Bei manchen Literatur-Adaptionen kann der Druck immens sein. Egal ob es um J.R.R. Tolkiens The Lord of the Rings geht oder um Patrick Süßkinds Das Parfüm. Mit bereits zwei Verfilmungen von Tanizaki Jun’ichirōs Sasame-yuki – international als The Makioka Sisters vertrieben – hätte es Regisseur Ichikawa Kon eigentlich locker angehen können. Ganz so einfach war es dann aber doch nicht. “Ichikawa had to make the Gone with the Wind of Japan (…) on a TV-movie budget”, berichtet die Filmwissenschaftlerin Audie Bock im Essay-Booklet der Criterion Blu-ray des Films. Das Geld war knapp, die Kostüme und Kulissen teuer. Und dann verstarb auch noch kurz vor Produktionsbeginn Ichikawas Frau und langjährige kreative Partnerin.
Dem Film selbst merkt man all dies nicht an. Sasame-yuki erzählt dabei ähnlich wie Ozu Yazujiros Sanma no aji [An Autumn Afternoon] von dem sozialen Druck der entsteht, wenn eine japanische Frau den Zeitpunkt der Heirat zu verpassen droht. Im Mittelpunkt stehen vier verwaiste Schwestern und Erbinnen eines Kimono-Imperiums, die vom verblassten Ruhm ihrer Familie zehren. Yukiko (Yoshinaga Sayuri), die Drittälteste, harrt immer noch der Dinge in Sachen Eheschließung, ist aber bereits um die 30 und damit fast zu alt für einen vielversprechenden Ehemann. Das Dilemma wird noch größer, da Taeko (Kotegawa Yūko), die Jüngste, zwar im besten heiratsfähigen Alter ist, aber erst auf die ältere Schwester warten muss.
“These customs are so complicated”, klagt Taeko, die ohnehin weitaus westlicher eingestellt ist als die anderen Makiokas. Taeko schielt auf ihre Mitgift und hält sich mit Puppendesign finanziell über Wasser. Sowohl sie als auch Yukiko sind dabei eine geteilte Bürde zwischen Tsuruko (Kishi Keiko), der Ältesten und Familienoberhaupt, und Sachiko (Sakuma Yoshiko). Letztere hat mit ihrem Mann Teisonuke (Ishizaka Koji) – wider der Gepflogenheit – die Jüngeren bei sich zuhause aufgenommen. Speziell zwischen Tsuruko und Taeko tut sich der generationelle Graben auf. “You’re so obsessed with your position”, rügt da selbst Sachiko. Tsuruko muss aber stets den Ruf und das Wohl der Familie als Ganzes im Blick haben.
Keine der Figuren in Sasame-yuki ist wirklich glücklich und zufrieden. Die Wirtschaft Japans Anfang der 1930er Jahre könnte besser sein – genauso wie die Eheleute der Makiokas. Teisonuke und Tsurukos Gatte Tatsuo (Itami Jūzō) entstammen einem so armen Haus, dass sie gezwungener Maßen den Namen ihrer Frauen annehmen mussten. Was es einerseits verwunderlich und andererseits zugleich verständlich macht, wenn Sachiko und Teisonuke später Taekos Verehrer Okubato (Katsura Kubeichō) wegen seiner armen Herkunft als ungeeignet einstufen. Den Film durchziehen arrangierte Blind Dates von Yukiko und potentiellen Ehemänner, die mit Mitte 40 den Absprung auch verpasst zu haben scheinen oder schwer vermittelbar sind.
“I feel like the potential grooms are getting worse and worse”, kommentiert Teisonuke, als eines der vielen Treffen mal wieder im Sande verläuft. In der Regel, wie Sachiko eingangs offenbart, weil lange Zeit Tsuruko auf bessere Optionen wartete und Kandidaten kurzfristig ablehnte. Später ist es dann Yukiko selbst, die immer wieder Absagen gibt. Allerdings so scheu ist, dass sie ihren eigenen Wünschen keine Stimme gibt. “She never says what she thinks of marriage”, kritisiert auch Tsuruko. Ihrer sexuellen Reize ist sich die schüchterne Drittälteste gewahr, gerade Teinosuke scheint sie es angetan zu haben, was ihr bewusst ist. Tsuruko hat eigentlich eigene Probleme, soll Tatsuo doch für seine Bank ausgerechnet nach Tokio versetzt werden.
Immerhin ein gutes Zeichen für einen Job, der gefragt ist. Zwar verrät Ichikawa nicht allzu viel über die Lage der Nation im Jahr 1932, aber zwischen den Zeilen dann doch genug, um sich ein gewisses Bild machen zu können. “It seems kimono department managers have nothing to do these days”, unkt Sachiko, als Teisonuke eines Tages früh aus dem Geschäft der Familie heimkehrt. Zugleich zeigt das Verhalten von Tsuruko und Sachiko sowie von Taeko gegenüber deren wechselnden Verehrern, die dominante Position, welche die Makioka-Frauen in ihren Beziehungen ausüben. Sie alle würden in der Vergangenheit leben, wirft ihnen Tatsuo später an den Kopf und deutet damit einen gesellschaftlichen Wandel an, der sich vollzieht.
