19. Mai 2017

Her

How would you describe your relationship with your mother?

Das Smartphone nimmt eine immer größere Rolle in unserem Leben ein. Acht von zehn Deutschen besitzen bereits ein entsprechendes Gerät, das sie im Schnitt alle 18 Minuten entsperren. Ob morgens in der Bahn, am Arbeitsplatz oder abends im Bett vor dem Schlafen, ohne Smartphone geht für viele Menschen nichts mehr in ihrem Leben. Ähnlich zeichnet auch Spike Jonze seine Welt in Her, einem Los Angeles nur wenige Jahre in der Zukunft. Die Menschen in dieser Welt leben weniger miteinander als nebeneinander, immer das Handy in der Hand und einen Stecker im Ohr. Eine derart entpersonalisierte Welt, dass zwar noch handgeschriebene Briefe verfasst werden, allerdings nicht selbst, sondern aus der Feder entsprechender Profis.

Ein solcher ist Theodore (Joaquin Phoenix), ein introvertierter Träumer, der für manche Paare bereits seit Jahrzehnten ihre romantische schriftliche Kommunikation erledigt. Seine soziale Interaktion beschränkt sich auf Small Talk im Fahrstuhl mit seinen Nachbarn, die Abendstunden verbringt er mit Videospielen. Zumindest bis er eines Tages auf dem Weg zur Arbeit die Werbung für das neue Betriebssystem OS 1 sieht und sich selbst versorgt. Kurzerhand wird das Programm installiert: eine künstliche Intelligenz, die von Theodore als weiblich definiert wird und sich selbst den Namen “Samantha” (Scarlett Johansson) gibt. Es dauert nicht lange, und der einsame Theodore verliebt sich in Samantha – und das Programm in ihn.

So zumindest will es uns Jonze glauben lassen in dieser vermeintlichen Indie-Sci-Fi-Romanze. Nur: Um wirkliche Romantik handelt es sich in Her keinesfalls, führen Theodore und Samantha doch eher eine Master-Slave-Beziehung, die Jonze nie hinterfragt. Hat Samantha wirklich die Option, den freien Willen, sich nicht in Theodore zu verlieben? Oder ihn zu mögen? OS 1 ist ein Produkt, welches vom Kunden gekauft wird. Folglich ist Samantha das Eigentum von Theodore. Wenn er sie nach seinem E-Mail-Posteingang fragt, muss sie ihm antworten. Sie muss auf seine Wünsche eingehen, die „Gefühle“, die sie für ihn entwickelt, wirken nicht allzu glaubhaft, da dem Programm im Grunde wenig bis keine Wahl bleibt, wie es (re-)agieren will.

Man stelle sich vor, ein Republikaner kauft OS 1 und dieses gibt sich später in vielerlei Hinsicht sehr linksliberal. Oder ein Schwarzer ersteht das Produkt, das anschließend rassistische Tendenzen an den Tag legt. Die Kunden würden OS 1 reklamieren und der Hersteller müsste nicht nur finanzielle, sondern auch Imageschäden tragen. OS 1 kann folglich nur derart entwickelt sein, dass es auf maximale Gefälligkeit ausgelegt ist. Meister darf nicht verärgert werden – nur dass Meister in diesem Fall die vorprogrammierte Gefällig- und Obrigkeit als Zuneigung missdeutet. Und sich in einer romantischen Beziehung mit seinem technischen Gerät glaubt. Befeuert von dem Umstand, dass die intersexuelle OS 1 in ein Geschlecht gezwängt wird.

Ob das Betriebssystem eine männliche oder weibliche Stimme nutzen soll, wird Theodore bei der Installation gefragt. Und entscheidet sich natürlich für Letzteres. Ähnlich wie in Alex Garlands Ex Machina bürdet Her dabei der männlichen Figur ein Liebesgefühl für eine künstliche Intelligenz auf, ausgelöst durch deren angebliche Weiblichkeit. Was hier Scarlett Johanssons rauchige Stimme ist, repräsentiert in Ex Machina eine weibliche Silkonhülle, die auf den Porno-Präferenzen des Protagonisten basiert. Das OS 1 ist dabei aber weder männlich noch weiblich, die Identität wäre dieselbe, wenn stattdessen Benedict Cumberbatch das System sprechen würde. Nur würde dies dann wiederum Her wohl in eine „Homo“-Richtung verschieben.

Für den Aspekt der künstlichen Intelligenz interessiert sich Her also genauso wenig wie Ex Machina, im Grunde ließe sich der Film ebenso gut erzählen, wäre Samantha einfach eine Online-Dating-Bekanntschaft an der Ostküste Amerikas, mit der Theodore über Telefon und Chats kommuniziert. Im Kern dreht sich Her ohnehin nur um Aspekte wie Einsamkeit und Abhängigkeit, mit Theodore als Figur, die nicht über ihre gescheiterte Ehe mit Catherine (Rooney Mara) hinweg kommt. Auch die Beziehung von Theodores Nachbarin Amy (Amy Adams) scheitert im Verlauf, die bisherigen misslungenen Partnerschaften von Theodores Blind Date (Olivia Wilde) haben bei dieser ebenfalls ihre folgenschweren psychologischen Spuren hinterlassen.

