26. Oktober 2018

Bohemian Rhapsody

I see a little silhouetto of a man.

Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich im Jahr 1993 meine ersten Maxi-CDs besorgte. Zu den ersten drei Singles, die meine Sammlung seiner Zeit gründeten, zählte neben “The Sign” von Ace of Base und “I’d Do Anything for Love (But I Won’t Do That)” von Meat Loaf auch die Remix-Wiederauflage “Living On My Own” von Freddie Mercury. Damals wusste ich noch nicht wirklich von Queen, doch sollte auch die Band um ihren Frontmann später zu meinen Favoriten zählen. Einen ihrer Höhepunkte feierte die englische Rock-Formation dabei im Juli 1985 auf dem Live-Aid-Konzert in London von Bob Geldorf. Ein Event, welches auch die narrative Klammer für Bohemian Rhapsody liefert, der die Geschichte von Freddie und Queen erzählt.

Regisseur Bryan Singer – sowie Dexter Fletcher, der Singer gegen Ende der Produktion ersetzte – folgen dabei weitestgehend dem üblichen Prinzip des Musikbiografie-Genres. Der Film rekapituliert rund 15 Jahre Band-Geschichte, beginnend mit dem ersten Kennenlernen der beiden Smile-Musiker Brian May (Gwilym Lee) und Roger Taylor (Ben Hardy) mit Farrokh Bulsara (Rami Malek). Er ersetzt 1970 ihren bisherigen Sänger, ehe sich die Band mit John Deacon (Joseph Mazzello) neu formierte und erste Gigs spielte. Aus Smile wird Queen und aus Farrokh Bulsara kurz darauf Freddie Mercury. Doch auch mit seiner neu geschaffenen anglisierten Identität sucht der Junge aus Sansibar mit indischen Wurzeln weiter nach seinem Glück.

“I get lonely, so lonely, living on my own”, sang Freddie in jenem Solo-Stück. Und auch Bohemian Rhapsody zeichnet ihn immer wieder als einsamen Künstler, selbst in der Anwesenheit von anderen. Seine Liaison mit Mary Austin (Lucy Boynton) gibt ihm anfangs noch emotionalen Halt, doch leidet die Beziehung unter der Erkenntnis von Freddies Homosexualität. Obschon sich Singer von der Band nur Freddie widmet, schenkt der Film nur sehr wenig Einblicke in sein Innenleben. Welcher Konflikt in ihm herrschte, sei es über seine Sexualität oder seinen indischen Hintergrund, reißt Bohemian Rhapsody nur leicht an. Ebenso als Singer in Paul (Allen Leech), Freddies persönlichem Assistenten,  später eine Art Antagonisten findet.

Primär hangelt sich der Film von Lied-Station zu Lied-Station. Mit am meisten Zeit verbringt er dabei noch mit den Aufnahmen zu Queens viertem Studio-Album “A Night at the Opera” in 1975, auf dem auch jener Kult-Hit erschien, der Bohemian Rhapsody seinen Titel leiht. Kürzer fallen da die Findungs-Momente weiterer Klassiker wie “We Will Rock You” oder “Another One Bites the Dust” aus. Im Grunde inszeniert Singer dies alles als eine Form filmischen Medleys, Reenactments von Konzert- und Musikauftritten werden dabei unterbrochen von privaten Szenen um Freddie. Und dem aufschwellenden Konflikt mit den übrigen Band-Mitgliedern, der in Singers Film hauptsächlich von Paul motiviert bzw. diesem gesteuert erscheint.

Dass es innerhalb der Band hinsichtlich der Autorenschaft der jeweiligen Songs zu Konflikten kam, wird erst im Schlussakt kurz während einem Meeting bei ihrem Manager Jim Beach (Tom Hollander) thematisiert. Bohemian Rhapsody will letztlich womöglich zu viel erzählen, über einen zu langen Zeitraum – und setzt dabei auch noch mitunter den Fokus falsch. So erweckt der Film den Eindruck, die Spaltung zwischen Freddie und Queen sei über einen längeren Zeitraum der gegenseitigen Entfremdung erfolgt, währenddessen er sich in München aufhielt und den Drogen verfiel, ehe das Live-Aid-Konzert der Band neues Leben einhauchte. Dabei befand sich Queen bis Mai 1985 gemeinsam auf Tour – also zwei Monate vor Live Aid.

