Als Weltliteratur erachtet man Werke, die über die Landesgrenzen des Autors hinaus bekannt und zugleich für die Bevölkerung der Welt bedeutsam sind. Beispielsweise Leo Tolstois Anna Karenina, der Einblicke in Werte wie Ehe und Moral des zaristischen Russlands gibt. Oder F. Scott Fitzgeralds im Jahr 1925 entstandener The Great Gatsby: Oberflächlich betrachtet eine tragische Liebesgeschichte in den wohlhabenden Goldenen Zwanzigern, zugleich aber auch ein Spiegel für die damalige Gesellschaft und ein kritischer Sozialkommentar zur Pervertierung des „American Dream“. Was einst das Streben nach Freiheit und Glück war, verkam in den 1920er Jahren nun zum Streben nach Reichtum und Macht.
Jenen als Klassiker geltenden Roman adaptierte im Vorjahr Baz Luhrmann, Hollywoods Mann für das extravagant Tragische. Zuletzt legte er mit Australia ein episches Genre-Mashup vor, das ein Liebesbrief an seine australische Heimat war, eingebettet in den Zweiten Weltkrieg. Dennoch ähnelt The Great Gatsby eher Moulin Rouge!, Luhrmanns Abschluss seiner Red Curtain-Trilogie von 2001. Hier wie da beginnt der Film mit einem verlorenen wirkenden Schriftsteller, der ein miterlebtes Liebestrauma per Schreibmaschine zu Papier bringen muss. Die Geschichte einer Liebe, korrumpiert von Macht und der Lust nach Reichtum. Führte in Moulin Rouge! Ewan McGregor durch den Film, ist es hier nun Tobey Maguire.
Er schlüpft in die Rolle von Nick Carraway, der zu Beginn der Handlung ein kleines Anwesen in Long Island anmietet, weil er sich in New York City als Börsenspekulant versuchen will. Direkt nebenan wohnt wiederum der mysteriöse Millionär Jay Gatsby (Leonardo DiCaprio), Mittelpunkt zahlreicher obskurer Gerüchte und zudem Gastgeber pompös-glamouröser Festivitäten am Wochenende. Zu einer dieser Partys wird Carraway eines Tages eingeladen und freundet sich daraufhin mit dem jungen Millionär an. Der hat jedoch eine Bitte: Carraway möge seine Cousine Daisy Buchanan (Carey Mulligan) zum Tee einladen. Mit ihr unterhielt Gatsby fünf Jahre zuvor eine Affäre, ehe der Erste Weltkrieg die Beiden trennte.
Daisy heiratete anschließend den Millionär Tom Buchanan (Joel Edgerton) und bewohnt die dekadente Villa gegenüber von Gatsby – getrennt durch das tosende Gewässer. Während ihr Gatte Affären unterhält, zum Beispiel zur Automechanikergattin Myrtle (kaum wiederzuerkennen: Isla Fisher), vertreibt sich Daisy die Zeit mit ihrer Freundin Jordan Baker (Elizabeth Debicki). In jene Welt der Schönen und Reichen sowie ihrer dubiosen Machenschaften und Affären wird nun Carraway geworfen, ein Platzhalter für das Publikum. Er fungiert zuerst als Cupidus, der die ehemaligen Liebenden wieder zusammenführt, zusätzlich ist er für Tom wie Daisy und Gatsby ein begleitender Vorwand zur Kaschierung des Ehebruchs.
Eine derartig glamouröse Welt wie die des Long Islands von 1922 ist natürlich wie geschaffen für einen Mann wie Baz Luhrmann. Speziell im ersten Akt feiert der Australier den Prunk und Protz der Jazz Ära. Während Gatsbys Anwesen zum wilden Party-Palast wird – dessen einziger Sinn und Zweck es ist, Daisy anzulocken –, stellt die Villa der Buchanans gerade auch visuell das Artifizielle der Welt von Daisy dar. Alle Farben fallen so knallig aus, dass einen das Grün des perfekt symmetrisch geschnittenen Rasens fast schon blendet. Eine perfekte Welt für unperfekte Menschen und zugleich Gegenentwurf zu den damaligen Corona Ash Dumps und heutigen Flushing Meadows – dem größten Park im Stadtteil Queens.
Es ist irgendwie passend, dass es Tom gerade hierhin verschlägt, um mit Myrtle eine Flamme aus der Arbeiterklasse aufzureißen, deren Ehemann (Jason Clarke) von all dem nichts ahnt. Die Wunder jener Welt der Buchanans, Bakers und Gatsbys werden Carraway ähnlich wie McGregors Christian in Moulin Rouge! mittels anachronistischer Verwendung von Gegenwartsmusik vermittelt. Da swingen dann Jay-Z (zugleich einer der Produzenten des Films), Gattin Beyoncé sowie Fergie und will.i.am durch die Lautsprecher, während Newcomerin Lana Del Rey mit „Young and Beautiful“ ein traurig-schön-melancholisches Herz-Schmerz-Lied (“Will you still love me when I’m no longer young and beautiful?”) trällern darf.
