6. Juli 2015

Manhunter vs. Red Dragon

Sowas nennt man dann wohl Liebe auf den zweiten Blick. Bereits 1986 war Thomas Harris’ Roman Red Dragon in einen Spielfilm adaptiert worden. Michael Manns Manhunter war hingegen nicht gerade ein Kassenknüller, selbst wenn er positive Besprechungen erhielt. Nachdem aber sowohl The Silence of the Lambs – sogar mehrfach Oscarprämiert – und Hannibal, die beiden Filmadaptionen von Harris’ Folgeromanen beim Publikum Anklang fanden und zusammen über 600 Millionen Dolar einspielten, muhte die Cash Cow auf Hollywoods grüner Wiese. Und so machte sich Brett Ratner daran, Red Dragon erneut zu melken. Die Story ist dabei natürlich dieselbe, obschon der charakterliche Aufbau für die 2002er Version geändert wurde.

Der Fokus wurde stärker auf Anthony Hopkins’ Dr. Hannibal Lecter gelegt, jener Figur, die Harris’ vierteiliger Romanreihe ihren Anker schenken sollte. Entsprechend wurde Hopkins auch auf den Postern zum Film prominent ins Licht gerückt – obschon innerhalb der Handlung von Red Dragon lediglich eine Nebenfigur. Der Erfolg des Remakes – oder Reimaginings – hielt sich vor 13 Jahren in Grenzen. Zweifelsohne finanziell einträglicher als Manhunter 16 Jahre zuvor, lief Red Dragon in den USA seinerzeit Filmen wie Santa Clause 2 oder Manhattan Love Story hinterher. Anlass genug, für eine neue Runde „Versus“ hier im Blog: Michael Manns Manhunter oder Brett Ratners Red Dragon, welcher der beiden Filme funktioniert für sich genommen besser?

The Detective

Bei Michael Mann ist Will Graham eine von ihrer Vergangenheit gezeichnete Figur. Rauchend und trinkend muss sie zu Beginn dazu überredet werden, nochmals für einen letzten Fall zurückzukehren in jene Welt, die sie fast das Leben gekostet hat. Ungekämmt, mit Drei-Tage-Bart und dem Kleidungsstil eines wahren Geschmacks-Legasthenikers – türkisfarbene Krawatte zu Bordeauxhemd mit schwarzem Jackett – ist dieser Will Graham im Grunde fertig mit sich und mit der Welt. Entsprechend verstörend geraten jene Szenen, in denen William Petersens Figur mit sich selbst als Platzhalter für den Serienmörder spricht (“It’s just you and me now, sport”). Dieser Graham ist quasi ein ermittelndes Opfer. Hard-Boiled-Detective-Faktor: 65%

Durch die Besetzung mit Edward Norton automatisch bubenhafter kommt derweil Brett Ratners Ermittler daher. Gerne in Nahaufnahme eingefangen wirkt dieser Graham weitaus sauberer – sowohl innerlich wie äußerlich. Was in der Natur der Sache liegt, ist er doch hier nur zweite Geige für Hopkins Kannibalen, den er – man sollte es nicht glauben – im Intro zu Beginn anhand eines Kochbuchs überführt. Eine Figur als Mittel zum Zweck, ohne echtes Profil. Da passt es, dass er im Finale nicht zu Hilfe eilen darf, sondern vielmehr seine eigene, an Cape Fear anmutende, Klimax erhält. Die Selbstgespräche wirken weniger peinlich als beim Kollegen – aber vielleicht nur, weil man sie gewohnt ist. Hard-Boiled-Detective-Faktor: 35%

The Serial Killer

Es dauert 75 Minuten, ehe der Zuschauer erstmals Francis Dolarhyde zu Gesicht kriegt, jenen Familienkiller, der sich als Tooth Fairy einen Namen macht. Tom Noonan gibt einen einsam wirkenden Soziopathen, der per se schon spinnert genug wirkt, auch ohne Netzmaske über dem Gesicht. Und wäre dieser eklige Faktor Eifersucht nicht, könnte man fast glauben, der Figur stünde eine Katharsis ganz gut, wo sie nun endlich die große Liebe gefunden hat. Wirklich zu fassen, trotz des atmosphärischen Openings, kriegt man Dolarhyde bzw. Tooth Fairy jedoch nicht. Dafür ist der Charakter zu wenig präsent. Und – mit Verlaub – im Vergleich zu einem Buffalo Bill auch nicht schräg genug inszeniert. Charles-Manson-Faktor: 55%

