25. August 2017

Aquarius

Laughing is serious business.

Alte Dinge können ihren Reiz haben. Und vor allem ihre eigene Geschichte. So wie jene Kommode im Apartment von Clara (Sônia Braga), die seit Jahrzehnten in der Wohnung steht, als noch Claras Tante Lucia (Thaia Perez) als junge Frau dort lebte. Lucia selbst erinnert sich im Prolog von Kleber Mendonça Filhos Aquarius während ihrer 70. Geburtstagsfeier mit einem Blick zur Kommode an früherer Erlebnisse auf ihr. Clara wird diese Erlebnisse später nicht teilen, die Kommode selbst spielt in Aquarius gar keine wirkliche Rolle. Steht jedoch repräsentativ für alte Dinge, welche die Zeit überdauern, ohne dabei zugleich an Wert oder Funktion zu verlieren. Und jener Drang, Dinge zu erneuern, die dies nicht bedürfen, ist Thema von Mendonças Film.

So sehen wir Clara, ihres Zeichens Musikkritikerin, wie sie zwei jungen Journalistinnen ein Interview in ihrer Wohnung gibt. Es geht um digitale Medien, um MP3s, kontrastiert mit der Vinyl-Sammlung von Clara. Die zieht eine Platte aus dem Schrank und berichtet von deren Geschichte, die in einem Gebrauchtwaren-Laden begann und sich bis in die USA in den 1980er Jahren streckt. Eine Geschichte, die sich über eine MP3-Datei nicht erzählen ließe. Und Geschichten, wie die des Prologs, weiß auch Aquarius, die Wohnanlage von Claras und zuvor Lucias Apartment in Recife, zu erzählen. Und dennoch soll die Anlage demnächst abgerissen werden und einem Neubau weichen. Das einzige, was dem noch im Wege steht, ist Clara.

Sie weigert sich partout, ihr Apartment aufzugeben, während alle anderen ihre Wohnungen an die Baufirma abgetreten haben. Die wird im Film vertreten durch den jungen Architekten Diego (Humberto Carrão), der nach seinem Studium im Ausland nun mit dem Aquarius-Neubau sein erstes eigenes Projekt schultert. Und entsprechend enthusiastisch ist – sowie gesprächsbereit, als er Claras Widerwillen sieht. Statt einem neumodischen anglizistischen Titel soll der Neubau den Namen der aktuellen Anlage behalten. So soll der alte Charme hinübergerettet werden. Doch Clara hat für Diego und seine Konzepte nur ein müdes Lächeln übrig. “Your character is money”, wird sie ihm später an den Kopf werfen, als die Lage eskaliert.

Als Clara kontinuierlich den Dialog mit der Baufirma und deren Angebot abblockt, greift Diego zu anderen Mitteln. Veranstaltet Porno-Partys im Stock über Claras Wohnung oder beordert christliche Gruppen in die Anlage. Alles, um Claras Leben unangenehmer zu gestalten und sie zum Verkauf der Wohnung zu nötigen. Nur: Da hat Diego die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Clara lässt sich nicht unterkriegen, stemmt sich gegen die Schikanen wie sie sich 1980 gegen ihre Brustkrebserkrankung gewehrt hat. Kurz nach ihrer erfolgreichen Chemotherapie begegnen wir einer jungen Clara (Bárbara Colen) erstmals im Prolog, genauso ihrer Leidenschaft für die Musik von Queen sowie der Wohnanlage und ihrer Bedeutung für die Figur.

Wenn Clara in einer Szene von dem möglichen Neubau träumt, der sich als Hochhauskomplex in die Höhe reckt, erinnert das Gebäude an jene Wohnanlage, die zuvor in Mendonças O Som ao Redor [Neighboring Sounds] im Zentrum der Handlung stand. Der Regisseur zeichnet das Projekt dabei durchaus leicht ambivalent. So ist Diego kein von Grund auf verdorbener Antagonist, sondern anfangs durchaus um einen Kompromiss bemüht, dann jedoch zunehmend frustiert. Dies trifft auch auf die übrigen ehemaligen Aquarius-Bewohner zu, die wegen Claras Veto auch nach sechs Jahren noch auf ihr Geld warten. “It’s hurting so many people”, wirft Clara der Sohn eines vormaligen Nachbarn da auf offener Straße vor. “You’re being selfish.”

