17. August 2009

Fear and Loathing in Las Vegas

You won’t need much. Just a tiny taste. 

“We were somewhere around Barstow, on the edge of the desert, when the drugs began to take hold” – so beginnt die Odyssee von Raoul Duke (Johnny Depp) und seinem Anwalt Dr. Gonzo (Benicio Del Toro), basierend auf Hunter S. Thompsons Roman Fear and Loathing in Las Vegas. Terry Gilliam, durch Werke wie 12 Monkeys als Regisseur abgedrehter Geschichten etabliert, versuchte zurecht gar nicht, Thompsons Handlung in einen rationalen Rahmen zu verordnen. Auf welche Reise man sich mit den beiden Hauptfiguren begibt, machen die gleich zu Beginn deutlich. Ausgerüstet mit zwei Beuteln Gras, 75 Kügelchen Meskalin, fünf Löschblättern mit extra starkem Acid, einem Salzstreuer halb voll mit Kokain, einem ganzen Spektrum vielfarbiger Uppers, Downers, Heuler und Lacher, zwei Dutzend Poppers, sowie jeweils einer Flasche Rum und Tequila, einer Kiste Bier und einem halben Liter Äther machen sie sich auf nach Las Vegas.

Dort soll Duke formal als Journalist das MINT 400 zu dokumentieren, das „höchstdotierte Wüstenrennen für Motorräder und Strandbuggys“ – im Grunde will er aber einfach nur raus aus Los Angeles. Gonzo rät ihm zur Übernahme des redaktionellen Auftrags, begleitet seinen Mandaten zugleich gen Sin City. Die Drogen, die sie unterwegs bereits zu sich nehmen, wirken nicht nur, sie nehmen alsbald überhand – verstärkt verliert das Duo immer mehr die Kontrolle über sein Verhalten sowie seine Gefühle. So gerät Fear and Loathing in Las Vegas zu einer kruden Mischung aus Alice im Wunderland und Dantes Inferno, markiert zugleich einem gelungenen Anti-Kriegsfilm, der die US-Einsätze in Vietnam anprangert. Unterstrichen dadurch, dass Duke immer wieder den Krieg im Fernsehen verfolgt, dieser aber auch nun Einzug in sein eigenes Leben erhält, via wahnhaften Erscheinungen oder der ständigen Präsenz des Star-Spangled Banners.

In der Mitte des Filmes platziert Gilliam einen sehr subtilen Dialog zwischen Duke und Gonzo, der die Anti-Kriegs-Thematik gekonnt akzentuiert. “I hate to say this, but this place is getting to me. I think I’m getting the fear”, erklärt ein aufgelöster Dr. Gonzo. “Nonsense”, wischt Duke dessen Ängste beiseite. “We came here to find the American Dream, and now we’re right in the vortex you want to quit. You must realize that we’ve found the main nerve.” Doch Gonzo lässt sich nicht überzeugen: “That’s what gives me the fear.” Ein Jahr vor dem Roman hatten sich die Kent-State-Vorkommnisse ereignet, als vier Studenten bei einer friedlichen Demonstration gegen den Krieg von den eigenen Soldaten erschossen wurden. Wenn Duke an anderer Stelle Sätze spricht wie “had we deteriorated to the level of dumb beasts?”, ist das weniger Ausdruck seines Rausches, als eine Momentaufnahme der US-amerikanischen Gesellschaft zu Beginn der 1970er Jahre.

In der zweiten Filmhälfte rück die subtile Kritik an der US-Politik in den Hintergrund, weichen den Drogeneskapaden. Zum Beispiel wenn sich Duke um eine gesetzliche Verfolgung wegen Verführung Minderjähriger in Person der jungen Lucy (Christina Ricci) sorgt. Letztlich ist der Film jedoch ein wunderbares Bild von zwei Männern, die erfolglos versuchen, dem heimatlichen Wahnsinn durch Drogen zu entfliehen und dabei grandios scheitern. Im Grund ist überall “bat country”, was Duke am Ende schließlich einsieht, wenn er sich selbst nur als “just another freak in the freak kingdom” bezeichnet. Dass es Thompson und Gilliam gelingt, die politische Kritik in ihre ansonsten durchgeknallte Odyssee derart gelungen einzubetten, macht Fear and Loathing in Las Vegas zu einem der unerwartet überzeugenden Beitrag des Anti-Kriegsfilm-Genres, auch wenn man dies dem Film wohl wegen seiner Inszenierung nicht unbedingt ansehen möchte. 

Seine Ursprünge fand die Geschichte, zuerst im Oktober 1971 als Titelgeschichte im Rolling Stone Magazin erschienen, ein halbes Jahr zuvor, als sich Hunter S. Thompson und sein Anwalt Oscar Zeta Acosta nach Las Vegas aufgemacht, wo Thompson das MINT 400 dokumentieren sollte. Herausgekommen war ein weiteres Gonzo-Werk des Journalisten, das durch Satire und Überspitzung die tatsächlichen Ereignisse zu verweben versuchte. Entstanden nach William Faulkners Zitat, dass Fiktion meist realer sei als die Wirklichkeit, begründete Thompson den Gonzo-Journalismus damals mit der Erklärung, er könne den Redaktionsschluss zeitlich nicht einhalten, weshalb er nur seine Notizen abdrucken ließ. Während Thompsons Roman zeitnah auf den Fuß folgte, kam Terry Gilliams Film sicherlich 20 Jahre zu spät, wenn man alleine von seiner politischen Botschaft ausgeht, in die man sich Ende der 1990er Jahre historisch wieder zurückversetzen musste. 

Was den Film abseits seiner Gesellschafts- und Politikkritik hervorhebt, sind einerseits seine schrulligen Gastauftritte (darunter Tobey Maguire, Cameron Diaz und Ellen Barkin), aber vor allem der durch die Drogen evozierte Humor. Allein Del Toros Dr. Gonzo ist ein kleines Kunstwerk für sich, wenn er mit seiner ausufernden Paranoia überall Verschwörer wittert und mit seinem Kultzitat (“As your attorney, I advise you”) einen amüsanten Running Gag erschafft. Aber auch Depp spielt wunderbar auf, als schrulliges Alter Ego von Thompson, dessen Originalkleider er aufträgt und den er monatelang vor den Dreharbeiten studiert hat. Somit ist Fear and Loathing in Las Vegas zu Recht ein Kultfilm, der auch Jahrzehnte nach Kinostart noch zu gefallen weiß und, bedenkt man die Bush-Politik im Irak und ihre Folgen Anfang des Jahrtausends, vielleicht doch aktueller ist, als man denken möchte. In diesem Sinne bleibt also nur eines: “Buy the ticket, take the ride.”

8.5/10

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