Appearances can be... deceptive.
(Chad Feldheimer, Burn After Reading)
Sie zählen zu den Größen in Hollywood – nicht zuletzt aufgrund vier Oscarauszeichnungen bei insgesamt 13 Academy Award-Nominierungen. Die beiden Brüder Joel und Ethan Coen drehen seit fast drei Jahrzehnten Filme und hinterließen eine Handvoll Meisterwerke und eine noch größere Zahl an unvergesslichen Figuren. Es lässt sich vermutlich darüber streiten, dass viele Geschichten nur so gut sind wie die Charaktere, die sie bevölkern. Insofern zählen die Gebrüder Coen wohl zur Oberschicht der Traumfabrik, hinterlassen ihre oftmals schrulligen Figuren doch nicht nur aufgrund ihrer irrwitzigen Namen einen bleibenden Eindruck.
Von H.I. McDunnough in der Entführungskomödie Raising Arizona über Handlanger Tic Tac im Noir-Krimi Miller’s Crossing und den suizidalen Magnat Waring Hudsucker in The Hudsucker Proxy bis hin zu Anwalt Freddy Riedenschneider in The Man Who Wasn’t There – kaum eine Figur der Coens ist nicht so verquer wie ihr Name andeutet. Sie alle haben ihre (sehr eigenen) Eigenheiten und ihre unvergessliche Art. In der Regel vergeht kaum ein Coen-Film, ohne dass man zumindest eine seiner Figuren über Jahre hinweg im Gedächtnis behält. Was sich neben ihren Namen nicht zuletzt auch ihrer Ikonenhaften Inszenierung verdankt.
Sei es der so verschwitzte wie schmierige M. Emmet Walsh als Loren Visser in Blood Simple., Motorradkopfgeldjäger Leonard Smalls (Randall ‘Tex’ Cobb) in Raising Arizona, Michael Badaluccos Darstellung von George ‘Baby Face’ Nelson in O Brother, Where Art Thou? oder John Goodmans höllisches Finale als Charlie ‘Madman Mundt’ Meadows in Barton Fink. Unverwechselbar mögen die Figuren aufgrund ihrer Erscheinung sein, wie Tom Hanks’ räuberischer Professor G.H. Dorr in The Ladykillers, oder semantischen Wiederholung. Gerade die Wiederkehr von Phrasen, aber auch der Namen der Charaktere durchziehen das Werk der Coens.
So verspricht der private Ermittler Gus Petch (Cedrick the Entertainer) in Intolerable Cruelty wiederholt “I’ll nail his ass!” und Tim Robbins verkauft seine Idee der Hulla-Hoop-Reifen als Norville Barnes in The Hudsucker Proxy mit der Erklärung: “You know, for kids”. In dem Krimi Miller’s Crossing fragen die Figuren unentwegt “What’s the ruckus?” und die alte Dame Marva Munson (Irma P. Hall) lamentiert in The Ladykillers die “hippity hop”-Textzeile “I left my wallet in El Segundo” der Formation A Tribe Called Quest. “I could tell you some stories…”, versichert Charlie Meadows in Barton Fink und lässt dann doch lieber Taten sprechen.
Die Liebe zu ihren Charakteren zieht sich bis in die Nebenfiguren, sei es Dan Hedayas betrogener Clubbesitzer Marty in Blood Simple. oder Michael Lerners Studioboss Jack Lipnick in Barton Fink. Sogar die unwichtigsten Figuren wie Blood Simple.’s Barmann Meurice, der um $20 betrogenen Schüler Fagle in A Serious Man oder Heinz, Baron Krauss von Espy in Intolerable Cruelty wachsen einem in der Kürze ihrer Leinwandzeit ans Herz. Angesichts des Portfolios von Joel und Ethan Coen erklärt sich, was sie an Romanfiguren wie Rooster Cogburn in True Grit ebenso wie an den Charakteren in Cormac McCarthys No Country for Old Men interessierte.
