Teilen ist nicht zwingend etwas, das Kinder gerne tun. Schon gar nicht, wenn es um die Aufmerksamkeit und Fürsorge ihrer Eltern geht. Kommt ein Geschwisterchen ins Haus, spielt man selbst plötzlich nur noch die zweite Geige. Diese Erfahrung muss auch der 4 Jahre alte Kun (Kamishiraishi Moka) in Hosoda Mamorus Mirai no Mirai – bei uns abgekürzt zu Mirai – machen. Ist die Faszination mit seiner neugeborenen Schwester Mirai eingangs noch relativ groß, lässt diese spätestens dann nach, als sich das Baby nicht gerade als Spielkamerad entpuppt und gleichzeitig auch noch die Aufmerksamkeit ihrer Eltern für sich beansprucht. Ein Ärger, der sich im Verlauf dann wiederholt beginnt, in physischer Gewalt gegen Mirai niederzuschlagen.
“You have to protect her, no matter what”, instruierte zwar Mutter Yumi (Aso Kumiko) direkt bei ihrer Heimkehr. Doch vergebens. Er habe nie zugestimmt, ein großer Bruder zu sein, lamentiert Kun mehrfach. Und hat damit nicht Unrecht. Die Rolle wird ihm auferlegt, ob es ihm passt oder nicht. Es ist ein Lied, das er aber nicht alleine singen muss. “I know exactly what you’re feeling right now”, versichert ihm später Familienhund Yukko (Yoshihara Mitzuo), als er menschliche Gestalt annimmt. Wie im Filmvorspann zu sehen, gebührte ihm einst die ganze Liebe von Yumi und ihrem Mann (Hoshino Gen) – bis ihm mit Kuns Geburt ein Konkurrent erwuchs. Für Kun gilt es in Mirai no Mirai fortan, Empathie zu entwickeln und (erste) Reife zu erlangen.
Nach jedem Wut- oder Frustanfall entwickelt der Familienbaum im Vorgarten magische Kräfte. Diese lassen Yukko menschliche Form annehmen, bringen eine jugendliche Version von Mirai (Kuroki Haru) aus der Zukunft in die Gegenwart oder transportieren Kun selbst wiederum in die Vergangenheit. Dort trifft er auf Yumi, als sie in Kuns Alter war, oder auf seinen jüngst verstorbenen Urgroßvater (Fukuyama Masaharu). Jedes Aufeinandertreffen hält eine Lektion für den 4-Jährigen bereit, die vom besseren Verständnis für seine Mutter bis hin zu sich selbst reicht. Und dabei Momente liefert, die (s)ein Leben beeinflussen – oder wie Mirai ihrem großen Bruder später sagt: “These little things all come together to make up who we are today.”
Entgegen dem, was das Poster oder der Einstieg über Mirai no Mirai suggerieren mag, entwickelt sich der Film weniger zum Fantasy-Abenteuer, das Kun über das ältere Pendant seiner Schwester mit ihrer jüngeren Version versöhnen soll. Vielmehr zeichnet Hosoda, der sich von der Reaktion seines eigenen Sohnes auf die Geburt seiner Schwester inspirieren ließ, einen authentischen Lebensentwurf eines 4-Jährigen, der sich im Wandel befindet. Und in welchem nicht alles auf Anhieb klappt, sei es der erste Tritt ins Fahrrad ohne Stützräder oder die geschwisterliche Bindung. Obschon der Film ihren Namen trägt, dreht sich Mirai no Mirai eher darum, wie sich Mirais Anwesenheit auf ihre Familie auswirkt – sowohl auf Kun als auch ihre Eltern.
