Der Esstisch ist prall gefüllt und während die dreiköpfige Familie isst, klärt der Vater seine acht Jahre alte Tochter auf, dass das Nationalgericht Kimchi vor Krebs schützt. Es folgt ein herzliches Lachen und dann ein Schnitt. Der „Regisseur“ unterbricht die Szene und gibt der Familie neue Anweisungen. Das 8-jährige Mädchen, Zin-mi, soll statt links vom Tisch rechts sitzen. Und dann doch wieder umgekehrt. Mal mit angewinkelten Beinen und dann doch wieder nicht. Auch das Lachen muss abgestimmt werden. Inszeniert wird dabei allerdings keine Spielfilm-Szene, sondern eine für das wahre Leben. Eine ausländische Filmcrew ist zu Gast in Nordkorea und kriegt von der dortigen Regierung hierbei nur das gezeigt, was diese zeigen möchte.
Der russische Regisseur Vitaly Mansky erhielt für seine Dokumentation Under the Sun Einblicke in Nordkoreas Gesellschaft, allerdings wie alle ausländischen Journalisten in Begleitung von staatlichen Kontrolleuren. Diese wählten Zin-mi als Protagonistin für Mansky aus und choreografieren ihren Alltag für den Regisseur und seinen Film. Vom Schulunterricht, der repetitiv den Konflikt mit Japan wiederholt, über Zin-mis Eintritt in die kommunistische Kinderunion des Landes bis hin zu der Aufnahme dieses Umstandes bei ihren Eltern und deren Umfeld. Damit ist Under the Sun nach Werner Herzogs Into the Inferno somit bereits der zweite Film in diesem Kinojahr, in dem ein ausländischer Regisseur in Nordkorea drehen durfte.
Wo Herzog jedoch die Partei der Arbeit Koreas ihre Propaganda ungefiltert runterbeten lässt, dankbar dafür, überhaupt in dem vom Ausland abgeschotteten Land drehen zu können, unterminiert Mansky kongenial die Restriktionen der stalinistischen Diktatur, indem er zwar all das filmt, was die Regierung für ihn und sein Team inszeniert, aber auch das, was zwischen und außerhalb der Plansequenzen stattfindet. So wie die Regieanweisungen an Zin-mi und ihre Familie beim Abendessen, aber auch in einer grandiosen Szene später den Besuch eines Militärs in Zin-mis Schule, wo dieser ausschweifend vom Korea-Krieg berichtet, Mansky aber fast ausschließlich die Kinder zeigt, die währenddessen kaum die Augen offenhalten können.
Insofern ist Under the Sun eine Dokumentation die über Zwischentöne funktioniert. In der man nicht das glauben soll, was man sieht, sondern durch die Art der Inszenierung erst die wahren Einblicke in eine mysteriöse Nation erhält. Dem Gerücht von der kritischen Ernährungslage der 24 Millionen nordkoreanischen Einwohner, die seit dem Zusammenbruch des Ostblocks in den Neunzigern besteht, wird somit dadurch begegnet, dass der Esstisch von Zin-mis Familie buchstäblich bis zum Rand gefüllt ist. Und auch die Uniform des Militärs bei seinem Schulbesuch ist derart mit Medaillen dekoriert, das wahrlich kein Platz für noch eine weitere wäre. Die müsste man dann schon an den beiden Ärmeln oder an der Hose befestigen.
Die Situationen, welche die Partei der Arbeit Koreas für Mansky erdenkt, sind oft derart absurd, dass man sich bisweilen kurz hinterfragt, ob die Nordkoreaner sie nicht vielleicht doch nur erdenken, um letztlich das Bild des Auslands über sie zu bestätigen. So wird Zin-mis Vater für den Film vom Journalisten zum Leiter einer Fabrik für Kleidungsstücke, die Mutter wiederum von der Cafeteria-Mitarbeiterin zur Vorarbeiterin in selbiger Firma. Als wäre dieses typische Arbeiter-Bild der beiden repräsentativer für die Außendarstellung des Landes. “Let’s do it with joy!”, lautet eine der Anweisungen der Partei-Kontrolleure an die Gruppe „Protagonisten“, die hier allesamt eine Fassade aufsetzen und sich sichtlich unwohl fühlen.
Die Propaganda platzieren die Nordkoreaner dabei wo sie nur können. Von den allgegenwärtigen Porträts von Kim Il-sung – auch 22 Jahre nach seinem Tod noch der Ewige Präsident – und seinem Sohn und Nachfolger Kim Jong-il bis hin zu den zahlreichen Legenden über die Rolle der Kim-Familie im Kampf gegen die ausländischen Mächte Japan und USA. Als Zin-mi in der Schule ein Gedicht vorsagen soll, stellt sich auch dieses nur als eine Parteidoktrin der Kommunisten heraus. Die immense Kontrolle der nordkoreanischen Regierung über ihr Volk ist offensichtlich und dieses fraglos das größte Opfer dieses restriktiven politischen Systems, das spätestens seit dem Ende der Sowjetunion gänzlich stagniert und veraltet wenn nicht obsolet ist.
