13. November 2013

Cutie and the Boxer

Love is a ROAR.

Eine brotlose Kunst ist eine solche, die keine Gewinne erzielt und Künstler bezeichnet, deren Werke kein Einkommen garantieren. Unter diese Kategorie fällt auch Ushio Shinohara, ein japanischer Neo-Dadaist, dessen Werke wie riesige Motorrad-Pappskulpturen sich eher schlecht als recht verkaufen. Zu Beginn von Zachary Heinzerlings Dokumentation Cutie and the Boxer ist Ushio mal wieder mit der Miete für die Studios im New Yorker Viertel SoHo hinterher. Wie das Publikum in der nächsten Stunde durch seine Gattin Noriko erfährt, begleiten die finanziellen Schwierigkeiten das Paar seit Jahrzehnten. Abhilfe soll daher eine neue Ausstellung schaffen. “With this show my reputation is going to go like: BAM”, hofft Ushio.

Zur Hand geht ihm dabei Noriko – wenn auch gezwungenermaßen. Denn eigentlich ist die 58-Jährige selbst Künstlerin, allerdings im Schatten ihres Mannes. Für Ushio eine eheliche Selbstverständlichkeit: “The average one has to support the genius”. Ihre Unzufriedenheit kann Noriko nur in ihren Zeichnungen zum Ausdruck bringen. In ihnen erzählt sie mit Hilfe der nackten, da ärmlichen, Cutie von all den Widrigkeiten ihrer Beziehung zu Ushio, der hierbei bezeichnenderweise “Bullie” heißt. Im Alter von 19 Jahren hatte die frisch aus Japan eingetroffene Kunststudentin den damals 41-jährigen Neo-Dadaisten in SoHo kennengelernt. Ein halbes Jahr später war sie bereits schwanger und ihr Leben dadurch für immer verändert.

Ushio gab sich seiner Arbeit hin sowie Saufgelagen mit seinen Freunden, der Haushalt und die Erziehung von Sohn Alex – im Erwachsenenalter ein Künstler und Alkoholiker wie sein Vater – blieb an Noriko hängen. “With no time to do my artwork I lost my joy of painting”, sagt sie. Ihr fehlt die Wertschätzung von Ushio, der sie sichtlich für selbstverständlich hält. Als er zeitweise während Cutie and the Boxer nach Tokio fliegt, um eine Skulptur loszuschlagen, scheint Noriko richtig aufzublühen in dem Freiraum, den ihr der Alltag nun gewährt. Hier zeigt sich, ebenso wie durch die animierten Segmente ihrer Zeichnungen – die nebst 8mm-Filmmaterial eine Rückblendenfunktion erfüllen –, dass dies Norikos Geschichte ist.

Dabei ist ihr kauziger Mann keineswegs ein schlechter Mensch, auch wenn die Erzählungen von früher ihn nicht im besten Licht zeichnen. Mitunter zeigt Heinzerling durchaus, dass Ushio weiß´, er an Noriko hat. Womöglich spielt hier aber rein, dass er seit einem Vorfall vor ein paar Jahren keinen Alkohol mehr trinkt. Obschon die Kunst der Shinoharas mehrfach die Kamera füllt – wir beobachten Ushio beim „boxen“ seiner Bilder – ist dies weniger eine Dokumentation über zwei Künstler und ihr Werk, sondern über zwei Menschen und ihre Beziehung zueinander. Dass diese funktioniert, führt Noriko auf ihre Gegensätzlichkeit zurück. “Even when we were at each other’s throat, there was passion and love”, beschreibt sie.

Es sei eben keine typische Romanze und ihre Beziehung zu Ushio ein fortwährender Kampf. “But that has made me who I am today”, sieht Noriko es pragmatisch. Als Zuschauer hat man relative wenig Probleme, das Ehepaar Shinohara in sein Herz zu schließen und auch wenn man ihre Kunst nicht zu schätzen weiß, wünscht man ihnen doch mehr Akzeptanz als zu brotlosen Künstlern zu verkommen. Heinzerling gelang dabei mit Cutie and the Boxer dennoch keine herausragende Dokumentation, dafür will die Einbindung der animierten Zeichnungen und alten Filmaufnahmen nicht genug überzeugen. Weniger die Kunstwerke der zwei Figuren als deren Persönlichkeiten hätten mehr in den Vordergrund gestellt werden können.

Denn gerade Ushios 150-Sekunden Boxer-Bilder wirken – ungeachtet ihrer Ansehnlichkeit – nicht unbedingt wie die große Kunst, sondern eher wie die Muse des Augenblicks. Inwieweit seine Werke nun mit dem Neo-Dadaismus zusammenhängen, lässt sich für Kunst-Nichtkenner schwer sagen. Faszinierender als das Werk ist jedenfalls der Künstler selbst, die Kurzweiligkeit von Heinzerlings 82-Minuten-Film trägt ihren Teil hierzu bei. Und die positive Nachricht ist, dass nicht zuletzt aufgrund von Cutie and the Boxer – und dessen sehr guter Aufnahme durch zahlreiche Filmkritiker – die Aufmerksamkeit für die Arbeit der Shinoharas gestiegen sein dürfte. Damit die Tage der brotlosen Kunst für diese vorüber sind.

6/10

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