6. Dezember 2019

The Last Black Man in San Francisco

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In deutschen Großstädten steigen die Immobilienpreise kontinuierlich, auch in Vororten kostet der Quadratmeter immer mehr. Gegenüber den USA, speziell San Francisco, können unsere Mietpreise wohl noch als „finanzierbar“ erachtet werden. Für eine 1-Zimmer-Wohnung in San Francisco werden monatlich im Schnitt $3,700 aufgerufen – mehr als viele Deutsche überhaupt verdienen dürften. Mit ursächlich dafür sind Tech-Firmen wie Craigslist, Twitter, Uber oder Yelp, die sich wie Mozilla, Google und Facebook in San Francisco und der Metropolregion niedergelassen haben. Der überteuerte Wohnungsmarkt und die einhergehende Gentrifikation gehen dabei auch an den ursprünglichen Einwohnern der Metropole nicht spurlos vorbei.

Im weitesten Sinne, wenn auch überaus geschickt und subtil, erzählen Regisseur Joe Talbot und sein Hauptdarsteller Jimmy Fails in The Last Black Man in San Francisco von der etwas angespannten Lage an der Pazifikküste Kaliforniens. In dem semi-autobiografischen Werk spielt Jimmy Fails eine Version seiner selbst. Als Altenpfleger Jimmy lebt er auf dem Fußboden des Schlafzimmers seines besten Freundes Montgomery (Jonathan Majors). Alle paar Wochen besuchen sie aus ihrem Vorort San Franciscos die Stadt – genauer gesagt das alte viktorianische Haus, das Jimmys Großvater einst nach dem Zweiten Weltkrieg mit eigenen Händen baute, ehe es die Familie vor vielen Jahren verlor. Dort sieht er nun ab und an nach dem Rechten.

Jimmy streicht die Fensterrahmen, jätet das Unkraut – obschon es die ältere weiße Besitzerin (Maximilienne Ewalt) nicht zu schätzen weiß. Die Umstände wollen es dann, dass auch die jetzigen Besitzer vorerst das Haus räumen müssen, was Jimmy wiederum als Chance erachtet, zumindest kurzfristig wieder zu reklamieren, was einst seiner Familie gehörte. “There’s no place like home”, sagt er Montgomery, der seinem Freund bereitwillig hilft, das Haus mit alten Möbeln einzurichten. Jimmy ist dabei keineswegs ein Besetzer, sondern bestrebt, den Besitz des Hauses zu legalisieren. Was allerdings durch den zuständigen Yuppie-Makler Clayton (Finn Wittrock) und den überteuerten Immobilienmarkt in der Bay Area erschwert wird.

“You never really own shit”, offenbart Jimmy da Bobby (Mike Epps), ein Freund der Familie, der im alten Wagen von Jimmys Vater lebt. Als Jimmy seine Tante (Tichina Arnold) in einem Vorort besucht, um Möbel und Einrichtungsgegenstände für seinen ersten eigenen Wohnraum abzuholen, reagiert die sichtlich überrascht, dass er sich diesen in San Francisco leisten kann. Kein Wunder bei den eingangs erwähnten Mietpreisen, die sogar über denen von New York City und Los Angeles liegen. Für Einheimische scheint das Leben in ihrer Stadt kaum mehr finanzierbar, zwischen 2017 und 2019 stieg die Obdachlosigkeit in San Francisco um 17 Prozent auf über 8.000 Betroffene. Unzumutbare Zustände, die ihre Folgen mit sich bringen.

Darunter auch Gewalt, die The Last Black Man in San Francisco allenfalls peripher andeutet. Gegenüber dem Haus von Montgomery und seinem Großvater (Danny Glover) hängt jeden Tag die Gruppe von Nitty (Antoine Redus) ab. Einander beleidigend mit der Intention der Charakterstärkung für Konflikte mit anderen Gruppen. Einer von ihnen, Jimmys Jugendfreund Kofi (Jamal Trulove), tut sich sichtlich schwer mit den Beschimpfungen. Nittys Clique gibt ihm jedoch ein Gefühl der Zugehörigkeit, nach der sich letztlich alle Figuren in Talbots Film auf die eine oder andere Weise sehnen. Sei es die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, zu einem alten Haus und damit einer Form der Identität oder wie bei Montgomery zu einer künstlerischen Bestimmung.

Während Montgomery an seinem ersten Theaterstück arbeitet, lässt er sich von den Menschen seines Viertels, ihrem Sprachduktus und ihrem Ärger inspirieren. Sei es die verbale Stichelei innerhalb Nittys Clique oder ein Straßenprediger (Willie Hen), der täglich von früh bis spät die Verschmutzung des lokalen Gewässers anprangert. “Don’t quite have a plot yet”, gesteht Montgomery hinsichtlich seines Stücks, saugt aber seine realen Erfahrungen für eine fiktionale Reflektion, wie sie im Grunde auch The Last Black Man in San Francisco darstellt, unentwegt auf. “Writing is rewriting”, informiert Montgomery eingangs Jimmy – und spricht damit auf gewisse Weise nicht nur über sein Stück, sondern auch das Problem der Stadt.

Sie muss sich natürlich weiterentwickeln, die Öffnung für die Tech-Firmen war ein Bestandteil dessen. Gentrifikation mag dabei per se nichts Schlechtes sein, insofern sie jenes Gefühl der Zugehörigkeit begleitet, dass die Einheimischen besitzen. So beobachtet Jimmy in einer Szene eine Segway-Tour von Touristen durch die Straßen seiner alten Nachbarschaft, in einer anderen Szene grölen Touristen (oder Zugezogene) von einem vorbeifahrenden Cable Car. Für viele ursprüngliche Einwohner San Franciscos mag dies nicht mehr ihre Stadt sein, sei es das Verhalten der Zugezogenen oder die Mietpreise, die sie an die Peripherie oder in die Obdachlosigkeit drängen. “You never really own shit” – verkommt zur bitteren Wahrheit.

“You don’t get to hate it unless you love it”, schilt Jimmy gegen Ende zwei junge Zugezogene, als sie sich über San Francisco beschweren. Das angespannte Verhältnis von Gewesenem und Gegenwärtigem markiert den Kern von The Last Black Man in San Francisco. So scheint die Freundschaft zwischen Kofi und Jimmy angesichts der Umstände ebenso wenig zu retten wie der Besitzanspruch von Jimmys altem Haus oder sein Besitzanspruch für dieses generell. Bobby oder auch Jimmys Vater (Rob Morgan), der selbst inzwischen in einem Einzelzimmer-Wohnhaus sein Dasein fristet, haben sich von dieser illusorischen Romantik bereits gelöst, die Montgomery in seiner späteren Theateraufführung wiederum bei den Besuchern beschwört.

Montgomerys – durchaus beeindruckend dargebotene– Performance betont, dass Rückbesinnung nicht nur der Nostalgie halber, sondern auch der Fortentwicklung dient. “People aren’t one thing”, sagt Jimmy an einem Punkt. Genauso gut könnte man sagen: Houses aren’t one thing. Joe Talbot versieht The Last Black Man in San Francisco mit einer gewissen Melancholie, nicht zuletzt dank der überaus passenden Musik von Emile Mosserie. Der Film strahlt aufgrund seiner beiden positiven Hauptfiguren aber auch stets ausreichend Hoffnung aus. Am Ende folgt für Jimmy dann vielleicht die Realisation, dass es weniger darum geht, dass es nirgends so schön ist wie Zuhause, sondern dass sich ein schönes Zuhause auch im Nirgendwo findet.

8/10

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