Alte Dinge können ihren Reiz haben. Und vor allem ihre eigene Geschichte. So wie jene Kommode im Apartment von Clara (Sônia Braga), die seit Jahrzehnten in der Wohnung steht, als noch Claras Tante Lucia (Thaia Perez) als junge Frau dort lebte. Lucia selbst erinnert sich im Prolog von Kleber Mendonça Filhos Aquarius während ihrer 70. Geburtstagsfeier mit einem Blick zur Kommode an früherer Erlebnisse auf ihr. Clara wird diese Erlebnisse später nicht teilen, die Kommode selbst spielt in Aquarius gar keine wirkliche Rolle. Steht jedoch repräsentativ für alte Dinge, welche die Zeit überdauern, ohne dabei zugleich an Wert oder Funktion zu verlieren. Und jener Drang, Dinge zu erneuern, die dies nicht bedürfen, ist Thema von Mendonças Film.
So sehen wir Clara, ihres Zeichens Musikkritikerin, wie sie zwei jungen Journalistinnen ein Interview in ihrer Wohnung gibt. Es geht um digitale Medien, um MP3s, kontrastiert mit der Vinyl-Sammlung von Clara. Die zieht eine Platte aus dem Schrank und berichtet von deren Geschichte, die in einem Gebrauchtwaren-Laden begann und sich bis in die USA in den 1980er Jahren streckt. Eine Geschichte, die sich über eine MP3-Datei nicht erzählen ließe. Und Geschichten, wie die des Prologs, weiß auch Aquarius, die Wohnanlage von Claras und zuvor Lucias Apartment in Recife, zu erzählen. Und dennoch soll die Anlage demnächst abgerissen werden und einem Neubau weichen. Das einzige, was dem noch im Wege steht, ist Clara.
Sie weigert sich partout, ihr Apartment aufzugeben, während alle anderen ihre Wohnungen an die Baufirma abgetreten haben. Die wird im Film vertreten durch den jungen Architekten Diego (Humberto Carrão), der nach seinem Studium im Ausland nun mit dem Aquarius-Neubau sein erstes eigenes Projekt schultert. Und entsprechend enthusiastisch ist – sowie gesprächsbereit, als er Claras Widerwillen sieht. Statt einem neumodischen anglizistischen Titel soll der Neubau den Namen der aktuellen Anlage behalten. So soll der alte Charme hinübergerettet werden. Doch Clara hat für Diego und seine Konzepte nur ein müdes Lächeln übrig. “Your character is money”, wird sie ihm später an den Kopf werfen, als die Lage eskaliert.
Als Clara kontinuierlich den Dialog mit der Baufirma und deren Angebot abblockt, greift Diego zu anderen Mitteln. Veranstaltet Porno-Partys im Stock über Claras Wohnung oder beordert christliche Gruppen in die Anlage. Alles, um Claras Leben unangenehmer zu gestalten und sie zum Verkauf der Wohnung zu nötigen. Nur: Da hat Diego die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Clara lässt sich nicht unterkriegen, stemmt sich gegen die Schikanen wie sie sich 1980 gegen ihre Brustkrebserkrankung gewehrt hat. Kurz nach ihrer erfolgreichen Chemotherapie begegnen wir einer jungen Clara (Bárbara Colen) erstmals im Prolog, genauso ihrer Leidenschaft für die Musik von Queen sowie der Wohnanlage und ihrer Bedeutung für die Figur.
Wenn Clara in einer Szene von dem möglichen Neubau träumt, der sich als Hochhauskomplex in die Höhe reckt, erinnert das Gebäude an jene Wohnanlage, die zuvor in Mendonças O Som ao Redor [Neighboring Sounds] im Zentrum der Handlung stand. Der Regisseur zeichnet das Projekt dabei durchaus leicht ambivalent. So ist Diego kein von Grund auf verdorbener Antagonist, sondern anfangs durchaus um einen Kompromiss bemüht, dann jedoch zunehmend frustiert. Dies trifft auch auf die übrigen ehemaligen Aquarius-Bewohner zu, die wegen Claras Veto auch nach sechs Jahren noch auf ihr Geld warten. “It’s hurting so many people”, wirft Clara der Sohn eines vormaligen Nachbarn da auf offener Straße vor. “You’re being selfish.”
