In seinem ersten Brief an die Korinther schrieb Paulus: „Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war“ (1. Kor, 13,11). So ließe sich in einem Satz auch etwa die Erfahrung des 14-jährigen Pio (Pio Amato) in Jonas Carpignanos dokumentarisch angehauchtem Drama A Ciambra – in Deutschland als Pio erschienen – beschreiben. Angesiedelt im kalabrischen Süd-Italien, direkt am Stiefel des Landes, spielen sich Pio und seine umfangreiche Roma-Sippschaft der Amatos quasi selbst, während der Jugendliche im Verlauf der Geschichte entscheiden muss, ob er bereit ist für den nächsten Schritt im scheinbaren (destruktiven) Kreislauf seiner Kultur.
Die Amatos leben dabei nebst weiteren Roma-Familien abseits der Gemeinde Gioia Tauro in einer verlassenen Wohnsiedlung. Wenn die Männer der Familie um Oberhaupt Rocco (Rocco Amato) und den zweitältesten Sohn Cosimo (Damiano Amato) nicht Autos aus dem Dunstkreis der nahe gelegenen Stadt Reggio Calabria entwenden, stehlen die Amatos Kupfer, brechen in Häuser ein oder zweigen sich den nötigen Strom ab. Entsprechend konstant sind die Besuche der Carabinieri, deren Ankunft stets von den Roma wie Spatzen von den Dächern in der Siedlung kundgetan wird. Der ungebildete Pio ist nun hin- und hergerissen zwischen seinem kindlichen Alltag und der wachsenden Faszination, (krimineller) Teil der familiären Verpflichtungen zu werden.
„Er hört nicht mehr auf mich“, klagt da Mutter Iolanda (Iolanda Amato) zwar früh über den eigensinnigen Pio. Doch die Einblicke, die wir von den Amatos erhalten, zeigen uns schnell, dass hier niemand auf den anderen hört. Spätestens als Rocco und Cosimo nach einem weiteren Besuch der Polizei in Gewahrsam genommen werden und den Amatos eine Stromrechnung im hohen vierstelligen Bereich vorliegt, ist es an Pio, Verantwortung zu übernehmen. Hier verwebt Carpignano die Geschichte nun verstärkt mit der einer anderen Randgesellschaft in Kalabrien: die der afrikanischen Flüchtlinge. So übernimmt der Burkiner Ayiuva (Koudous Seihon) für Pio die Rolle eines großen, fürsorglichen Bruders und unterstützt den Jungen.
Sie seien gleich, sagt ein Ghanaer zu Pio, als der Hehlerware in deren Flüchtlingslager verscherbelt. Ähnlich wie die Roma untereinander wirken auch die Flüchtlinge wie eine große Familie, ungeachtet ihrer Nationalität. Wo seine Familie jedoch die Vorurteile der Italiener übernommen zu haben scheint, zeigt sich Pio aufgeschlossen ihnen gegenüber. Konflikte drohen jedoch, als es sich der 14-Jährige mit dem italienischen Paten (Pasquale Alampi) verscherzt, dem sein Vater und seine Brüder zuarbeiten. “These shallow waters never met what I needed, I’m letting go – a deeper dive”, heißt es in Alan Walkers Song “Faded”, der mehrfach im Film gespielt wird, was Pios sich plötzlich verschärfende Situation ziemlich passend beschreibt.
Die Nähe und Zuneigung, die Pio für Ayiuva entwickelt, sind nicht von ungefähr und machen Seihons Figur zu der wohl sympathischsten von A Ciambra. Aber auch seine Familie begegnet Pio in ähnlich fürsorglicher Art, obschon weitaus subtiler. So scheint es, dass ihn sowohl Mutter Iolanda als auch Bruder Cosimo mit ihrem vermeintlich kalten Verhalten lediglich so lange wie möglich vor jenem Leben bewahren wollen, von dem sie wissen, dass es Pio als Mitglied der Amatos wie eine Welle unweigerlich mitreißen muss. Offen herzlicher begegnet ihm da schon seine nur wenige Jahre jüngere Nichte Patrizia (Patrizia Amato), die überraschender Weise zu den wenigen Familienmitgliedern zählt, die lesen und schreiben können.
Dass die Darsteller keine Profis sind, sondern dramatisierte Versionen ihrer selbst spielen, sorgt dabei weniger für einen Qualitätsverlust als es dem Film Authentizität schenkt. Die Amatos sind ein charmanter Clan und Carpignano gelingt eine faszinierende Nähe zu ihrem Milieu in dieser Coming-of-(Criminal)-Age-Story. “We are always the same age inside”, hat Gertrude Stein einmal gesagt, doch am Ende von A Ciambra wird deutlich, dass dies für Pio wohl nicht gelten kann. “So lost, I'm faded”, ertönt nochmals Alan Walkers kongenial implementierter Hit-Song zum Schluss über die Bilder. Doch Pio ist nicht (mehr) verloren, er hat bloß den Sprung vollzogen ins tiefe Wasser. Und damit alles Kindliche abgetan, um zum Mann zu werden.
