31. August 2018

Koi wa Ameagari Yō ni [After the Rain]

Once it takes off, it won’t stop.

In Richard Linklaters Dazed and Confused erklärt die Figur Wooderson ihr Faible für Schülerinnen mit der Feststellung: “I get older, they stay the same age.” Und in der Regel sind es ältere Männer, die jüngere Freundinnen oder Frauen haben, zum Beispiel Michael Douglas, der ein Vierteljahrhundert älter als seine Gattin Catherine Zeta-Jones ist. Je größer der Altersunterschied, desto größer ist auch die Verwunderung und Ablehnung des Umfelds über eine derartige Liaison. Sicher mit ein Grund, weshalb die 17-jährige Gymnasiastin Tachibana Akira (Watabe Sayumi) in der Manga-Adaption Koi wa Ameagari no Yō ni – international als After the Rain vermarktet – niemandem verrät, dass sie für ihren bereits 45 Jahre alten Chef schwärmt.

Seit sich der Star der Leichtathletik-AG die Achillessehne riss, verbringt Tachibana ihre Freizeit statt auf dem Sportplatz als Kellnerin in einem Restaurant-Franchise. Ihre Filiale wird von Mr. Kondō (Hirata Hiroaki) geleitet, der zwar redlich bemüht ist, zu seinen Mitarbeitern eine Beziehung aufzubauen, die betrachten ihn jedoch eher von oben herab. Kellnerin Nishida (Fukuhara Haruka) spricht sogar direkt in Hörweite Kondōs seine körperlichen Ausdünstungen an. Die halten Tachibana aber ebenso wenig wie der Altersunterschied oder die Realisation, dass Kondō Vater eines kleinen Jungen ist, davon ab, sich für den 45-Jährigen zu begeistern. Weshalb sie ihm alsbald ihre Gefühle gesteht, was Kondō aber nur bedingt wahrnimmt.

In seinen Anfängen ist Koi wa Ameagari no Yō ni aufgrund ihrer Thematik eine eher schwer zugängliche Serie. Der enorme Altersunterschied von 28 Jahren wirkt befremdlich, genauso, dass die Hauptfigur dies nicht zu bemerken scheint. Der Zwiespalt, der sich für den Zuschauer daraus ergibt, ist einerseits Tachibana romantisches Glück zu gönnen, andererseits aber nicht unbedingt mit einem derart älteren Mann. Der nutzt die Zuneigung zwar immerhin nicht aus, gebietet ihr aber eben auch keinen Einhalt. “My casual remarks are affecting someone’s heart”, stellt Kondō da zwar während ihrer ersten Verabredung in der dritten Folge Raining Tears fest, sein Verhalten gegenüber der 17-Jährigen passt er deswegen trotzdem nicht an.

Die Adaption von Mayuzuki Yuns Manga-Serie, die über zehn Ausgaben von 2014 bis 2018 lief, gerät in der Folge aber nicht in Woody-Allensche-Fahrwasser. Statt einer Romanze entspinnt sich zwischen den beiden Figuren eher eine Art Freundschaft, obschon sich Tachibana durchaus Hoffnungen auf mehr macht. „Viele Komplexe und wenig echte Liebe führen solche Paare zusammen“, schrieb Heike Stüvel einst in einem Welt-Artikel über die Faszination junger Frauen an älteren Männern. Ähnlich ließe sich vermutlich auch Koi wa Ameagari no Yō ni interpretieren, trauern doch sowohl Tachibana als auch Kondō insgeheim vergangenen Träumen nach, während sie in Nebenhandlungen versuchen, alte Freundschaften zu kitten.