In Letzterem erscheint die Beziehung zwischen Tommy Lee Jones’ Sheriff Ed Tom Bell und Garret Dillahunts Deputy Wendell als ein Spiegelbild zum Arbeitsverhältnis von Frances McDormands Marge Gunderson und Deputy Lou in Fargo. Da sowohl No Country for Old Men als auch True Grit direkte Romanadaptionen sind, bleiben ihre Figuren für diese Top 5 außen vor. Die Wahl der fünf finalen Figuren ist bei diesem Sammelsurium an Charakteren natürlich mehr als subjektiv und willkürlich, ließe sich doch zu fast jedem Film der Brüder eine entsprechende eigene Liste erstellen. Meine fünf liebsten Charaktere der Coen-Filmografie sind daher wie folgt:
5. Harry Pfarrer in Burn After Reading: Als untreuer ehemaliger Personenschützer des Finanzministeriums schloss George Clooney seine informelle „Idioten“-Trilogie für die Coens ab. Sein affiner Jogger Harry Pfarrer (“Maybe I can get a run in”) ist neben Brad Pitts Chad Feldheimer der Trumpf dieser Spionage-Komödie, in deren Verlauf sich der charmante Ehebrecher mehr und mehr in seiner Paranoia verliert (“Who the fuck do you work for, you fucker?”), ehe er sich nach Venezuela abzusetzen versucht.
4. Marge Gunderson in Fargo: Passend, dass die herausforderndste Szene für Frances McDormands im siebten Monat schwangere Polizei-Chefin in dieser Krimi-Komödie das Treffen mit einem alten Schulverehrer ist. Egal ob drei Tote auf der Schnellstraße oder das Entsorgen einer Leiche im Schredder – nichts bringt Marge Gunderson aus der Fassung. Vielmehr stoßen die verübten Verbrechen bei ihr bloß auf Verwunderung: “Here ya are and it’s a beautiful day. Well. I just don’t understand it”.
3. Walter Sobchak in The Big Lebowski: Mit demnächst sechs Filmen zählt John Goodman zum Stammpersonal der Coens. Sein zum jüdischen Glauben konvertierter Vietnam-Veteran Walter Sobchak ist dabei fraglos sein Magnus opum. Egal ob es um das Übertreten buchstäblicher Linien (“This is not ’Nam. This is bowling. There are rules.”), Lösegeldübergaben oder das Beschaffen kleiner Zehen geht, der leicht soziopathisch veranlagte Walter zeigt uns hier “what happens when you fuck a stranger in the ass”.
2. Johnny Caspar in Miller’s Crossing: Auch Jon Polito arbeitete mit den Brüdern mehrmals zusammen, am eindrücklichsten wohl als Unterweltboss mit ethischem Anspruch. Dieser verbietet es ihm auch, Gabriel Byrnes Figur nach einem Abkommen zu hintergehen: “You double-cross once – where’s it all end? An interesting ethical question”. Johnny Caspar ist eine Figur mit Rückgrat und Werten, die man lieber nicht herablassend behandelt (“What is this, the high hat?”) oder ihr sagt, man habe es gleich gewusst.
1. The Dude in The Big Lebowski: Doch es kann nur einen geben und wer könnte dies auch anderes sein als Jeff Bridges’ König der Slacker? Hineingezogen in eine Krimigeschichte à la Raymond Chandler verliert sich der dem White Russian verfallene Dude in der Suche nach seinem Teppich (“That rug really tied the room together.”) sowie der Frau eines Namensvetters und der Erschaffung neuen Lebens. “The Dude abides”, erklärt er lakonisch und wie der Stranger meint: “It’s good knowin’ he’s out there. The Dude”.
(Chad Feldheimer, Burn After Reading)
Sie zählen zu den Größen in Hollywood – nicht zuletzt aufgrund vier Oscarauszeichnungen bei insgesamt 13 Academy Award-Nominierungen. Die beiden Brüder Joel und Ethan Coen drehen seit fast drei Jahrzehnten Filme und hinterließen eine Handvoll Meisterwerke und eine noch größere Zahl an unvergesslichen Figuren. Es lässt sich vermutlich darüber streiten, dass viele Geschichten nur so gut sind wie die Charaktere, die sie bevölkern. Insofern zählen die Gebrüder Coen wohl zur Oberschicht der Traumfabrik, hinterlassen ihre oftmals schrulligen Figuren doch nicht nur aufgrund ihrer irrwitzigen Namen einen bleibenden Eindruck.
