31. März 2014

Noah

Alles, was auf Erden ist, soll untergehen.
(Genesis, 6,17)

Erfolgreiche Fantasy-Lektüre darf, so hat es den Anschein, nicht zu knapp sein. So hat J.R.R. Tolkiens The Lord of the Rings eine Seitenzahl von 1.342 und George R.R. Martins A Song of Ice and Fire-Serie läuft bisher über 4.700 Seiten. Zwar kann die Bibel mit ihren rund 1.400 Seiten (Lutherbibel) da nicht mithalten, dafür ist sie das wohl größte Fantasybuch der Welt. Von Engeln über Riesen bis zu messianisch verklärten Zombie-Zimmermännern finden sich darin vielerlei fantastische Geschichten. Darunter auch die von Noahs Arche und der Sintflut, über die Moses in vier Kapiteln seines ersten Buchs (Genesis, 6-10) erzählt. Ihre rund vier Seiten mit knapp 2.000 Wörtern bringt nun Darren Aronofsky mit Noah ins Kino.

Wer kennt sie nicht, die klassische Geschichte in der Gott 1.656 Jahre, nachdem er die Erde erschuf, beschloss, die Menschheit auszurotten. „Denn es reut mich, daß ich sie gemacht habe“, verrät Gott dem Leser (Gen, 6,7). Seinen geplanten Massen-Genozid korrigiert der Schöpfer lediglich dahingehend, dass er Noah – im Film gespielt von Russell Crowe – auf die drohende Sintflut hinweist. Und diesen beauftragt, in einer Arche von 138 Meter Länge, 23 Meter Breite und 14 Meter Höhe (Gen, 6,15) – halb so lang und ein Drittel so hoch wie die Titanic – von jeder tierischen Spezies jeweils ein Paar zu retten. Und weil es sich nicht ziemt, mit Gott über Sinn und Unsinn seiner Handlungen zu diskutieren, fügt sich Noah.

Ungeachtet der Tatsache, dass in Genesis die ganze Menschheit – mit acht Ausnahmen – ausgelöscht wird, gibt Moses’ Chronik der Ereignisse relativ wenig her. Sowohl generell als auch was eine dramatische Struktur in verschiedene Akte angeht. Insofern nahmen sich Darren Aronofsky und sein Co-Autor Ari Handel, mit dem er bereits The Fountain schrieb, bei ihrer Adaption reichlich Freiheiten. Angefangen mit dem vorgezogenen Tod von Noahs Vater Lamech, der nicht einfach dahin scheidet, sondern vor den Augen des Sohnes ermordet wird. Und während Kains verkommene Erben sich durch die Lande meucheln, gilt es für Noah mit seiner Gattin Naama (Jennifer Connelly) und ihren drei Söhnen nur zu überleben.

Mit Gottes Auftrag als Agenda zeichnen sich neben Sturmwolken am Horizont auch zwei Konflikte ab. Zum einen wollen angesichts der drohenden Ausrottung auch die anderen Menschen rund um deren Anführer Tubal-Kain (Ray Winstone) an Bord der Arche. Zum anderen will Noahs zweitältester Sohn Ham (Logan Lerman) für die Zeit nach der Sintflut ebenfalls eine Frau haben, mit der er „sich mehren“ kann. Sein großer Bruder Sem (Douglas Booth) wiederum hat zwar in Ila (Emma Watson) eine Freundin, die von Noah einst als Waisenkind aufgenommen wurde, doch Ila gibt sich sexuell reichlich prüde. Probleme, die dem sich noch im Kindesalter befindlichen Jüngsten, Jafet, derweil fremd sind.

Wie auch der Bibel, wo alle drei Brüder bereits wohlweislich mit Damengesellschaft versorgt wurden. In Noah sind die Burschen jedoch größtenteils noch im Knabenalter, aber generell wird von Aronofsky was den zeitlichen Ablauf angeht, an der Uhr gedreht. Statt der sieben Tage, die Gott Noah gab, um die Arche zu bauen (Gen, 7,4), vergehen im Film zehn Jahre. Und weil sich eine Arche ziemlich schwer alleine bauen lässt, erhält Noah Unterstützung von einer Gruppe Steinengel. Die, so berichtet der Film, halfen einst dem verstoßenen Kain eine proto-industrialistische Zivilisation aufzubauen, ehe sich dessen Nachfahren gegen sie wandten. Nur Metuschelach (Anthony Hopkins), Noahs Großvater, schützte sie.

Der wiederum nimmt später noch eine entscheidende Rolle ein, um einen der beiden Konflikte in der zweiten Filmhälfte einzuleiten. Auch hier konstruiert Aronofsky erneut künstlich Dramatik, um die Zeit nach der Sintflut spannend zu gestalten. Schließlich müssen die 53 Wochen, die zwischen der Flut und dem Trocknen der Erde vergehen (Gen, 8,14) auch mit Handlung gefüllt werden. Im Mittelpunkt steht dabei Noah selbst, dessen Handlungen verstärkt Konsequenzen für die übrigen Reisenden der Arche haben – und für die Psyche des Weltenretters selbst. In all jenen narrativen Verrenkungen, die nicht nur den Ablauf der Ereignisse, sondern auch die Charaktere betreffen, findet sich das Scheitern von Noah.

In gewisser Weise mag man die Intention der Änderungen nachvollziehen. Eine Arche, selbst wenn sie nicht besonders groß ist – zumindest nicht groß genug, um zwei Exemplare aller Tiere dieser Welt zu fassen –, allein in sieben Tagen zu bauen (die Hilfe dreier erwachsener Söhne ungeachtet), ist womöglich schwerer zu glauben, wie wenn sie in zehn Jahren mit Hilfe von Steinengeln zusammengezimmert wird. Indem Sem, Ham und Jafet sehr viel jünger sind, wird der Familiengedanke gestärkt. Der diabolische Antagonist Tubal-Kain als personifizierter Grund für die Sintflut gibt der Dramaturgie eine gewisse Würze, auch wenn dessen Verhältnis zum zwiegespaltenen Ham wie vieles wenig ergründet wird.

Ham erhält von allen Brüdern die meiste Aufmerksamkeit, womöglich, weil sein Geschlecht in der Bibel von Noah später verflucht wurde (Gen, 9,25). Seine ihn korrumpierende Geilheit kann natürlich als Saat der alten Welt gesehen werden, die in der neuen Welt gesät wird. Nur hat bereits der Noah von Darren Aronofsky wenig mit jenem Mann gemein, der von Gott als gerecht empfunden wurde (Gen, 7,1). Dieser versündigt sich schon im ersten Akt und mutiert zur Filmmitte hin zu einer Art Proto-Actionheld, wenn er sich mit den Steinengeln alle jener erwehrt, die ihm in die Arche wollen. Passend, dass sein wahnhafter Verlust im fundamentalistischen Glauben am Schluss im Alkoholismus enden muss (Gen, 9,21ff.).

Es mag einen Grund geben, warum die Geschichte von Noah, wie auch die des Paradiesvertriebs, weitaus weniger adaptiert wird wie die von Moses oder Jesus. Die ohnehin bereits wenig sinnige Erzählung durch versteinerte Engelriesen, Schuppenhunde und eine Veganismus praktizierende Heldenfamilie zu erweitern, hebt die Lächerlichkeit des Originals nur noch hervor. Irritierend wird es dann, wenn Aronofsky den bereits schon in der Bibel innewohnenden Inzest der menschlichen Abstammung sogar noch verstärkt, indem die Frauen von Ham und Jafet ausgespart werden. Am Ende darf Emma Watsons bereits zuvor schon sexuell missbrauchte Ila dann ganz allein (oder eben mit Naama) die Menschheit aufbauen.

Natürlich liegt diese Idiotie in der Bibel begründet. Immerhin teilt Eva als Teil Adams ja mit diesem ihre DNS (Gen, 2,23). Fraglich ist dennoch, mit welcher Frau Kain nach seiner Flucht eigentlich im Lande Nod Nachwuchs gezeugt haben soll (Gen 4,17), genauso wie sein Bruder Set (Gen 4,26), die nicht auch von Eva geboren wurde und somit deren Schwester sein müsste. Hier wäre Gelegenheit für Aronofsky gewesen, abseits der 2.000 Wörter umfassenden Bibelstelle etwas mehr Verstand in die Geschichte zu bringen, denn an fehlender Treue zur Vorlage mangelt es angesichts der Darstellungen in Noah keineswegs. Da passt es dann ins Bild, dass die Welt, vor der uns Noah retten sollte, anschließend wieder zurückkehrte.

Zwar versuchen die Schauspieler in Noah ihr Bestes, ihren auch hier nicht ausgearbeiteten Figuren Lebensodem einzuhauchen, doch an der kruden Ideologie der Geschichte müssen sie dennoch scheitern. Einer handvoll interessanter Bildmotive zum Trotz (blutgetränkte Erde, eine von Stürmen überzogene Erdkugel) bietet der Film auch visuell wenig. Die Tiermasse wird wohlweislich selten im Detail gezeigt und da, wo dies der Fall ist, sehen diese wenig realer aus wie die klobigen Steinengel. Gefällig kommen allenfalls Zeitrafferaufnahmen daher, in denen Aronofsky zu versuchen scheint, die kreationistische Idee der siebentägigen Entstehung des Universums und allen Seins mit der Evolutionstheorie zu vereinen.