Kondō selbst wollte mal Schriftsteller werden, bevor ihm seine Ehe und der daraus resultierende Sohn in die Quere kamen. Was hätte sein können hält ihm die Karriere seines alten Schulfreundes Chihiro (Miyamoto Mitsuro) vor Augen, dessen Roman inzwischen sogar verfilmt wird. Angeregt durch die Gesellschaft von Tachibana und den wieder entflammten Kontakt zu Chihiro beginnt Kondō, sich seinem alten Hobby neu zu nähern. Ganz so weit ist Tachibana dagegen nicht. Mit dem Austritt aus der Leichtathletik-AG hat sie scheinbar ihre Jugendfreundschaft zu Schulkameradin Haruka (Miyajima Emi) hinter sich gelassen. Beide Mädchen sind entfremdet, wenn auch wohl eher wider Willen. Die möglichen Hintergründe bleiben lange offen.

Wieso kühlte die langjährige Freundschaft nach Tachibanas Austritt derart ab? Oder fiel doch etwas mehr vor, das die Serie nicht zeigt? Wie dem auch sei, beide Figuren machen halbgare und unbeholfene Versuche, sich einander wieder zu nähern. “I’m sure you’ve shared moments together that are irreplacable”, muntert Kondō in der vorletzten Folge Passing Shower Tachibana nach seinen eigenen Erfahrungen mit Chihiro auf. Was war, kann wieder so sein – so die Botschaft. Und selbst wenn nicht, lässt sich an der positiven Erinnerung daran festhalten. Wie die 17-Jährige dem 45-Jährigen etwas seines alten jugendlichen Esprits verleiht, bietet er ihr eine Schulter zum Anlehnen, selbst wenn dies von seiner Seite aus platonisch gemeint ist.

Was Tachibana in ihm sieht, bleibt ihr Geheimnis. Stöbert man im Netz, werden oft die Reife der älteren Männer und ihre größere Intellektualität als Gründe für junge weibliche Affektion herangeführt. Beides scheint bei Kondō eher weniger der Fall, der zwar belesen ist, aber nicht zwingend gebildet. So hat er in der Finalfolge selbst Schwierigkeiten, mit dem neuen Menü für das Restaurant klarzukommen. Zu den weiteren Mutmaßungen zählt, dass junge Frauen im älteren Partner einen Vaterersatz suchen. Dies scheint in der Serie schon eher möglich, da wir zwar bisweilen Tachibanas Mutter, nicht aber einen Vater sehen. Womöglich dienen ihr Kondō und mit ihm das Kellnern auch bloß als Projektionsfläche, um die Leere nach dem Sport-Aus zu füllen.

Jedenfalls avanciert Koi wa Ameagari no Yō ni in der Folge von einer Serie über die Schwärmerei einer Schülerin zu ihrem älteren Chef zu einer solchen, die beide Figuren eher zu sich selbst als zueinander finden lässt. Und die in gewisser Weise jede der anderen Halt geben, um sich wieder aufzurichten und zu ihrer alten Persönlichkeit zu gelangen. Dabei entwickelt sich schnell ein Flow, der die Zuschauer für sich gewinnt. Nicht zuletzt dank der gelungenen musikalischen Untermalung, angefangen vom für japanische Animes typisch rockig-schmalzigem Intro-Song “Nostalgic Rainfall” von CHiCO with HoneyWorks (“I wish I was the rain so I could easily feel you”, lautet einer der vielen Lyrics, die gleichzeitig kitschy und catchy sind).

Den Anime zeichnet generell viel aus, was auf das Genre zutrifft. So findet sich in Küchenhilfe Yoshizawa (Ikeda Jun’ya) ein willkommener comic relief als Klassenkamerad, der für Tachibana schwärmt und als running gag versucht, ihr ihre Telefon-Chat-ID abzuluchsen. Schön gezeichnet ist Koi wa Ameagari no Yō ni ebenso, wenn sich auch visuelle Spielereien oder Panorama-Aufnahmen eher in Grenzen halten. Als kurzweilige Serie über die Höhen und Tiefen des Erwachsenwerdens und -seins funktioniert sie somit allemal besser denn als Lolita-Reflexion. “It’s exciting because you can’t see what’s ahead”, sagt Kondō in Passing Shower über die begrenzte Aussicht von seinem Balkon. Und könnte genauso über das Leben an sich sprechen.

6.5/10

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