Es sind Elemente, die Hosoda bereits in Ōkami Kodomo no Ame to Yuki anriss, sei es der Schlafmangel frischgebackener Eltern oder das durch die Kinder verursachte Chaos zuhause. Eine besondere Note entwickelt Mirai no Mirai dabei, indem Yumi nach kurzer Elternzeit wieder ihrem Beruf nachgeht, während ihr Mann als freischaffender Architekt von zuhause arbeitet und – zum Widerwillen von Kun – auf die Kinder aufpasst. Damit avanciert er in gewisser Weise zu einer Art 3. Kind, muss Yumi ihm doch erst „beibringen“, was ihn im Haushalt alles erwartet und wie er es umzusetzen hat. Indem Hosoda die erwachsene Yumi mit ihrem 4-jährigen Ich spiegelt, unterstreicht er auch den Kreislauf, dass wir alle selbst wie unsere Eltern werden.
Wo Yumi als Kind ebenso das Spielzeug zuhause rumfahren ließ und dafür von ihrer Mutter (Miyazaki Yoshiko) schwer gerügt wurde, sind die Rollen in der Gegenwart gegenüber Kuns Eisenbahn-Modellen im Wohnzimmer dann vertauscht, die Reaktion jedoch identisch. Gute Eltern wollen Yumi und ihr Mann sein, nur ein Patentrezept gibt es dafür nicht. “Raising kids is all about good intentions”, bestärkt Yumi ihre Mutter. Die Geduld und das Verständnis der Erwachsenen gehen Kun natürlich in seinen jungen Jahren noch ab. “I know I’m not that cute anymore”, gibt er sich scheinbar irgendwann im Zuneigungswettbewerb mit Mirai geschlagen, ergreift dann aber dennoch im Schlussakt als finaler Strohhalm für elterliche Aufmerksamkeit die Flucht.
Hosoda hätte es sich leicht machen können, indem er Kun im Verbund mit der älteren Version Mirais ein Abenteuer über Zeit und Raum erleben lässt. Nicht unähnlich seinem Meisterwerk Toki o Kakeru Shōjo. Womöglich wäre Mirai no Mirai mit einer etwas stringenteren Handlung erzählerisch noch runder geworden, ohne deswegen seine familiären emotionalen Momente einzubüßen. Schließlich schaffte Hosoda es auch, diese in den erwähnten Werken sowie Samā Wōzu und Bakemono no Ko einzubauen. Insofern ähnelt sein jüngster Film eher Edward Yangs Yi Yi, wenn der Regisseur verschiedene Momente dieses Familienlebens durch die Augen des kleinen Kun reflektiert, lose zusammengehalten von der ihn treibenden Eifersucht gegenüber Mirai.
Hinsichtlich seiner Animation fügt sich Mirai no Mirai gut an die bisherigen Arbeiten von Hosodas Studio Chizu an, ist allerdings weniger farbenfroh und verspielt als ein Samā Wōzu und Bakemono no Ko. Schön anzusehen sind die Luftbilder auf den Handlungsort Yokohama, welche die Stadt in den verschiedenen Zeitepochen, die Kun im Verlauf besucht, präsentiert. Ungewöhnlich ist auch das Haus von Kuns Familie, das sich eher westlich als japanisch orientiert und mit Beton sowie Glas arbeitet (“I will never get used to these modern homes”, meint Yumis Mutter in der Eröffnungsszene). Und hilfreich zur Vermittlung der emotionalen Botschaft ist auch hier wieder die schön gefühlvolle musikalische Untermalung von Takagi Masakatsu.
Letztlich ist Mirai no Mirai ein sehr persönlicher Film – nicht nur weil er von Hosodas eigenen Kindern inspiriert ist, sondern weil sich seine Handlung ausschließlich auf Kuns Familie und ihr Haus beschränkt. Der 4-Jährige ist dabei eine nachvollziehbare, wenn auch vielleicht nicht unbedingt vollends sympathische Identifikationsfigur (eine Meinung, die sein jugendliches Alter Ego teilt). Im Verbund mit dem Einblick in Yumis Jugend zeigt Hosoda aber durchaus, dass dies nicht außer-, sondern gewöhnlich ist. Auch viele Zuschauer dürften sich erinnern, wie sie womöglich mal Reißaus genommen oder einen Anfall gekriegt haben. Indem Hosoda diese Erfahrung seiner Kindern teilt, führt er uns auf eine Reise in unsere eigene Vergangenheit.
