die abschließende Episode -30- weniger ein Serien- als Staffelfinale darstellt, sollte angesichts der Tatsache, dass die Serie im Prinzip nach jeder Staffel hätte enden können, nicht stören. Allerdings fällt auch in der letzten Staffel auf, dass einige Charakterentwicklungen überhastet wirken, da sie zuvor keinen Vorlauf erhalten haben.

Anbetracht dessen, dass viele Kritiker die Show mit einer Tragödie verglichen haben, sind die finalen Entwicklungen für die meisten Figuren zwar nicht tragisch, aber dennoch eine Konsequenz nicht nur aus ihrem Verhalten in dieser, sondern auch den vorherigen Staffeln. Entgegen der Vorjahre wird das Privatleben der Figuren jedoch dieses Mal ausgespart, sieht man einigen Szenen zwischen McNulty und Beadie (Amy Ryan) ab. Stattdessen konzentrieren sich Simon und Burns auf ihr Handlungsgerüst der Lüge um die Obdachlosenserienmorde, deren Folge zum Abschluss der Serie einige Charakteränderungen mit sich bringt, die ob ihrer Selbstreferenz zwar gefallen, jedoch etwas redundant wirken.

Insgesamt kann konstatiert werden, dass The Wire nach fünf Staffeln eine sehr gute, aber nicht die beste oder bedeutendste Serie aller Zeiten ist. Zwar bemühten sich Simon und Burns (erfolgreich), möglichst viele urbane Facetten zu zeigen, dennoch offerierte The Wire selten wirklich Charaktere oder Handlungen, die zuvor nicht schon in anderen Medien auftauchten. Nichtsdestotrotz ist es eine außerordentliche Leistung, über Jahre hinweg dem Zuschauer Dutzende von Figuren zu schenken, die nicht nur interessant waren, sondern mit denen man sich auch identifizieren konnte, gleich ob sie „gut“ oder „böse“ waren. Und letztlich behält Michael K. Williams wohl recht, wenn er sagt: “Life goes on. The game don’t stop.”

8.5/10

2 Kommentare:

  1. Ich hab erstmal gar nichts von den The Wire Rezensionen gelesen, aber ich bin froh, dass die Serie wohl konstant auf hohem Niveau bleibt =)
    Bin gerade noch bei der zweiten Staffel, aber so konsequent gucken kann ich das irgendwie nicht, was nicht allzu gut ist, wenn man bedenkt, dass man die Staffeln lieber in einem kurzen Zeitraum schnell durchgehen sollte :D

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  2. War gut. Ein bisschen traurig, dass es vorüber ist. 8/10

    Beste Staffel ist die zweite.

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