Und auch wenn der Zuschauer vermeintlich wenig von der Realität in Nordkorea mitbekommt – vom fehlenden Zugang zum globalen Internet, über die Unmöglichkeit, das Land zu verlassen, außer zu fliehen, bis hin zu öffentlichen Hinrichtungen von Regimekritikern – so ermöglicht Vitaly Mansky mit seinem Film dennoch einen Blick hinter den (eisernen) Vorhang. Die Partei der Arbeit Koreas ist bestrebt ihr Land als Einheit zu zeigen, nicht zuletzt in den zweifelsohne beeindruckend choreografierten Paraden. Der Nationalismus ist stark verankert und muss auch früh in die nächste Generation indoktriniert werden, wenn das Bild von der starken Kim-Familie aufrecht erhalten werden soll. Hilfreich ist es allerdings auch nicht immer.
Wenn also Kim Il-sung stets in seinen mannigfachen Titeln unter anderem als “respected Generalissimo” bezeichnet wird, kann man sich denken, wie respektabel er in Wirklichkeit war, wenn diese Eigenschaft extra als Zusatz erwähnt werden muss. Es passt daher zumindest vom Ton her, wenn Vitaly Mansky seinen Film mit Violine-Musik unterlegt, die entfernt an John Williams’ Score zu Schindler’s List erinnert. Denn auch wenn hier kein Genozid betrieben wird – obschon es Konzentrationslager gibt –, so wird doch in gewisser Weise ein Volk in seine Zerstörung getrieben. Dass Mansky trotz der parteilichen Restriktionen ein derartiges filmisches Dokument geschaffen hat, kann im Grunde nicht hoch genug gelobt werden.
„Solange ein Volk gezwungen wird zu gehorchen, so tut es wohl, wenn es gehorcht; sobald es sein Joch abzuschütteln imstande ist, so tut es noch besser, wenn es dasselbe von sich wirft“, hatte Jean-Jacques Rousseau einst gesagt. Und man würde es Nordkoreas Volk wünschen, speziell natürlich der kleinen Zin-mi, sich von dieser Diktatur zu lösen. So unwahrscheinlich dies wohl sein dürfte gegenwärtig. “Try to think of something good”, instruiert ihre Lehrerin am Schluss eine in Tränen aufgelöste Zin-mi. “I don’t know what”, lautet die niederschmetternde Antwort. “Tell her everything will be alright”, hatte der Partei-Kontrolleur zuvor die Lehrerin angewiesen. Und irgendwie würde man das der 8-Jährigen in dem Moment auch gerne sagen.
Der russische Regisseur Vitaly Mansky erhielt für seine Dokumentation Under the Sun Einblicke in Nordkoreas Gesellschaft, allerdings wie alle ausländischen Journalisten in Begleitung von staatlichen Kontrolleuren. Diese wählten Zin-mi als Protagonistin für Mansky aus und choreografieren ihren Alltag für den Regisseur und seinen Film. Vom Schulunterricht, der repetitiv den Konflikt mit Japan wiederholt, über Zin-mis Eintritt in die kommunistische Kinderunion des Landes bis hin zu der Aufnahme dieses Umstandes bei ihren Eltern und deren Umfeld. Damit ist Under the Sun nach Werner Herzogs Into the Inferno somit bereits der zweite Film in diesem Kinojahr, in dem ein ausländischer Regisseur in Nordkorea drehen durfte.
Wo Herzog jedoch die Partei der Arbeit Koreas ihre Propaganda ungefiltert runterbeten lässt, dankbar dafür, überhaupt in dem vom Ausland abgeschotteten Land drehen zu können, unterminiert Mansky kongenial die Restriktionen der stalinistischen Diktatur, indem er zwar all das filmt, was die Regierung für ihn und sein Team inszeniert, aber auch das, was zwischen und außerhalb der Plansequenzen stattfindet. So wie die Regieanweisungen an Zin-mi und ihre Familie beim Abendessen, aber auch in einer grandiosen Szene später den Besuch eines Militärs in Zin-mis Schule, wo dieser ausschweifend vom Korea-Krieg berichtet, Mansky aber fast ausschließlich die Kinder zeigt, die währenddessen kaum die Augen offenhalten können.