Die Amatos leben dabei nebst weiteren Roma-Familien abseits der Gemeinde Gioia Tauro in einer verlassenen Wohnsiedlung. Wenn die Männer der Familie um Oberhaupt Rocco (Rocco Amato) und den zweitältesten Sohn Cosimo (Damiano Amato) nicht Autos aus dem Dunstkreis der nahe gelegenen Stadt Reggio Calabria entwenden, stehlen die Amatos Kupfer, brechen in Häuser ein oder zweigen sich den nötigen Strom ab. Entsprechend konstant sind die Besuche der Carabinieri, deren Ankunft stets von den Roma wie Spatzen von den Dächern in der Siedlung kundgetan wird. Der ungebildete Pio ist nun hin- und hergerissen zwischen seinem kindlichen Alltag und der wachsenden Faszination, (krimineller) Teil der familiären Verpflichtungen zu werden.
„Er hört nicht mehr auf mich“, klagt da Mutter Iolanda (Iolanda Amato) zwar früh über den eigensinnigen Pio. Doch die Einblicke, die wir von den Amatos erhalten, zeigen uns schnell, dass hier niemand auf den anderen hört. Spätestens als Rocco und Cosimo nach einem weiteren Besuch der Polizei in Gewahrsam genommen werden und den Amatos eine Stromrechnung im hohen vierstelligen Bereich vorliegt, ist es an Pio, Verantwortung zu übernehmen. Hier verwebt Carpignano die Geschichte nun verstärkt mit der einer anderen Randgesellschaft in Kalabrien: die der afrikanischen Flüchtlinge. So übernimmt der Burkiner Ayiuva (Koudous Seihon) für Pio die Rolle eines großen, fürsorglichen Bruders und unterstützt den Jungen.
Sie seien gleich, sagt ein Ghanaer zu Pio, als der Hehlerware in deren Flüchtlingslager verscherbelt. Ähnlich wie die Roma untereinander wirken auch die Flüchtlinge wie eine große Familie, ungeachtet ihrer Nationalität. Wo seine Familie jedoch die Vorurteile der Italiener übernommen zu haben scheint, zeigt sich Pio aufgeschlossen ihnen gegenüber. Konflikte drohen jedoch, als es sich der 14-Jährige mit dem italienischen Paten (Pasquale Alampi) verscherzt, dem sein Vater und seine Brüder zuarbeiten. “These shallow waters never met what I needed, I’m letting go – a deeper dive”, heißt es in Alan Walkers Song “Faded”, der mehrfach im Film gespielt wird, was Pios sich plötzlich verschärfende Situation ziemlich passend beschreibt.
Die Nähe und Zuneigung, die Pio für Ayiuva entwickelt, sind nicht von ungefähr und machen Seihons Figur zu der wohl sympathischsten von A Ciambra. Aber auch seine Familie begegnet Pio in ähnlich fürsorglicher Art, obschon weitaus subtiler. So scheint es, dass ihn sowohl Mutter Iolanda als auch Bruder Cosimo mit ihrem vermeintlich kalten Verhalten lediglich so lange wie möglich vor jenem Leben bewahren wollen, von dem sie wissen, dass es Pio als Mitglied der Amatos wie eine Welle unweigerlich mitreißen muss. Offen herzlicher begegnet ihm da schon seine nur wenige Jahre jüngere Nichte Patrizia (Patrizia Amato), die überraschender Weise zu den wenigen Familienmitgliedern zählt, die lesen und schreiben können.
Dass die Darsteller keine Profis sind, sondern dramatisierte Versionen ihrer selbst spielen, sorgt dabei weniger für einen Qualitätsverlust als es dem Film Authentizität schenkt. Die Amatos sind ein charmanter Clan und Carpignano gelingt eine faszinierende Nähe zu ihrem Milieu in dieser Coming-of-(Criminal)-Age-Story. “We are always the same age inside”, hat Gertrude Stein einmal gesagt, doch am Ende von A Ciambra wird deutlich, dass dies für Pio wohl nicht gelten kann. “So lost, I'm faded”, ertönt nochmals Alan Walkers kongenial implementierter Hit-Song zum Schluss über die Bilder. Doch Pio ist nicht (mehr) verloren, er hat bloß den Sprung vollzogen ins tiefe Wasser. Und damit alles Kindliche abgetan, um zum Mann zu werden.
7/10
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