Your end-of-life transition is already underway.
Man könnte darüber streiten, welches unglückliche Szenario einen mehr fuchst: Wenn es un- oder selbstverschuldet herbeigeführt wurde. Im ersteren Fall kann man sich als Opfer widriger Umstände fühlen, sich über die Ungerechtigkeit aufregen. Den Ärger also streuen. Im anderen Fall ist er wiederum eher egozentrisch. In Jon Spaihts Drehbuch Passengers, das Morten Tyldum 2016 verfilmte, wird Chris Pratts Mechaniker Jim auf einem Viertel der 120-jährigen Strecke zu dem Kolonie-Planeten Homestead II in seinem Raumschiff verfrüht aus dem Tiefschlaf geweckt. In selbigem Raumschiff ist Jim nun gestrandet, da die übrigen 5.000 Passagiere und 258 Crew-Mitglieder erst in 90 Jahren kurz vor Ende der Reise erwachen.
Dabei ist Jim nicht erst ein Verstoßener, seit er aus dem Tiefschlaf gerissen wurde. Er war es im Grunde schon auf der Erde, weshalb er überhaupt die Reise zu Homestead II antritt. Sein Heimatplanet ist überbevölkert, der Lebensstandard überteuert und der Fortschritt zu weit vorangeschritten. “In the colonies, a handyman is somebody”, begründet Jim im Drehbuch seinen Entschluss, neues Grenzland auszukundschaften. Auf der Erde herrscht für jemand wie ihn kein Bedarf mehr, soll sein berufliches Leben – und damit seine Existenz – einen Sinn haben, muss er diesen Lichtjahr(zehnt)e entfernt suchen. In der Zukunft erwartet ihn entsprechend die Simplizität der Vergangenheit, vom Unternehmen HomeStead bewusst propagiert.
Als Alternative zur Erde wird ein besseres Leben versprochen – womit jenes auf der Erde de facto als Gegenteil erachtet wird. “Thriving job markets in mining, farming and manufacturing”, preist HomeStead in Spaihts Drehbuch an, verklärt den Bergbau und die Landwirtschaft zu Traumjobs. “If you long for the life less civilized, you can apply for a pioneer permit and seek your fortune in the wild.” Acht Billiarden Dollar verdiente HomeStead an seinem ersten Kolonie-Planeten, da die Kolonisten sich verpflichten, einen Teil ihrer künftigen Verdienste an das Unternehmen abzutreten – im Drehbuch zehn Prozent, im Film gar das Doppelte. Aus dem Tiefschlaf erwacht, sieht Jim in der Tat einem simpleren Leben entgegen, aber nicht dem erhofften.
“You’re not where you want to be. You feel like you’re supposed to be somewhere else”, analysiert ihn eingangs der Androiden-Barkeeper Arthur (Michael Sheen). Was Jim eher auf die aktuellen Umstände bezieht, Arthur aber durchaus mit Allgemeingültigkeit konstatiert. “You can't get so hung up on where you'd rather be that you forget to make the most of where you are”, lautet eine weitere seiner programmierten Binsenweisheiten: Mach das Beste aus der Situation, anstatt dich damit zu befassen, was sein könnte. Bei Jim obsiegt dennoch die Angst, durch die 90 Jahre gesicherte Einsamkeit letztlich alleine zu sterben, ironischerweise ist es gerade der Android, der ihn im Drehbuch daran erinnert: “It’s not dying that matters, it’s living.”
Spaiths skizziert seinen Weltraum-Trek dabei als Zwei-Klassen-Gesellschaft – wenn auch nur sehr lose und keineswegs mit sonderlicher Relevanz. Die Passagiere sind unterteilt in Gold- und Silber-Klassen, zu Letzterer zählt Jim, was bedeutet, dass er beispielsweise in der Kantine keinen Zugriff auf Mocha Cappuccinos hat, sondern nur regulären Kaffee. Und bei diesem Beispiel bleibt es letztlich auch, da die Figur ansonsten Zugriff auf alle Angebote des Raumschiffs erhält, darunter die Option zu Weltall-Spaziergängen. Der Alkohol an Arthurs Bar ist offenbar inklusive und auch sonst kann Jim etwaige Restaurants an Bord in Anspruch nehmen, ohne dass dies ein Problem für seine Klasse oder sein Bankkonto zu haben scheint.
Passengers verschenkt hier nicht nur Lebensmittel an seinen Protagonisten, sondern auch dramatische Optionen. Als Jim nach seinem Aufwachen einen Notruf an HomeStead absetzt, dessen Antwort ihn aufgrund der Distanz zur Erde erst kurz vor seinem Tod erreichen dürfte, kostet ihn dies $6,000 – im Drehbuch erwähnt Jim, dass er – weshalb auch immer – in Summe 16 solcher Anrufe getätigt hat, seine Telefonrechnung im hohen fünfstelligen Bereich liegt. Geld, dass er nicht haben dürfte, weshalb höchstens davon auszugehen ist, dass das System alle Ausgaben oder Angebotsnutzungen letztlich anschreibt, um sie von seinem künftigen Gehalt abzuziehen. Als kapitalistisches Konstrukt wirkt HomeStead wenig ausgereift.
