Zu den Merkmalen des Film noir zählen Morde, Detektive und Femme fatales – insofern ist Nikos Nikolaidis’ 1990er Kunstfilm Singapore Sling fraglos zu jenem Genre dazuzuzählen. Und wen wundert es, versucht der Film doch eine Art inoffizielle Fortsetzung zu Otto Premingers Laura von 1944 zu sein. Ein angeschossener Detektiv (Panos Thanasoulis), später Singapore Sling getauft, ist auf der Suche nach seiner verschwundenen Geliebten Laura. Mit Mühe und Not rettet er sich zur Schwelle eines Anwesens, wo Lauras Fährte endet. Die zwei Hausherrinnen, eine Mutter (Michelle Valley) und ihre Tochter (Meredyth Herold), wissen um Laura Schicksal Bescheid, haben sie diese doch vor drei Jahren ermordet.
“In the state I was in things couldn’t get any worse”, sinniert der Detektiv zu Beginn noch in der klassischen Erzählstimme. Dass er sich in seiner Einschätzung geirrt hat, macht der Film in den folgenden anderthalb Stunden deutlich. Kurzerhand fällt dann nämlich die Tochter über den bewusstlosen Ermittler her, ehe sie von ihrer Mutter unterbrochen wird. An ein Bett gefesselt wird der arme Kerl in den folgenden Tagen mehrfach von den Frauen vergewaltigt, über ihn erbrochen, auf ihn uriniert und er generell sexuell erniedrigt. “This routine case wasn’t what I had reckoned after all”, wird er gegen Ende rekapitulieren. Und wie sein Fall kein gewöhnlicher ist, verhält es sich letztlich auch mit Nikolaidis’ Film selbst.
Trotz etwaiger provokativer Obszönitäten – oder wohl eher gerade wegen dieser – erachtete der griechische Regisseur seinen Film insgeheim eigentlich als eine Komödie. Die Fressgelage bis man sich erbricht, Selbstbefriedigung mit einer Kiwi und inzestuösen Sexspiele mit der Mutter oder dem mumifizierten Vater sorgten scheinbar für jede Menge Spaß am Set. Singapore Sling nimmt sich erkennbar zu keinem Punkt ernst, sodass Slapstick bereits in der Eröffnungsszene Einzug findet, wenn Mutter und Tochter bei strömendem Regen den ausgeweideten Chauffeur im Garten beerdigen. Für humoristische Auflockerungen sorgen zudem immer wieder die weiblichen Figuren, die ohnehin ganz klar im Zentrum stehen.
Zwar sind sie durchweg die Femme fatales, aber stehen nicht hinter dem Ermittler zurück. Seine Frauenfiguren, so der Regisseur im Bonusmaterial, dürfen männliche Charakterzüge tragen – also stehlen, vergewaltigen und töten. Sie sind es, die über die Kontrolle verfügen und dennoch die Opfer von Männern bleiben. So berichtet die Tochter, dass ihr Vater sie mit elf Jahren entjungfert hätte, wie er es auch war, der mit dem Morden der Bediensteten anfing. “Corpses were the best fertilizer”, rezitiert ihn die Tochter glucksend, die gemeinsam mit der Mutter den Patriarch schon lange selbst getötet hat. Freiheit hatte dies dennoch nicht zur Folge, wie das Hörigkeitsverhältnis zwischen den Frauen zum Ausdruck bringt.
“That woman out there won’t let me smoke”, lamentiert die Tochter ein ums andere Mal an den Zuschauer oder Singapore Sling gerichtet. Die Mutter referiert ihr Kind derweil gerne als “that bitch daughter of mine” und frönt zudem ihrem Tick, das meiste was sie sagt nochmals ins Französische zu übersetzen. Um die Tochter in Zaum zu halten, spielt die Mutter gerne einen Herzinfarkt vor, die Tochter selbst scheint durch den Inzest sichtlich gestört, sowohl psychisch als auch sexuell. Die reine Anwesenheit eines Mannes im Haus führt bei ihr zu merkbarer Erregung und es ist dann natürlich auch jener Mann, der schließlich einen Keil zwischen die beiden Frauen treibt und das dramatische Finale herbeiführt.
Auf fast zwei Stunden gedehnt geht einem die Naivität der Tochter und ihr manisches Gehabe trotz des bemerkenswerten Spiels von Meredyth Herold allerdings mit der Zeit verstärkt auf den Zeiger, während wiederum Panos Thanasoulis’ Detektiv nach dem ersten Akt eigentlich nur noch als Requisite für die beiden Frauenfiguren fungiert. Schick-schockierend ist es dann zwar schon, wenn Früchte zur Masturbation herhalten müssen, nur lässt es leider wie so vieles in Nikolaidis’ Film einen wirklichen Kontext vermissen. Weitaus weniger skandalös als sein Ruf erahnen lässt, ist Singapore Sling als Akkumulation von provokativem Avantgardefilm und Film noir dennoch ganz nett geraten. Mehr allerdings leider auch nicht.