Auch dass Freddie vor Queen bereits in Bands wie Ibex und Sour Milk Sea spielte, spart Singer aus dramaturgischem Anlass aus. Verortet aus denselben Gründen Freddies vermeintliche AIDS-Diagnose aber bereits unmittelbar vor Live Aid. Eben auch, weil mit diesem Hintergrund die Performance von “Bohemian Rhapsody” auf der Bühne mit Lyrics wie “Too late, my time has come (…) Goodbye everybody, I’ve got to go (…) I don’t want to die” eine neue Bedeutung erhält (obwohl der Song schon zehn Jahre alt war). Auch andere Textzeilen nach Live Aid weisen eine Zweideutigkeit auf, zum Beispiel “There's no time for us” aus “Who Wants to Live Forever” oder das kurz vor seinem Tod veröffentlichte “The Show Must Go On”.

Bohemian Rhapsody schultert sich reichlich Themen auf – und damit viel erdrückende Last. Die Sexualität von Freddie, seine Beziehungen zu Mary und Paul, sein Verhältnis zu seiner Familie, die AIDS-Erkrankung, die Anfänge und anfänglichen Widerstände von Queen, erste und spätere Reibungen mit den anderen Band-Mitgliedern, die Genesis einiger der größten Hits, Selbstzweifel des Lead-Sängers und noch manches mehr. Viel Ballast, dem sich jemand wie Kevin Macdonald in einer Musik-Dokumentation à la Marley oder Whitney sicher intensiver gewidmet hätte, anstatt wie Singer einen szenischen Staffellauf zu präsentieren. All dies unterscheidet seinen Film aber nicht von anderen Genre-Vertretern wie Love & Mercy.

Singers Film funktioniert dennoch über weite Strecken sehr gut – für Fans von Queen und Freddie Mercury vermutlich besser als für Laien. Die Darsteller überzeugen, von Gwilym Lee und Ben Hardy hin zu Rami Malek, der sich zumindest einer Golden-Globe-Nominierung sicher sein dürfte. Dass Sacha Baron Cohen, der zuerst für die Rolle vorgesehen war, mehr aus ihr gemacht hätte, sei dahingestellt. Auch die vielen Konzert-Szenen gefallen, mit dem Live-Aid-Reenactment als Höhepunkt. Hier geht jedoch viel Zeit verloren, die an anderer Stelle für die Ausarbeitung der Figuren und/oder Handlung hätte genutzt werden können. Zugleich wäre der Gang auf die Bühne mit Texttafel wohl ein ebenso funktionierendes Ende gewesen.

Als filmisches “Greatest Hits” zu Queen und Freddie Mercury funktioniert Bohemian Rhapsody also allemal – eben auch, weil Singer die bekannten Pfade nicht verlässt und keine Experimente wagt. So schultert die Darstellung der drei Hauptdarsteller, insbesondere aber die Diskografie von Queen selbst den Großteil des Films. Der hilft zumindest dabei, Letztere in einem neuen, tieferen Licht zu betrachten. Als hätte er 1977 bereits sein Schaffen und die Bedeutung seiner Musik und Fans für sich reflektiert, singt Freddie in “We Are the Champions” unter anderem: “I’ve taken my bows. And my curtain calls. You brought me fame and fortune, and everything that goes with it. I thank you all.” Dabei sind wir es, die ihm zu danken haben.

6.5/10

19. Oktober 2018

Ex Libris: The New York Public Library

The libraries are the pillars of our democracy.

Eine schlechte Bibliothek führt Sammlungen, eine gute Bibliothek bietet Dienstleistungen und eine herausragende Bibliothek erschafft Gemeinschaften – befand der US-Bibliothekar R. David Lankes. Dass die New York Public Library zu Letzteren zählt, wird spätestens im Laufe von Frederick Wisemans epischer 3-Stunden-Dokumentation Ex Libris: The New York Public Library deutlich. Insofern es sich der Zuschauer nicht ohnehin gedacht haben dürfte. Mit über 53 Millionen Büchern und Artikel im Bestand handelt es sich um die drittgrößte Bibliothek der Welt. Doch ihre Buch- und Bildsammlungen sind eher zweitrangig, hinter ihrer kulturellen Bedeutung für die New Yorker Bevölkerung als ein Ort der Bildung und Begegnung.