“You have to protect her, no matter what”, instruierte zwar Mutter Yumi (Aso Kumiko) direkt bei ihrer Heimkehr. Doch vergebens. Er habe nie zugestimmt, ein großer Bruder zu sein, lamentiert Kun mehrfach. Und hat damit nicht Unrecht. Die Rolle wird ihm auferlegt, ob es ihm passt oder nicht. Es ist ein Lied, das er aber nicht alleine singen muss. “I know exactly what you’re feeling right now”, versichert ihm später Familienhund Yukko (Yoshihara Mitzuo), als er menschliche Gestalt annimmt. Wie im Filmvorspann zu sehen, gebührte ihm einst die ganze Liebe von Yumi und ihrem Mann (Hoshino Gen) – bis ihm mit Kuns Geburt ein Konkurrent erwuchs. Für Kun gilt es in Mirai no Mirai fortan, Empathie zu entwickeln und (erste) Reife zu erlangen.
Nach jedem Wut- oder Frustanfall entwickelt der Familienbaum im Vorgarten magische Kräfte. Diese lassen Yukko menschliche Form annehmen, bringen eine jugendliche Version von Mirai (Kuroki Haru) aus der Zukunft in die Gegenwart oder transportieren Kun selbst wiederum in die Vergangenheit. Dort trifft er auf Yumi, als sie in Kuns Alter war, oder auf seinen jüngst verstorbenen Urgroßvater (Fukuyama Masaharu). Jedes Aufeinandertreffen hält eine Lektion für den 4-Jährigen bereit, die vom besseren Verständnis für seine Mutter bis hin zu sich selbst reicht. Und dabei Momente liefert, die (s)ein Leben beeinflussen – oder wie Mirai ihrem großen Bruder später sagt: “These little things all come together to make up who we are today.”
Entgegen dem, was das Poster oder der Einstieg über Mirai no Mirai suggerieren mag, entwickelt sich der Film weniger zum Fantasy-Abenteuer, das Kun über das ältere Pendant seiner Schwester mit ihrer jüngeren Version versöhnen soll. Vielmehr zeichnet Hosoda, der sich von der Reaktion seines eigenen Sohnes auf die Geburt seiner Schwester inspirieren ließ, einen authentischen Lebensentwurf eines 4-Jährigen, der sich im Wandel befindet. Und in welchem nicht alles auf Anhieb klappt, sei es der erste Tritt ins Fahrrad ohne Stützräder oder die geschwisterliche Bindung. Obschon der Film ihren Namen trägt, dreht sich Mirai no Mirai eher darum, wie sich Mirais Anwesenheit auf ihre Familie auswirkt – sowohl auf Kun als auch ihre Eltern.
Es sind Elemente, die Hosoda bereits in Ōkami Kodomo no Ame to Yuki anriss, sei es der Schlafmangel frischgebackener Eltern oder das durch die Kinder verursachte Chaos zuhause. Eine besondere Note entwickelt Mirai no Mirai dabei, indem Yumi nach kurzer Elternzeit wieder ihrem Beruf nachgeht, während ihr Mann als freischaffender Architekt von zuhause arbeitet und – zum Widerwillen von Kun – auf die Kinder aufpasst. Damit avanciert er in gewisser Weise zu einer Art 3. Kind, muss Yumi ihm doch erst „beibringen“, was ihn im Haushalt alles erwartet und wie er es umzusetzen hat. Indem Hosoda die erwachsene Yumi mit ihrem 4-jährigen Ich spiegelt, unterstreicht er auch den Kreislauf, dass wir alle selbst wie unsere Eltern werden.