Eine Rückblende wenige Jahre zuvor, in welcher Taeko und Okubato gemeinsam durchbrannten, veranschaulicht dies ebenso. Die Presse druckt versehentlich Yukikos Namen anstelle den der Schwester, sodass eine neuerliche Publikation veranlasst werden muss. “Saving your honor meant harming Taeko’s”, erklärt Tatsuo. Ishikawa filmt die Flucht der Jugendlichen in Schwarz-Weiß als visuelle Abgrenzung, allerdings nicht jene familiäre Aufarbeitung, die ebenfalls in der Vergangenheit stattfand. Gerade Taeko und ihre Romanzen ziehen Sasame-yuki etwas unnötig in die Länge, wenn Liebhaber auf- und abtreten, während der von Taeko verstoßene Okubato im Verlauf in einer Nebenhandlung zu einer Art Antagonist verkommt.
Ichikawas Film ist dennoch keine zähe oder trockene Angelegenheit. Der Regisseur findet vielmehr stets Momente zur humorvollen Auflockerung, hauptsächlich in Form von Ohisa (Sanjō Miki) und Oharu (Uehara Yukari), den jeweiligen Hausmädchen von Tsuruko und Sachiko. Als Letztere in einem Eifersuchtsanfall ob der Affektion von Teisunuke gegenüber Yukiko in ihrer Wut eine Kiwi malträtiert, gebührt Oharus konsternierter Beobachtung der Szene der größte Lacher des Films. Visuell ist Sasame-yuki ohnehin eine Augenweide. Von den etwaigen Kirschblüten-Einstellungen hin zu den vielen variierenden Kimonos, welche die Makioka-Schwestern im Filmverlauf immerzu tragen, zeigt sich wenig von einem angeblichen TV-Budget.
Als Leitmotiv bleibt das Verhältnis der Makiokas zur Liebe und ihren jeweiligen Partnern. Nur weil Tsuruko und Sachiko bereits im Hafen der Ehe gelandet (gestrandet?) sind, macht sie dies nicht weniger unglücklich als ihre jüngeren Schwestern. “Things happen and seasons change, but nothing really changes after all”, meint Sachiko zum Schluss zwar. Aber Änderungen können sich niederschlagen, wenn die Charaktere wie Yukiko oder Tsuruko bereit sind, sie aktiv herbeizuführen. Für keine der Makiokas wird die Welt am Ende von Sasame-yuki dieselbe sein wie zu Beginn. Auf jede der Schwestern wartet eine ungewohnte Zukunft – für die eine hoffnungsvoller als die andere. Zumindest leben sie aber nicht mehr in der Vergangenheit.
Dem Film selbst merkt man all dies nicht an. Sasame-yuki erzählt dabei ähnlich wie Ozu Yazujiros Sanma no aji [An Autumn Afternoon] von dem sozialen Druck der entsteht, wenn eine japanische Frau den Zeitpunkt der Heirat zu verpassen droht. Im Mittelpunkt stehen vier verwaiste Schwestern und Erbinnen eines Kimono-Imperiums, die vom verblassten Ruhm ihrer Familie zehren. Yukiko (Yoshinaga Sayuri), die Drittälteste, harrt immer noch der Dinge in Sachen Eheschließung, ist aber bereits um die 30 und damit fast zu alt für einen vielversprechenden Ehemann. Das Dilemma wird noch größer, da Taeko (Kotegawa Yūko), die Jüngste, zwar im besten heiratsfähigen Alter ist, aber erst auf die ältere Schwester warten muss.
“These customs are so complicated”, klagt Taeko, die ohnehin weitaus westlicher eingestellt ist als die anderen Makiokas. Taeko schielt auf ihre Mitgift und hält sich mit Puppendesign finanziell über Wasser. Sowohl sie als auch Yukiko sind dabei eine geteilte Bürde zwischen Tsuruko (Kishi Keiko), der Ältesten und Familienoberhaupt, und Sachiko (Sakuma Yoshiko). Letztere hat mit ihrem Mann Teisonuke (Ishizaka Koji) – wider der Gepflogenheit – die Jüngeren bei sich zuhause aufgenommen. Speziell zwischen Tsuruko und Taeko tut sich der generationelle Graben auf. “You’re so obsessed with your position”, rügt da selbst Sachiko. Tsuruko muss aber stets den Ruf und das Wohl der Familie als Ganzes im Blick haben.