Wiseman präsentiert sie eingangs dabei noch im klassischen Sinne. Einige der insgesamt über 3.000 Mitarbeiter nehmen am Telefon Anfragen nach bestimmten Büchern an. Andere helfen an Informationsschaltern bereitwillig weiter. Egal ob es um Urkunden von Immigranten auf Ellis Island geht oder um das Einhorn als Fabeltier. Regelmäßig werden Autoren eingeladen, um in einer Veranstaltungsreihe interviewt zu werden, genauso gibt es bisweilen Konzerte. Die umfangreiche Bildsammlung im Bestand diente im 20. Jahrhundert vielen Werbeschaffenden und Künstlern wie Andy Warhol als Inspiration für ihre Arbeit. Die Bibliothek versteht sich aber weniger als eine Art „Materiallager“, sondern eher als Mittelpunkt des Gemeinwesens.

“A warm and welcome place that’s committed to education”, sagt Anthony Marx, Präsident der New York Public Library an einer Stelle einmal. Ihre 92 Einrichtungen reichen weit über die Hauptfiliale hinaus. So kommen in der Zweigstelle in der Bronx regelmäßig Schulklassen zu Lernzwecken zusammen. Weitaus wichtiger als der Zugang zu Bildung, so erweckt Ex Libris den Eindruck, scheint jedoch der zum Internet zu sein. Viele Haushalte würden auch in der Gegenwart noch nicht mit dem World Wide Web vernetzt sein. Zwischen 60 und 70 Millionen Amerikaner – das ist immerhin jede/r Fünfte – leben in der “digital darkness”, wie Anthony Marx sagt. Die Bibliothek sei daher der “anchor in the community for digital inclusion”.

In wiederkehrenden Segmenten widmet sich Wiseman diesem Punkt der digitalen Inklusion sowie dem Breitband-Angebot und der Digitalisierung seiner Nutzer. Die New York Public Library verleiht daher beispielsweise auch besonders nachgefragte WLAN-Hot-Spots. Und bietet mit ihren festen Rechnern den Besuchern Möglichkeiten zur Online-Recherche für Darmkrebsvorsorge oder um Videospiele online zu zocken. Zwar geht es für Marx und seine Mitarbeiter auch darum, das Sortiment um Bestseller und rare Bücher zu erweitern, doch die eigentliche (Weiter-)Bildung ist oft eher auf berufliche Qualifikationen fokussiert, sei es mit abgehaltenen Job-Börsen oder dem weiterbildenden Computer-Kursprogramm TechConnect.

Ex Libris liefert dem Publikum einen umfassenden Einblick zu seinem Film-Objekt – zum Beispiel zu seinem finanziellen Hintergrund als “public-private partnership”. Sprich: Private Spenden können öffentliche Investitionen von Stadt- und Staatsseite aus anregen. Denn auch mit einem Jahresbudget von 300 Millionen Dollar muss eine Institution wie die New York Public Library haushalten. Zugleich ist Wisemans Einblick aber auch leicht repetitiv. Mehrmals adressiert Wiseman die digitale Inklusion, selbst wenn er sein Argument zu dem Thema bereits beim ersten Mal erfolgreich gemacht hat. Zugleich zeigt der Film wiederholt verschiedene Interview-Reihen – sei es mit Richard Dawkins, Ta-Nehisi Coates, Patti Smith oder Elvis Costello.

Die mögen sich zwar inhaltlich unterscheiden und prinzipiell interessant ausfallen, in ihrer Wiederholung steuern sie aber wenig Neues zum Umfang dieses Bibliotheksangebots bei. Im Verbund mit dem repetitiven Aspekt der digitalen Inklusion wirkt die fast dreieinhalbstündige Dokumentation entsprechend aufgebläht. Hier hätte sich problemlos eine Stunde Filmmaterial im Schnittraum opfern lassen. Angesichts der Laufzeit von Ex Libris: The York Public Library stellen sich zumindest Längen selten ein, da das Angebot der Bibliothek und die Erkenntnisse aus der Filmsichtung weitestgehend faszinieren. Der Zuschauer ist insofern hinterher schlauer als vorher – damit hat die Dokumentation ihren Teil zur Bildung beigetragen.

6.5/10

12. Oktober 2018

Shadow of the Tomb Raider

I thought I knew why I came here.