Selbst als Fantasy-Pulp oder spiritueller Trash à la The Passion of the Christ vermag Noah nicht zu funktionieren. Zu ernst nimmt sich der Film – auch wenn Anthony Hopkins als greiser Mann auf der Suche nach Beeren teils für Lacher sorgt. Überraschenderweise stehen trotz der vielen inhaltlichen Abweichungen und Veränderungen christliche Vereinigungen wie auch Papst Franziskus hinter dem Film. Vielleicht ist Noah wirklich nur etwas für hartgesottene Anhänger der christlich-jüdischen Tradition. Dank eines soliden Startwochenendes hat Darren Aronofsky mit seinem 160 Millionen teuren Bibel-Blockbuster somit wohl nicht seine eigene Karriere abgesoffen. Scheinbar wurde auch er von Gott für gerecht empfunden.

3/10

24. März 2014

Captain America: The Winter Soldier

On your left.

Eine gewisse Chuzpe muss man Marvel schon zugestehen, wenn Captain America: Civil War in 2016 nahezu zeitgleich mit dem Batman V Superman-Vehikel aus dem Hause Warner Bros. starten soll. Schließlich lief Captain Americas Origin Story von allen Solo-Avengers-Filmen am bescheidensten, trotz des innewohnenden Zweiter-Weltkriegs-Pathos’ der Thematik. Als letzter Wegbereiter des Milliarden-Spektakels The Avengers war der Captain auch in diesem eher die zweite Geige hinter Iron Man und Co. Mehr als genug Grund also für die Regie-Brüder Anthony und Joe Russo (Community), in Captain America: The Winter Soldier richtig auf die Kacke zu hauen.

Nach 70 Jahren Froststarre scheint Steve Rogers (Chris Evans) langsam angekommen in der Neuzeit, macht er doch das, was er schon damals tat: Für Vater Staat die bösen Buben jagen. Darunter auch moderne wie Piraten, die ein geheimes S.H.I.E.L.D.-Schiff überfallen. Auf diesem finden Captain America und Black Widow (Scarlett Johansson) jedoch noch mehr: Dateien, die auf eine Verschwörung innerhalb von S.H.I.E.L.D. hinweisen. Die könnte nicht nur das Leben von Nick Fury (Samuel L. Jackson) in Gefahr bringen, sondern obendrein auch drastische Folgen für den Rest der Welt haben. Seine Nachforschungen bringen Captain America selbst ins Schussfeld.

Direkt im ersten Akt muss Rogers feststellen, dass die USA – hier in Form von S.H.I.E.L.D. – wenig mit jenem Land eint, für das er einst in den Krieg zog. Im Geheimen basteln Fury und Co. an drei weiteren Helicarriern, die präventive militärische Schläge ausüben können. Man lebe schließlich in der Welt, wie sie ist, und nicht, wie man sie gerne hätte, blafft Fury den Captain an. Dass S.H.I.E.L.D. selbst im Verlauf immer mehr faschistische Züge annimmt und für die Helden der Geschichte die Offenlegung der Wahrheit mittels des Internets –WikiLeaks lässt grüssen – der einzige Ausweg scheint, war im Vorfeld eines Captain America-Films so nicht zu erwarten.

Ohnehin hat das zweite Abenteuer um den First Avenger (der in der deutschen Version weiter den Titelzusatz schmückt) über weite Strecken wenig mit dem Krachbumm von The Avengers zu tun, sondern folgt der Tradition von 70er-Jahre-Spionage-Thrillern (daher die Inklusion von Robert Redford als S.H.I.E.L.D.-Direktor). An Action kommt der Film dennoch nicht vorbei. Wer es pompös mag, kommt ebenso auf seine Kosten wie Leute, für die größer nicht gleich besser ist. Gerade die Eins-gegen-Eins-Situationen bergen Spannung, sei es wenn Rogers gegen Martial-Arts-Söldner Batroc kämpft oder den gespenstischen Winter Soldier (Sebastian Stan).

In seiner Summe ist Captain America: The Winter Soldier somit einer der besseren Marvel-Filme, auch wenn nicht vollends überzeugen kann. Die Auflösung der Verschwörung gegen Ende des zweiten Akts überzeugt in ihrer Konzeption nur bedingt, wie auch die Action in ihren pompösen Momenten und gerade im Finale etwas zu ausufernd gerät. Zudem wundert man sich ob der jeweiligen Betroffenheit der Avengers: Als die USA in Iron Man 3 von Terrorismus bedroht waren, blieben Captain America und S.H.I.E.L.D. außen vor. Nun, da nicht nur die USA, sondern auch die Welt betroffen sind, ist von Tony Stark keine Spur. Dabei ist er hier sogar persönlich betroffen.

Mit dem The Avengers-Erfolg im Rücken dürfte Captain America: The Winter Soldier aber ebenso wie Thor: The Dark World beim Einspiel etwas zulegen. Inwieweit die Ereignisse des Films dann in Avengers: Age of Ultron einfließen, bleibt ungeachtet der obligatorischen Mid-Credit-Szene von Marvel vorerst noch abzuwarten. Eines steht jedoch außer Frage, von der sozio-politischen Chuzpe der Russo-Brüder dürfte sich auch der blasse Joss Whedon für seine Avengers-Fortsetzung ruhig eine Scheibe abschneiden. Und Captain America selbst wird es anschließend in Civil War wieder „alleine“ wagen – selbst wenn ein Großteil der Avengers ebenfalls gebucht sind.

6.5/10

18. März 2014

Kurz & Knackig: Bong Joon-ho

Flandersui gae [Barking Dogs Never Bite]

Manch einer wird es schon erlebt haben (gerade diejenigen, die keine Hundehalter sind): Das Kläffen von Kötern in der Nachbarschaft kann zum auditiven Ärgernis werden. Auch der arbeitslose Uni-Dozent Ko Jun-ju (Lee Sung-jae) hat in Bong Joon-hos Debütfilm Flandersui gae (aka Barkings Dogs Never Bite) ob der bellenden Hunde in seinem Apartmentkomplex die Nase voll. Nur tut er sich mit deren Ermordung etwas schwer. Dem Hausmeister (Byun Hee-bong) fällt dies schon leichter und als sich Ko dann doch durchringt, hat die Verwaltungsangestellte Park Hyun-nam (Bae Doona) eine Hundemordserie an der Backe. Dabei will der unter den Pantoffeln seiner Frau stehende Ko nur an 10.000 Won (rund 6.700 Euro) gelangen, um seinen Arbeitgeber für eine Professorenstelle zu bestechen.

Auch wenn Bong Joon-ho heute als Südkoreas erfolgreichster Regisseur gilt, war seiner in 2000 erschienenen Sozialsatire kein sonderlicher Erfolg beschert. Die Aversion respektive Faszination der Protagonisten mit den Hunden gereicht in Flandersui gae lediglich zum Zweckmittel. Kos die Handlung auslösende Aktion erhält wenig Motivation, deren Vollendung durch den Hausmeister, der mit einem Obdachlosen nach Hundesuppe lechzt, ebenso. Bei der verträumten Park sieht dies schon wieder anders aus. Dennoch verdient sich Ko Sympathiepunkte, da die Gattin als schwangerer Drachen skizziert wird, die ihren Mann dazu verdonnert, ihr Säckeweise Walnüsse zu knacken. Ein Großteil des Humors dieser Satire, die nie tiefgründig Soziales analysiert, entstammt ihrer skurrilen Figuren.

Diese sind im asiatischen Kino keine Seltenheit, weswegen ihre Verschrobenheit auch eher subtil vorhanden ist. Beispielsweise wenn des Hausmeisters Suppe in seiner Abwesenheit vom Obdachlosen verspeist wird, Ko ein Argument mit einer Rolle Klopapier gewinnen will oder Hyun-nam trotz wiederholter Hinweise ihrer Freundin die S-Bahn verpasst. Im Mittelpunkt stehen jedoch zwei durchaus überzeugend gefilmte Verfolgungsjagden mit Hyun-nam durch den Wohnkomplex – erst als Verfolgerin, später dann als Verfolgte. Kurzweilige Unterhaltung ist somit versprochen in Bong Joon-hos Flandersui gae, der sich – wie so viele Debüts – als Fingerübung verstehen darf. Hundehasser werden ob der Thematik sicherlich nochmals auf ihre ganz persönlichen Kosten kommen.

6.5/10

Salinui chueok [Memories of Murder]

Die Vermutung liegt nah, dass Serienmörder-Filme sich weitaus einfacher schreiben lassen als andere. Schließlich liefert die pervertierte Menschheit hier genug Material, das Basis für spannende Thriller liefert. So wie in David Finchers Zodiac, aber auch in Bong Joon-hos Salinui chueock (aka Memories of Murder), der drei Jahre nach seinem Debüt erschien. Darin greift der Regisseur die wahren Geschehnisse eines Serienmörders auf, der in den 1980ern Frauen einer ländlichen Kleinstadt ermordete. Zwei lokale Ermittler um Park Doo-man (Song Kang-ho) erhalten hierbei Unterstützung durch den Seouler Kollegen Seo Tae-yoon (Kim Sang-kyung), und stoßen auf eine handvoll Leichen sowie ein anmutiges Lied, das stets dann im Radio läuft, wenn der Regen die Erde benetzt.

