Wer auf Rache aus ist, der grabe zwei Gräber. So sprach es Konfuzius und selten griff wohl ein Videospiel diese Haltung stärker auf als The Last of Us Part II, Naughty Dogs Fortsetzung ihres Spielklassikers The Last of Us von 2013. In Letzterem begleitete der Spieler in einer von einem Pilzparasit heimgesuchten postapokalyptischen Welt den Schmuggler Joel (Troy Baker) dabei, die 14-jährige Ellie (Ashley Johnson), die immun gegen den Parasit ist, durch die USA zu einer Widerstandsgruppe zu eskortieren. Wider aller Gefahren, zu denen vom Parasiten Befallene als auch Miliz-Gruppen gehören, erzählte The Last of Us davon, wie zwei auf sich gestellte Figuren Halt aneinander finden und langsam eine familiäre Beziehung entwickeln.
Als Spiel über Liebe wurde es im Nachhinein von Regisseur Neil Druckmann beschrieben, der The Last of Us Part II derweil als dualistisches Gegenstück und Spiel über Hass bezeichnet. Rückblickend eine sehr ironische Beschreibung, angesichts des Gegenwinds, den die Fortsetzung nach ihrer Veröffentlichung von den Fans erhielt. So steht bei Metacritic einer Kritiker-Wertung von 93/100 ein Spieler-Feedback von 5.6/10 entgegen. Das Spiel über Hass evozierte bei vielen Gamern selber Hass, was in gewisser Weise teilweise gewollt sein könnte, angesichts der Botschaft des Spiels, nur dass diese nicht wirklich vollends auf der anderen Seite der Konsole bei den Nutzern ankommen wollte. Gewisse Spoiler lassen sich schwer umgehen.
The Last of Us Part II ist vom Ansatz her ein dualistisches Spiel, zumindest dahingehend, dass auch wenn das Gameplay durch die rund 30-stündige Laufzeit quasi identisch ist, der Spieler letztlich von zwei unterschiedlichen Seiten aus auf dasselbe Ziel zusteuert. Die Themen Hass und Rache stehen über allem und leiten den Katalysator der Geschichte in deren ersten Akt ein. Im Mittelpunkt des Narrativs stehen dabei Ellie, nun fünf Jahre älter und mit Joel bei dessen Bruder Tommy (Jeffrey Pierce) in Jackson, Wyoming lebend, sowie die etwas ältere Abby (Laura Bailey), ehemaliges Mitglied der Widerstandsbewegung Fireflies aus dem Vorgänger und nun Bestandteil der Miliz der Washington Liberation Front (WLF) in Seattle, Washington.
Angetrieben von einem Verlust streben beide Figuren nach Rache und befinden sich infolgedessen auf einem Kollisionskurs. Indem The Last of Us Part II nach etwas mehr als der Hälfte der Spielzeit die Perspektive wechselt, die Spieler statt Ellie wiederum die zuvor weitestgehend abwesende Abby kontrollieren, zwingt Naughty Dog – so zumindest die Intention – die Spieler dazu, das zuvor Geschehene (den Vorgänger miteinbegriffen) zu reflektieren. Wenn man so will ein Videospiel-Gegenentwurf zu Clint Eastwoods Weltkriegs-Spiegelfilmen Flags of Our Fathers und Letters from Iwo Jima. Eine durchaus interessante Intention, die jedoch nicht vollends glücken will, auch deshalb, weil ihre Umsetzung etwas konstruiert und repetitiv wirkt.
Nach einem kurzen Konflikt mit Abby und einem halben Dutzend ihrer Freunde zu Beginn des ersten Akts macht sich Ellie wider den Empfehlungen der Erwachsenen auf zu einem Selbstjustiz-Trip nach Seattle. Unterstützung erhält sie hierbei lediglich von ihrer Freundin Dina (Shannon Woodward), nachdem sich zwischen beiden jüngst romantische Gefühle andeuteten. Der Konflikt-Katalysator wirkt zwar etwas unzureichend und unausgereift etabliert, dient aber zuvorderst als Motivator für Ellies Handlungsstrang. Auf den Fersen von Abby geht der Spieler in Person von Ellie mit Dina an ihrer Seite auf Entdeckungstour durch ein verlassenes Seattle, sich primär der Pilz-Befallenen, aber auch einiger WLF-Soldaten entledigend.
Ähnlich kannte man es aus The Last of Us, nur dass man nun statt Joel die Kontrolle über Ellie innehat, während man sich Material für Medikits oder Munition für seine Waffen sammelt. Die Motivation für Ellie ist dabei kein großes Thema, auch aufgrund der Gesellschaft der frischen Liebe zu Dina haben diese Segmente eher Abenteuercharakter. Das Wieso und Warum für den Ausflug macht das Spiel aber immer dann deutlich, wenn Ellie ein WLF-Mitglied in die Hände kriegt. Das Gameplay der Figur selbst ist über weite Strecken wie auch das Waffenarsenal identisch zu dem vor sieben Jahren, natürlich entsprechend angepasst und leicht modifiziert. Alles schön und gut, bis The Last of Us Part II dann Ende des zweiten Akts die Seiten wechselt.