Aller guten Dinge sind drei, heißt es ja eigentlich. Bei Filmen oder Videospielen ist es aber mit Fortsetzungen allgemein und Drittteilern speziell immer so eine Sache. Schon die populäre Uncharted-Reihe konnte das Niveau ihres zweiten Spielablegers Amongst Thieves im dritten Teil Drake’s Deception nicht mehr aufrechterhalten. Stattdessen entwickelte sich das vormals abenteuerlastige Game verstärkt zum Ballerspiel. Da machte der 4. Teil (A Thief’s End) keine sonderliche Ausnahme. Eine ähnliche Krux widerfährt auch Square Enix’ Tomb Raider-Serie. War vor fünf Jahren Tomb Raider für mich noch das beste Videospiel des Jahres, wirkte Rise of the Tomb Raider zwei Jahre später bereits eher wie ein DLC zum Vorläufer.

Auch Shadow of the Tomb Raider gelingt keine Kurskorrektur. Beschränkte Settings – trotz vorgegaukeltem Open-World-Konzept –, eine mitunter anstrengende Kamerakontrolle im Verbund mit nicht immer optimaler Figurensteuerung trüben den Spielspaß etwas. Wie auch die Handlung wenig mitreißend oder innovativ gerät, eher Elemente aus den Vorgängern sowie auch beispielsweise Uncharted 2: Amongst Thieves vermischt und neu aufkocht. Lara Croft (Camilla Luddington) aktiviert bei einer Artefakt-Schnitzeljagd gegen den Kult Trinity um dessen Anführer Dominguez (Carlos Leal) aus Versehen eine alte Inka-Prophezeiung. In Paititi, der verlorenen Stadt der Inka im Osten Perus, muss sie nun das Ende der Welt verhindern.

Wo Naughty Dogs Uncharted-Reihe gerne in der Manier seines Vorbildes Indiana Jones um die Welt reist, beschränkt sich Shadow of the Tomb Raider nach seinem Auftakt in Mexiko auf das Setting in Paititi. Dieses sowie sein Verlauf erinnern stark an Nathan Drakes Aufenthalt in einem nepalesischen Bergdorf, ehe er sich zum Finale in das mystische Shambhala aufmachte. Und wie in den Uncharted-Teilen trifft Lara Croft auch hier auf halb-zombiefizierte Ureinwohner, die sich als Beschützer unheilsvoller Artefakte aufspielen. Dabei entfernt sich die Handlung mitunter so weit von ihrer eigenen Agenda, dass streckenweise fast vergessen wird, wonach man als Spieler nun eigentlich sucht, um den nahenden Weltuntergang zu stoppen.

Das hängt auch damit zusammen, dass der jüngste Teil der Reihe, quasi identisch zu Drake’s Deception, stellenweise ausnahmslos zum Third-Person-Shooter verkommt. Welle um Welle an Inka-Zombies sowie Trinity-Söldnern muss sich Lara hier erwehren. Wo ihre erste Tötung in Tomb Raider vor fünf Jahren noch ein charakterdefinierender Moment war, kann man sich inzwischen aussuchen, wie man seine Gegenüber ins Jenseits befördert. Sei es ein Nerventoxin, das sie wahnsinnig werden lässt und aufeinander hetzt, mit der Kletteraxt oder per Kopfschuss über das umfangreiche Arsenal an Waffen. Wie schon in A Thief’s End spielt ein neuer Stealth-Modus dabei eine Rolle, der Lara hilft, aus der Deckung in Rambo-Manier loszumetzeln.

Eine weitere Neuerung ist hier auch eine Tauschhandel-Option: Eine Art Basar, wo Spieler im Dschungel gefundene Pflanzen und Co. verkaufen und zu hochklassigen Maschinengewehren, Pistolen und mehr machen können. Dabei dürfte es nur minimale Unterschiede machen (falls überhaupt), ob eine neu erstandene Waffe mehr “kills” bringt als das Standard-Modell, das man im Laufe des Spiels automatisch erhält. Ähnlich wie die Option der Nebenmissionen, in denen man Handlanger-Arbeiten für die Inkas für Trophäen und andere “goodies” durchführt, ist dies eher schmuckes Beiwerk, aber kein besonderes Highlight. Genauso wie die titelgebenden “challenge tombs” – hier trägt aber auch das mitunter nervige Gameplay seinen Teil bei.