Bong Joon-ho beginnt seinen zweiten Film sehr stimmig, wenn Park zum Tatort des ersten Mordes in einem sonnengefluteten Feld gefahren wird. An gängigen Klischees des Genres kommt allerdings auch Salinui chueock im Folgenden nicht vorbei. So sind Park und sein Partner rabiate Polizisten am Rande der Korruption, die Geständnisse aus Verdächtigen herausprügeln, unabhängig davon, ob diese schuldig sind oder nicht. Als Gegenstück darf Seo die Stimme der Räson repräsentieren, doch auch er weiß zuerst keine Täteralternativen anzubieten als die lokale Sammlung an sexuell Pervertierten oder geistig Behinderten aufbietet. Unterdessen regnet es weiter vom Himmel und damit entsprechend auch Leichen. Was mit der steigenden Pressekritik an der Ermittlungsweise den Druck auf alle erhöht.

Blieb dem Koreaner mit seinem Debüt der Durchbruch noch vergönnt, kam dieser nun im Stile einer Lawine. Schließlich avancierte Salinui chueock 2003 zum erfolgreichsten und meistgesehenen Film Südkoreas, was auf seine Weise sicherlich verdient ist. Die Mordserie selbst ist ebenso unheimlich wie ihre Begleitumstände, ausgewählte starke Handlungsorte tragen ihren Teil dazu bei. Song Kang-ho und Kim Sang-kyung holen das Maximum aus ihren wenig ausgefeilten Figuren heraus, dennoch leidet Bong Joon-hos Film vor allem darunter, dass die Charaktere nicht vollends konkretisiert wurden. Auch nagt an ihm eine gewisse Überlänge. Wirklich heranreichen an westliche Genrevertreter wie Se7en oder Zodiac vermag dieser Serienmörderfilm somit nicht, ist aber dennoch gelungen.

7/10

Gwoemul [The Host]

Monsterfilme haben eine lange Tradition – allen voran natürlich im asiatischen Raum. Gojira ist das Paradebeispiel eines durch Fehlverhalten der Menschen erschaffenen Monstrums, das seine Schöpfer heimsucht. Auf ähnliche, wenn auch größtenteils missratene, Weise inszeniert Bong Joon-ho seinen als Magnus opum geltenden Gwoemul (aka The Host), der mit einem US-Einspiel von 64 Millionen Dollar auch acht Jahre nach seiner Veröffentlichung noch der erfolgreichste südkoreanische Film aller Zeiten ist. In einem grausigen Intro versucht Bong den Brückenschlag zum japanischen Vorbild, wenn ein US-Militär-Pathologe seinen koreanischen Assistenten auffordert, Formaldehyd-Abfall in den Hangang zu kippen. Das Resultat terrorisiert sechs Jahre später Seoul und die Familie Park.

In deren Zentrum steht erneut Song Kang-ho als leicht zurückgebliebenes man-child Gang-du, der im Imbiss seines Vaters Hee-bong (Byun Hee-bong) aushilft und auf den selbst sein dem Alkohol verfallener Bruder Nam-il (Park Hae-il) herabblickt. Als das durch das Formaldehyd mutierte Kaulquappenmonster (?) Gwoemul jedoch während seines ersten Angriffs auf die Seouler Bevölkerung Gang-dus Tochter Hyun-seo (Go Ah-sung) verschleppt, machen sich die Parks, zu denen auch Gang-dus Schwester Nam-joo (Bae Doona) dazustößt, auf ins vom Militär abgeschirmte Kanalgebiet. Hier, wo irgendwo Gwoemuls Nest liegt, trennen sich dann bis zum Finale die Wege der Familie in eine vierteilig gegliederte Handlung, ehe es zu einem finalen Showdown mit allen Parteien kommt.

Die Geschichte steht und fällt somit mit der als gescheitert eingeführten Familie Park, die sinnbildlich für all die Opfer stehen wird, die dem Monster anheim fallen. Trotz individueller Charakterzeichnung – oder versuchter – mutieren Gang-du, Nam-il und Nam-joo jedoch nie zu echten Identifikationsfiguren. Im Gegenteil, Gwoemul macht umso deutlicher, was Roland Emmerich mit seinem Godzilla-Reboot so viel besser gemacht hat. Die Konsequenz des Handlungsverlaufs, die Bong Joon-ho hier zur Schau trägt, lässt über miserable US-Schauspieler und bereits 2006 reichlich dated wirkende Spezialeffekten zwar streckenweise hinweg sehen. Als Beitrag zum Monster-Genre kann Bong Joon-hos Magnus opum – zumindest mich – nie wirklich überzeugen. Trotz des Made in Asia-Labels.

5.5/10

Madeo [Mother]

Die Liebe einer Mutter für ihre Kinder ist wohl eines der großen wissenschaftlichen Themen. Eine Bindung wie kaum eine Zweite im Leben – allen voran dem des Menschen. Sie hat sich Bong Joon-ho für seinen vierten Spielfilm Madeo (aka Mother) zum Thema gemacht, in welchem der geistig zurückgebliebene Do-joon (Won Bin) eines Tages des Mordes an einer Schülerin verdächtigt und verhaftet wird. Ein Schock für seine alleinerziehende Mutter (Kim Hye-ja), die fortan alles daran setzt, ihr Fleisch und Blut wieder aus der Untersuchungshaft und in den eigenen Schoß zurückzuholen. Bei ihren privaten Ermittlungen stößt die renitente Seniorin nicht nur auf das ein oder andere Geheimnis im Leben des Opfers, sondern reißt auch bei Do-joon alte Wunden wieder auf.

Wohlgesinnte könnten Madeo als Zwei-Personen-Stück beschreiben, doch so überzeugend Won Bin auch spielt, ist dies ohne Zweifel die Kim Hye-ja-Show. Nicht von ungefähr kürte ich die Koreanerin vor drei Jahren im Filmjahresrückblick 2010 zur Darstellerin des Jahres. Kim trägt dieses Krimi-Drama die meiste Zeit so selbstverständlich wie beispiellos, wenn sich ihre namenlos bleibende Mutter – quasi als Ur-Mutter – auf eine Reise in die eigenen Abgründe begibt. So sehr die Idee des Whodunit den primären Filmverlauf auch antreibt, ist die Aufdeckung des vermeintlichen Täters zweitrangig. Allen voran für unsere Mutter selbst. Nötig ist nur, was Do-joon aus der Haft entlässt. Und wie andere Figuren in Bong Joon-hos Œuvre, werden hier eigene, finanzielle Opfer in Kauf genommen.

Musste Kos Gattin in Flandersui gae ihre Abfindung für die Beförderung ihres Mannes opfern und die Familie Park ihre Ersparnisse in Gwoemul für den Zugang ins abgesperrte Gebiet, ist es an Kims Mutterfigur, finanzielle Rücklagen zum Wohl des Sohnes zu opfern. Am Ende ist aber auch die Mutter nicht vor dem Schicksal von Bongs Figuren gefeit, die selbst wenn sie obsiegen in gewisser Weise gebrochen zurückbleiben. Ein Lob gebührt an dieser Stelle dann auch Kameramann Hong Kyung-pyo für seine mitunter anmutigen Bilder – ein- und ausgeleitet von einer tanzenden Kim Hye-ja. Zwar nimmt sich der Regisseur auch hier die Zeit für ein oder zwei seiner klassisch humoristischen Auflockerungen, dennoch ist Madeo von all seinen Film stimmungstechnisch wohl der trostloseste geworden.

7/10

Snowpiercer

Inzwischen gibt es derart viele Comic-Verfilmungen, dass der gewöhnliche Zuschauer kaum mehr weiß, wenn er eine solche sieht. Schließlich hüpfen in solchen nicht nur Superhelden im Strumpfhosenkostüm durch die Gegend. Auch Filme wie La vie d’Adele oder Oldeuboi basierten auf Comics, selbst Bong Joon-ho erweckt nun eines von ihnen auf der Leinwand zum Leben. Vor zehn Jahren stieß er in seinem Comicladen auf Le Transperceneige von Jacques Lob, Benjamin Legrand und Jean-Marc Rochette, welches die Vorlage für seinen Sci-Fi-Action-Film Snowpiercer gibt. Darin reisen die Überbleibsel der Menschheit nach einer Eiszeit in einem Zug über die Kontinente, die Abteile dabei schön in eine Klassengesellschaft unterteilt. Eine Revolution ist da natürlich nicht weit.

Die Unterschicht um deren Anführer Curtis (Chris Evans) schickt sich an, vom hinteren Wagon die Lok zu übernehmen. Bis dahin muss man sich jedoch erstmal der Unterdrücker erwehren und die entsprechenden Türen öffnen. Nachrichten aus einem scheinbaren Untergrund weisen Curtis’ Mentor Gilliam (John Hurt) auf den Sicherheitsexperten Namgoong Minsu (Song Kang-ho) hin, der von Curtis und Co. als sie ihren Umsturz beginnen nebst seiner Tochter Yona (Go Ah-sung) aus der Einzelhaft befreit wird. Unterdessen setzt die für den als Heiland gepriesenen Zugentwickler Wilford arbeitende Ministerin Masin (Tilda Swinton) alles daran, den Aufstand der Unterschicht im Keim zu ersticken, ehe diese noch einen der für die Oberschicht wichtigen Wagons einnehmen kann.

