8. Februar 2011

Constantine

That’s called pain. Get used to it.

Seit fast 20 Jahren gibt es das DC-Imprint Vertigo, welches 1993 das Licht der Welt erblickte, um Comics mit etwas reiferem Inhalt inklusive graphischer Gewalt für ein älteres Publikum interessant zu machen. Für Vertigo entstanden dabei so geschätzte Werke wie Y: The Last Man, 100 Bullets, sowie Neil Gaimans The Sandman und Garth Ennis’ Preacher. Doch das bekannteste Kind des Imprints ist Hellblazer, das seine ersten Schritte 1988 noch unter Leitung von DC tätigte, ehe es zu Vertigo überging und damit zu dessen längstwährendem Titel avanciert. Dabei verdankt Hellblazer seine Existenz keinem Geringeren als Comic-Guru Alan Moore.

Denn es war Moore, der John Constantine 1985 als Nebenfigur für The Saga of the Swamp Thing erfand, ehe dem okkultistischen Detektiv drei Jahre später unter Federführung von Jamie Delano eine eigene Comic-Reihe gewährt wurde. Über die Jahre hinweg würden sich auch Neil Gaiman, Brian Azzarello, Andy Diggle sowie Garth Ennis an dem Liverpooler Kettenraucher versuchen. Speziell der von Ennis geschriebene Handlungsbogen Dangerous Habits wurde zu einem Klassiker der Hellblazer-Serie und bildete elf Jahre nach seinem Erscheinen 2005 das Handlungsgerüst der Comic-Adaption Constantine von Francis Lawrence.

Was seine Charakterzeichnung angeht, ist John Constantine - dessen äußeres Erscheinungsbild dem britischen Sänger Sting nachempfunden wurde - nicht zwingend eine ausgesprochen sympathische Figur. Für Constantines eigensinnige Handlungen zahlen letztlich oft seine Freunde und Bekannten den Preis. Wenn es in der nach dem Titelhelden benannten Kinoversion an einer Stelle (aus dem Kontext) gerissen heißt: “I don’t need another ghost following me around”, dann ist dies als Anspielung auf die unzähligen Geister von Constantines Freunden zu verstehen, die ihn in Hellblazer verfolgen und kontinuierlich an seine Fehler erinnern.

“He’s more about manipulating people than using magic”, beschreibt Karen Berger, Chefredakteurin von Vertigo, den englischen Anti-Helden. So ist Constantine auch kein klassischer Comic-Held mit übermenschlichen Fähigkeiten, sondern ein Kerl aus Fleisch und Blut, der mittels schwarzer Magie, Okkultismus sowie Esoterik und, vielmehr noch, dank Cleverness dem Teufel und Co. immer wieder ein Schnippchen schlägt. Anders dagegen in Constantine, der umbenannt wurde, um Verwechslungen des Publikums mit der Hellraiser-Serie (wie Hellblazer ursprünglich heißen sollte) und dem im Jahr zuvor gestarteten Hellboy vorzubeugen.

So wurde der blonde Okkultist aus dem Liverpool der Thatcher-Ära zum schwarzhaarigen Exorzisten aus Los Angeles. Seinen Job übt Constantine (Keanu Reeves) auch nur deswegen aus, weil er als Kind von seiner Fähigkeit - er kann Engel und Dämonen sehen - in den Suizid getrieben wurde und sich nun versucht, (s)einen Weg in den Himmel zu erheilen. Adrett gekleidet im schwarzen Anzug gibt Reeves den Helden wider Willen. Besonders dramatisch wird das religiöse Erbe der begangenen Todsünde, da Constantine, hier wird das Handlungsgerüst von Garth Ennis aus Dangerous Habits aufgegriffen, an Lungenkrebs im Endstadium leidet.

Eine überzeugende Wahl, repräsentiert der Erzählbogen doch im Grunde alles, wofür Hellblazer steht. Ausgesprochen schwarzhumorig zeigt sich Constantine hier im Finale von seiner besten Seite, wenn er dem Tod vorerst von der Klinge springt, indem er Luzifer, Azazel und Belzebub gegeneinander ausspielt. Besonders interessant wird Ellis’ Geschichte dadurch, dass Constantine angesichts seines drohenden Todes Hilfe nicht nur bei der einen Seite (in Form von Erzengel Gabriel), sondern auch der anderen (die Dämonin Ellie) sucht. In Constantine scheitert die Einbindung von Dangerous Habits letztlich am Versuch, mehr zu erzählen als nötig ist.

So macht Francis Lawrence, der mit diesem Film sein Regiedebüt feierte, erfreulicherweise keinen Hehl daraus, dass Constantine entgegen der Gewohnheit anderer Comic-Verfilmungen keine Origin-Story erzählen will. Zumindest so halb, wird später schließlich dennoch, wenn auch per Rückblende, eine fiktive Origin-Story eingebaut und versucht, mit der Haupthandlung in Korrespondenz zu bringen. Knapp zusammengefasst ist dies auch der Grund, warum Constantine als stimmig-stringentes Werk zum Scheitern verurteilt ist. Anstatt sich auf das individuelle Schicksal seines Helden zu fokussieren, wird die ganze Welt in Gefahr gebracht.