Wenig Verständnis zeigen auch Claras inzwischen erwachsene Kinder. Das Angebot der Baufirma sei weit über Marktwert, betont ihre Tochter Ana Paula (Maeve Jinkings). “You’re so stubborn”, klagt Aninha. “You’re like an old lady and a child.” Derweil fühlt sich die Seniorin unverstanden – und die Wohnanlage nicht entsprechend gewürdigt. “So, when you like it, it’s vintage, when you don’t like it, it’s old?”, entgegnet sie auf Aninhas Hinweis, wie alt Aquarius sei. Dabei weiß Clara sehr wohl um diesen Umstand, wie sich darin zeigt, dass sie später die Außenfassade auf eigene Kosten hin neu streichen lässt. Vintage hin oder her, der Komplex hat wie jedes alte Gebäude seine besten Jahre hinter sich. Und womöglich auch Clara selbst?
Ähnlich wie Lucia lebt Clara inzwischen alleine als Witwe in dem Apartment, genauso wie ihre Tante zuvor ist sie nun Tante für ein liebevolles Familienmitglied in Tomás (Pedro Queiroz) und hat ein bewegtes Leben hinter sich. Neben dem Konflikt mit Diego zeigt Aquarius, wie Clara nach Jahren als Witwe wieder nach Romantik und sexueller Begierde sucht, sieht in Tomàs und seiner aus Rio de Janeiro angereisten Freundin die nächste Generation großwerden, während sie selbst und ihre treue Haushälterin Ladjane (Zoraide Coleto) zum alten Eisen gehören. Zuvorderst ist Aquarius jedoch Vehikel für die ungezügelte Schauspielkunst von Sônia Braga, ohne deren Mitwirken, teilte Mendonça mit, er den Film nicht verwirklicht hätte.
Subtil schwingen in Aquarius auch sozio-politische Misstöne gegenüber Brasilien mit, neben der Vorgehensweise von Diegos Baufirma als das offensichtliche Plot-Element hin zu lediglich lose angedeuteten Handlungen, die Claras Bruder mögliche gerichtliche Folgen einbringen könnten (ursächlich hierfür: eventuell Korruption). Zugleich reißt der Film soziale Strukturen an, bildlich wenn Clara, Tomás und seine Freundin den Strand von Recife aufsuchen, der nach Klassen unterteilt ist. Hauptsächlich erzählt Kleber Mendonça Filho jedoch Claras Geschichte. Die einer Frau, die sich nicht unterkriegen lässt – weder von Krebs noch von einer Baufirma. Und eines ist sicher: Clara ist keineswegs alt, sondern bestenfalls Vintage.
So sehen wir Clara, ihres Zeichens Musikkritikerin, wie sie zwei jungen Journalistinnen ein Interview in ihrer Wohnung gibt. Es geht um digitale Medien, um MP3s, kontrastiert mit der Vinyl-Sammlung von Clara. Die zieht eine Platte aus dem Schrank und berichtet von deren Geschichte, die in einem Gebrauchtwaren-Laden begann und sich bis in die USA in den 1980er Jahren streckt. Eine Geschichte, die sich über eine MP3-Datei nicht erzählen ließe. Und Geschichten, wie die des Prologs, weiß auch Aquarius, die Wohnanlage von Claras und zuvor Lucias Apartment in Recife, zu erzählen. Und dennoch soll die Anlage demnächst abgerissen werden und einem Neubau weichen. Das einzige, was dem noch im Wege steht, ist Clara.
Sie weigert sich partout, ihr Apartment aufzugeben, während alle anderen ihre Wohnungen an die Baufirma abgetreten haben. Die wird im Film vertreten durch den jungen Architekten Diego (Humberto Carrão), der nach seinem Studium im Ausland nun mit dem Aquarius-Neubau sein erstes eigenes Projekt schultert. Und entsprechend enthusiastisch ist – sowie gesprächsbereit, als er Claras Widerwillen sieht. Statt einem neumodischen anglizistischen Titel soll der Neubau den Namen der aktuellen Anlage behalten. So soll der alte Charme hinübergerettet werden. Doch Clara hat für Diego und seine Konzepte nur ein müdes Lächeln übrig. “Your character is money”, wird sie ihm später an den Kopf werfen, als die Lage eskaliert.
