17. August 2018

Cloud Atlas

Honor thy consumer.

Schnell, arrogant, selten klug – so würden (Literatur-)Kritiker an zu rezensierende Werke herangehen, beschwichtigt Publizist Timothy Cavendish (Jim Broadbent) in Cloud Atlas seinen über eine negative Kritik erbosten Autor. Ein Tropfen auf den heißen Stein, schmeißt dieser den Feuilletonisten anschließend kurzerhand vom Balkon einer Party in dessen Tod. Ähnliches mögen sich auch die Wachowski-Schwestern Lana und Lilly sowie ihr deutscher Co-Regisseur Tom Tykwer durch den Kopf haben gehen lassen. Ihre epische Adaption von David Mitchells Cloud Atlas erhielt seiner Zeit nicht wirklich die Anerkennung, die sie verdient hatte. Heute ist der Film fast in Vergessenheit geraten – eine dunkle Erinnerung wie jene, die ihn bevölkern.

Rückblickend betrachtet ist Cloud Atlas ein anspruchsvolles Projekt – weniger von seinem Inhalt und seinen Themen der Seelenwanderung und Reinkarnation her, sondern in seinem Versuch, das narrative Konstrukt von Mitchells Vorlage kohärent auf die Leinwand zu bringen. Film wie Buch erzählen über sechs Zeitepochen jeweils eigene Geschichten. Wo diese im Roman zweigeteilt nacheinander ablaufen, erzählen die Wachowskis und Tykwer sie in ihrer Adaption parallel ineinander verschachtelt. Dies verstärkt die Konnektivität der in ihnen dargelegten Themen und verhindert, dass Cloud Atlas zum Episodenfilm verkommt. Die sechs Handlungen, die vom 19. bis ins 24. Jahrhundert reichen, greifen dabei auf dasselbe Ensemble zurück.

Speziell den Darstellern um Tom Hanks, Halle Berry, Hugo Weaving und Hugh Grant gibt der Film Spielraum für ein enormes Facettenreichtum. So schlüpft Weaving vom kaltblütigen Auftragsmörder in die Haut einer nicht minder kaltherzigen Altenpflegerin, Hugh Grant mutiert vom schmierigen Firmen-CEO zum Kannibalen-Häuptling in der Post-Apokalypse. Bewusst werden Figuren wider ihres ethnischen Hintergrundes besetzt und in passende Masken verpackt. So gibt Jim Sturgess im Neo-Seoul von 2144 den koreanischen Widerstandskämpfer Hae-joo Chang, während Doona Bae, die im selben Segment Klon-Kellnerin Sonmi-451 mimt, in der 1849er Handlung zur kaukasischen englischen Verlobten von Sturgess’ Adam Ewing wird.

Auch Halle Berry schlüpft in verschiedene Rollen, darunter im 1936er Teil die vor dem NS-Regime ins schottische Edinburgh geflohene weiße Jüdin Jocasta Ayrs oder im Neo-Seoul von 2144 einen alten koreanischen Arzt. Die chinesische Schauspielerin Zhou Xun verbringt den Großteil ihrer Laufzeit derweil hinter einer kaukasischen Maske, um als Schwester von Tom Hanks’ Primärrolle des Stammes-Feiglings Zachry im Jahr 2321 (bzw. 160 nach der Apokalypse) herzuhalten. Keine dieser Masken ist realitätsgetreu, den intendierten Zweck erfüllen sie aber allemal. Auch wenn nicht ganz klar wird, wie die Reinkarnation in der Welt von Cloud Atlas wirklich funktioniert – hauptsächlich, weil die Hauptfigur variiert und doch identisch scheint.

Wandert die Seele von Tom Hanks’ maliziösem Schiffsarzt auf den Pazifischen Inseln des Jahres 1849 in den Körper seines hilfsbereiten Wissenschaftlers Isaac Sachs von 1973, um dann plötzlich wieder im Schriftsteller Dermot Hoggins soziopathische Züge anzunehmen? Die äußerliche Ähnlichkeit der Figuren erklärt nicht wirklich den Karma-Zusammenhang zwischen ihnen. Oder wandern die Seelen losgelöst hiervon, wie im Fall der Hauptfigur der Segmente, die ein Kometen-Muttermal eint, aber jeweils Jim Sturgess (1849), Ben Whishaw (1936), Halle Berry (1973), Jim Broadbent (2012), Doona Bae (2144) und Tom Hanks (2321) zum Leben erwecken? Der Film – und wohl auch das Buch – geben hierzu keine wirklich konkrete Antwort.