Wenig Verständnis zeigen auch Claras inzwischen erwachsene Kinder. Das Angebot der Baufirma sei weit über Marktwert, betont ihre Tochter Ana Paula (Maeve Jinkings). “You’re so stubborn”, klagt Aninha. “You’re like an old lady and a child.” Derweil fühlt sich die Seniorin unverstanden – und die Wohnanlage nicht entsprechend gewürdigt. “So, when you like it, it’s vintage, when you don’t like it, it’s old?”, entgegnet sie auf Aninhas Hinweis, wie alt Aquarius sei. Dabei weiß Clara sehr wohl um diesen Umstand, wie sich darin zeigt, dass sie später die Außenfassade auf eigene Kosten hin neu streichen lässt. Vintage hin oder her, der Komplex hat wie jedes alte Gebäude seine besten Jahre hinter sich. Und womöglich auch Clara selbst?

Ähnlich wie Lucia lebt Clara inzwischen alleine als Witwe in dem Apartment, genauso wie ihre Tante zuvor ist sie nun Tante für ein liebevolles Familienmitglied in Tomás (Pedro Queiroz) und hat ein bewegtes Leben hinter sich. Neben dem Konflikt mit Diego zeigt Aquarius, wie Clara nach Jahren als Witwe wieder nach Romantik und sexueller Begierde sucht, sieht in Tomàs und seiner aus Rio de Janeiro angereisten Freundin die nächste Generation großwerden, während sie selbst und ihre treue Haushälterin Ladjane (Zoraide Coleto) zum alten Eisen gehören. Zuvorderst ist Aquarius jedoch Vehikel für die ungezügelte Schauspielkunst von Sônia Braga, ohne deren Mitwirken, teilte Mendonça mit, er den Film nicht verwirklicht hätte.

Subtil schwingen in Aquarius auch sozio-politische Misstöne gegenüber Brasilien mit, neben der Vorgehensweise von Diegos Baufirma als das offensichtliche Plot-Element hin zu lediglich lose angedeuteten Handlungen, die Claras Bruder mögliche gerichtliche Folgen einbringen könnten (ursächlich hierfür: eventuell Korruption). Zugleich reißt der Film soziale Strukturen an, bildlich wenn Clara, Tomás und seine Freundin den Strand von Recife aufsuchen, der nach Klassen unterteilt ist. Hauptsächlich erzählt Kleber Mendonça Filho jedoch Claras Geschichte. Die einer Frau, die sich nicht unterkriegen lässt – weder von Krebs noch von einer Baufirma. Und eines ist sicher: Clara ist keineswegs alt, sondern bestenfalls Vintage.

7.5/10

18. August 2017

Classic Scene: The Graduate – “I got it all right.”

DIE SZENERIE: Nachdem sich der 20-jährige Benjamin (Dustin Hoffman) und Mrs. Robinson (Anne Bancroft), eine Freundin seiner Eltern, in einer Hotelbar verabredet haben, ermutigt die ältere Frau ihn dazu, für ein Schäferstündchen ein Hotelzimmer zu organisieren. Etwas ungeschickt bewerkstelligt Benjamin dies unter dem Pseudonym “Mr. Gladstone”, der vorgibt, kein Gepäck dabei zu haben – außer seiner Zahnbürste im Auto. Nach der Zimmerbuchung kontaktiert Benjamin schließlich Mrs. Robinson per Telefon aus der Hotellobby, um sie über den Status zu informieren.

INT. VERANDA ROOM – NIGHT

MRS. ROBINSON sits, patiently and calmly. Her face betrays absolutely nothing as she stares ahead of her and sips her martini.


WAITER: Mrs. Robinson?

She looks up. A WAITER is standing next to the table with a telephone.

MRS. ROBINSON: Yes?

WAITER: For you.

MRS. ROBINSON: Thank you.

The waiter plugs the phone into the wall socket next to the table and hands her the receiver.

MRS. ROBINSON: Hello?

BEN’S VOICE: Mrs. Robinson?

MRS. ROBINSON (into phone): Yes?

BEN’S VOICE: It’s Benjamin. Benjamin Braddock.

MRS. ROBINSON: Benjamin, where are you?

BEN’S VOICE: Can you look through the glass?

Mrs. Robinson turns in her chair and looks through the glass into the lobby. BEN is in the phone booth no more than twenty feet away.

BEN’S VOICE: Can you see me now?

MRS. ROBINSON: Yes, I can.