Mit Snowpiercer, dem teuersten südkoreanischen Film aller Zeiten, gibt Bong Joon-ho sein US-Debüt. Dieses eint viel mit seinem größten Erfolg Gwoemul, besitzen beide Filme doch leidlich interessante Figuren und Spezialeffekte eines B-Movies. Zuvorderst scheitert Bongs jüngster Film jedoch an seiner Prämisse, wird doch zu keinem Zeitpunkt klar, welchen Zweck Wilford mit dem Unterschichtswagon eigentlich verfolgt. Denn Curtis und Co. müssen keine Arbeiten verrichten, sondern vegetieren einfach vor sich hin. Beanspruchen hierfür aber gleichzeitig Strom, Heizung und Ernährung. Selbst wenn Letztere so rudimentär wie möglich daherkommt. Auch als Metapher versagt das Zugkonstrukt, fehlt doch eine Mittelschicht, die zwischen Curtis und Co sowie Masin und Konsorten steht.

Die Welt von Snowpiercer, in einem hastigen Intro alsbald abgefrühstückt, verwundert ebenso. Überall ist es zu kalt, in der Sahara wiederum zu warm – Stillstand bedeutet Tod. Auf engstem Raum also frönt ein multiethnischer Mix seinen klassischen Gelüsten, darunter natürlich Saunieren, aber auch Sushi. Die Menschheit als Mikrokosmos, gepresst in einen TGW. Was auf dem Papier vielleicht nett klingt, funktioniert leider nie während der zähen zwei Stunden Laufzeit. Curtis ist ein leidlich charismatischer – und in seinen Entscheidungen dilettantischer – Anführer, mit einem unnötigen und eher peinlichen Geständnis als Motivation gegen Schluss. Diesbezüglich weniger Mühe gibt sich der Film da nur noch mit Bongs alten Gwoemul-Weggefährten Song Kang-ho und Go Ah-sung.

Das Konzept verpufft, das Sezieren von sozialen Strukturen gelang der Community-Episode App Developments and Condiments vor einigen Wochen weitaus intelligenter, konsequenter und unterhaltsamer als hier der Fall. Das Ensemble – zu dem noch Jamie Bell, Ed Harris, Ewen Bremner und Octavia Spencer gehören – bleibt wiederum so blass wie die visuellen Effekte. Für typisch Bong’schen Humor sorgen hier nur die (den Höhepunkt bildenden) Auftritte von Tilda Swinton als schrullige Ministerin und Alison Pill als sektiererische Erzieherin. Mehr solcher überspitzen, dystopischen Momente in den Upper-Class-Wagons hätten Snowpiercer gut getan. So verkommt der Film leider zu Bong Joon-hos schlechtestem und untermauert, dass ein geringeres Budget bei ihm besser angelegt scheint.

4.5/10

10. März 2014

True Detective - Season One

You’re like the Michael Jordan of being a son of a bitch.

Früher waren die Stars froh, wenn sie wöchentlichen Auftritten auf den Fernsehbildschirmen entfliehen konnten, für eine Karriere auf der großen Leinwand. Inzwischen gewinnen sie dank Serienangeboten Oscars. So in der Vorwoche geschehen bei Matthew McConaughey, der die Auszeichnung der Academy of Motion Picture Arts & Sciences zwar für seine Rolle in Dallas Buyers Club erhielt, sie jedoch fast mehr seiner Rolle in der HBO-Show True Detective verdankt. So erklärte mancher Academy-Voter, er habe für McConaughey gestimmt, weil er True Detective so toll finde. Sogar Barack und Michelle Obama outeten sich neulich als Fans. Und in der Tat, so gut wie der Schauspieler im AIDS-Drama Dallas Buyers Club auch ist, in seiner selbstproduzierten Mini-Serie legt er noch eine Schippe drauf.

Darin spielt Matthew McConaughey den exzentrischen Mordkommissar Rustin Cohle, der 1995 ins Vermilion Parish, Louisiana versetzt und seinem dortigen Kollegen Martin Hart (Woody Harrelson) als neuer Partner zur Seite gestellt wird. Sogleich wird das Duo mit einem okkultistischen Mord an einer jungen Frau konfrontiert. Wie sich zeigen soll, handelt es sich dabei nur um einen Mord von vielen und ein Serienverbrechen, das seine düsteren und perversen Schatten bis ins Jahr 2012 werfen wird. In diesem verhören die beiden Ermittler Gilbough (Michael Potts) und Papania (Tory Kittles) sowohl Cohle als auch Hart über die Vorgänge von vor 17 Jahren. Und auch darüber, was die Partner im Jahr 2002 letztlich entzweite. Die Übergänge zwischen den beiden Zeitebenen sind dabei oftmals fließend.

True Detective entstammt der Feder von Nic Pizzolatto und wird außer von McConaughey auch von seinem Kumpel und Kollegen Woody Harrelson produziert. Die HBO-Show, die dem Sender seinen besten Premierenstart seit Boardwalk Empire bescherte, ist als Anthology-Serie geplant. Die jeweiligen Staffeln bauen folglich weder inhaltlich noch was ihre Besetzung angeht aufeinander auf. Zudem sollte man sich nicht vom Namen blenden lassen: Die Serie gehört nicht zum Genre des true crime, sondern ist fiktiv. Was nicht heißen soll, dass derartige Verbrechen unwahrscheinlich erscheinen. Eher im Gegenteil. Dennoch ist der hier gezeigte Mordfall derart außergewöhnlich, dass er unsere beiden Protagonisten bis ins Mark erschüttern wird. Und nicht mehr loslässt – bis zum bitteren Ende.

Dank des herausragenden Spiels seiner beiden Stars und der intensiven Atmosphäre von Regisseur Cary Fukunaga gerät True Detective zu einem enigmatischen Blick in die Abgründe der menschlichen Existenz. Die dargestellte Mordserie ist dazu im Grunde nur Mittel zum Zweck. Eine von vielen, entsprechend der Natur der Show als Anthology-Serie. Und dennoch nicht so einfach abzuschütteln, da Pizzolatto klassischerweise Kinder zu Opfern und die Protagonisten zu Vätern verklärt. Das Grauen wird folglich nicht direkt von Fukunaga eingefangen, sondern gespiegelt über die Gesichter und Emotionen der Figuren. Diese wiederum stehen im Mittelpunkt des Geschehens, nicht so sehr das Verbrechen selbst. Immerhin heißt die Serie nicht True Crime, sondern True Detective.

Vollends dreidimensional macht dies die Charaktere aber auch nicht. Pizzolattos Serie lebt von McConaugheys und Harrelsons Figuren sowie deren eher von Animosität befeuerten Beziehung zueinander. Cohle ist ein pragmatischer Nihilist, der einst seine Tochter verlor und mit ihr einen Teil seiner Menschlichkeit. Hart wiederum ist ein konservativ geprägter Lebemann, der dem Sex und Alkohol verfallen ist. Und dessen Affären sich negativ auf die Ehe mit Gattin Maggie (Michelle Monaghan) auswirken. Außer ihrer Arbeit haben beide wenig gemeinsam, ihre Motive werden aber auch in acht Stunden lediglich durch bekannte Klischees erklärt. Die Figuren sind somit ebenso unwichtig wie die Handlung, in der sie sich befinden. Was zählt, ist mehr die Dynamik, die sich daraus entfaltet.

Bis auf zwei lediglich solide Ausnahmen – The Locked Room und Haunted Houses – gelingt dies der Serie ausgesprochen gut. Nicht von ungefähr wird sie überall gelobt, mit der brillanten Plansequenz zum Abschluss von Who Goes There als Höhepunkt. Auch die darauf folgende Episode The Secret Fate of All Life überzeugt mit einem vermeintlichen Durchbruch im Fall, ebenso herausragend wie diese beiden Folgen ist das Staffelfinale Form and Void mit seiner angespannten Klimax. Diese, das zeichnet die Show ebenfalls aus, liefert keine absoluten Antworten auf alles, was zuvor etabliert wurde. An sich sogar weniger, als man vermutlich das Gefühl hat, tatsächlich bekommen oder verdient zu haben. Details spielen in True Detective allerdings eine geringere Rolle als das große Ganze.

Dass Figuren wie Kevin Dunn oder Jay O. Sanders ebenso von der Rust & Marty Show übertrumpft werden wie Michelle Monaghans vernachlässigtes und verletztes Frauchen oder das 2012er Ermittlungsteam um Gilbough und Papania ist genauso verzeihenswert wie das nicht alles rund um Carcosa und den Yellow King oder Harts Familienleben zu einem abgeschlossenen Ende geführt wird. Pizzolatto und Fukunaga folgen hier dem Motto, dass der Weg das Ziel ist und die etwa achtstündige – beziehungsweise 17-jährige – Reise an der Seite von Cohle und Hart ist für das Publikum durchaus zufriedenstellend. Dass die Serie nicht in Iowa oder Georgia, sondern in Louisiana spielt (beinahe ein eigener Charakter), passt als Setting für dieses Okkult-Verbrechen wie die Faust aufs Auge.

