4. Februar 2011

Nostalgia de la Luz

Somos los leprosos de Chile.

Die Atacamawüste im Norden Chiles gilt als die trockenste Wüste der Erde. Denn sie ist eines der wasser- und regenärmsten Gebiete der Welt, was zugleich die weitestgehende Abwesenheit jeglichen Lebens nach sich zieht. Man sieht keine Pflanzen, keine Eidechsen - nicht einmal Insekten. Das einzige Leben, das sich bisweilen in der Atacamawüste findet, sind die Gebeine der Desaparecidos, der Verschwundenen. Rund 1.500 Chilenen verschwanden laut Amnesty International allein 1973, dem Jahr als General Augusto Pinochet die Macht in Chile ergriff. Im selben Jahr sollen 75 Regimegegner in der Atacamawüste hingerichtet worden sein, insgesamt werden Pinochets Regime über 3.000 Morde zur Last gelegt.

Wer sich heute in die Atacamawüste begibt, wird vermutlich auf dem Weg zum Paranal-Observatorium respektive zu einer der anderen Sternwarten sein, die hier beheimatet sind. Oder er untersucht die historischen Steingravuren von präkolumbianischen Indios. Bisweilen sieht man auch einige Seniorinnen, die mit Spaten bewaffnet durch die trostlose Wüste stapfen und halb resignierend mit müden Bewegungen den trockenen Boden nach den Knochen vermisster Verwandter durchwühlen. Alle drei Parteien begeben sich auf eine geschichtliche Reise in die Vergangenheit, sei es Astronom Gaspar, Archäologe Lautaro oder die 70-Jährige Violeta, die nach den menschlichen Überresten ihres Bruders Jose forscht.

In seinem essayistischen Dokumentarfilm Nostalgia de la Luz schafft Patricio Guzmán es geschickt, alle drei Handlungen miteinander zu verweben. Hierbei stehen besonders die astronomische und historisch-politische Komponente im Vordergrund. Denn das Kalzium in den menschlichen Knochen findet sich auch in den Sternen. Insofern hat die Verbindung zwischen dem Kalzium der Gebeine der Desaparecidos im Boden der Atacamawüste mit dem Blick auf die Sterne durch jene sich in selbiger Wüste befindenden Observatorien fast schon etwas Harmonisches. Doch wo Gaspar mit begeisternden Worten von seinem Handwerk sprechen kann, finden sich in Violetas Stimme nur Schmerz und Trauer.

Ihre Geschichte und die der anderen Angehörigen, die seit Ende der Achtziger auf das Schicksal der Desaparecidos in der Atacamawüste hinweisen, ist derart ergreifend und erschütternd, wie man es wohl selten auf der Leinwand miterlebt. Das Schicksal dieser Frauen, denen die Ehemänner, Brüder und Söhne geraubt wurden, bedrückt. Guzmáns steter Wechsel zwischen den Handlungssträngen wirkt da fast störend, selbst wenn Nostalgia de la Luz über einen roten Faden verfügt, der das filmische Konstrukt gelungen zusammenhält. Dennoch erzeugen weder Gaspars noch Lautaros Ausführungen auch nur ansatzweise so viel Spannung, Emotion und Beteiligung beim Zuschauer wie Pinochets trauriges Erbe.

Zu Beginn erläutert Astronom Gaspar sehr gelungen die Zeittheorie von Augustinus, nach der die Gegenwart an sich nicht existiert, sondern stets und sofort ins Vergängliche übergeht. Die von Guzmán unternommene filmische Reise in die Vergangenheit - der Kreis schließt sich später, wenn Violeta in Gaspars Observatorium selbst den Blick zu den Sternen wagt - kann grundsätzlich überzeugen, doch kommt man nicht umhin, das Potential der Desaparecidos als groß aufgezogenes Drama zu erkennen, und somit die letztendliche Beschränkung jener Geschichte als eine von vielen zu bedauern. Als essayistisches Produkt und soziopolitisch-wissenschaftliche Symbiose geht Nostalgia de la Luz jedoch in Ordnung.

6/10

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