Over Ben’s shoulder we can see his face reflected in the glass door and, through it, Mrs. Robinson sitting in the Veranda Room.

BEN: I got a single room.

MRS. ROBINSON: That’s fine.

BEN: But there’s one thing. The desk clerk seemed to be a little bit suspicious. Now I don’t know what their policy is but –

MRS. ROBINSON: Well, do you want to go up first?

BEN: Yes. I think that would be good.

MRS. ROBINSON: I’ll be up in five minutes.

BEN: Well… goodbye then.

MRS. ROBINSON: Benjamin?

BEN: Yes?

MRS. ROBINSON: Isn’t there something you want to tell me?

BEN: Tell you?

MRS. ROBINSON: Yes.

BEN: Well, I want you to know how much I appreciate this, really –

MRS. ROBINSON: The number.

BEN: What?

MRS. ROBINSON: The room number, Benjamin. I think you ought to tell me that.

BEN: Oh? You’re absolutely right. It’s 568.

MRS. ROBINSON: Thank you.

BEN: You’re welcome. Well… I’ll see you later, Mrs. Robinson.

He hangs up – so does Mrs. Robinson and calls for the waiter.

MRS. ROBINSON: Check please.

Ben leaves the phone booth and walks into the lobby. As he passes the desk on his way to the elevator, he pats his breast pocket.

BEN: I’ve got it.

The DESK CLERK looks over.

BEN: I say I’ve got it.

CLERK: Sir?

BEN: The toothbrush. I got it all right.

CLERK: Very good, sir.

BEN: Yes. Well -– goodnight.

CLERK: Goodnight, sir.

Ben walks out of shot while the desk clerk looks after him.

11. August 2017

Umi yori mo mada fukaku [After the Storm]

They say, ‘great talents bloom late’.

In Shel Silversteins Kinderbuch The Giving Tree erzählt der Autor von der Beziehung eines Apfelbaums und eines Jungen. Ersterer versorgt sein ganzes Leben hinweg den Jungen mit Äpfeln und Holz, Letzterer nimmt, ohne etwas zurückzugeben. Eine der Lesarten der Geschichte vergleicht die Beziehung des Baums und des Jungen mit der eines Elternteils zu seinem Kind. Eine Analogie, in der sich Pensionärin Yoshiko (Kiki Kirin) in Kore-eda Hirokazus jüngstem Film Umi yori mo mada fukaku [After the Storm] womöglich wiederfinden würde. Auch sie sieht Sohn Ryota (Abe Hiroshi) und Tochter Chinatsu (Kobayashi Satomi) meist nur, wenn die sich finanziell irgendwie bei der Witwe versorgen wollen. Stets nehmend, nie etwas zurückgebend.

Kore-edas Film kann im Grunde als Komödie beschrieben werden, auch wenn alle Figuren mit ihrem Leben hadern. Quasi mit der Gesamtsituation unzufrieden sind. “Why did my life turn out like this?”, artikuliert Ryota da in einer Szene – dabei dürfte dies ein Gedanke sein, der jede der Figuren beschäftigt. Einst mit einem Literaturpreis für seinen autobiografisch angehauchten Debütroman ausgezeichnet, verdingt sich Ryota inzwischen als privater Ermittler in einer Detektei. Dort stellt er für Klienten deren Ehepartnern nach, um deren Seitensprünge zu fotografieren. Nur um sich anschließend von den überführten Partnern bestechen zu lassen. Gleichzeitig ist seine eigene Ehe mit Kyoko (Maki Yōko) in die Brüche gegangen.

Einmal im Monat darf Ryota seinen Sohn Shingo (Yoshizawa Taiyô) sehen – obwohl er drei Monate mit den Alimenten in Verzug ist. Nicht zuletzt deshalb, weil Ryota das, was er hat, auf der Rennrad-Wettbahn verliert. Die Figur ist ein Verlierer wie er im Buche steht. Und kommt dabei ganz nach dem inzwischen verstorbenen Vater, dessen Schuldscheine immer noch daheim rumfahren. “You hate being likened to Dad”, konstatiert da Chinatsu später bei einer Art Familientreffen. Nur um festzuhalten: “You’re exactly like Dad.” Die Schwester macht dem Bruder dabei moralische Vorwürfe, unterscheidet sich jedoch selbst nur minimal von ihm. So lässt sich die alleinerziehende Mutter die Eiskunstlauf-Stunden ihrer Tochter von Yoshikos Rente bezahlen.