Von H.I. McDunnough in der Entführungskomödie Raising Arizona über Handlanger Tic Tac im Noir-Krimi Miller’s Crossing und den suizidalen Magnat Waring Hudsucker in The Hudsucker Proxy bis hin zu Anwalt Freddy Riedenschneider in The Man Who Wasn’t There – kaum eine Figur der Coens ist nicht so verquer wie ihr Name andeutet. Sie alle haben ihre (sehr eigenen) Eigenheiten und ihre unvergessliche Art. In der Regel vergeht kaum ein Coen-Film, ohne dass man zumindest eine seiner Figuren über Jahre hinweg im Gedächtnis behält. Was sich neben ihren Namen nicht zuletzt auch ihrer Ikonenhaften Inszenierung verdankt.
Sei es der so verschwitzte wie schmierige M. Emmet Walsh als Loren Visser in Blood Simple., Motorradkopfgeldjäger Leonard Smalls (Randall ‘Tex’ Cobb) in Raising Arizona, Michael Badaluccos Darstellung von George ‘Baby Face’ Nelson in O Brother, Where Art Thou? oder John Goodmans höllisches Finale als Charlie ‘Madman Mundt’ Meadows in Barton Fink. Unverwechselbar mögen die Figuren aufgrund ihrer Erscheinung sein, wie Tom Hanks’ räuberischer Professor G.H. Dorr in The Ladykillers, oder semantischen Wiederholung. Gerade die Wiederkehr von Phrasen, aber auch der Namen der Charaktere durchziehen das Werk der Coens.
So verspricht der private Ermittler Gus Petch (Cedrick the Entertainer) in Intolerable Cruelty wiederholt “I’ll nail his ass!” und Tim Robbins verkauft seine Idee der Hulla-Hoop-Reifen als Norville Barnes in The Hudsucker Proxy mit der Erklärung: “You know, for kids”. In dem Krimi Miller’s Crossing fragen die Figuren unentwegt “What’s the ruckus?” und die alte Dame Marva Munson (Irma P. Hall) lamentiert in The Ladykillers die “hippity hop”-Textzeile “I left my wallet in El Segundo” der Formation A Tribe Called Quest. “I could tell you some stories…”, versichert Charlie Meadows in Barton Fink und lässt dann doch lieber Taten sprechen.
Die Liebe zu ihren Charakteren zieht sich bis in die Nebenfiguren, sei es Dan Hedayas betrogener Clubbesitzer Marty in Blood Simple. oder Michael Lerners Studioboss Jack Lipnick in Barton Fink. Sogar die unwichtigsten Figuren wie Blood Simple.’s Barmann Meurice, der um $20 betrogenen Schüler Fagle in A Serious Man oder Heinz, Baron Krauss von Espy in Intolerable Cruelty wachsen einem in der Kürze ihrer Leinwandzeit ans Herz. Angesichts des Portfolios von Joel und Ethan Coen erklärt sich, was sie an Romanfiguren wie Rooster Cogburn in True Grit ebenso wie an den Charakteren in Cormac McCarthys No Country for Old Men interessierte.
In Letzterem erscheint die Beziehung zwischen Tommy Lee Jones’ Sheriff Ed Tom Bell und Garret Dillahunts Deputy Wendell als ein Spiegelbild zum Arbeitsverhältnis von Frances McDormands Marge Gunderson und Deputy Lou in Fargo. Da sowohl No Country for Old Men als auch True Grit direkte Romanadaptionen sind, bleiben ihre Figuren für diese Top 5 außen vor. Die Wahl der fünf finalen Figuren ist bei diesem Sammelsurium an Charakteren natürlich mehr als subjektiv und willkürlich, ließe sich doch zu fast jedem Film der Brüder eine entsprechende eigene Liste erstellen. Meine fünf liebsten Charaktere der Coen-Filmografie sind daher wie folgt:
5. Harry Pfarrer in Burn After Reading: Als untreuer ehemaliger Personenschützer des Finanzministeriums schloss George Clooney seine informelle „Idioten“-Trilogie für die Coens ab. Sein affiner Jogger Harry Pfarrer (“Maybe I can get a run in”) ist neben Brad Pitts Chad Feldheimer der Trumpf dieser Spionage-Komödie, in deren Verlauf sich der charmante Ehebrecher mehr und mehr in seiner Paranoia verliert (“Who the fuck do you work for, you fucker?”), ehe er sich nach Venezuela abzusetzen versucht.