Die Tooth Fairy als Figur spielt in der 2002er Version eine untergeordnete Rolle gegenüber Francis Dolarhyde. Der wirkt von Stimmen geplagt und als vermeintliches Muttersöhnen wie ein Mix aus Psycho und The Cell. Die Hasenscharte muss als Auszeichnungsmerkmal reichen, die Bedrohlichkeit von Ralph Fiennes’ Charakter drückt sich in akustischen Halluzinationen aus. Als Spektakel wird da dann auch das Finale inszeniert, das vermeintlich im „heldenhaften“ Suizid endet – ehe dann noch das Nachklapp-Ende zwischen Prota- und Antagonist wartet. Wo Noonan schon per se ungewöhnlich wirkt, muss Fiennes etwas mehr Arbeit investieren. Das Ergebnis ist dann aber eher Norman Bates als Ted Bundy. Charles-Manson-Faktor: 45%

The Predecessor

Wer einen Verbrecher fangen will, muss sich in einen solchen hineinversetzen – so eine klassische Trope des Genres. Entsprechend sucht Graham Serienkiller-Rat bei einem Serienkiller. “Dream much, Will?”, fragt ein gegelter Brian Cox, der mit minimalistischem Spiel maximale Ergebnisse erzielt. Er hat noch ein Huhn zu rupfen mit diesem Will Graham, dem er aber durchaus mit Respekt begegnet. Dadurch wie sehr ihre erste Begegnung dem Ermittler nahe geht – er flüchtet schließlich aus dem Gebäude – wird genug verdeutlicht, welche Vergangenheit die Figuren teilen. Später auch vorzüglich in einem Supermarkt-Zwiegespräch zwischen Graham und seinen Sohn thematisiert. Weniger ist oft mehr. Caged-Monster-Faktor: 65%

Im Grunde ist Red Dragon ein einziges Prequel-Vehikel für Anthony Hopkins’ Darstellung des kannibalistischen Therapeuten. Seine Szenen eröffnen und beschließen den Film (das Ende dabei als peinlich bemühte Überleitung zu The Silence of the Lambs gedacht), bekommt auch im Mittelteil nochmal zwei Dialogszenen mit Nortons Figur. Statt neun Minuten im Original wird so die Anwesenheit des Doktors auf 23 Minuten gestreckt – ohne dass die Figur für die Handlung wirklich dermaßen von Bedeutung wäre. Das eingangs bebilderte Schlusskapitel der Lecter-Graham-Beziehung funktioniert im Original weitaus besser. Genauso wie Hopkins’ Spiel inzwischen nur noch gestelzt und ohne rechtes Leben wirkt. Caged-Monster-Faktor: 35%

The Love Interest

Liebe ist blind – im Falle von Reba McClane ist das sogar buchstäblich zu verstehen. Die Paarung von Joan Allen und Tom Noonan überrascht zwar optisch betrachtet, immerhin aber wirkt Allens Darstellung der blinden Frau durchaus selbstbestimmt. In ihrer Beziehung zu Dolarhyde scheint sie ein Katalysator zu sein, der seinen Wahnsinn zähmen könnte – selbst wenn dies im weiteren Verlaufe nicht gelingt. Etwas überhastet wird die Beziehung der beiden allerdings im Original erzählt. Kaum lernt sie der Zuschauer kennen, geht es auch schon zum Tiger-Date und ab nach Hause zum Beischlaf. Das verleiht der Figur bei aller emanzipatorischen Selbstbestimmung dann allerdings doch etwas Billiges. Damsel-in-Distress-Faktor: 60%

Etwas weniger leicht zu haben scheint derweil Emily Watson. Das erste Süße gibt es lediglich in Tortenform auf den Teller, später dann dafür zum Heimkinoabend einen Blowjob als Nachtisch. Immerhin scheint die Wirkung der Figur in der Neuauflage so ausgelegt, dass Dolarhydes Liebe zu ihr letztlich über seinen mordlüsternen Wahnsinn obsiegt. Im Gegensatz zum Original scheint die Gefahr dafür aber im Raum zu stehen. “What do you really know about the guy?”, fragt Ralph Mandy da zurecht, ehe ihn eine Kugel aus Dolarhydes Revolver erwartet. Optisch passen Fiennes und Watson zwar etwas besser zusammen, blass bleibt die englische Darstellerin im Vergleich zu Allen aber dennoch. Damsel-in-Distress-Faktor: 40%