5.5/10
Blu-ray
Der HD-Transfer der Blu-ray überzeugt durch einen gefälligen Schwarz-Weiß-Kontrast und Detailschärfe, ebenso zufriedenstellend ist die klar verständliche Mono-Tonspur ausgefallen. Neben einem Interview mit Nikolaidis über seine Filmografie – das jedoch auf keinen der Filme analytisch eingeht – ist mit Directing Hell eine über einstündige Dokumentation von Christos Houliaras über Nikolaidis und sein Schaffen enthalten. Das Bonusmaterial wird abgerundet durch das für das Bildstörung-Label obligatorische Booklet mit einem informativen Essay von Gerd Reda über die Beziehung des Films zu Premingers Laura sowie Nikolaidis’ Filmografie.
“In the state I was in things couldn’t get any worse”, sinniert der Detektiv zu Beginn noch in der klassischen Erzählstimme. Dass er sich in seiner Einschätzung geirrt hat, macht der Film in den folgenden anderthalb Stunden deutlich. Kurzerhand fällt dann nämlich die Tochter über den bewusstlosen Ermittler her, ehe sie von ihrer Mutter unterbrochen wird. An ein Bett gefesselt wird der arme Kerl in den folgenden Tagen mehrfach von den Frauen vergewaltigt, über ihn erbrochen, auf ihn uriniert und er generell sexuell erniedrigt. “This routine case wasn’t what I had reckoned after all”, wird er gegen Ende rekapitulieren. Und wie sein Fall kein gewöhnlicher ist, verhält es sich letztlich auch mit Nikolaidis’ Film selbst.
Trotz etwaiger provokativer Obszönitäten – oder wohl eher gerade wegen dieser – erachtete der griechische Regisseur seinen Film insgeheim eigentlich als eine Komödie. Die Fressgelage bis man sich erbricht, Selbstbefriedigung mit einer Kiwi und inzestuösen Sexspiele mit der Mutter oder dem mumifizierten Vater sorgten scheinbar für jede Menge Spaß am Set. Singapore Sling nimmt sich erkennbar zu keinem Punkt ernst, sodass Slapstick bereits in der Eröffnungsszene Einzug findet, wenn Mutter und Tochter bei strömendem Regen den ausgeweideten Chauffeur im Garten beerdigen. Für humoristische Auflockerungen sorgen zudem immer wieder die weiblichen Figuren, die ohnehin ganz klar im Zentrum stehen.
Zwar sind sie durchweg die Femme fatales, aber stehen nicht hinter dem Ermittler zurück. Seine Frauenfiguren, so der Regisseur im Bonusmaterial, dürfen männliche Charakterzüge tragen – also stehlen, vergewaltigen und töten. Sie sind es, die über die Kontrolle verfügen und dennoch die Opfer von Männern bleiben. So berichtet die Tochter, dass ihr Vater sie mit elf Jahren entjungfert hätte, wie er es auch war, der mit dem Morden der Bediensteten anfing. “Corpses were the best fertilizer”, rezitiert ihn die Tochter glucksend, die gemeinsam mit der Mutter den Patriarch schon lange selbst getötet hat. Freiheit hatte dies dennoch nicht zur Folge, wie das Hörigkeitsverhältnis zwischen den Frauen zum Ausdruck bringt.
“That woman out there won’t let me smoke”, lamentiert die Tochter ein ums andere Mal an den Zuschauer oder Singapore Sling gerichtet. Die Mutter referiert ihr Kind derweil gerne als “that bitch daughter of mine” und frönt zudem ihrem Tick, das meiste was sie sagt nochmals ins Französische zu übersetzen. Um die Tochter in Zaum zu halten, spielt die Mutter gerne einen Herzinfarkt vor, die Tochter selbst scheint durch den Inzest sichtlich gestört, sowohl psychisch als auch sexuell. Die reine Anwesenheit eines Mannes im Haus führt bei ihr zu merkbarer Erregung und es ist dann natürlich auch jener Mann, der schließlich einen Keil zwischen die beiden Frauen treibt und das dramatische Finale herbeiführt.
Auf fast zwei Stunden gedehnt geht einem die Naivität der Tochter und ihr manisches Gehabe trotz des bemerkenswerten Spiels von Meredyth Herold allerdings mit der Zeit verstärkt auf den Zeiger, während wiederum Panos Thanasoulis’ Detektiv nach dem ersten Akt eigentlich nur noch als Requisite für die beiden Frauenfiguren fungiert. Schick-schockierend ist es dann zwar schon, wenn Früchte zur Masturbation herhalten müssen, nur lässt es leider wie so vieles in Nikolaidis’ Film einen wirklichen Kontext vermissen. Weitaus weniger skandalös als sein Ruf erahnen lässt, ist Singapore Sling als Akkumulation von provokativem Avantgardefilm und Film noir dennoch ganz nett geraten. Mehr allerdings leider auch nicht.
5.5/10
Blu-ray
Der HD-Transfer der Blu-ray überzeugt durch einen gefälligen Schwarz-Weiß-Kontrast und Detailschärfe, ebenso zufriedenstellend ist die klar verständliche Mono-Tonspur ausgefallen. Neben einem Interview mit Nikolaidis über seine Filmografie – das jedoch auf keinen der Filme analytisch eingeht – ist mit Directing Hell eine über einstündige Dokumentation von Christos Houliaras über Nikolaidis und sein Schaffen enthalten. Das Bonusmaterial wird abgerundet durch das für das Bildstörung-Label obligatorische Booklet mit einem informativen Essay von Gerd Reda über die Beziehung des Films zu Premingers Laura sowie Nikolaidis’ Filmografie.
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