Insofern ist True Detective unter den Krimi-Serien ein fraglos gelungener und denkwürdiger Beitrag, aber auch darüber hinaus dürfte es 2014 wohl keine Show geben, die dieser hier den Titel als Serie des Jahres streitig macht. Wie Pizzolatto und HBO mit der kommenden Staffel verfahren und qualitativ an diese erste heranreichen wollen, bleibt abzuwarten. Rücken Gilbough und Papania ins Zentrum, nachdem sie nun eingeführt wurden? Oder wechselt die Serie den Schauplatz mit neuen Kinoschauspielern als Hauptfiguren? Attraktiv genug sind die Show und das Medium Fernsehen inzwischen ja, was nicht nur McConaugheys Karriere-Renaissance oder der Durchbruch eines Bryan Cranston belegt. Im Gegensatz zu früher sind die Stars also vielleicht froh, wenn sie wieder zurück ins Fernsehen dürfen.

8/10

1. März 2014

Filmtagebuch: Februar 2014

20 FEET FROM STARDOM
(USA 2013, Morgan Neville)
6/10

THE ABANDONED
(E/UK/BG 2006, Nacho Cerdà)
4/10

AKIRA
(J 1988, Ōtomo Katsuhiro)
8/10

ALL IS LOST
(USA 2013, J.C. Chandor)
6/10

CAST AWAY
(USA 2000, Robert Zemeckis)
6/10

FRUITVALE STATION
(USA 2013, Ryan Coogler)
5.5/10

IN A WORLD...
(USA 2013, Lake Bell)
3.5/10

SHORT TERM 12
(USA 2013, Destin Cretton)
5.5/10

STROMBERG - 1. STAFFEL
(D 2004, Arne Feldhusen)
9/10

STROMBERG - DER FILM
(D 2014, Arne Feldhusen)
7/10

ZOMBIELAND
(USA 2009, Ruben Fleischer)
2.5/10

Themenpunk: Journalismus


ACE IN THE HOLE [REPORTER DES SATANS]
(USA 1951, Billy Wilder)

8/10

ALL THE PRESIDENT’S MEN [DIE UNBESTECHLICHEN]
(USA 1976, Alan J. Pakula)

8/10

ANCHORMAN: THE LEGEND OF RON BURGUNDY
(USA 2004, Adam McKay)
9/10

ANCHORMAN 2: THE LEGEND CONTINUES
(USA 2013, Adam McKay)
6.5/10

THE BANG BANG CLUB
(CDN/ZA 2010, Steven Silver)
5.5/10

BROADCAST NEWS [BROADCAST NEWS - NACHRICHTENFIEBER]
(USA 1987, James L. Brooks)

4.5/10

CITIZEN KANE
(USA 1941, Orson Welles)
7.5/10

THE FRONT PAGE [EXTRABLATT]
(USA 1974, Billy Wilder)

6/10

FROST/NIXON
(USA/UK/F 2008, Ron Howard)
6/10

GONZO: THE LIFE AND WORK OF DR. HUNTER S. THOMPSON
(USA 2008, Alex Gibney)
7/10

THE INSIDER
(USA 1999, Michael Mann)
8.5/10

MAD CITY
(USA 1997, Costa-Gavras)
5.5/10

NETWORK
(USA 1976, Sidney Lumet)
6.5/10

PAGE ONE: INSIDE THE NEW YORK TIMES
(USA 2011, Andrew Rossi)
7/10

THE PAPER [SCHLAGZEILEN]
(USA 1994, Ron Howard)

7/10

SCHTONK!
(D 1992, Helmut Dietl)
5/10

STATE OF PLAY [MORD AUF SEITE EINS]
(UK 2003, David Yates)

7/10

STATE OF PLAY [STATE OF PLAY - STAND DER DINGE]
(USA/UK/F 2009, Kevin Macdonald)

7/10

TRUE CRIME [EIN WAHRES VERBRECHEN]
(USA 1999, Clint Eastwood)

6.5/10

WAG THE DOG
(USA 1997, Barry Levinson)
8.5/10

22. Februar 2014

Kōkaku Kidōtai [Ghost in the Shell]

There’s nothing sadder than a puppet without a ghost.

Bereits René Descartes beschäftigte sich im 17. Jahrhundert mit dem Leib-Seele-Problem und ob der Geist ohne Materie separat existieren könne. Ist der Körper nur ein Gefäß für die Seele? Zumindest in The Matrix (1999) entwickelten die beiden Wachowski-Schwestern ein anti-dualistisches Bild ihrer Welt und das Konzept eines materiellen Geistes. “Your body cannot live without the mind”, klärt Morpheus darin Neo auf. Was zwar mehr auf den Körper gemünzt ist, zugleich wird Sein jedoch über die Materie und weniger den Geist definiert. Grundsätzlich ist The Matrix aber an Fragen von Realität und Freiheit interessiert, der die Wachowskis inspirierende Kōkaku Kidōtai, Oshii Mamorus Adaption von Shirow Masamunes Manga aus dem Jahr 1991, dreht sich derweil mehr um die Themen Leben und Existenz.

Shirow konzipierte darin eine Cyberpunk-Geschichte, die im Jahr 2029 spielt. Die Vermischung zwischen Mensch und Maschine ist vorangeschritten, teils so weit, dass an manchen Figuren wie Major Motoko Kusanagi (Tanaka Atsuko) ihr “ghost” – also ihre Seele respektive ihr Bewusstsein – das einzig übriggebliebene Menschliche ist. Genauer gesagt gibt es in Kusanagis Spezieleinheit der Regierung kaum Mitglieder, die nicht über maschinelle Verbesserungen verfügen. Ihr neuer Partner Togusa (Yamadera Kouichi) ist mit seinem e-Brain, sprich: Cyber Net Implantate im Gehirn, praktisch die Ausnahme. Und wurde gerade deshalb vom Major ausgewählt. “A system where all parts react the same way is a system with a fatal flaw”, erklärt sie Togusa. Und derartige Lücken werden gnadenlos ausgenutzt.

Beispielsweise von dem Hacker-Terroristen „Puppetmaster“, einer künstlichen Intelligenz, die zu Beginn des Films auch erstmals Japan unsicher macht. Und damit Kusanagis Team rund um Togusa und Batou (Ohtsuka Akio) auf den Plan ruft. Während der Puppetmaster die Ghosts von etwaigen Bürgern hackt und manipuliert, heften sich Kusanagi und Co. an seine Fersen. Zugleich bemerkt Batou einige Wesensveränderungen bei seiner Vorgesetzten, die vermehrt an ihrer eigenen Menschlichkeit zu zweifeln beginnt. Als sich der Puppetmaster dann in Form eines Gynoiden zu Stellen scheint, werden nach und nach Verstrickungen und Motive deutlich. Und wie sich zeigt, soll Kusanagi hierbei eine ganz besondere Rolle spielen, während Kōkaku Kidōtai sich von der Action zur Philosophie wendet.

Was bedeutet es, am Leben zu sein? Dies ist eine Frage, die sich der Puppetmaster stellt und die er im Folgenden an die übrigen Figuren weitergibt. Er selbst stellt sich Kusanagis Einheit, um Asyl als politisch verfolgtes Lebewesen zu beantragen. Allerdings sprechen ihm seine menschlichen Gegenüber jene Qualifikation ab, schließlich partizipiere er nicht am Sein. “I am able to recognize my own existence”, reklamiert er und rezitiert damit Descartes’ 1. Grundsatz (“cogito ergo sum”/„Ich denke, also bin ich“). Es handele sich bloß um seine selbsterhaltene Maßnahme, wiegeln die Menschen ab – und der Puppetmaster hält ihnen vor, dass dies wiederum auch auf die menschliche DNS zutreffen würde. Was den Mensch zum Individuum mache, sei vielmehr nur seine immaterielle Erinnerung.

“And memory cannot be defined”, fährt die Künstliche Intelligenz fort, “but it defines mankind.” Man fühlt sich an eine Aussage von Batou aus dem ersten Akt erinnert, als er kommentierte: “All data that exists is both reality and fantasy”. Eine Schnittmenge, die auch Erinnerungen mit einschließt. Und was sind Daten letztlich anderes, als programmierte Erinnerungen? Bei den Figuren bleiben die Gedanken des Puppetmaster jedoch nicht hängen, lediglich der Major scheint in ihnen ein stummes Echo jener Selbstzweifel zu erkennen, die sie seit einiger Zeit selbst ergriffen haben. Die Entfremdung ihres Ghosts gegenüber ihrem gynoiden Körper wird dabei gekennzeichnet durch ihre schamlose Entblößung von Letzterem. Was wiederum speziell in ihrem Partner Batou immer wieder menschliche Züge hervorbringt.