Keine der Figuren in Sasame-yuki ist wirklich glücklich und zufrieden. Die Wirtschaft Japans Anfang der 1930er Jahre könnte besser sein – genauso wie die Eheleute der Makiokas. Teisonuke und Tsurukos Gatte Tatsuo (Itami Jūzō) entstammen einem so armen Haus, dass sie gezwungener Maßen den Namen ihrer Frauen annehmen mussten. Was es einerseits verwunderlich und andererseits zugleich verständlich macht, wenn Sachiko und Teisonuke später Taekos Verehrer Okubato (Katsura Kubeichō) wegen seiner armen Herkunft als ungeeignet einstufen. Den Film durchziehen arrangierte Blind Dates von Yukiko und potentiellen Ehemänner, die mit Mitte 40 den Absprung auch verpasst zu haben scheinen oder schwer vermittelbar sind.
“I feel like the potential grooms are getting worse and worse”, kommentiert Teisonuke, als eines der vielen Treffen mal wieder im Sande verläuft. In der Regel, wie Sachiko eingangs offenbart, weil lange Zeit Tsuruko auf bessere Optionen wartete und Kandidaten kurzfristig ablehnte. Später ist es dann Yukiko selbst, die immer wieder Absagen gibt. Allerdings so scheu ist, dass sie ihren eigenen Wünschen keine Stimme gibt. “She never says what she thinks of marriage”, kritisiert auch Tsuruko. Ihrer sexuellen Reize ist sich die schüchterne Drittälteste gewahr, gerade Teinosuke scheint sie es angetan zu haben, was ihr bewusst ist. Tsuruko hat eigentlich eigene Probleme, soll Tatsuo doch für seine Bank ausgerechnet nach Tokio versetzt werden.
Immerhin ein gutes Zeichen für einen Job, der gefragt ist. Zwar verrät Ichikawa nicht allzu viel über die Lage der Nation im Jahr 1932, aber zwischen den Zeilen dann doch genug, um sich ein gewisses Bild machen zu können. “It seems kimono department managers have nothing to do these days”, unkt Sachiko, als Teisonuke eines Tages früh aus dem Geschäft der Familie heimkehrt. Zugleich zeigt das Verhalten von Tsuruko und Sachiko sowie von Taeko gegenüber deren wechselnden Verehrern, die dominante Position, welche die Makioka-Frauen in ihren Beziehungen ausüben. Sie alle würden in der Vergangenheit leben, wirft ihnen Tatsuo später an den Kopf und deutet damit einen gesellschaftlichen Wandel an, der sich vollzieht.
Eine Rückblende wenige Jahre zuvor, in welcher Taeko und Okubato gemeinsam durchbrannten, veranschaulicht dies ebenso. Die Presse druckt versehentlich Yukikos Namen anstelle den der Schwester, sodass eine neuerliche Publikation veranlasst werden muss. “Saving your honor meant harming Taeko’s”, erklärt Tatsuo. Ishikawa filmt die Flucht der Jugendlichen in Schwarz-Weiß als visuelle Abgrenzung, allerdings nicht jene familiäre Aufarbeitung, die ebenfalls in der Vergangenheit stattfand. Gerade Taeko und ihre Romanzen ziehen Sasame-yuki etwas unnötig in die Länge, wenn Liebhaber auf- und abtreten, während der von Taeko verstoßene Okubato im Verlauf in einer Nebenhandlung zu einer Art Antagonist verkommt.
Ichikawas Film ist dennoch keine zähe oder trockene Angelegenheit. Der Regisseur findet vielmehr stets Momente zur humorvollen Auflockerung, hauptsächlich in Form von Ohisa (Sanjō Miki) und Oharu (Uehara Yukari), den jeweiligen Hausmädchen von Tsuruko und Sachiko. Als Letztere in einem Eifersuchtsanfall ob der Affektion von Teisunuke gegenüber Yukiko in ihrer Wut eine Kiwi malträtiert, gebührt Oharus konsternierter Beobachtung der Szene der größte Lacher des Films. Visuell ist Sasame-yuki ohnehin eine Augenweide. Von den etwaigen Kirschblüten-Einstellungen hin zu den vielen variierenden Kimonos, welche die Makioka-Schwestern im Filmverlauf immerzu tragen, zeigt sich wenig von einem angeblichen TV-Budget.
Als Leitmotiv bleibt das Verhältnis der Makiokas zur Liebe und ihren jeweiligen Partnern. Nur weil Tsuruko und Sachiko bereits im Hafen der Ehe gelandet (gestrandet?) sind, macht sie dies nicht weniger unglücklich als ihre jüngeren Schwestern. “Things happen and seasons change, but nothing really changes after all”, meint Sachiko zum Schluss zwar. Aber Änderungen können sich niederschlagen, wenn die Charaktere wie Yukiko oder Tsuruko bereit sind, sie aktiv herbeizuführen. Für keine der Makiokas wird die Welt am Ende von Sasame-yuki dieselbe sein wie zu Beginn. Auf jede der Schwestern wartet eine ungewohnte Zukunft – für die eine hoffnungsvoller als die andere. Zumindest leben sie aber nicht mehr in der Vergangenheit.
6.5/10
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