Das alles ist natürlich herausragend inszeniert, wenn Gatsby zu Begin nur andeutungsweise zu sehen ist, Carraway in einem Meer aus weißen Vorhängen Daisy wieder trifft oder diese sich begeistert einem Regen von edelsten Hemden aus Gatsbys Kleidersammlung unterwirft. Das Glanz und Gloria der damaligen Zeit, die Dekadenz dieser von Fitzgerald beschriebenen Welt – sie sind der eigentliche Star von The Great Gatsby. Denn die Charaktere bleiben nie mehr als reine Figuren, die zumeist hohle Phrasen vor sich hin seufzen. “He gives large parties, and I like large parties”, offenbart Jordan Baker zu Beginn über Gatsbys wöchentliche Gratis-Feste. “They’re so intimate. Small parties, there isn’t any privacy.”
Unterdessen verliert sich DiCaprio in der unzähligen Verwendung der Floskel “old sport” und Mulligans Daisy in den Untiefen der Dummheit ihrer Figur. “That’s the best thing a girl can be in this world, a beautiful little fool”, hofft sie für ihre kleine Tochter, die bis zum Ende die gesamte Dauer des Films in der Obhut des Kindermädchens verbringen darf. Weder kann sich ihre Figur zwischen Gatsby und Tom entscheiden, noch scheint sie überhaupt zu wissen, was sie will. Da Maguires Rolle lediglich die des Beobachters ist, darf Gatsby noch als interessantester Charakter erachtet werden. Insbesondere wenn sich im dritten Akt herausstellt, was es alles beinhaltet, Jay Gatsby zu sein und worin dies seinen Ursprung hat.
The Great Gatsby ist ein Fest für die Sinne und trotz seiner fast zweieinhalb Stunden sehr kurzweilig. Bedauerlich ist, dass der Film nach seinem ersten, an Moulin Rouge! erinnernden, Akt für den Fortlauf der Handlung mehr und mehr auf Australia-Niveau fällt. Was an sich nicht schlimm ist, allerdings vor Augen führt, dass hier noch mehr für Luhrmann herauszuholen gewesen wäre. Und sicher gab es schon originellere und lebendigere Figuren als hier, beides ist jedoch Fitzgeralds Roman geschuldet. Dessen Bedeutung als sozialkritischen Blick zur Pervertierung des „American Dream“ wird Luhrmanns Adaption aber durchaus gerecht. Gewohnt großes Kino also vom Mann fürs extravagant Tragische.
Jenen als Klassiker geltenden Roman adaptierte im Vorjahr Baz Luhrmann, Hollywoods Mann für das extravagant Tragische. Zuletzt legte er mit Australia ein episches Genre-Mashup vor, das ein Liebesbrief an seine australische Heimat war, eingebettet in den Zweiten Weltkrieg. Dennoch ähnelt The Great Gatsby eher Moulin Rouge!, Luhrmanns Abschluss seiner Red Curtain-Trilogie von 2001. Hier wie da beginnt der Film mit einem verlorenen wirkenden Schriftsteller, der ein miterlebtes Liebestrauma per Schreibmaschine zu Papier bringen muss. Die Geschichte einer Liebe, korrumpiert von Macht und der Lust nach Reichtum. Führte in Moulin Rouge! Ewan McGregor durch den Film, ist es hier nun Tobey Maguire.
Er schlüpft in die Rolle von Nick Carraway, der zu Beginn der Handlung ein kleines Anwesen in Long Island anmietet, weil er sich in New York City als Börsenspekulant versuchen will. Direkt nebenan wohnt wiederum der mysteriöse Millionär Jay Gatsby (Leonardo DiCaprio), Mittelpunkt zahlreicher obskurer Gerüchte und zudem Gastgeber pompös-glamouröser Festivitäten am Wochenende. Zu einer dieser Partys wird Carraway eines Tages eingeladen und freundet sich daraufhin mit dem jungen Millionär an. Der hat jedoch eine Bitte: Carraway möge seine Cousine Daisy Buchanan (Carey Mulligan) zum Tee einladen. Mit ihr unterhielt Gatsby fünf Jahre zuvor eine Affäre, ehe der Erste Weltkrieg die Beiden trennte.
Daisy heiratete anschließend den Millionär Tom Buchanan (Joel Edgerton) und bewohnt die dekadente Villa gegenüber von Gatsby – getrennt durch das tosende Gewässer. Während ihr Gatte Affären unterhält, zum Beispiel zur Automechanikergattin Myrtle (kaum wiederzuerkennen: Isla Fisher), vertreibt sich Daisy die Zeit mit ihrer Freundin Jordan Baker (Elizabeth Debicki). In jene Welt der Schönen und Reichen sowie ihrer dubiosen Machenschaften und Affären wird nun Carraway geworfen, ein Platzhalter für das Publikum. Er fungiert zuerst als Cupidus, der die ehemaligen Liebenden wieder zusammenführt, zusätzlich ist er für Tom wie Daisy und Gatsby ein begleitender Vorwand zur Kaschierung des Ehebruchs.