Hoffnung wartet lediglich beim Tauchen auf Kusanagi, “as though I could change into something else”. Eine Hoffnung, die sich im Finale in der Symbiose mit dem Puppetmaster bestätigt sieht (und von den Wachowskis in The Matrix Revolutions kopiert wurde). “Maybe there was never a real ‘me’ to begin with”, sinniert der Major. Auch der Puppetmaster kritisiert den menschlichen Hang zur Individualität. “Your desire to remain as you are is what ultimately limits you”, wirft er Kusanagi vor. Während sie sich vollends von ihrem materiellen Dasein verabschiedet und im Kollektiv mit dem Puppetmaster dennoch ihren Ghost behält, gewinnt die KI durch die Assimilation des Majors letztlich jene „körperlichen“ Eigenschaften der Reproduktion und Sterblichkeit, die für sie Existenz repräsentieren.

Allerdings wird das Thema in den nur 80 Minuten Laufzeit von Kōkaku Kidōtai relativ schnell abgefrühstückt, wo Oshii sicher noch eine Viertelstunde an Exposition und Tiefe hätte draufpacken können. Manche Andeutung, darunter auch Togusas übermäßige „Menschlichkeit“ sowie die Figur generell, spielt zugleich im weiteren Verlauf des Films gar keine Rolle mehr. Immerhin verschwendet Oshii nicht zu viel Zeit auf die Action-Szenen und weiß stattdessen mit den Set-Pieces, die er präsentiert, umso mehr zu gefallen. Allen voran das gorige Attentat im Intro, aber auch die Kanal-Verfolgung wie die Auseinandersetzung mit dem Kampfroboter zum Schluss überzeugen. Was man von den CGI-Updates einiger Szenen in der vor einigen Jahren veröffentlichten 2.0-Version allerdings nicht sagen kann.

Bei der Sichtung von Kōkaku Kidōtai – der ein Sequel sowie eine TV-Serie nach sich zog – wird jedoch deutlich, wieso der Film gemeinsam mit Akira als Pfeiler im Anime- sowie Musterbeispiel im Animationsbereich gilt. Die Zeichnungen sind auch nach fast 20 Jahren noch nicht verjährt, die mystisch angehauchte chorale Musik von Kawai Kenji trägt ihren Teil dazu bei. Immerhin schafft es Oshii in seiner kurzen Zeit, einen faszinierenden – und zugleich auch von Blade Runner beeinflussten – Einblick in Shirows Cyberpunk-Welt zu verschaffen. Ohne dass man als Zuschauer hinsichtlich der inhaltlichen Verflechtungen auf der Strecke bleibt. Insofern kann konstatiert werden, dass bei Kōkaku Kidōtai der Geist fast 90 Minuten vorzüglich unterhalten wird. Soviel also zum Leib-Seele-Problem.

8/10

15. Februar 2014

State of Play vs. State of Play

Das Remake gehört wohl zu Hollywood wie das Ei zur Henne. Schließlich hat auch Originalität ihre Grenzen. Daher nutzt die Traumfabrik gerne eigene Filme – insofern genug Zeit verstrichen ist, damit das Original bei der Zielgruppe nicht zu präsent wirkt – oder Werke aus dem Ausland, die von Erfolg gekrönt waren, als Ausgangsmaterial für ihre eigenen Produktionen. So auch vor etwa fünf Jahren, als Universal mit State of Play eine zweistündige Adaption der gleichnamigen fünfeinhalbstündigen BBC-Serie von 2003 in die Kinos brachte. Ein Trend, den zuletzt David Fincher mit House of Cards und demnächst Utopia weiterführt. Nur eben mit namhaften Schauspielern, die das Publikum auch sehen möchte.

So waren für State of Play zunächst Brad Pitt und Edward Norton in den Hauptrollen geplant, ehe Meinungsverschiedenheiten und Verzögerungen kurzfristig Russell Crowe und Ben Affleck ans Set von Kevin Macdonald spülten. Und obschon seine weniger als halb so lange Version von David Yates’ Serie nach Drehbuch von Paul Abbott bei den Kritikern gut ankam, floppte der Film sowohl in den USA als auch international an den Kinokassen (trotz fehlender Konkurrenz). Dabei macht Macdonalds Remake vieles – wenn leider auch nicht alles – richtig. Aber welche Version ist nun besser oder gut? An dieser Stelle soll wieder mal ein Head-to-Head feststellen, welche Geschichte in den Druck gehen darf.

The Reporter

Das Erbe von Woodward und Bernstein tritt in Paul Abbotts Geschichte der Reporter Cal McAffrey an, in der BBC-Version von John Simm (höchstens Doctor Who-Fans hierzulande ein Begriff) gespielt. Eher klein und schmächtig ist er bemüht, seinem alten Kumpel Stephen Collins, für den er einst Wahlkampf machte, über den plötzlichen Tod seiner Geliebten zu helfen. Nur um selbst mit Collins’ entfremdeter Gattin zu korpulieren. Was mehr Zeit beansprucht, als es sollte. Wenig nuanciert wird man mit Simm nicht so recht warm, auch nicht als investigativer Journalist. Das mag auch daran liegen, dass er diesen Job mit James McAvoy – dessen Figur im Remake ausgespart wurde – teilen muss. Günter-Wallraff-Faktor: 45%

Man kann verstehen, wieso fürs Remake zuerst an Brad Pitt gedacht wurde. Stattdessen gab kurzfristig dann ein löwenmähniger Russell Crowe den Schnüffler von der Zeitung, eingeführt als sich im Auto mit Junk Food vollstopfender Radio-Gröler. Immerhin sehen wir Crowes McAffrey weitaus mehr „Investigation“ betreiben, auch der Tatsache geschuldet, dass er mit Polizeiermittler Bell (hier: Harry Lennix) bekannt ist. Wenn Crowes Figur den Killer auf sich lenkt, dann nicht, während er sich gerade verlustiert. Insofern darf dieser Cal McAffrey ein glaubwürdigerer Journalist sein als sein britischer Kollege, eben weil er – wenn auch nicht unbedingt äußerlich – mehr dessen Bild entsprechen mag. Günter-Wallraff-Faktor: 55%

The Girl

Unfairerweise verdient sich Kelly Macdonalds Version der naseweisen Della schon allein deshalb einen Sonderpunkt, weil ihr schottischer Akzent im britischen Original ein Highlight für sich ist (nie klang das Wort “murder” schöner). Allerdings erfährt die Figur – wenn auch nachvollziehbar – einen leicht extremen Wandel von der selbstbewussten Schnüfflerin zur eingeschüchterten Petze, als ihr Leben während der Recherche in Gefahr gerät. Zwar fängt sich die Figur gegen Ende wieder etwas, doch da ist der „Vertrauensbruch“ bereits geschehen. Die zudem im Verlauf verstärkt subtil angedeutete sexuelle Spannung zwischen Della und Polizeichef Bell hilft dem Ganzen auch nicht wirklich. Tamara-Dewe-Faktor: 50%

In der US-Version avanciert Della schlauerweise zur Bloggerin der Zeitung, die sich den Respekt von Cal McAffrey erst durch Rechercheerfolge verdienen muss. Insofern nimmt sie eher die Funktion eines “rookies” ein, wenn auch ihre Recherche identisch mit der ihres britischen Pendants ist. So erklärt sich vermutlich, weshalb sie nach dem Krankenhaus-Attentat weniger eingeschüchtert als bestärkt wirkt, was sicherlich dem Film dienlich ist. Zwar nicht ganz so sexy wie Kelly Macdonald überzeugt die Dynamik zwischen McAdams’ Della und McAffrey mehr als in der BBC-Fassung. Selbst wenn ihre Beziehung später fast in romantische Bahnen gelenkt wirkt, was eher verstört. Tamara-Dewe-Faktor: 50%

The Politician

Die Rolle des sichtbar steifen, aber politisch vielversprechenden Regierungsvertreters übernahm in David Yates’ Serie David Morrissey (eher bekannt als “Governor” in The Walking Dead). Hier darf Morrissey noch am ehesten die ganze Palette seiner schauspielerischen Fähigkeiten zeigen, von verunsichert über erzürnt bis am Boden zerstört. Und obschon viel für Sympathiebonus seitens der Zuschauer für ihn spricht (Geliebte und Kind tot, Ehefrau schläft mit bestem Freund), vermag dieser Stephen Collins nie recht seine ihm angeheftete gewisse Durchtriebenheit abzulegen. Dies mag auch am Wissen um Morrisseys Walking Dead-Rolle liegen. Insofern also: politically correct. John Edwards-Faktor: 60%

Wer denkt, David Morrissey ist steif, hat die Rechnung ohne Ben Affleck gemacht. Zwar überzeugt Affleck – enormes Kinn hin oder her – als Kongressabgeordneter, nur vermag sein Spiel sich nie der Figur richtig zu öffnen. Dass er und Russell Crowe Uni-Kumpels sein sollen, erfordert ordentlich “suspension of disbelief”. Immerhin ist Afflecks Stephen Collins im Gegensatz zu seinem britischen Kollegen weitaus weniger präsent im US-Film und wirkt zugleich weitaus unschuldiger beziehungsweise weniger verdächtig. Was dem Twist zum Schluss sicherlich zuträglicher ist. Das fehlende Schauspiel Afflecks ist hierbei allerdings hinderlich, weshalb man mit Ed Norton besser gefahren wäre. John Edwards-Faktor: 40%