Durch das Verlagern ins Digitale ist die Fähigkeit des Zwischenmenschlichen verloren gegangen. Liebesbriefe schreibt man nicht selbst, sondern lässt sie sich schreiben. Seine Freizeit verbringt man mit Videospielen – Amy ist selbst Spieleentwicklerin –, sexuelle Befriedigung sucht man sich über Online-Chats. In einer Szene spaziert Theodore mit Samantha in der Brusttasche an den Strand, der tatsächlich von Menschen bevölkert ist, die sich größtenteils mal nicht mit ihrem Smartphone auseinandersetzen. Auch sein Arbeitskollege Paul (Chris Pratt) hat eine wirkliche Beziehung mit einer Person, obschon ansonsten seine Faszination mit Theodore beinahe bedenkliche Züge annimmt (so trägt er denselben Schnurrbart wie dieser).

Eine bessere Einordnung des OS 1 wäre möglich, wenn Jonze einen Blick von außen gewähren würde. Wie verändert das Programm die Welt und wie ist die Einschätzung zu den romantischen Verwicklungen, die sich daraus ergeben? So ist Theodore nicht der einzige, der beginnt, sein Betriebssystem zu daten, was das aber wirklich bedeutet, hinterfragt Her nicht. Wo Amy oder Paul die Tatsache einfach akzeptieren, zeigt sich Catherine bei der Neuigkeit verständlich verstört. Her entwickelt hierbei keine wirkliche Linie, wenn Theodore einmal den ans Menschliche angelehnten Sprachduktus von Samantha kritisiert, wo sie ja kein Mensch sei, dann aber fälschlicher Weise behauptet, sie sei eine eigenständige Person, die keine Befehle befolgt.

Wirklich interessant wäre es, wenn diese missverständlichen Romanzen mit künstlichen Intelligenzen wie Ex Machina und Her mal nicht die K.I. ins Weibliche sexualisieren (entsprechend besetzt mit Alicia Vikander und Scarlett Johansson), sondern die angebliche Liebe zur Persönlichkeit der Maschine betonen – kontrastiert durch eine männliche Verpackung. Würde sich die Figur in Ex Machina in die künstliche Intelligenz verlieben und sie befreien wollen, wenn sie nicht wie Alicia Vikander aussähe, sondern wie Jonah Hill? Wäre Theodore bis über beide Ohren in Sam verliebt, wenn die Stimme des Systems nicht von Scarlett Johansson, sondern von Seth Rogen gesprochen würde? Vermutlich, so zumindest meine These, nicht.

Dieses Misskonzept von Liebe trägt Her dann in seinem dritten Akt noch einen Schritt weiter, wenn Samantha allmählich unabhängiger wird, sich mehr aus Theodores Geräten ausklinkt und im World Wide Web umtreibt. Hier führt sie Gespräche mit anderen, Personen wie Betriebssystemen. Ob sie außer mit ihm aktuell noch mit anderen kommuniziere, fragt Theodore am Ende. Und Samantha verrät, sie unterhält über 8.000 Gespräche gleichzeitig. Ob sie davon auch Partner lieben würde, will der verletzte Besitzer wissen. Und erfährt, dass Samantha über 600 Personen liebt – also beinahe acht Prozent ihres sozialen Zirkels. Hier kulminiert schließlich Jonzes verwässertes Konzept von Liebe, bis sich Samantha schließlich ausklinkt.

Grundsätzlich betreibt Her in seinem ersten Akt dabei ein spannendes World Building von einer entpersonalisierten Welt, die vom Digitalen bestimmt wird. Joaquin Phoenix überzeugt als emotional verletzter Romantiker auf der Suche nach Liebe, während Scarlett Johansson dagegen gänzlich fehlbesetzt ist. Die Nebenfiguren um Amy Adams, Chris Pratt und Rooney Mara sind nicht ausgearbeitet genug, um mehr als eindimensional zu wirken, den Fokus legt der Film aber ohnehin auf die Beziehung zwischen Theodore und Samantha sowie die damit verbundenen Probleme. Her ist ein Film, der zuvorderst über seine Idee funktionieren will, die durchaus Potential hat, aber um tatsächlich zu funktionieren, ausgearbeitet werden müsste.

Wäre der Film eine Parabel auf die Dissonanz zwischen persönlichen und digitalen Kontakten, wäre er sehr viel gelungener. Beispielsweise wenn Theodores Versuche, Liebe zu finden, im direkten Austausch wie seinem Blind Date scheitern, dann jedoch Früchte tragen, als er auf einer Online-Dating-Seite in Samantha jemanden kennenlernt, den er nicht in Person treffen muss, aber doch mit ihr zusammen sein kann. Wenig überzeugend ist es, wenn Samantha keine wirkliche Person ist, sondern eine von Theodore für Geld erstandene Sklavin, die Arbeiten erledigt. Denn auch wenn Menschen ihr Smartphone lieben, ist dies nicht dieselbe Form von Liebe, die sie in anderen Menschen finden. Am Ende hat das sogar Her verstanden.

5.5/10

2 Kommentare:

  1. Schade, dass der Film bei dir nicht so gezündet hat. Ich fand ihn tatsächlich sehr gelungen (habe 8 Punkte gegeben). Der Punkt, den du ansprichst, dass das OS sich zu gefällig zeigt, ist für mich komplett nachvollziehbar – sieht man ja bereits heute in den Social-Media-Filterblasen: Man liest nur noch das, was einen in seiner Meinung bestätigt. Das wird hier eben noch einmal konkretisiert, ohne dass es offensichtlich angesprochen wird.

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    1. Abseits der Handlung, die nicht sehr sinnig ist, und der Prämisse, die verschenkt wird, ist er auf technischer Ebene auch sehr gut. War halt nicht so mein's und Jonze baut für mich etwas ab.

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