The Journalist

Art imitates life sagt man wohl angesichts dessen, dass Journalisten ähnlich wie Politiker und Anwälte in Filmen wie im realen Leben nicht den allzu besten Ruf haben. Da unterscheidet sich Freddy Lounds nicht sonderlich vom Rest seiner Zunft und Stephen Lang vermag in seinen wenigen Szenen durchaus den Ekelfaktor des Tabloid-Reporters gemischt mit der aus der Vergangenheit resultierenden Animosität zwischen seiner Figur und Will Graham zu bündeln. Bei Mann sehen wir die Umstände des Lounds-Graham-Fotos und später auch, wie Lounds von Dolarhyde gezwungen wird, völlig aufgelöst, eine Gegendarstellung zu seinem Artikel zu diktieren. In der Summe hat Lang somit die Nase vorn. Klatschreporter-Faktor: 60%

Noch ein paar Jahre vor seinem Oscargewinn, aber bereits als veritabler Charakterdarsteller etabliert, wirkt Philip Seymour Hoffman speziell zu Beginn wie ein gelangweilter Fremdkörper. Mit einem darstellerischen Minimalaufwand gelingt es somit auch der Figur nicht, wirklich authentisch zu wirken. Erst später, in Dolarhydes Gewahrsam, setzt bei dem inzwischen verstorbenen Lounds-Darsteller das große Spiel ein. Obschon jedoch angemerkt werden muss, dass das Flehen um das eigene Leben von Lang ebenfalls überzeugender gespielt wird. Oder vielleicht auch nur so wirkt, weil die Figur weniger eindimensional erscheint, obschon der Charakter als solcher natürlich lediglich eine Karikatur ist. Klatschreporter-Faktor: 40%

The Boss

Wenn es um Jack Crawford geht, sind beide Filme zur Abwechslung mal auf Augenhöhe. Aus der Not geboren ruft Crawford seinen alten Weggefährten Will Graham um Hilfe. Dabei durchaus mit dessen Gewissen spielend, unter Androhung, dass die Tooth Fairy sonst erneut zuschlägt. Schließlich mordet Dolarhyde im Mondzyklus und dieser steht wieder ins Haus. Dennis Farina und Harvey Keitel füllen die Rolle beide mit ausreichend Leben aus, auch wenn Farina – womöglich allein wegen seines Schnauzers – etwas mehr Charisma zu verströmen scheint. Ansonsten ist Crawford allenfalls eine Randfigur, die speziell in der zweiten Hälfte nicht mehr sonderlich ins Film-Geschehen eingebunden wird. Angry-Captain-Faktor: jeweils 50%

The Wife

Ähnliches in den Hintergrund rücken wie bei Jack Crawford würde man sicherlich auch im Falle von Molly Graham erwarten: Wills Gattin, die zu Beginn der Geschichte „Lebevoll“ sagen muss, ehe es zum Ende des zweiten Akts zu einem Wiedersehen wider Willen kommt. Die unscheinbare Kim Geist spielt die Ehefrau, die wenig wohlwollend ihren Mann zurück in den Dienst lassen muss, überzeugend. Die Besorgnis untermauert Michael Mann zudem mit wiederholten Telefonanrufen und einer gefälligen Dock-Szene zwischen den Eheleuten als Übergang in den finalen Schlussakt des Films. Zwar fällt es Geist – dir zuvor schon in Miami Vice auftrat – selbst an Ausstrahlung, ihre Rolle zumindest wird mit solcher versehen. The-Good-Wife-Faktor: 65%

Ein Pluspunkt von Red Dragon für sich ist derweil sicherlich die Besetzung von Molly Graham mit der atemberaubenden Mary-Louise Parker. Umso bedauerlicher jedoch, dass auch ihre Rolle der ausufernden Screen Time von Hopkins’ Dr. Lecter zum Opfer zu Fallen scheint. Neben einem kurzen Abschied mit Schnute zu Beginn und einer wenig gelungenen Reunion-Szene im Mittelteil taucht sie zwar in der Cape Fear-Klimax erneut kurz auf, ist allerdings nie mehr als hübsches Beiwerk für einen Film, in dem das Testosteron das Temo bestimmt. Neben Harvey Keitel und Ralph Fiennes gehört Parkers Besetzung dennoch zu den wenig geglückten der 2002er Neuverfilmung von Thomas Harris’ Roman. The-Good-Wife-Faktor: 35%