The Wife

Die Rolle der betrogenen Anne Collins fiel in der sechsteiligen Serie Polly Walker (bekannt aus der HBO-Serie Rome) zu. Was nicht ohne Probleme ist. Es mag zum Teil an ihrer Frisur liegen, aber Walkers Frau zwischen zwei Männern will in keiner Konstellation so recht überzeugen. Sie passt weder wirklich zu Morrisseys noch zu Simms Figur, was auch daran liegt, dass wir von ihrem Charakter wenig mitbekommen. Umso unerklärlicher ist ihr Wandel im Schlussakt, der sie von der Opferrolle eher in die Bitch-Ecke rückt. Sie ist im Grunde nur da, um als “sexual interest” zu fungieren – was für weibliche Figuren selten positiv endet. Insofern: viel “Screen time” für einen blassen Charakter. Jenny Sanford-Faktor: 40%

Noch blasser, wenn auch ansehnlicher, kommt Robin Wright im Spielfilm daher. Zwar hat auch ihre Figur eine Affäre mit McAffrey, immerhin jedoch nur in der Vergangenheit. So wundert man sich zwar, wieso Collins und der Reporter weiterhin befreundet sind, ist aber zugleich dankbar, dass der Film für Bettspiele keine Zeit opfert. Abgesehen von zwei Szenen, in denen auf dieser Affäre rumgekaut wird, hat Anne Collins nichts zu tun. Was sich grundsätzlich dadurch erklärt, dass die UK-Figur nur für Sex existierte und insofern für das Remake in Ordnung geht. Wrights Rolle bleibt ein Nicht-Charakter, aber immerhin einer, der nett aussieht und für den nicht mehr Zeit als nötig aufgewandt wurde. Jenny Sanford-Faktor: 60%

The Editor

Es gibt Schauspieler, die können wenig falsch machen. Der wunderbare Bill Nighy ist einer von ihnen. Denn als scharfzüngiger Herausgeber im BBC-Original ist sein Cameron Foster eher einer von der Truppe – die meist geschlossene Tür seines Büros zum Trotz. Mehr kumpelhaft kommt das Verhältnis mit McAffrey daher, zugleich hält Nighys Chef vom Dienst seiner Truppe den Rücken frei und übernimmt mehrfach aktiv eine Rolle in der Recherche. Hierbei fungiert Cameron durchaus auch als “comic relief” – gerade im Doppel mit Sohnemann Dan –, dennoch nimmt man Nighy seine redaktionelle Kompetenz durchweg ab. Entsprechend ist dies eine absolut atmende dreidimensionale Figur. Ben Bradlee-Faktor: 65%

Im Kinofilm übernimmt Helen Mirren die redaktionelle Aufgabe der Herausgeberin. Darunter leidet am meisten die Beziehung zu ihren Reportern, wirkt Mirrens Cameron doch oftmals wie der Redaktion aufs Auge gedrückt denn als Teil von dieser. Das mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass Cameron im Film weniger direkt in die Recherche eingebunden ist, somit eher eine passive Rolle einnimmt. Der Großteil der Figur wird für den Sub-Plot der heimgesuchten Medienkrise aufgewandt, was zwar seine eigenen Vorzüge hat (s. The Tone), worunter jedoch die Ausarbeitung des Charakters leidet. In ihrer Funktion als Herausgeberin ist Cameron aber durchaus glaubwürdig. Ben Bradlee-Faktor: 35%

The Middleman

Das Zünglein an der Waage in Paul Abbotts Handlung gibt derweil der windige bisexuelle Mittelsmann Dominic Foy, im Original von Marc Warren als blonder Pimp gespielt. Über mehrere Episoden müssen McAffrey, Della und Co. diesen erst in eine Position bringen, in der er die politischen Verwicklungen um Collins’ tote Geliebte aufklärt – ehe dieser ihm den Kiefer zerdeppert. Auch wenn Foy als Witzfigur angelegt ist, will man nicht so recht glauben, welche Rolle der Figur hier zugeschrieben wurde. Was zum Teil auch an Warren selbst liegt. Grundsätzlich wird auf seinen Charakter jedoch, wie auch auf den von Anne Collins, für nur bedingten Erlös generell zu viel Zeit vergeudet. Tirath Khemlani-Faktor: 40%

Weniger wie ein Zuhälter aber nicht minder flamboyant kommt Jason Batemans Interpretation der Rolle daher. Ähnlich wie bei Robin Wright wird für ihn nur wenig Zeit aufgespart. Zwar immer noch mit dem Makel der Witzfigur behaftet, wird sein Dominic Foy zumindest als das behandelt, was er ist: ein Mittel zum Zweck, um die Handlung auf die Zielgerade zu bringen. Dies geschieht zugegeben relativ schnell – und als off-screen eingefangenes Geständnis auf Videoband –, ist jedoch dadurch verzeihbar, dass man so ein wohl bis zu einstündiges Katz-und-Maus-Spiel vermieden hat. Insgesamt kommt dieser schmierige Mittelsmann dennoch kompakter und somit konsequenter daher. Tirath Khemlani-Faktor: 60%

The Tone

Ein Merkmal der 2003er BBC-Serie ist nicht nur der heutzutage fast als Standard zu findende Newsroom in der Redaktion, sondern auch die Einbindung von Humor in die Handlung. Dies mag angesichts der politischen Verschwörung und der daraus resultierenden Toten zwar verwundern, ist dennoch aufgrund der Protagonisten wie McAvoys Dan Foster, Rebekah Statons Liz oder Sean Gilders Sergeant ‘Chewy’ Cheweski ganz amüsant. All diese Figuren fehlen natürlich im US-Remake. Von Westminster und der Zeitungslandschaft kriegt der Zuschauer dennoch nur bedingt etwas mit, wenn auch zumindest Vorgehensweisen von Letzterer in der ersten Hälfte eine Rolle spielen. Reality-Check-Faktor: 40%

Zwar ist Humor in Kevin Macdonalds Version kein Fremdkörper, sondern gerade im Zusammenspiel zwischen Russell Crowe und Rachel McAdams ein wiederkehrendes Element, dennoch vergeudet der Film keine Zeit darauf. Erfrischend, wenn auch leicht altbacken, ist der in die Handlung verwobene Subplot der Medienkrise, die sich in Faktoren wie Facelifts für den Zeitungskopf oder Dellas Funktion als Bloggerin niederschlägt. Zum US-Kongress erhalten wir zwar auch hier keinen Einblick, dafür erfährt der Plot mit der Privatisierung durch Sicherheitsunternehmen à la Blackwater wie im Falle der Medienkrise ein zeitgenössisches Update. Eine gelungene Neuausrichtung der Handlung also. Reality-Check-Faktor: 60%

Fazit

Die britische TV-Fassung überzeugt dadurch, dass die Recherche über eine Woche verteilt wird, während die Adaption sie auf zwei Tage komprimiert. Aber dies schien nötig, um dieselbe Geschichte in weniger als der Hälfte der Zeit zu erzählen. Leider ging so manch liebenswerte Figur verloren, glücklicherweise aber auch viel Ballast. Die jeweilige Besetzung nimmt sich nur bedingt etwas, Andrew Macdonalds Film wirkt jedoch aktueller. Wer sich also nur für die Geschichte von State of Play interessiert, darf dem amerikanischen Film-Remake den Vorzug geben. Dieses setzt sich mit 5:3 im Head-to-Head durch. Winner on points: State of Play (US-Film)!

9. Februar 2014

Akira

Why do you always have to save me?

Keine 280 Seiten stark ist J.R.R. Tolkiens The Hobbit, was einen Mann wie Peter Jackson jedoch nicht davon abhält, daraus eine 9-stündige Filmtrilogie zu wälzen. Was der Vorlage fehlt, wird einfach durch Appendixe oder Wiederholungsszenen der Lord of the Rings-Serie aufgefüllt. In der Filmbranche ist ein derartiges Aufblähen bei einer Buchadaption eher ein Ausnahmefall. Denn in der Regel werden allerlei Charaktere und Nebenhandlungsstränge aus der Verfilmung gekürzt, notfalls zumindest der finale Band einer Romanreihe auf zwei Filme ausgedehnt. Entsprechend war 1988 klar, dass Ōtomo Katsuhiro vor einem Problem stand, als es darum ging, seinen über 2.000 Seiten starken Manga Akira zu verfilmen.

Dieser war von 1982 bis 1990 als Schwarzweißserie im Young Magazine erschienen, bei uns in Deutschland brachte ihn von 1991 bis 1996 der Carlsen Verlag in 19 Bänden auf den Markt. Insofern dürfte deutlich sein, dass Film und Manga nicht identisch miteinander sein konnten – nicht zuletzt, da der Manga zeitlich nach dem Film abschloss. Und in der Tat muss der Zuschauer in Akira auf viele Nebenhandlungen sowie -figuren ganz verzichten, während einige (big player) unter ihnen wie Miyako, Nezu oder Ryu teilweise gar karikiert und für den Handlungsverlauf ignoriert werden. Im Grunde konzentriert sich Ōtomo-san in seinem Film zuvorderst auf die erste Hälfte seines Mangas – was grundsätzlich funktioniert.