Wo Yumi als Kind ebenso das Spielzeug zuhause rumfahren ließ und dafür von ihrer Mutter (Miyazaki Yoshiko) schwer gerügt wurde, sind die Rollen in der Gegenwart gegenüber Kuns Eisenbahn-Modellen im Wohnzimmer dann vertauscht, die Reaktion jedoch identisch. Gute Eltern wollen Yumi und ihr Mann sein, nur ein Patentrezept gibt es dafür nicht. “Raising kids is all about good intentions”, bestärkt Yumi ihre Mutter. Die Geduld und das Verständnis der Erwachsenen gehen Kun natürlich in seinen jungen Jahren noch ab. “I know I’m not that cute anymore”, gibt er sich scheinbar irgendwann im Zuneigungswettbewerb mit Mirai geschlagen, ergreift dann aber dennoch im Schlussakt als finaler Strohhalm für elterliche Aufmerksamkeit die Flucht.
Hosoda hätte es sich leicht machen können, indem er Kun im Verbund mit der älteren Version Mirais ein Abenteuer über Zeit und Raum erleben lässt. Nicht unähnlich seinem Meisterwerk Toki o Kakeru Shōjo. Womöglich wäre Mirai no Mirai mit einer etwas stringenteren Handlung erzählerisch noch runder geworden, ohne deswegen seine familiären emotionalen Momente einzubüßen. Schließlich schaffte Hosoda es auch, diese in den erwähnten Werken sowie Samā Wōzu und Bakemono no Ko einzubauen. Insofern ähnelt sein jüngster Film eher Edward Yangs Yi Yi, wenn der Regisseur verschiedene Momente dieses Familienlebens durch die Augen des kleinen Kun reflektiert, lose zusammengehalten von der ihn treibenden Eifersucht gegenüber Mirai.
Hinsichtlich seiner Animation fügt sich Mirai no Mirai gut an die bisherigen Arbeiten von Hosodas Studio Chizu an, ist allerdings weniger farbenfroh und verspielt als ein Samā Wōzu und Bakemono no Ko. Schön anzusehen sind die Luftbilder auf den Handlungsort Yokohama, welche die Stadt in den verschiedenen Zeitepochen, die Kun im Verlauf besucht, präsentiert. Ungewöhnlich ist auch das Haus von Kuns Familie, das sich eher westlich als japanisch orientiert und mit Beton sowie Glas arbeitet (“I will never get used to these modern homes”, meint Yumis Mutter in der Eröffnungsszene). Und hilfreich zur Vermittlung der emotionalen Botschaft ist auch hier wieder die schön gefühlvolle musikalische Untermalung von Takagi Masakatsu.
Letztlich ist Mirai no Mirai ein sehr persönlicher Film – nicht nur weil er von Hosodas eigenen Kindern inspiriert ist, sondern weil sich seine Handlung ausschließlich auf Kuns Familie und ihr Haus beschränkt. Der 4-Jährige ist dabei eine nachvollziehbare, wenn auch vielleicht nicht unbedingt vollends sympathische Identifikationsfigur (eine Meinung, die sein jugendliches Alter Ego teilt). Im Verbund mit dem Einblick in Yumis Jugend zeigt Hosoda aber durchaus, dass dies nicht außer-, sondern gewöhnlich ist. Auch viele Zuschauer dürften sich erinnern, wie sie womöglich mal Reißaus genommen oder einen Anfall gekriegt haben. Indem Hosoda diese Erfahrung seiner Kindern teilt, führt er uns auf eine Reise in unsere eigene Vergangenheit.
7/10
Na da bin ich ja mal gespannt. Sie bewerten den Film als Hosoda´s schlechtesten.
AntwortenLöschenAndererseits ist Ihrer Ansicht "Der Junge und das Biest" ein besserer Film als "Ame und Yuki". Für mich ist erstgenannter jedoch mit Abstand sein schwächster. Deswegen bin ich zuversichtlich, dass mir "Mirai" mehr zusagt :-).
Man sollte sich nicht zu sehr von den Wertungen leiten lassen und diese einander gegenüberstellen. Jeder Film steht für sich, zumal die Wertung oft der ersten Sichtung entstammt.
Löschen"Mirai" ist eine andere Art Film als die genannten, da sehr persönlich und reduziert. Was ihn aber nicht schlecht macht.
Generell trifft man bei/mit Hosoda ohnehin immer eine gute Wahl :-)