22. Dezember 2017

Dawson City: Frozen Time

What power has gold to make men endure it all?

Das Gebiet um den Klondike und Yukon River war kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert der zentrale Anlaufpunkt des Goldrauschs. In Heerscharen zogen Abertausende gen Yukon in Kanada, um dort im Boden auf das begehrte Element zu stoßen. Selbst 1978 war dies noch der Fall, obgleich der Schatz, der in Dawson City ausgehoben wurde, kein Gold, aber doch Gold wert war. Über 500 verlorene Stummfilme förderten Bauarbeiten zu Tage, Jahrzehnte zuvor als Füllmaterial in einem zugeschütteten Pool gebunkert. Regisseur Bill Morrison nutzte die im Permafrost bewahrten Filme in seiner Dokumentation Dawson City: Frozen Time, um die Geschichte von Dawson City und die Rolle der Stadt während des Goldrausches nachzuerzählen.

“An incredible story”, nennt Morrison die Vorfälle in einem Fernsehinterview zu Beginn. Unglaublich ist auch sein Film geraten, der ausschließlich mit Archivmaterial – historische Fotos und Symbolbilder aus den gefundenen Stummfilmen – von den Anfängen Dawsons über deren Hochphase bin hin zu ihrem Niedergang berichtet. Dabei huldigt er zum einen der Stadt selbst, die aus dem Goldrausch heraus entstand und diesen merklich befeuerte. Aber er würdigt auch die verloren geglaubten Filme – vielleicht sogar zu ausgiebig. Kongenial musikalisch von Alex Somers begleitet, erschafft Morrison eine faszinierende Art der cineastischen Zeitreise, mit Einblicken in die Historie und den vermeintlichen Absturz einer Stadt sowie des Mediums Stummfilm.

Den Anfang machten erste Goldfunde von George Carmack in der damaligen Gegend gegen 1896. Der Schürfer Joseph Ladue erkannte das Potential des Geländes und erstand einen Großteil, um dann Flächen davon zu verpachten. Ein Jahr später tummelten sich bereits 3.500 Einwohner in dem nun Dawson City getauften Fleckchen. Als im selben Jahr insgesamt fünf Tonnen Gold geschürft wurden, rief die Nachricht etliche Nachahmer auf den Plan. Dem Ruf des Goldes folgten 100.000 Menschen – auch wenn ein Großteil von 70.000 unterwegs auf dem beschwerlichen Chilkoot Pass umkehrte oder starb. Dennoch wuchs Dawson bis 1898 auf eine Bevölkerung von 40.000 an und florierte. Ehe wenige Monate später der Hype wieder vorbei schien.

Ein Großteil der Schürfer zog 1899 nach Nome weiter, als dort Gold entdeckt wurde. Dawsons Einwohnerzahl fiel auf 10.000, ein Jahrzehnt später waren es dann nur noch 3.000 Bewohner. Weniger als nach dem ersten Jahr. Etwas verwunderlich, da doch 1900 noch über eine Million Unzen Gold entdeckt wurde – mit einem heutigen Gegenwert von 15 Milliarden Dollar, so Morrison. Wer noch in Dawson lebte, holte nun seine Familie nach. “They built the town they hoped to live in for the rest of their lives”, berichtet der Film. Das Glücksspiel wurde abgeschafft, die Prostitution aus der Stadt verdrängt. Stattdessen wurde gebaut: Kinotheater und Erholungszentren, darunter auch für viel Geld die Dawson Amateur Athletic Association (D.A.A.A.).

Die Verbindung von Dawson zum Kino scheint in die Wiege gelegt, hat es in Dawson City: Frozen Time den Anschein. So lebten einst der Unternehmer Sid Grauman und der Kinobetreiber Alex Pantages in der Stadt, die für ihre rund 3.000 Bewohner im Jahr 1911 gleich drei Kinos bereithielt. “Dawson had an idle, captive audience that was ready to be entertained”, hieß es zuvor bereits. Hunderte Stummfilme sah sich die Bevölkerung jedes Jahr an, und erlebte so selbst im abgelegenen Yukon Eindrücke aus dem New Yorker Central Park oder von exotischen Orten wie Palästina, Indien und Afrika. Und da Dawson innerhalb der Filmverleihroute die Endstation markierte und die Kinobetreiber für Rücksendungen zu geizig waren, bildete sich ein Archiv.

Eines, das spätestens mit Aufkommen des Tonfilms im Jahr 1929 dann allerdings plötzlich hinfällig war. Viele Betreiber zerstörten die inzwischen angehäuften Stummfilme – bereits zuvor waren etliche von ihnen als Füllmaterial des Pools in der D.A.A.A. verwendet worden, als dieser geglättet wurde, um als Fläche und Untergrund für das lokale Eishockey-Team zu dienen. Letztlich ein Segen, als sie – zwar durch den Permafrost angegriffen, aber immerhin bewahrt – über 50 Jahre später bei Bauarbeiten auf dem D.A.A.A.-Gelände wiederentdeckt wurden. Ein Schatz auf seine ganz eigene Weise, informierte die Dokumentation doch direkt zu Beginn darüber, dass 75 Prozent der gedrehten Stummfilme heute nicht mehr existieren.

Morrison selbst ist mit dem Sujet bestens vertraut, widmete er sich doch bereits 2002 in Decasia dem Verfall von Stummfilmen. Jene Passion mag dann auch erklären, wieso Dawson City: Frozen Time gerade in seinem Schlussdrittel eine Vielzahl an Clips der gefundenen Stummfilme präsentiert. Sie zeigen oft verschiedene identische Momente aus den unterschiedlichen Werken, was sie wiederum etwas repetitiv macht. Genauso wie an manchen Stellen etwas die Einordnung der Stadthistorie fehlt, zum Beispiel warum trotz des neuerlichen Goldfundes von 1900 die Bevölkerungszahl dennoch nicht erneut zu-, sondern weiter abnahm. So lebten 1950 schließlich nur noch etwas weniger als 900 Menschen in dem früheren Goldrausch-Mekka.

Dennoch gelang Morrison mit seinem jüngsten Film ein kleines Meisterwerk, dank der harmonischen Symbiose aus Archivbildern und Somers emotionaler Komposition. Auch die Wahl mit Texttafeln statt einer Erzählstimme verleiht Dawson City: Frozen Time nochmals etwas Besonderes und nimmt ihm das Feeling eines PBS-Specials. So honoriert Bill Morrison letztlich überzeugend der Historie der kleinen Stadt in Yukon sowie der Bedeutung und Geschichte des Stummfilms gleichermaßen. Informativ und unterhaltsam zugleich – mehr kann ein Zuschauer im Grunde nicht von einer Dokumentation erwarten. Weshalb für sich gesehen konsequenter Weise daher auch Dawson City: Frozen Time ein Schatz ist, den es für Filmlieber gilt, auszugraben.

7.5/10

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