In seinem Film Crimes of the Future lässt Regisseur David Cronenberg seine chirurgische Performance-Künstlerin Caprice (Léa Seydoux) in einer Szene festhalten, dass die ihre Arbeit beaufsichtigende Behörde für Caprices Schaffen “insists on ‘uniquely self-referential’”. Was als eine Art Meta-Kommentar in Bezug auf die Filmographie des Kanadiers verstanden werden könnte, kehrt Cronenberg in dieser doch immer wieder zu denselben Ideen, Motiven, Konzepten und Elementen zurück. Da macht auch The Shrouds, sein jüngstes Werk, keine Ausnahme, gleichwohl die Intention der Prämisse in diesem Fall seit The Brood die wohl autobiografischsten Züge trägt. Zumal die Hauptfigur selbst optisch nach dem Auteur gemodelt scheint.
The Shrouds ist ein Film über die Trauer – und weniger über ihre Verarbeitung, als vielmehr ihre Aufrechterhaltung. Es ist vier Jahre her, seit Karsh (Vincent Cassel) seine Frau Becca (Diane Kruger) an den Krebs verloren hat. Unvorstellbar schien ihm der Gedanke, nicht zu wissen, was mit ihr respektive ihrem Körper nach dem Tod geschieht. Weshalb er eine Firma – GraveTech – gründete, deren Geschäftsmodell beinhaltet, dass Angehörige die Leichname ihrer Liebsten beobachten können. Dank Hightech-Grabtüchern, ausgestattet mit eingefütterten Kameras. “Newer resolution, deeper penetration”, demonstriert Karsh seiner Begleitung Myrna, mit der er sich auf seinem Friedhof zu einem Date verabredet hat.
Beccas nackter Körper dominiert Karshs Rückblenden. Sie selbst sehen wir lebend nie angekleidet, in anderen Momenten begutachtet Karsh Bilder von ihr, die sie meist auch nur nackt zeigen. Die Figur hat keine Persönlichkeit, nur einen Körper oder besser: die Erinnerung an einen solchen – von dem Karsh besessen scheint. Bilder der nackten Becca in den Rückblenden weichen in seiner Wohnung dann Bildern ihres verwesenden Leichnams. Was die anderen Figuren um ihn herum eher verstört, stiftet bei Karsh ein Gefühl von Frieden (“drained away that fluid of grief that was drowning me”). So denkt er zumindest, auch wenn die Wurzeln seiner Trauer tiefer reichen, wie ihm sogar sein Zahnarzt eingangs bestätigt (“Grief is rotting your teeth”).
“In order to survive we have to give people something they can’t get anywhere else”, hieß es derweil von James Woods’ Max in Videodrome. “I think it’s what’s next.” Progressive Denker, deren Visionen drohen, die Gesellschaft respektive deren Status quo zurückzulassen – und die sich daher einer Untergrundbewegung gegenübersehen. Das ist für Cronenberg nichts Neues, findet sich neben Cosmopolis und Videodrome auch in Filmen wie Crimes of the Future, Scanners oder eXistenZ. Und davon, dass das eigene fortschrittliche Denken einen zu Fall bringen kann, zeugen ebenfalls The Fly oder Dead Ringers zur Genüge. Auch The Shrouds stellt eine vermeintliche Verschwörung in den Raum, die es zu hinterfragen gilt.
David Cronenberg selbst wurde durch den Krebs-Tod seiner Ehefrau Carolyn im Jahr 2017 und seine eigene Trauerverarbeitung letztlich zu The Shrouds inspiriert. Vincent Cassel spielt Karsh dabei optisch als eine Art Double des Regisseurs, passt besetzungstechnisch durchaus für den konspirativen Ton des Films, der diesen mitunter in den Thriller-Bereich lenkt. Wobei Michael Imperioli wohl optisch und darstellerisch die überzeugendere Wahl gewesen wäre, wie er zuletzt in der zweiten Staffel The White Lotus gezeigt hat. Diane Kruger wiederum hinterlässt den besten Eindruck in ihrer insgesamt dritten Rolle als Hunny, einer koketten KI-Assistentin, die Maury für Karsh entwickelt hat und die nach Beccas Abbild modelliert scheint.
Cicero sprach in seinen Philippischen Reden davon, dass das Leben der Toten der Erinnerung der Lebenden anvertraut wird. “Pain has a function”, sagte Wippet (Don McKellar) in Crimes of the Future, in dem die Gesellschaft den körperlichen Schmerz bereits hinter sich gelassen hat, fast wie eine Seele ihr physisches Gefäß. Auch für Karsh – und damit sein Alter Ego David Cronenberg – hat sein Schmerz eine Funktion erhalten: für Ersteren eine kapitalistische, für Zweiten eine künstlerische. “Kind of tacky but touching”, beschreibt Karshs erwähntes Date Myrna (Jennifer Dale) diplomatisch die Idee, ein Bildnis der Verstorbenen mit dem Grab zu verbinden. Im Falle von The Shrouds könnte man konstatieren: “kind of wacky but touching.”
7/10
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