Am Anfang beider Geschichten steht jene verhängnisvolle Nacht in einem von einem Dritten Weltkrieg gebeutelten Japan der Zukunft, in der es die Motorrad-Gang von Schüler Kaneda (Iwata Mitsuo) in den Altstadtteil von Neo-Tokio zieht. Als das Gangmitglied Tetsuo (Sasaki Nozomu) dort einen Unfall erleidet, weil er mit einem ergrauten Jungen kollidiert, nimmt das Schicksal seinen Lauf. Das Militär erscheint und entführt den verletzten Tetsuo mit auf die Basis. Dort stellt sich heraus, dass in dem Schüler ungeahnte telekinetische Kräfte geweckt wurden. Diese wiederum drohen in Akira jene Person zu wecken, die Jahrzehnte zuvor durch eine Gewaltentladung ihrer eigenen Kräfte jenen Dritten Weltkrieg entfachte.

Unterdessen trifft Kaneda auf die junge Kei (Koyama Mami), die Mitglied in einer terroristischen Widerstandsbewegung ist, die Akira für ihre eigenen Zwecke gewinnen will. Gemeinsam versuchen sie schließlich, Zugang zu Tetsuo und zu dem Militärkomplex zu erhalten, in dem sich er sowie andere übernatürlich begabte Subjekte wie Tetsuo und Akira aufhalten. Dort ist der leitende Colonel Shikishima (Ishida Taroh) wiederum mit seinem Forscherteam bestrebt, ein zweites Erwachen von dem seiner Zeit in Kälteschlaf versetzten Akira um jeden Preis zu verhindern, während Tetsuos unkontrollierbare Kraft mehr und mehr wächst und hierbei droht, ihren jugendlichen Wirt zu übermannen. Ist Neo-Tokio noch zu retten?

So weit die stark reduzierte Filmhandlung, die als komprimierte Version des Mangas fungiert und zuvorderst durch ihre Cyberpunk-Elemente zu beeindrucken wusste. Grundsätzlich waren für die filmische Verarbeitung einige Zugeständnisse nötig, darunter der Gore-Gehalt der Vorlage. Auch Kaneda wird im Film weitaus positiver gezeichnet als seine teils ambivalente Darstellung im Manga, dessen zahlreiche Redundanzen jedoch gestrichen wurden. Keine sich stetig wiederholenden Fluchtszenen von Kaneda und Kei, kein ewiges Hin und Her zwischen allen vertretenen Parteien, seien sie Militär, Gang oder Widerstand. Allerdings fehlt so im Film auch ein entscheidendes Merkmal: der Titelgebende Akira selbst.

Wo dessen Erwachen im Manga weitaus früher geschieht und ihn so zu einer, wenn auch eher passiven, Figur, in Akira macht, ist Akira im Anime eher eine mit Namen versehende Gefahr. Das ist auf der einen Seite bedauerlich, da der Manga seine eigentliche Stärke erst erlangt, als Ōtomo Neo-Tokio in eine postapokalyptische Dystopie stürzt. Zumindest eine Überlegung hätte es wert sein können, diesen Aspekt von Akira in einem zweiten, ebenfalls rund zweistündigen Film zu verarbeiten, gehen dem Anime hier auf der einen Seite doch viele beeindruckende visuelle Bilder verloren, allen voran jedoch eine intensivere Charakterzeichnung von Tetsuo. Denn Platz für Persönlichkeiten ist in der Anime-Fassung wenig.

Wirklich gehetzt wirkt diese immerhin nur, wenn man den direkten Bezug zum Manga kennt. Ansonsten vermag es Ōtomo-san durchaus geschickt und zufriedenstellend, die Essenz seiner Geschichte in 120 Minuten zu erzählen. Und sogar Aspekte zu integrieren, die im Manga zu kurz kamen. Denn jene “ultimative energy”, die Akira und Tetsuo bemannt, wohnt in jedem Menschen inne – man müsste sie nur anwenden. Immerhin kommen die Figuren zu dem Schluss: “Maybe we weren’t meant to meddle with that ultimate power”. Als Kommentar auf eine Nachkriegswelt und jugendliche Entfremdung funktioniert der Anime zwar insofern nur bedingt, seine Bedeutung für das Genre eint ihn jedoch mit seinem Manga-Pendant.

War dieses für den Westen einst der Türöffner für das Comic-Äquivalent, führte die Verfilmung die USA und Co. in den Anime-Bereich ein und avancierte zum Meilenstein des Zeichentricks. Nicht von ungefähr zählt Ōtomos Magnus opum neben Kōkaku Kidōtai zum Pantheon des Animations-Genres. Und so ließe sich ein Zitat des Films im Grunde auch auf diesen selbst münzen: “Buried within it is a new seed. We need only wait for the wind which will make it fall to fruition.” Da Akira nicht den Umfang des Mangas erreicht, richtet sich der Film speziell an diejenigen, die Sci-Fi und Animes nicht abgeneigt sind, denen jedoch ein 2.000-Seiten-Manga zu aufwendig ist. Insofern ist Akira quasi ein Anti-Hobbit.

8/10

1. Februar 2014

Filmtagebuch: Januar 2014

AKIRA
(J 1988, Ōtomo Katsuhiro)
8.5/10

AO NO ROKU GÔ [BLUE SUBMARINE NO.6]
(J 1998, Mahiro Maeda/Kôichi Chigira)

8/10

BLADE RUNNER [FINAL CUT]
(USA/UK/HK 1982/2007, Ridley Scott)

8/10

FINDING NEMO [FINDET NEMO]
(USA 2003, Andrew Stanton/Lee Unkrich)

9/10

HACHI: A DOG’S TALE [HACHIKO - EINE WUNDERBARE FREUNDSCHAFT]
(USA/UK 2009, Lasse Hallström)

8/10

HOTARU NO HAKA [DIE LETZTEN LEUCHTKÄFER]
(J 1988, Takahata Isao)

6/10

INOSENSU [GHOST IN THE SHELL 2 - INNOCENCE]
(J 2004, Oshii Mamoru)

8/10

THE INVISIBLE MAN [DER UNSICHTBARE]
(USA 1933, James Whale)

5.5/10

KÔKAKU KIDÔTAI [GHOST IN THE SHELL]
(J 1995, Oshii Mamoru)

8/10

KÔKAKU KIDÔTAI 2.0 [GHOST IN THE SHELL 2.0]
(J 2008, Oshii Mamoru)

7.5/10

THE MATRIX
(USA/AUS 1999, Andy Wachowski/Lana Wachowski)
7.5/10

MEGA SHARK VERSUS CROCOSAURUS
(USA 2010, Christopher Ray)
0/10

PĀFEKUTO BURŪ [PERFECT BLUE]
(J 1997, Kon Satoshi)

8.5/10

PAPURIKA [PAPRIKA]
(J 2006, Kon Satoshi)

8/10

PHANTOM OF THE OPERA [PHANTOM DER OPER]
(USA 1943, Arthur Lubin)

6/10

SAMĀ WŌZU [SUMMER WARS]
(J 2009, Hosoda Mamoru)
8/10

SHERLOCK: THE EMPTY HEARSE
(UK 2014, Jeremy Lovering)
5.5/10

SHERLOCK: HIS LAST VOW
(UK 2014, Nick Hurran)
7.5/10

SHERLOCK: THE SIGN OF THREE
(UK 2014, Colm McCarthy)
5/10

SLEEPERS
(USA 1996, Barry Levinson)
6.5/10

SPRING BREAKERS
(USA 2012, Harmony Korine)
10/10

STREET FIGHTER
(USA/J 1994, Steven E. de Souza)
6/10

SUPER MARIO BROS.
(USA/UK 1993, Annabel Jankel/Rocky Morton)
5/10

SUPERSTAU
(D 1991, Manfred Stelzer)
7/10

SUTORENJIA: MUKÔ HADAN [SWORD OF THE STRANGER]
(J 2007, Andô Masahiro)
8/10

TOKI O KAKERU SHŌJO [DAS MÄDCHEN, DAS DURCH DIE ZEIT SPRANG]
(J 2006, Hosoda Mamoru)
10/10

UP [OBEN]
(USA 2009, Pete Docter)

5.5/10

WHEN WE WERE KINGS
(USA 1996, Leon Gast)
6.5/10

WRECK-IT RALPH [RALPH REICHT’S] (3D)
(USA 2012, Rich Moore)

6.5/10

Retrospektive: Top Ten 2010


MARY & MAX
(AUS 2009, Adam Elliot)
8/10

I LOVE YOU, PHILLIP MORRIS
(F/USA 2009, Glenn Ficarra/John Requa)
8/10

AN EDUCATION
(UK/USA 2009, Lone Scherfig)
7.5/10

UN PROPHÈTE [EIN PROPHET]
(F/I 2009, Jacques Audiard)
7.5/10

THE END OF THE LINE
[DIE UNBEQUEME WAHRHEIT ÜBER UNSERE OZEANE]
(UK 2009, Rupert Murray)
8.5/10

A SINGLE MAN
(USA 2009, Tom Ford)
8/10

EXIT THROUGH THE GIFT SHOP  
[BANKSY - EXIT THROUGH THE GIFT SHOP]
(UK 2010, Banksy)
8.5/10

SIN NOMBRE
(MEX/USA 2009, Cary Fukunaga)
8.5/10

FOOD INC.
(USA 2008, Robert Kenner)
8.5/10

HERBSTGOLD
(D/A 2010, Jan Tenhaven)
8.5/10