15. Januar 2009

Man On Wire

Life should be lived on the edge of life.

Manchmal steht man auf dem Schlauch. Philippe Petit steht auf dem Kabel. Nicht irgendein Kabel, ein Kabel zwischen den beiden Türmen des World Trade Centers. Ein französischer Hochseilkünstler schießt mit einem Bogen ein Kabel vom Süd- zum Nordturm des damals neu gebauten WTC in New York City. Es ist Viertel nach sieben Uhr morgens am 7. August 1974. Während der nächsten 45 Minuten läuft er die Distanz zwischen beiden Türmen achtmal. Zwei Polizisten schauen ihm dabei zu, denn einschreiten können sie kaum. Erst als man droht ihn mit einem Polizeihubschrauber einzusammeln, verlässt Petit das Kabel und steht mit beiden Beinen auf dem Boden. Die ganze Aktion fand sechs Tage vor dem 26. Geburtstag des Franzosen statt und für die Beteiligten ist es so, als sei das Ganze erst gestern gewesen.

Zahlreiche Preise hat Man on Wire, die Dokumentation von James Marsh, inzwischen gewonnen. Speziell beim Sundance Festival. Bei Rotten Tomatoes gehört der Film zu den best-besprochenen aller Zeiten, mit einer unfehlbaren Empfehlung von 100 Prozent. Für Regisseur Marsh handelte es sich bei dem Stoff weniger um eine Dokumentation, als vielmehr um ein Heist-Movie. Und in der Tat inszeniert Marsh seinen Film über lange Strecken auch als solchen, unterlegt eine Szene mal mit Walter Murphys A Fifth of Beethoven und konzentriert sich weniger um den halsbrecherischen Akt Petits selbst, als vielmehr auf die Vorbereitungsphase für den wagemutigen Stunt. Einen Helikopterflug hatte der Franzose gemacht, um die Abstände zwischen den Türmen einschätzen zu können. Mehrfach hatte er sich in das WTC geschlichen, einmal getarnt als französischer Journalist.

Es wurde observiert, Kostüme hergestellt und Ausweise gefälscht. Alles im ganz großen Stil und mit dem Ziel auf dem Dach des WTC auf einem Kabel zu balancieren. In 417 Metern Höhe. Die Idee kam Petit sechs Jahre zuvor, als er in einer Zahnarztpraxis von dem Bau des WTC erfuhr. Seitdem wollte er von dem einen Turm zum anderen laufen. Vor seinem Stunt in New York hatte Petit bereits Hochseilakte im Pariser Notre Dame und der Harbour Brücke in Sydney vollführt. Man mag sich fragen, wieso ein Mensch ein Seil oder Kabel zwischen zwei Objekten spannt und dann darüber läuft. Aber wenn man so anfängt, kann man sich vieles fragen. George Mallory fragte man weshalb er den Mount Everest besteigen wolle und Mallory antwortete den berühmten Satz: „Weil er da ist“.

Marsh erzählt seine Dokumentation anhand verschiedener Stilmittel. Den Hauptteil machen Interviews mit den Beteiligten Personen jener Zeit aus, allen voran Philippe Petit selbst. Die restlichen Bilder sind zum einen Photographien von damals oder aber Videoaufnahmen, sowie teilweise auch nachgestellte Szenen. Letztere sind jedoch eher die Ausnahmen von der Regel. Unterlegt wird dies musikalisch von Michael Nyman, unterstützt von Klassikern wie Edvard Griegs In the Hall of the Mountain King, der scheinbar in keiner Dokumentation fehlen darf. Mit Man on Wire liefert Marsh fraglos ein Denkmal für jenen französischen Hochseilartisten ab, das wenig in Frage stellt und umso mehr zelebriert. Dabei legt der Regisseur den Fokus nicht auf das „was“, sondern das „wie“. Das Resultat ist ein Film, der zwar eine phantastische Aktion schildert, selbst jedoch nicht unbedingt phantastisch ist. Dafür weiß Marsh zu wenig die Magie des Augenblicks einzufangen.

Wenn einer der Polizisten erzählt, dass er sich sicher war so etwas nie wieder mit eigenen Augen zu sehen, ist dies die Intensität, die der Film gerne erreichen würde. Und in der Tat ist Man on Wire in jenen Szenen am stärksten, die sich tatsächlich mit dem 7. August und den Bildern von Petit auf dem Kabel befassen. Die nacherzählte Spannung von ihm und seinem Freund, die sich unter einer Decke vor dem Wachmann verstecken mussten, will dagegen nicht so recht auf den Zuschauer überspringen. Zwar funktioniert Marshs Film bisweilen durchaus als Heist-Movie, doch wäre es Man on Wire sehr viel besser gereicht, wenn der Regisseur sich mehr mit dem Drahtseilakt selbst als dessen Vorbereitung beschäftigt hätte. Die Euphorie von Petit für seine Passion merkt man ihm an und Marsh schafft es diese zu übertragen. Doch wie angesprochen bedarf es für eine phantastische Dokumentation weitaus mehr, als nur ein phantastisches Thema.

7.5/10

1 Kommentar:

  1. Klingt sehr interessant.

    Aber: Die Einleitung - die geht ja mal gaaar nich!

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