Nicht immer ist die Kameraführung des Spielers Freund, genauso wie die Steuerung der Figur. An welcher Klippe man sich festhalten kann und wo mancher Pfad weitergeht, wird nicht immer direkt klar, sondern erst via “trial and error”. Das man sich oft mit der neuen Wurfhaken-Technik fortbewegt, ist hier mitverantwortlich. Lara kann nun kopfüber mit ihrer Kletteraxt an Klippen hängen und per Wurfhaken vorwärts kommen. Wenn man weiß, wann man wo hin zu springen hat. Im Verbund mit der Kamera war das in meinem Fall an einer Stelle dann derart nervig, dass ich eine Graberkundung irgendwann abbrach und lieber den Weg zurück zur Haupthandlung vornahm. Hier trägt eventuell auch das neue Entwickler-Team die Schuld.

Denn wo zuvor Crystal Dynamics die Vorgänger Tomb Raider sowie Rise of the Tomb Raider verantwortete, ließ Square Enix diesmal Shadow of the Tomb Raider von Eidos Montréal umsetzen. Ein Spielentwickler-Wechsel, der sich direkt in der Grafik bemerkbar macht. So schön die Welt von Paititi auch aussehen mag, so enttäuschend fällt bisweilen die Gestaltung der Figuren aus. Obschon wie A Thief’s End und der Uncharted-DLC The Lost Legacy in 4K-Auflösung und HDR präsentiert, sieht Lara wenig detailliert ausgearbeitet aus. Ein Unterschied wie Tag und Nacht, den auch der Spiel- gegenüber dem Gameplay-Trailer deutlich macht oder ein direkter Vergleich zwischen Laras Haarumsetzung zu der von Chloe aus Naughty Dogs The Lost Legacy.

Die Handlung fügt sich dann in das Gesamtbild. Interessante Aspekte wie die Folgen von Laras Einleitungstat, die ein ganzes Dorf auslöscht, und ihre dadurch belastete Beziehung zu Begleiter Jonah (Earl Baylon) – der einzigen weiteren Konstanten über alle drei Teile – sind schnell Opfer für den nächsten Shootout oder Stealth-Überfall. Dass die Handlung um Paititi und die Artefakte gegenüber anderen Storylines der Reihe – Tomb Raider wie Uncharted – wenig vor Originalität sprühen, spielt dem in die Karten. Jill Murray, die zuvor die Drehbücher zu Assassin’s Creed III und IV verfasste, ist hier ebenfalls eine eher misslungene Neuerung gegenüber ihrer Kollegin Rhianna Pratchett, die für die beiden vorherigen Teile das Drehbuch schrieb.

Bei Shadow of the Tomb Raider kommt also ein eher durchschnittlicher Spiel-Spaß heraus, was sich womöglich auch durch die Unerfahrenheit von Eidos Montréal erklären mag. Wo man 2013 den Survival-Charakter in Tomb Raider noch narrativ verankerte, will das im Vordergrund stehende Action-Element im dritten Teil einen nicht so recht abholen. Gefecht-Szenen schön und gut, aber in Maßen. Und wenn man schon anstrebt, seine Spielwelt etwas zu öffnen, dann richtig, wie beispielsweise in Far Cry 3. Oder man spielt am besten einfach gleich nochmal Uncharted 2: Amongst Thieves. Mit Shadow of the Tomb Raider schließt Square Enix sein Tomb Raider-Reboot jedenfalls ab. Vielleicht nicht verkehrt, aller guten Dinge sind schließlich drei.

5.5/10

5. Oktober 2018

Bad Times at the El Royale

We might need to work on your sales pitch.

In seinem Gedicht “Faith” glaubte Edgar Guest, “that strangers are friends that we some day may meet”. Allerdings hatte Guest nie die Gelegenheit, im einst renommierten und inzwischen verblassten El Royale zu nächtigen. Das Hotel mitten auf der Staatsgrenze zwischen Kalifornien und Nevada beherbergte einst das Rat Pack und andere illustre Gestalten. Solche, wenn auch weniger namhaft, finden sich auch zu Beginn von Drew Goddards Bad Times at the El Royale in dem Etablissement ein. Vom katholischen Priester Flynn (Jeff Bridges) über die Soul-Sängerin Darlene Sweet (Cynthia Erivo) hin zum Staubsauger-Vertreter Laramie Sullivan (Jon Hamm). Doch im El Royale ist dieses Mal nichts, wie es scheint – einschließlich seiner Gäste.