Das Abby-Segment, welches nur halb so lang wie das von Ellie ist, stellt die Uhr zurück, erzählt aber im Grunde dieselbe Geschichte nur aus etwas anderem Blickwinkel. Der narrative Aufbau ist dabei prinzipiell identisch, sowohl von Settings als auch Botschaften etwaiger spielbarer Rückblenden her. Für Druckmann und Naughty Dog sicher als zusätzliche Gewichtung des Dualismus zwischen Ellie und Abby gedacht, aber zum einen hinsichtlich des Gameplays wenig innovativ und zum anderen auch für die Vermittlung der Botschaft kaum subtil. Zumal es schwer fällt – womöglich auch fallen soll –, nach über zwölf Stunden an Ellies Seite plötzlich Sympathien investieren zu müssen für eine neue Figur, deren Abneigung im Fokus stand.
Abby hat es schon schwer genug, da sie im Gegensatz zu Ellie nicht den Bonus hat, bereits vor sieben Jahren in einer anderen Geschichte an der Seite der Spieler gewesen zu sein. The Last of Us Part II gibt sich im Verlauf durchaus Mühe, die zuvor kaum charakterlich vertiefte Figur nun mit einer Dreidimensionalität zu versehen. Und zugleich den dualistischen Ansatz nochmals weiterzuspinnen, indem auch Abby mit zwei jungen Mitgliedern der WLF-verfeindeten Sekte der Seraphites, die Geschwister Yara (Victoria Grace) und Lev (Ian Alexander), eine Beziehung aufnimmt. Immer mit dem Hintergedanken, dass nicht jeder Gegner im Spiel deswegen böse sein muss. Und zudem seine eigene tragische Hintergrundgeschichte aufweisen kann.
Wie erfolgreich The Last of Us Part II für den jeweiligen Spieler funktioniert, hängt letztlich zwangsläufig auch davon ab, wie er Abby als Figur aufnimmt. Wo Ellie aktiv von ihrer Rache angetrieben ist, der Spieler sich mit dieser identifizieren kann, ist Abby in ihrem Segment eher passiv motiviert, reagiert auf Dinge, statt zu agieren. Eben auch, weil sie ihren Rachedurst vor dem spielbaren Segment bereits gelöscht hat, eher dieser gegen Ende des dritten Akts wieder aufflammt. Für das, was Naughty Dog erzählen wollte, wäre es eventuell also besser gewesen, die Geschichte eher mit Abby einzuleiten, um als Spieler zuerst zu ihr eine gewisse Beziehung aufzubauen, anstatt dies erst dann zu tun, wenn die Figur vom Spieler bereits verteufelt scheint.
Prinzipiell hätte Druckmann der Geschichte und auch seiner Botschaft aber weitaus mehr Tiefe verleihen können, wenn der narrative Ansatz bereits ein anderer gewesen wäre. Weg vom „Zwei Seiten einer Medaille“-Denken hin zu einer Verstärkung der Tragik, indem Ellie und Abby nicht separat auf ihre Ähnlichkeit abgeglichen worden wären, sondern sie und die übrigen Figuren wie Joel, Tommy oder Sekundärcharaktere wie Jesse (Stephen Chang) und Owen (Patrick Fugit), Ex-Freunde von Dina bzw. Abby, mehr Gelegenheit gehabt hätten, sich selbst durch die Beziehung zueinander zu reflektieren. Was durchaus möglich gewesen wäre, hätte das Spiel den Katalysator ans Ende des ersten Akts gestellt und den Figuren mehr Raum geschenkt.
Abseits des narrativen Ansatzes, der in der zweiten Hälfte des Spiels dieses etwas von seiner Qualität beraubt, ist die technische Umsetzung jedoch über alle Zweifel erhaben. The Last of Us Part II ist ein visuell atemberaubendes Spiel, voller kleiner wie großer Details, die dazu verleiten, innezuhalten. Die Detailschärfe der Landschaften, vom Grashalm über Regen, Schnee und Eis, hin zur Ausstattung der Charaktere, Nahtstellen auf ihrer Kleidung oder Blut und Narben, war wohl noch nie so gut wie hier. Gameplay-Ergänzungen wie Springen oder Kriechen gegenüber dem Vorgänger sind eine willkommene Verbesserung, während der generelle Ansatz sich wenig von The Last of Us unterscheidet, was den Wiedereinstieg nach sieben Jahren erleichtert.
Gewalt erzeugt Gegengewalt ist ein Mantra, dem sich The Last of Us Part II verschreibt. Entscheidungen aus dem Vorgänger holen die Figuren ebenso ein wie solche aus dem ersten Akt. Eine hehre Botschaft, bloß zu didaktisch, statt die Spieler sie selbst realisieren zu lassen (zum Beispiel in einem offeneren interaktiven Ende). Visuell und im Gameplay steigert sich die Fortsetzung zu The Last of Us, steht sich nur am Ende narrativ selbst im Weg. Der Community-Hass scheint aber übertrieben – und animiert vielleicht doch zur Reflexion, wie sie auch die Figuren erleben. Schließlich bezweifelte bereits Augustinus in seinen Confessiones, dass man „von irgendeinem Feinde Verderblicheres erfahren könnte als von seinem Hasse selbst“.
7/10
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