5. April 2019

Kamera o tomeru na! [One Cut of the Dead]

Action!

Über 50 Jahre ist es her, seit George A. Romero den Zombie als reanimierten Kannibalen salonfähig machte. Seither treiben die Untoten munter ihr Unwesen, egal ob im Schnee (Dead Snow), Zug (Train to Busan) oder auf dem Schulball (Dance of the Dead). Umso beachtlicher, dass Ueda Shin’ichirō in seiner No-Budget-Komödie Kamera o Tomeru na! [One Cut of the Dead] dem Genre etwas Originelles abgewinnt. Ueda drehte den Film für eine fünfstellige Summe in acht Tagen mit einem Schauspieler-Workshop. Die technisch eher geringere Qualität spielt seinem Indie-Charme voll in die Karten und tat dem Erfolg keinen Abbruch. In Japan avancierte der Film zu den Hits des Jahres und spielt fast das Tausendfache seiner Kosten ein.

Oft müssen Überlebende in der Zombie-Apokalypse einen transformierten Liebsten zur Strecke bringen. So wie Aika (Akiyama Yuzuki), die sich hier zu Beginn ihres zombiefizierten Freundes Kamiya (Nagaya Kazuaki) erwehren muss. Sie fleht, weint, schluchzt – doch es hilft alles nichts. Zumindest wenn es nach dem Regisseur geht. Die Auftaktszene von Uedas Film entpuppt sich nämlich als Film-im-Film. Ein Zombie-Drama inmitten einer verlassenen Fabrikhalle. Wirklich glücklich ist Regisseur Higurashi (Hamatsu Takayuki) allerdings nicht mit Aikas Darbietung. Es mangele ihr an Authentizität, die Angst wirke nicht echt, herrscht er die junge Schauspielerin an. Eine kurze Drehpause soll helfen, dass sich alle beteiligten Personen wieder sammeln.

Doch der wahre Horror folgt erst: Aus heiterem Himmel taucht ein echter Zombie am Set auf und attackiert die Crew. Life imitates art sozusagen, bangen Aika, Kamiya und Co. plötzlich um ihr echtes Leben, ohne so recht zu wissen, wie ihnen geschieht. Mittendrin Higurashi, der die Ereignisse dazu nutzt, seinen Zombie-Film ins Cinéma Vérité zu verkehren und die Kamera weiterhin munter draufhält, allen Gefahren zum Trotz. Kamera o Tomeru na! bedeutet in etwa „Hör nicht auf zu filmen!“. Jene Anweisung, die Higurashi zuerst seinem Kameramann übermittelt und im Anschluß selbst befolgt, als dieser irgendwann zum Opfer wird. Quasi in bester Found-Footage-Manier à la Cloverfield, wo die Kamera weiterläuft, selbst wenn die Welt untergeht.

Indem Higurashi sich seine Dreharbeiten nicht von externen Kräften – in diesem Fall: Zombies – diktieren lassen will, wohnt dem Szenario ein subtiles Meta-Element inne. Egal wie gut ein Schauspieler ist, nichts schlägt echte Furcht. So ohrfeigte zum Beispiel auch William Friedkin seinerzeit bei The Exorcist einen seiner Darsteller, um eine authentischere Reaktion von diesem zu erhalten. Die Show respektive Dreharbeiten müssen also für den Regisseur weitergehen. Der Film selbst, so viel mag man sich zu diesem Zeitpunkt denken, wird sich dann irgendwie später im Schnitt finden – nicht unähnlich der modernen Arbeitsweise eines Terrence Malick. Für Aika, Kamiya und Co. avanciert ihr Regisseur quasi zum weiteren Antagonisten.

Was kann sich ein Regisseur im Dienste der Kunst also alles erlauben? Friedkin ohrfeigte einen echten Priester, Alfred Hitchcock ließ in The Birds reale Vögel auf Tippi Hedren los, sodaß ihre Panik nicht gespielt ist. Alles sei erlaubt, solange die Schauspieler nicht verletzt werden, meinte Friedkin mal. Eine Zusicherung, die sein Kollege in Uedas Film seiner Crew nicht macht. Im Gegensatz zum Film-im-Film gerät Kamera o Tomeru na! zur Komödie in der Tradition von Shaun of the Dead oder Zombieland. Zugleich inszeniert Ueda sein Werk nicht als typischen Zombiefilm. Am Ende des ersten Akts gibt es einen kleineren Twist, der den Verlauf von Uedas Film in eine ungewöhnliche Richtung für das Genre lenkt, die womöglich nicht jedem gefallen wird.

Gerade in der zweiten Filmhälfte, auf die nicht näher eingegangen, sondern die besser selbst ohne Vorkenntnis erlebt wird, entwickelt Kamera o Tomeru na! eine gänzlich erfrischende Dynamik. Das zuvor Ges(ch)ehene wird reflektiert und ergänzt den Humor um eine weitere Note. In seiner Summe ist Uedas Werks eine Liebeserklärung an den Zombiefilm und zugleich an das Independent-Kino und Filmemachen generell. Nicht unähnlich den Anfängen dieses Subgenres, dem Romero in Night of the Living Dead half, in neue cineastische Sphären vorzustoßen. Ueda Shin’ichirō gelingt damit einer der amüsantesten Filme des Jahres – so etwas kommt heraus, wenn der Regisseur volle Kontrolle über seine Arbeit hat. Mit Zombie oder ohne.

8/10

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