Die Pensionärin selbst ist ebenfalls nicht zu beneiden, lebt sie nach dem Tod ihres Mannes doch alleine in dem Apartment ihrer Wohnanlage. Warum sie sich keine neuen Freunde sucht, fragt Chinatsu ihre Mutter zu Beginn. “New friends at my age only means more funerals”, entgegnet diese. Und berichtet von dem Sohn der Nachbarn, der seinen Eltern ein Haus gekauft hat. Und sie aus der Wohnanlage quasi befreit hat. “It’s so quiet here”, bemerkt Ryota, als er Yoshiko besucht. “No more children playing these days”, erwidert die. Nur noch die Alten sind in der Anlage geblieben, junge Paare mit Kindern nicht nachgezogen. Umi yori mo mada fukaku ist nicht nur ein Film über die Beziehung von Eltern und Kind, sondern auch über Generationen.

Entsprechend besorgt reagiert Kyoko, als sie erfährt, dass Shingo mit Ryota ein paar Lotterielose gekauft hat. Schließlich soll der Sohn nicht wie der Vater enden, der selbst seinem eigenen alten Herrn ungewollt nacheifert. Es sei nicht leicht, der Mann zu werden, der man werden will, sinniert Ryota später gegenüber Shingo, als beide eine der wenigen positiven Erinnerungen von Ryota an seinen eigenen Vater reproduzieren. Im Fall von Kore-edas Film könnte man diesen Satz geschlechtsneutral erweitern: Es ist nicht einfach, die Person zu werden, die man sich vorgenommen hat zu sein. Oder anders: Nicht zu der Person zu verkommen, die man vermeiden wollte zu werden. Eine einsame Witwe, ein gescheiterter Autor, eine alleinerziehende Mutter.

Gerade in der Beziehung von Yoshiko und Ryota respektive der gutmütigen Enttäuschung der Mutter vom Sohn generiert Kore-eda die humorvollsten Momente. “He always loved my food”, erzählt Yoshiko beim gemeinsamen Abendessen Kyoko über Ryota. “That was his only virtue”, so die Mutter. “What do you mean ‘my only’?”, entgegnet dieser perplex. Zugleich sehen wir auch die Enttäuschung von Kyoko in ihren Ex-Mann. Als ihr neuer Freund sagt, dass er Ryotas Roman gelesen hat, fragt Kyoko aufrichtig, was er von dem Buch hält. Auf jenen Ryota ist sie noch immer stolz – und mag sich fragen, was aus dem Mann von damals wurde. Eine Idee gibt da Chinatsu, als sie andeutet, dass der Roman primär auf Autobiografischem fußt.

Obschon der Roman und seine Auszeichnung den Höhepunkt von Ryotas Schaffen darstellen, sieht dieser seine beste Zeit noch vor sich – zumindest gegenüber Yoshiko. Große Talente seien oft Spätzünder, meint er. Amüsanter Weise charakterisierte Yoshiko eingangs so den Sohn der Nachbarn, der diesen ein Haus besorgte. Während sie realisiert, dass sie in derselben Wohnung sterben wird, in der sie den Großteil ihres Lebens verbracht hat. Das Ensemble spielt diesen Generationen- und Familienkonflikt gekonnt empathisch, was wenig verwundert, da die meisten bereits mit Kore-eda zusammenarbeiteten. So spielte Abe Hiroshi schon in Aruitemo aruitemo einen enttäuschenden Sohn namens Ryota für Kiki Kirins betagte Mutter.

Beide tragen den Film, unterstützt vom nuancierten Spiel Maki Yōkos oder Lily Franky in einer Nebenrolle als Ryotas Chef. Kore-eda liefert mit Umi yori mo mada fukaku wieder ein herzliches, ruhiges Drama. Nicht ganz so stark wie Umimachi diary, aber harmonischer als Soshite chichi ni naru – ein vergnüglicher Film über die Eltern-Kind-Beziehung. Passend zu The Giving Tree gibt es auch eine florale Szene: So hat Yoshiko eine Balkonpflanze, die weder Blüten noch Früchte trägt. “But I water it every day like it’s you”, sagt sie. “That’s not a nice thing to say”, findet der Sohn. Dafür schlüpfen dank der Pflanze Schmetterlinge. “So it’s useful for something”, meint Yoshiko. “I’m useful for something, too”, lamentiert Ryota. Er ist nur ein Spätzünder.