Als Clara kontinuierlich den Dialog mit der Baufirma und deren Angebot abblockt, greift Diego zu anderen Mitteln. Veranstaltet Porno-Partys im Stock über Claras Wohnung oder beordert christliche Gruppen in die Anlage. Alles, um Claras Leben unangenehmer zu gestalten und sie zum Verkauf der Wohnung zu nötigen. Nur: Da hat Diego die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Clara lässt sich nicht unterkriegen, stemmt sich gegen die Schikanen wie sie sich 1980 gegen ihre Brustkrebserkrankung gewehrt hat. Kurz nach ihrer erfolgreichen Chemotherapie begegnen wir einer jungen Clara (Bárbara Colen) erstmals im Prolog, genauso ihrer Leidenschaft für die Musik von Queen sowie der Wohnanlage und ihrer Bedeutung für die Figur.
Wenn Clara in einer Szene von dem möglichen Neubau träumt, der sich als Hochhauskomplex in die Höhe reckt, erinnert das Gebäude an jene Wohnanlage, die zuvor in Mendonças O Som ao Redor [Neighboring Sounds] im Zentrum der Handlung stand. Der Regisseur zeichnet das Projekt dabei durchaus leicht ambivalent. So ist Diego kein von Grund auf verdorbener Antagonist, sondern anfangs durchaus um einen Kompromiss bemüht, dann jedoch zunehmend frustiert. Dies trifft auch auf die übrigen ehemaligen Aquarius-Bewohner zu, die wegen Claras Veto auch nach sechs Jahren noch auf ihr Geld warten. “It’s hurting so many people”, wirft Clara der Sohn eines vormaligen Nachbarn da auf offener Straße vor. “You’re being selfish.”
Wenig Verständnis zeigen auch Claras inzwischen erwachsene Kinder. Das Angebot der Baufirma sei weit über Marktwert, betont ihre Tochter Ana Paula (Maeve Jinkings). “You’re so stubborn”, klagt Aninha. “You’re like an old lady and a child.” Derweil fühlt sich die Seniorin unverstanden – und die Wohnanlage nicht entsprechend gewürdigt. “So, when you like it, it’s vintage, when you don’t like it, it’s old?”, entgegnet sie auf Aninhas Hinweis, wie alt Aquarius sei. Dabei weiß Clara sehr wohl um diesen Umstand, wie sich darin zeigt, dass sie später die Außenfassade auf eigene Kosten hin neu streichen lässt. Vintage hin oder her, der Komplex hat wie jedes alte Gebäude seine besten Jahre hinter sich. Und womöglich auch Clara selbst?
Ähnlich wie Lucia lebt Clara inzwischen alleine als Witwe in dem Apartment, genauso wie ihre Tante zuvor ist sie nun Tante für ein liebevolles Familienmitglied in Tomás (Pedro Queiroz) und hat ein bewegtes Leben hinter sich. Neben dem Konflikt mit Diego zeigt Aquarius, wie Clara nach Jahren als Witwe wieder nach Romantik und sexueller Begierde sucht, sieht in Tomàs und seiner aus Rio de Janeiro angereisten Freundin die nächste Generation großwerden, während sie selbst und ihre treue Haushälterin Ladjane (Zoraide Coleto) zum alten Eisen gehören. Zuvorderst ist Aquarius jedoch Vehikel für die ungezügelte Schauspielkunst von Sônia Braga, ohne deren Mitwirken, teilte Mendonça mit, er den Film nicht verwirklicht hätte.
Subtil schwingen in Aquarius auch sozio-politische Misstöne gegenüber Brasilien mit, neben der Vorgehensweise von Diegos Baufirma als das offensichtliche Plot-Element hin zu lediglich lose angedeuteten Handlungen, die Claras Bruder mögliche gerichtliche Folgen einbringen könnten (ursächlich hierfür: eventuell Korruption). Zugleich reißt der Film soziale Strukturen an, bildlich wenn Clara, Tomás und seine Freundin den Strand von Recife aufsuchen, der nach Klassen unterteilt ist. Hauptsächlich erzählt Kleber Mendonça Filho jedoch Claras Geschichte. Die einer Frau, die sich nicht unterkriegen lässt – weder von Krebs noch von einer Baufirma. Und eines ist sicher: Clara ist keineswegs alt, sondern bestenfalls Vintage.
7.5/10
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