The Tone

Es besteht kein Zweifel: Manhunter ist ein 80er-Film durch und durch. Das wird nicht nur durch das Plakat oder die Schriftart und -farbe des Titel ausgedrückt, auch die Farbgebung des Films – mit Blau- und Rottönen – und Mise-en-scene gehören dazu. Will Graham sieht aus wie eine abgehalfterte Version von Sonny Crockett und wird von Mann gerne in der Totalen oder Halbtotalen eingefangen. Eigentlicher Star von Manhunter ist derweil sein Soundtrack, der Songs wie “Strong As I Am” von den Prime Movers, Shriekbacks “The Big Hush” oder “Heartbeat” von Red 7 gekonnt einsetzt, um Szenen eine eigene Ausdrucksstärke zu verleihen. Kein Wunder gilt Manhunter unter Fans als Kultfilm. Got-the-Touch-Faktor: 75%

Brett Ratners Film hingegen fehlt es an jeglicher visueller Eigenständigkeit. Red Dragon ist eine reine Auftragsarbeit, die ziemlich offensichtlich bloß den Hopkins-Lecter-Hype bedienen soll. Infolgedessen versucht sich der Film von der Farbgebung her Ridley Scotts Hannibal anzugleichen, während er vom Art Design wiederum klar die Verbindung zu The Silence of the Lambs sucht. Infolgedessen begegnen sich Graham und Lecter hier wie zuvor/später Clarice Starling, sehen wir zugleich Anthony Heald und Frankie Faison ihre Rollen aus Jonathan Demmes Klassiker wiederholen. Red Dragon fehlt es somit an einer eigenen Stimme – was bleibt, ist ein lebloser Körper, der lediglich eine bloße Fassade darstellt. Got-the-Touch-Faktor: 25%

Fazit

Am Ende ist es eine klare Sache: Manhunter reüssiert überall dort, wo Red Dragon scheitert. Die Ursachen sind vielfältig und offensichtlich: Auf der einen Seite ein talentierter Regisseur, der eine Romanvorlage mit eigener Stimme auf die Leinwand bringt, selbst wenn er dabei durchaus in seiner Zeit verhaftet wirkt. Dem gegenüber steht eine Auftragsarbeit einer Regie-Drone, die lediglich nachäfft, was andere, größere Regisseure vor ihr bereits mit Erfolg krönten. Und sich hierfür eines Ensembles bedient, das entweder unterfordert oder schlicht fehlbesetzt ist. Manhunter ist keineswegs perfekt, mit viel gutem Willen halbwegs gut, aber dennoch klar Klassen – oder 8:1 Punkte – besser als Red Dragon. Winner by knockout: Manhunter.

3 Kommentare:

  1. Mich hatte Thomas Harris' Vorlage damals sehr beeindruckt. Eine wunderbar düstere Atmosphäre, die von "Manhunter" tatsächlich recht gut eingefangen wird. Obwohl ich "Red Dragon" nicht schlecht finde, so ist er eben genau das, was du schreibst: eine uninspirierte Auftragsarbeit, die einfach nur Lecter ins Zentrum rückt.

    Schöner Vergleich auf jeden Fall. Sehr unterhaltsam! :)

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  2. Schön ironische Gegenüberstellung, Rudi! Ich kann deinem Urteil nur zustimmen: Manhunter ist ein Film mit einer eigenen Duftmarke, Red Dragon lehnt sich komplett an The Silence of the Lambs an und hat deshalb keinen Eigengeruch. Aber auch der Rattnerfilm funktioniert, finde ich, recht gut. Deshalb mag ich beide Verfilmungen, würde aber Manhunter vorziehen, wenn ich nur Zeit hätte, einen der beiden zu gucken. Von den Post-Silence-Filmen gefällt mir 'Hannibal' am besten, weil sich Lector dort am schönsten ausleben kann. Die TV-Serie hat mich insgesamt enttäuscht. Nach der 1. Staffel hab ich nicht weitergeguckt. Manhunter ist übrigens ein toller Sommerfilm. Hatte überlegt, ein Glorreiche-Sieben-Post zu diesem Thema zusammenzustellen. Da hätte Manhunter gute Chance auf einen der hinteren Plätze :)

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    1. Ich muss ja gestehen, ich kann mit "Hannibal" überhaupt nichts anfangen. Find den ungemein öde und fad, mich interessiert die Figur von Lecter allerdings auch per se nicht, jedenfalls nicht Hopkins' Interpretation.

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