8/10

4. August 2017

Bates Motel – Season Two

This is the road that’s gonna ruin our lives.

Der erste Schritt ist immer der schwerste – und ehe man sich versieht, eilt man wie der Wind durch die Felder. So – oder so ähnlich – ließe es sich auch auf Bates Motel münzen, das campige TV-Prequel zu Alfred Hitchcocks Klassiker Psycho. Taten sich die Showrunner Carlton Cuse und Kerry Ehrin in der ersten Staffel noch etwas schwer, die unterschiedlichen Tonalitäten zwischen den Darstellern und Handlungssträngen harmonisch zu verweben, glückt ihnen dies im zweiten Jahr nun erkennbar besser. Zwar bewegt sich die Auftaktfolge Gone But Not Forgotten noch auf dem durchwachsenen Niveau des Vorjahres, doch schon kurz darauf steigert sich Bates Motel zu einer guten Serie. Selbst wenn sie kurz vor dem Finale etwas nachlässt.

Inhaltlich knüpft die Show da an, wo sie im Staffelfinale zuvor aufgehört hat. Der Leichnam von Blair Watson (Keegan Connor Tracy) wird entdeckt und Norma (Vera Farmiga) befürchtet automatisch, dass Norman (Freddie Highmore) der Täter sein muss. Während Sheriff Romero (Nestor Carbonell) mit seinen Ermittlungen beginnt, die wenig später zu einem – vorläufigen – Abschluss kommen, rückt Dylan (Max Thieriot) in der Hackordnung seines Marihuana-Kartells unter dessen neuer Führung durch den überdrehten Zane (Michael Eklund) auf. Dieses befindet sich jedoch alsbald in einem verstärkt eskalierenden Drogenkrieg mit der rivalisierenden Gang von Nick Ford (Michael O’Neill), einem der großen Power Player von White Pine Bay.

Der Drogenkrieg – wobei die Bezeichnung etwas hoch gegriffen ist – dient als der primäre Nebenhandlungsstrang für Dylan, der zwar peripher an dem „Beziehungsdrama“ zwischen Norma und Norman teilnimmt, aber wohl für Cuse und Ehrin einer eigenen Beschäftigung bedurfte. Nur ist der Konflikt zwischen den Parteien leidlich spannend, da einem die Identifikation fehlt. Da Dylan selbst eine wenig interessante Figur ist und die einzige, die dem Publikum als Anker dient, beobachtet es zwar die Ereignisse, wird jedoch nicht wirklich ins Geschehen gezogen. Erfreulich ist immerhin, dass später Dylans Kartell-Boss Jodi von Beverly Hills 90210-Alumni Kathleen Robertson porträtiert wird. Besser macht dies den Drogenplot aber auch nicht.

Etwas Gutes bringt er dennoch mit sich: Da der Krieg der beiden Gangs durch einen Racheakt von Bradley (Nicola Peltz) ausgelöst wird, schreibt die Serie diese zu Beginn der Staffel dankenswerter Weise aus der Serie (wenn auch eher Peltz’ Engagement in Michael Bays Transformer: Age of Extinction geschuldet). Zumindest eine belanglose Figur verabschiedet sich von der Bildfläche, während Cuse und Ehrin ihre vakante Rolle der Femme fatale für Norman kurz darauf durch die rebellische Cody (Paloma Kwiatkowska) ersetzen. Die bringt im Gegensatz zu Bradley mehr Feuer in die Handlung, auch weil ihre Beziehung zu Norman sehr viel deutlicher als Stein des Anstoßes für das Mutter-Sohn-Verhältnis von Norma und Norman dient.

“You need to be out in the world, doing normal things”, instruiert da Norma ihren Sohn noch im Staffelauftakt. Was angesichts ihrer rigorosen Bemutterung aus dem Vorjahr, wo sie den Sprößling kaum alleine aus dem Haus lassen wollte, etwas verwundert. Da passt es zugleich ins Bild, dass zu Beginn des zweiten Jahres die Darsteller sich nicht ein- oder zwei- sondern direkt dreimal ein Schrei-Duell liefern. Und damit in gewisser Weise die Richtung vorgeben: Bates Motel dreht in seiner zweiten Staffel den Drama-Regler eine Stufe nach oben. Nicht zuletzt dadurch, dass mit Caleb (Kenny Johnson) unerwartet Normas Bruder und Vergewaltiger sowie Dylans Vater/Onkel vor der Tür steht. Was die Emotionen weiter hochkochen lässt.