In einer vollkommen unerheblichen Nebenhandlung stößt ein Mexikaner in der Wüste auf die von den Nazis entdeckte Heilige Lanze, im Englischen weitaus plakativer “Spear of Destiny” genannt. Mit ihr stapft er nach Los Angeles, wo sie im perfiden Plan von Erzengel Gabriel (Tilda Swinton) dazu dienen soll, Luzifers (Peter Stormare) Sohn Mammon aus dem Leib eines Mediums, hier: Mordkommissarin Angela (Rachel Weisz), zu befreien, damit dieser die Hölle auf Erden entfacht und nur noch diejenigen in den Genuss von Gottes Gnade kommen, die sie auch verdienen. Und das alles nur, damit die Weltenrettung zur Katharsis des Helden verkommen kann.

“I love the fact that the movie never bothered to try to explain itself”, ist Produzent Akiva Goldsman voll des Lobes. Was an sich in Ordnung ginge, wenn das, was der Film zeigt, zumindest einem bestimmten Sinn folgt. Stattdessen wird Constantine vollgemüllt (anders lässt es sich nicht sagen) mit eigens erfundenen Figuren wie Hennessy (Pruitt Taylor Vince) und Beeman (Max Baker), die zwar, wie im Finale auch Chas (Shia LaBeouf), für die Handlungen von Constantine ihr Leben lassen dürfen, ohne dass dies jedoch entsprechend innerhalb der Geschichte gewürdigt würde. So sterben sie lediglich den obligatorischen Tod der ersetzbaren Figuren.

Selbst wenn Hennessys Tod eine charmante Hommage an Jamie Delanos erste Hellblazer-Ausgabe Hunger darstellt (wie auch später noch nett aber durchweg nutzlos weiter reminisziert wird, zum Beispiel aus Feast of Friends), negiert Lawrences Debüt nahezu alles, was das Vertigo-Comic eigentlich auszeichnet. Da zeigt sich Constanine zu Beginn als lässig-cooler Exorzist, von dem es dann später für den Comic-fremden Zuschauer plötzlich heißt, dass seine Seele für Luzifer so begehrenswert ist, dass er sie sich persönlich abholen würde. Was im Finale dann nur dazu dient, eine Situation zu klären, die Constantine alleine nicht bereinigen konnte.

Das trostlose und heruntergekommene Liverpool der achtziger Jahre weicht der erstaunlich leeren Multikulti-Metropole Los Angeles, wo sich Constantine in sinnlosen Szenen vor Tankstellen mit Fliegenmonstern kloppt oder andernorts Gwen Stefanis Ehemann Gavin Rossdale mit einem christlichen Schlagring die Dämonenfresse poliert. Die Handlung bringt das genauso wenig weiter wie die überflüssigen Integrationen bekannter Hellblazer-Figuren wie Papa Midnite (Djimon Hounsou) oder Shia LaBoeufs Chas. Dass die viel interessantere Figur, Ellie (Michelle Monaghan), der Schere zum Opfer fiel (bis auf eine Szene im dritten Akt), spricht Bände.

Vom düsteren Charakter der Vorlage, die sehr viel mehr in der Realität verordnet war als dies bei Constantine mit seinen pseudo-Schock-Elementen der Fall ist, bleibt nicht mehr viel übrig oder geht unter in all den Weihwasser-Granaten- und Halbkopf-Dämonen-Szenen. Zudem will die schlecht ausgearbeitete (da von den Drehbuchautoren erdachte) Handlung um die Heilige Lanze nicht mit dem von Ennis’ übernommenen Gerüst bezüglich Constantines Krebs harmonisieren. Hinzu kommt, dass Figuren wie Hennessy oder Beeman schlicht zu wenig eingeführt wurden, als dass sie für das Publikum (oder Constantine) von Bedeutung wären.

Dabei hat der Film seine Momente, sei es die durchaus stimmige Charaktereinführung mittels des Exorzismus (“This is John Constantine, asshole”), der immerhin interessant inszenierte Ausflug in die Hölle, sowie zuvorderst die vielen Anspielungen zu Dangerous Habits, allen voran die exzellent besetzte Tilda Swinton. Den Engel Gabriel androgyn mit einer derart passenden Person zu besetzen war vielleicht der gelungenste Schachzug der Comic-Adaption. Wo mit Abstrichen auch Weisz und Stormare (Letzterer mit ordentlichem Camp-Faktor) überzeugen, bleibt LaBeouf fehlbesetzt wie eh und je und Reeves gewohnt austauschbar.

Constantine scheitert bereits an seiner Marktausrichtung. Erst als die Titelfigur vom Briten zum US-Amerikaner wurde, zeigten die Produzenten überhaupt Interesse. Der Wechsel über den Atlantik tat dem Hellblazer-Universum zusätzlich Abbruch und ließ den Plot am Ende so austauschbar werden, wie die darstellerischen Fähigkeiten ihres Hauptdarstellers. Eine reine, in Liverpool lokalisierte, Adaption von Dangerous Habits mit Daniel Craig oder Rhys Ifans in der Hauptrolle wäre dem Film sicher zum Vorteil gereicht. “There’s more than one road to hell”, erklärt Constantine am Ende von Going for It zynisch. Und Constantine ist eine dieser Straßen.

4.5/10

1 Kommentar:

  1. Sehr interessanter Artikel, gerade weil ich die Comicvorlage bisher nicht gelesen habe. Ich halte Constantine trotzdem für eine überdurchschnittliche Comicverfilmung mit (den von dir angesprochenen) Schwächen, eine der besseren Reeves-Rollen.

    Ich fand am Ende des Films vor allem Stormare als Satan und die Darstellung der Hölle sehr gelungen.

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