Die meisten von ihnen führen nicht nur buchstäbliches Gepäck mit sich, darunter auch Emily (Dakota Johnson), die mit einer Geisel (Cailee Spaeny) anreist. Wer die Figuren sind und welche Vorgeschichte sie mit sich bringen, dröselt Goddard nach einer ersten Einführung in einzelnen Segmenten auf. Welche Rolle sie spielen oder jene ominöse Tasche, die Nick Offerman in der Eröffnungsszene unter einem der Hotelzimmer vergräbt, bleibt lange offen. Und wird im Nachhinein auch nur halbherzig von Goddard erklärt. Sein Bad Times at the El Royale ist ein Kuddelmuddel aus Genre-Versatzstücken, in dem sich unter anderem Elemente aus James Mangolds Identity, Quentin Tarantinos The Hateful Eight oder Michael Bays The Rock treffen.

Goddard reißt narrativ viel an, ohne wirklich Interesse an dem zu haben, was er im Moment erzählt. Seine Geschichte ist mal Thriller, dann kurz Heist-Film, bisweilen Krimi, aber selten etwas davon lange genug, um eine Spur von Dynamik zu entwickeln. Dabei hat das Grundkonzept der Fremden, die sich in einer abgelegenen Lokalität mit unterschiedlichen, gegensätzlichen Agenden wiederfinden, prinzipiell Potential. Einschließlich solcher Figuren wie Emily als Femme fatale, dem verschüchterten Concierge Miles (Lewis Pullman) oder Flynn und Sullivan, die vorgeben, jemand zu sein, der sie nicht sind. Wie das Setting selbst weiß Goddard jedoch nicht so recht, wie er dieses mit den Charakteren und ihren Backstories zusammenbringen soll.

So macht der Film eingangs viel Aufhebens um die Tatsache, dass das El Royale auf der Staatslinie zwischen Kalifornien und Nevada gebaut ist. Was mit sich bringt, dass sich die Zimmerpreise unterscheiden oder nur auf einer Seite der Anlage Alkohol ausgeschenkt werden darf. Ein Umstand, der für die Geschichte in der Folge aber keine Bedeutung hat, wo man zuvor noch mutmaßen würde, es könnte im Verlauf zu Verwicklungen in möglichen Gerichtsbarkeiten kommen, wie sie das Bundesstaaten-System der USA möglich macht. Wie einige andere Entwicklungen im Film verfolgt Goddard dies allerdings nicht weiter, auch deswegen, da er in der zweiten Hälfte sein Interesse verstärkt einem weiteren unausgegorenen Subplot widmet.

Wie im Trailer mehr als prominent zu sehen, betritt irgendwann Chris Hemsworth als Charles-Manson-Verschnitt Billy Lee die Bühne, basierend auf einer Vorgeschichte mit einer der Figuren. Mit seinem Erscheinen bricht Hemsworth Bad Times at the El Royale vollends das Genick: Einerseits, weil die Geschichte um ihn und seine Sekte wie die Figuren zuvor keine wirkliche Exposition erfährt und eher irritiert als fasziniert. Andererseits, weil Goddard seinen Kumpel aus The Cabin in the Woods mal wieder herumblödeln lässt, was diesem (s. Ghostbusters) ohnehin selten gut zu Gesicht steht. Zumal Billy Lee eher wirkt, als hätte er eine Performance à la Michael Madsen verdient, anstatt ein soziopathischer Hippie-Clown mit Sixpack zu sein.

Dass Goddard dieses Konzept eines 90-Minüters auch noch über zweieinhalb Stunden (gefühlt: drei) laufen lässt, setzt dem Ganzen schlussendlich die Krone auf. Zumindest schauspielerisch gibt sich das Ensemble – mit Hemsworth und Abstrichen auch Johnson als Ausnahme – keine Blöße. Speziell Erivo und Pullman bleiben im Gedächtnis. Bad Times at the El Royale ist kein Totalausfall, fällt aber deutlich in die Kategorie solcher Werke wie Smokin’ Aces, die merklich auf Kultfilm getrimmt sind. In gewisser Weise will er also selbst ein Freund sein, den der Zuschauer als Fremder trifft. Manchmal bleibt einem aber ein Fremder eben auch fremd. Insofern ist der Titel von Bad Times at the El Royale gar nicht einmal so falsch gewählt.

5/10