In jener Quasi-Doppelfolge Caleb und Check-Out legt Bates Motel eine deutliche Leistungssteigerung an den Tag. Familien-Geheimnisse und Tragödien werden aufgedeckt, mit weiterer psychischer Verschlechterung von Normans Zustand als Folge. So Psycho wie in Check-Out war die Show bis dato noch nicht gewesen, wenn Norman seinen Onkel in seiner Mutter-Persona mit dessen Taten konfrontiert. Immer öfter knirscht und knackst es fortan in der Psyche des Teenagers und Bates Motel macht einen merklichen Schritt zu auf seinen Weg, der schlussendlich in Hitchcocks Film münden wird. “We have to be together”, betont Norma da im starken Staffelfinale The Immutable Truth gegenüber Norman. “We’re supposed to be together.”

Die Beziehung zwischen Mutter und Sohn ist naturgemäß weiterhin der Mittelpunkt der Show. Während Norman durch seinen Blackout die Ereignisse der Nacht bei Blair Watson verdrängt hat, langen Norma die Informationen, die sie besitzt, um Norman zu verurteilen und als Folge dessen zugleich beschützen zu müssen. Dass beiden Figuren dabei romantische Partner zugewiesen werden – Norma in Person von Anwalt George (Michael Vartan) –, die der jeweils andere mehr als kritisch beäugt, steigert die sexuelle Spannung zwischen ihnen noch. Auch, da die Show sie wiederholt in erotisch aufgeladene Momente stürzt: in der Regel inzestuöse Bett-Kuscheleinheiten, die für die Zuschauer bewusst unangenehm anzusehen sind.

Wie ein narratives schwarzes Loch entziehen die Norma-Norman-Szenen dabei den anderen Figuren etwas die Schwerkraft. Kein Wunder, wird Dylan mit einem eigenen Subplot versehen, der zum Ende der Staffel hin mit den Hauptfiguren verstrickt wird. Weitaus weniger Glück hat da im zweiten Jahr Olivia Cookes herzallerliebste Emma, die mitunter oft dabei, aber nie so recht mittendrin ist. Immerhin artikuliert die Figur später selbst ihren Frust über diesen Zustand. Dennoch bleibt viel auf der Strecke in der zweiten Staffel, darunter die Tatsache, dass eine neue Bundesstraße gebaut wird, die den Hauptverkehr um das Bates Motel führen würde. Ein Handlungsstrang, der Potential hat, aber bald scheinbar gewichtigeren Dingen weichen muss.

Somit fühlt sich die Serie auch in ihrer zweiten Staffel etwas überfrachtet an. Der Mord an Blair Watson, das Drama um Bradley, die Beziehung zwischen Norman und Cody, Normas Auseinandersetzung mit der Bundesstraße, das kritischer werdende Verhältnis zu Norman, die Anwesenheit von Caleb sowie dessen Vaterschaft von Dylan, dessen Rolle im Krieg zwischen den beiden Gangs – mehr Fokus auf weniger Themen würde Bates Motel generell nicht schaden. Dennoch bewegen sich dieses Mal die übrigen Handlungen und Darsteller etwas mehr auf demselben Level wie die beiden Hauptfiguren, hat die Serie allgemein also inzwischen scheinbar eine Rolle für sich entdeckt, die zu ihr passt und in der sie sich merklich wohler fühlt als zuvor.

Dem schwachen Auftakt und einer kurzen Abklang-Phase zu Beginn der zweiten Hälfte zum Trotz gelingt der Staffel eine beeindruckende Steigerung zum ersten Jahr. Höhepunkt bleibt das oft überpointierte Spiel von Freddie Highmore und speziell Vera Farmiga, nette Zugänge für Serien-Fans stellen Michael O’Neill (Rectify), Kenny Johnson (The Shield), Michael Vartan (Alias) oder Kathleen Robertson dar. Mit Einführung der Mutter-Persönlichkeit stärkt Bates Motel zudem seinen Bezug zum Original, indem Norman einen merklichen Wandel durchmacht, der auch den übrigen Figuren nicht verborgen bleibt. Ein Schritt in die richtige Richtung – auf die Straße, die ihr Leben zerstören wird, wie Norma unbewusst doppeldeutig erklärt.

6.5/10