So zählt zu den Passagieren eine Hebamme, dabei hat das Schiff eine medizinische Station, die von Diagnostik bis Reanimation derart komplex gerät, dass sie wohl auch geburtshelfende Maßnahmen ergreifen kann – wozu also besteht in dieser hochtechnisierten Welt die Notwendigkeit für Hebammen oder Mechaniker? Gegenüber der Erde kann Homestead II nur rückständig sein, auch, weil allein die Reise bis zur Ankunft mehr als ein Jahrhundert in Anspruch nimmt. Die Prämisse respektive die Basis für die Prämisse wirft interessante Fragen auf, denen der Film nicht nachkommt; wohl auch, weil es sich nur um die Basis für die eigentliche Geschichte handelt, die aber ebenfalls ihr Potenzial nicht gänzlich ausschöpft.
Auf sich allein gestellt steht Jim nach einem Jahr vor dem ethischen Dilemma, eine weitere Person, namentlich Aurora (Jennifer Lawrence) aus dem Tiefschlaf zu wecken – und somit zum selben Schicksal wie ihn selbst zu verdammen. Mehrere Monate hadert Jim mit dieser Entscheidung, rekapituliert Arthur ein weiteres Jahr später gegenüber Aurora. Was weder Tyldum noch Spaihts wirklich darzustellen vermögen, wie auch die Tragweite seiner Entscheidung in der Folge alsbald für die Etablierung klassischer Rom-Com-Tropen geopfert wird. Die Figuren verlieben sich, was als authentische Entwicklung verstanden werden soll, obgleich natürlich beide Figuren ohnehin keine menschlichen Alternativen zueinander haben.
Man mag es Passengers nicht vorwerfen, liegt der Entschluss gewissermaßen doch in der Natur der Sache als Hollywood-Blockbuster. Dennoch nutzt der Film das Drama des ethischen Dilemmas nicht zu seinen Gunsten – eine andere Option wäre gewesen, die Inszenierung derart zu lenken, dass auch Auroras Erwachen unverschuldet erscheint und das Publikum (oder zumindest ein Teil von diesem) gemeinsam mit der Figur erst Ende des zweiten Akts die Wahrheit als Twist erfährt. Womit zumindest erklärt wäre, wieso sich Tyldum nicht damit aufhält, die moralischen Auswirkungen auf Jim wiederzugeben. Wobei auch Aurora nicht wirklich reflektiert, wie diese Wahrheit sich mit ihren Gefühlen für Jim kontrastiert.
Losgelöst von der nie eintretenden Ankunft auf Homestead II durchleben beide Figuren aber im Verlauf ihrer 24 respektive 12 Monate durchaus jene Erfahrungen, die sie sich ursprünglich als Motivation für ihre Reise erhofft haben. Losgelöst von der romantischen Beziehung zu Aurora und dem relativen Luxus des Cruise-Raumschiffs ist Jims Expertise als Mechaniker an Bord gefragt – sei es, um sich in Suites über seinem Status einzunisten oder um im Finale zum großen Retter aller Kolonisten aufzusteigen. Aurora wiederum erhält die gewünschte Inspiration für ihren Roman, der nun eben weniger Einblicke ins moderne Kolonialleben bietet, sondern sich um Jim und ihr tragisches Schicksal sowie der daraus resultierenden Liebe dreht.
Im Falle von Jim übersteigert Tyldum diesen Heroismus im zugegeben etwas ausufernden Schlussakt nochmals gegenüber Spaihts Drehbuch. Dieses endet auf einer deutlich dramatischeren Note, wenn das Schiff den Reboot des Systems als Ankunft auf Homestead II fehlinterpretiert und sich aller Tiefschlaf-Pods der über 5.200 anderen Menschen entledigt. Im Drehbuch rettet Jim also Aurora durch sein herbeigeführtes manuelles Erwachen buchstäblich das Leben. Indem beide Figuren dann die für die Kolonisation mittransportierten Spermien aktivieren und ganze Generationen ihre Existenz vor der Ankunft auf Homestead II im Raumschiff erleben, wird die „Der Weg ist das Ziel“-Botschaft von Arthur erneut verstärkt.
Die Besetzung der Hauptfiguren trägt ihren Teil zum Gelingen bei, kaum jemand porträtiert den scheinbaren Versager, dem man nicht böse sein kann, so gut wie Chris Pratt. Und Jennifer Lawrence weiß ebenfalls charmante Biestigkeit authentisch wiederzugeben. Im Gegensatz zu manch anderer RomCom wirkt auch die Chemie zwischen beiden weitestgehend glaubwürdig. Passengers greift letztlich vielleicht nicht nach den narrativ-thematischen Sternen, die der Film passiert, aber als glattpolierte Sci-Fi-Romanze gerät er dennoch überzeugend genug, um bei zweistündiger Kurzweil zu unterhalten. Ob es für den Abspann allerdings dieses gräßliche Songs von Imagine Dragons bedurft hätte – darüber ließe sich wohl streiten.
8/10
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