Eine derartig glamouröse Welt wie die des Long Islands von 1922 ist natürlich wie geschaffen für einen Mann wie Baz Luhrmann. Speziell im ersten Akt feiert der Australier den Prunk und Protz der Jazz Ära. Während Gatsbys Anwesen zum wilden Party-Palast wird – dessen einziger Sinn und Zweck es ist, Daisy anzulocken –, stellt die Villa der Buchanans gerade auch visuell das Artifizielle der Welt von Daisy dar. Alle Farben fallen so knallig aus, dass einen das Grün des perfekt symmetrisch geschnittenen Rasens fast schon blendet. Eine perfekte Welt für unperfekte Menschen und zugleich Gegenentwurf zu den damaligen Corona Ash Dumps und heutigen Flushing Meadows – dem größten Park im Stadtteil Queens.
Es ist irgendwie passend, dass es Tom gerade hierhin verschlägt, um mit Myrtle eine Flamme aus der Arbeiterklasse aufzureißen, deren Ehemann (Jason Clarke) von all dem nichts ahnt. Die Wunder jener Welt der Buchanans, Bakers und Gatsbys werden Carraway ähnlich wie McGregors Christian in Moulin Rouge! mittels anachronistischer Verwendung von Gegenwartsmusik vermittelt. Da swingen dann Jay-Z (zugleich einer der Produzenten des Films), Gattin Beyoncé sowie Fergie und will.i.am durch die Lautsprecher, während Newcomerin Lana Del Rey mit „Young and Beautiful“ ein traurig-schön-melancholisches Herz-Schmerz-Lied (“Will you still love me when I’m no longer young and beautiful?”) trällern darf.
Das alles ist natürlich herausragend inszeniert, wenn Gatsby zu Begin nur andeutungsweise zu sehen ist, Carraway in einem Meer aus weißen Vorhängen Daisy wieder trifft oder diese sich begeistert einem Regen von edelsten Hemden aus Gatsbys Kleidersammlung unterwirft. Das Glanz und Gloria der damaligen Zeit, die Dekadenz dieser von Fitzgerald beschriebenen Welt – sie sind der eigentliche Star von The Great Gatsby. Denn die Charaktere bleiben nie mehr als reine Figuren, die zumeist hohle Phrasen vor sich hin seufzen. “He gives large parties, and I like large parties”, offenbart Jordan Baker zu Beginn über Gatsbys wöchentliche Gratis-Feste. “They’re so intimate. Small parties, there isn’t any privacy.”
Unterdessen verliert sich DiCaprio in der unzähligen Verwendung der Floskel “old sport” und Mulligans Daisy in den Untiefen der Dummheit ihrer Figur. “That’s the best thing a girl can be in this world, a beautiful little fool”, hofft sie für ihre kleine Tochter, die bis zum Ende die gesamte Dauer des Films in der Obhut des Kindermädchens verbringen darf. Weder kann sich ihre Figur zwischen Gatsby und Tom entscheiden, noch scheint sie überhaupt zu wissen, was sie will. Da Maguires Rolle lediglich die des Beobachters ist, darf Gatsby noch als interessantester Charakter erachtet werden. Insbesondere wenn sich im dritten Akt herausstellt, was es alles beinhaltet, Jay Gatsby zu sein und worin dies seinen Ursprung hat.
The Great Gatsby ist ein Fest für die Sinne und trotz seiner fast zweieinhalb Stunden sehr kurzweilig. Bedauerlich ist, dass der Film nach seinem ersten, an Moulin Rouge! erinnernden, Akt für den Fortlauf der Handlung mehr und mehr auf Australia-Niveau fällt. Was an sich nicht schlimm ist, allerdings vor Augen führt, dass hier noch mehr für Luhrmann herauszuholen gewesen wäre. Und sicher gab es schon originellere und lebendigere Figuren als hier, beides ist jedoch Fitzgeralds Roman geschuldet. Dessen Bedeutung als sozialkritischen Blick zur Pervertierung des „American Dream“ wird Luhrmanns Adaption aber durchaus gerecht. Gewohnt großes Kino also vom Mann fürs extravagant Tragische.
7.5/10
Sehr schön! Nichts anderes hatte ich erwartet. Bei Luhrmann gehen wir ja ohnehin erstaunlich konform und somit dürfe der Film bei mir auch seine 8 Punkte bekommen. Wird auf Blu-ray nachgeholt...
AntwortenLöschenBaz Luhrmann kann keine schlechten Film :)
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