“Our lives are not our own”, sagt Sonmi-451. “We are bound to others.” Jene anderen können unsere Mitmenschen sein – oder jene Körper, mit denen wir uns, Kulturübergreifend, über die Zeit hindurch unsere Seele teilen. “My life extends far beyond the limitations of me”, findet Ben Whishaws Komponist Robert Frobisher in 1936 – was sich aber auch auf die Briefe an seinen Geliebten Rufus Sixsmith (James D’Arcy) und sein “Cloud Atlas Sextett” beziehen lässt, das Journalistin Luisa Rey (Halle Berry) rund 37 Jahre später gemeinsam mit den Briefen ausfindig macht. Während die Handlungen der von den Darstellern gespielten Figuren variieren, eint die mit dem Muttermal markierte Hauptfigur zumindest ihr Aufbegehren gegen Widerstände.

So ist es der Notar Adam Ewing, der sich für den Polynesier Autua (David Gyasi) während der Schifffahrt 1849 von den Pazifik-Inseln nach England einsetzt. Und dort beschließt, die Abschaffung der Sklaverei zu unterstützen. Später ist es Robert Frobisher, der sich 1936 als Gehilfe des kränkelnden Komponisten Vyvyan Ayrs (Jim Broadbent) von seiner kreativen Blockade löst – selbst wenn er unter dem Druck seiner aufgedeckten Bisexualität letztlich Selbstmord begeht. Luisa Reys Ermittlungen in die kriminellen Machenschaften der Firma von CEO Lloyd Hooks (Hugh Grant) kosten 1973 Unschuldige das Leben und fast ihr eigenes. Cavendish wiederum muss 2012 mit anderen Patienten/Insassen einem tyrannischen Altenheim entfliehen.

Die Segmente fallen dabei in unterschiedliche Genres, sei es ein Seefahrer-Abenteuer (1849), Gesellschaftsdrama (1936), Krimi-Thriller (1973) oder Komödie (2012). In der Zukunft spielen derweil die vermutlich stärksten Handlungsstränge um Sonmi-451s Rebellion gegen die Sci-Fi-Dystopie des Jahres 2144 und Zachrys Widerstand gegen Unterdrücker – seien es die Kannibalen oder Old Georgie (Hugo Weaving) – in der Post-Apokalypse von 2321. Dass Cloud Atlas vermag, all diese Handlungen chronologisch getreu wie in einer filmischen Matrjoschka-Figur zu verschachteln, ist nicht nur ambitioniert, sondern prinzipiell geglückt. Selbst wenn nicht jedes Segment, z.B. das 2012er, derart notwendig erscheint für das große Ganze des Films.

Für das Thema der Seelenwanderung ist dieser womöglich zu überbevölkert an Figuren (nicht unbedingt an Seelen natürlich), um dies deutlich genug zu machen. Als Geschichte in einer Geschichte – jedes Epochen-Segment spielt eine Rolle für die Hauptfigur des folgenden – gelingt dies schon besser, hätte jedoch ebenfalls stärker herausgearbeitet werden können. So taucht die Verfilmung von Cavendishs Erlebnissen nur kurzzeitig im 2144er Plot auf und die Bedeutung für Sonmi-451 bleibt eher vage. Aber auch so ist Cloud Atlas ein audiovisuelles Fest, gefällig gefilmt und das auch relativ harmonisch; dafür, dass die Wachowskis die erste sowie die futuristischen Geschichten und Tykwer die drei Segmente dazwischen getrennt inszenierten.

“Travel far enough, you meet yourself”, sagt Hae-joo Chang im Roman. Wann die Reise für die Figuren begann und wann sie zu Ende ist, lässt sich nicht sagen. Im Kern wird jede der im Film erzählten Geschichten vergessen, lediglich die aktuelle lebt fort, um von einer kommenden Generation referiert zu werden. Insofern ließe sich die Narration um Epochen vor 1849 und nach 2343, wenn ein alter Zachry die erzählerische Klammer liefert, erweitern, indem das Medium hierzu variieren würde. Aber auch so vermag der Film alles zu erzählen, was ihm auf dem Herzen liegt, obschon es nicht wirklich honoriert wurde. Vielleicht wandert die Seele von Cloud Atlas irgendwann in einen anderen Film über und erhält als Remake dann eine neue Chance.

8.5/10

2 Kommentare:

  1. Nur kurz aus dem Urlaub: Hier bin ich ganz bei dir. Mochte den Film auch sehr und wir liegen auch nur 0.5 Punkte (bei mir waren es 9) auseinander. Nun habe ich richtig Lust, den Film noch einmal zu sehen.

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    1. Ja, hatte gelesen, dass wir inhaltlich nah beieinander lagen. Die Zweitsichtung hat ihn bei mir nochmals um 1.5 Punkte springen lassen. Schöner Film.

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