Insofern ist Under the Sun eine Dokumentation die über Zwischentöne funktioniert. In der man nicht das glauben soll, was man sieht, sondern durch die Art der Inszenierung erst die wahren Einblicke in eine mysteriöse Nation erhält. Dem Gerücht von der kritischen Ernährungslage der 24 Millionen nordkoreanischen Einwohner, die seit dem Zusammenbruch des Ostblocks in den Neunzigern besteht, wird somit dadurch begegnet, dass der Esstisch von Zin-mis Familie buchstäblich bis zum Rand gefüllt ist. Und auch die Uniform des Militärs bei seinem Schulbesuch ist derart mit Medaillen dekoriert, das wahrlich kein Platz für noch eine weitere wäre. Die müsste man dann schon an den beiden Ärmeln oder an der Hose befestigen.
Die Situationen, welche die Partei der Arbeit Koreas für Mansky erdenkt, sind oft derart absurd, dass man sich bisweilen kurz hinterfragt, ob die Nordkoreaner sie nicht vielleicht doch nur erdenken, um letztlich das Bild des Auslands über sie zu bestätigen. So wird Zin-mis Vater für den Film vom Journalisten zum Leiter einer Fabrik für Kleidungsstücke, die Mutter wiederum von der Cafeteria-Mitarbeiterin zur Vorarbeiterin in selbiger Firma. Als wäre dieses typische Arbeiter-Bild der beiden repräsentativer für die Außendarstellung des Landes. “Let’s do it with joy!”, lautet eine der Anweisungen der Partei-Kontrolleure an die Gruppe „Protagonisten“, die hier allesamt eine Fassade aufsetzen und sich sichtlich unwohl fühlen.
Die Propaganda platzieren die Nordkoreaner dabei wo sie nur können. Von den allgegenwärtigen Porträts von Kim Il-sung – auch 22 Jahre nach seinem Tod noch der Ewige Präsident – und seinem Sohn und Nachfolger Kim Jong-il bis hin zu den zahlreichen Legenden über die Rolle der Kim-Familie im Kampf gegen die ausländischen Mächte Japan und USA. Als Zin-mi in der Schule ein Gedicht vorsagen soll, stellt sich auch dieses nur als eine Parteidoktrin der Kommunisten heraus. Die immense Kontrolle der nordkoreanischen Regierung über ihr Volk ist offensichtlich und dieses fraglos das größte Opfer dieses restriktiven politischen Systems, das spätestens seit dem Ende der Sowjetunion gänzlich stagniert und veraltet wenn nicht obsolet ist.
Und auch wenn der Zuschauer vermeintlich wenig von der Realität in Nordkorea mitbekommt – vom fehlenden Zugang zum globalen Internet, über die Unmöglichkeit, das Land zu verlassen, außer zu fliehen, bis hin zu öffentlichen Hinrichtungen von Regimekritikern – so ermöglicht Vitaly Mansky mit seinem Film dennoch einen Blick hinter den (eisernen) Vorhang. Die Partei der Arbeit Koreas ist bestrebt ihr Land als Einheit zu zeigen, nicht zuletzt in den zweifelsohne beeindruckend choreografierten Paraden. Der Nationalismus ist stark verankert und muss auch früh in die nächste Generation indoktriniert werden, wenn das Bild von der starken Kim-Familie aufrecht erhalten werden soll. Hilfreich ist es allerdings auch nicht immer.
Wenn also Kim Il-sung stets in seinen mannigfachen Titeln unter anderem als “respected Generalissimo” bezeichnet wird, kann man sich denken, wie respektabel er in Wirklichkeit war, wenn diese Eigenschaft extra als Zusatz erwähnt werden muss. Es passt daher zumindest vom Ton her, wenn Vitaly Mansky seinen Film mit Violine-Musik unterlegt, die entfernt an John Williams’ Score zu Schindler’s List erinnert. Denn auch wenn hier kein Genozid betrieben wird – obschon es Konzentrationslager gibt –, so wird doch in gewisser Weise ein Volk in seine Zerstörung getrieben. Dass Mansky trotz der parteilichen Restriktionen ein derartiges filmisches Dokument geschaffen hat, kann im Grunde nicht hoch genug gelobt werden.
„Solange ein Volk gezwungen wird zu gehorchen, so tut es wohl, wenn es gehorcht; sobald es sein Joch abzuschütteln imstande ist, so tut es noch besser, wenn es dasselbe von sich wirft“, hatte Jean-Jacques Rousseau einst gesagt. Und man würde es Nordkoreas Volk wünschen, speziell natürlich der kleinen Zin-mi, sich von dieser Diktatur zu lösen. So unwahrscheinlich dies wohl sein dürfte gegenwärtig. “Try to think of something good”, instruiert ihre Lehrerin am Schluss eine in Tränen aufgelöste Zin-mi. “I don’t know what”, lautet die niederschmetternde Antwort. “Tell her everything will be alright”, hatte der Partei-Kontrolleur zuvor die Lehrerin angewiesen. Und irgendwie würde man das der 8-Jährigen in dem Moment auch gerne sagen.
7/10
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