4. Marge Gunderson in Fargo: Passend, dass die herausforderndste Szene für Frances McDormands im siebten Monat schwangere Polizei-Chefin in dieser Krimi-Komödie das Treffen mit einem alten Schulverehrer ist. Egal ob drei Tote auf der Schnellstraße oder das Entsorgen einer Leiche im Schredder – nichts bringt Marge Gunderson aus der Fassung. Vielmehr stoßen die verübten Verbrechen bei ihr bloß auf Verwunderung: “Here ya are and it’s a beautiful day. Well. I just don’t understand it”.
3. Walter Sobchak in The Big Lebowski: Mit demnächst sechs Filmen zählt John Goodman zum Stammpersonal der Coens. Sein zum jüdischen Glauben konvertierter Vietnam-Veteran Walter Sobchak ist dabei fraglos sein Magnus opum. Egal ob es um das Übertreten buchstäblicher Linien (“This is not ’Nam. This is bowling. There are rules.”), Lösegeldübergaben oder das Beschaffen kleiner Zehen geht, der leicht soziopathisch veranlagte Walter zeigt uns hier “what happens when you fuck a stranger in the ass”.
2. Johnny Caspar in Miller’s Crossing: Auch Jon Polito arbeitete mit den Brüdern mehrmals zusammen, am eindrücklichsten wohl als Unterweltboss mit ethischem Anspruch. Dieser verbietet es ihm auch, Gabriel Byrnes Figur nach einem Abkommen zu hintergehen: “You double-cross once – where’s it all end? An interesting ethical question”. Johnny Caspar ist eine Figur mit Rückgrat und Werten, die man lieber nicht herablassend behandelt (“What is this, the high hat?”) oder ihr sagt, man habe es gleich gewusst.
1. The Dude in The Big Lebowski: Doch es kann nur einen geben und wer könnte dies auch anderes sein als Jeff Bridges’ König der Slacker? Hineingezogen in eine Krimigeschichte à la Raymond Chandler verliert sich der dem White Russian verfallene Dude in der Suche nach seinem Teppich (“That rug really tied the room together.”) sowie der Frau eines Namensvetters und der Erschaffung neuen Lebens. “The Dude abides”, erklärt er lakonisch und wie der Stranger meint: “It’s good knowin’ he’s out there. The Dude”.
Der Dude auf Platz 1. Das hätte auch gar nicht anders sein können. Ansonsten hätte ich mir schwer getan, ist doch nahezu jeder Coen-Charakter ein Unikat, der aus der Masse heraussticht. Marge Gunderson hätte ich wohl höher eingestuft und grundsätzlich andere Charaktere mit in die Top 5 genommen - auf jeden Fall ein äußerst vergnüglich zu lesender Eintrag!
AntwortenLöschenIch sprach es ja auch im Text an, die Wahl ist schwer bei so vielen herrlichen Figuren.
LöschenDu kannst deine persönliche Top 5 auch gerne mit mir/uns/der Welt teilen - das ist gerade in dieser Rubrik hier immer gern gesehen (und selten ausgeübt). :)
Kann mit den Top 5 leben. Allerdings, finde ich, hätte das lebendig gewordene Würstchen Jerry Lundegaard sicherlich auch einen Ehrenplatz verdient.
AntwortenLöschenNa, wenn der Coen-Fan Jochen mit der Liste leben kann, hab ich so viel wohl dieses Mal nicht falsch gemacht :)
LöschenSehr schöne Liste und auch schön, dass es Harry Pfarrer hineingeschafft hat - doch wenn nicht er, hätte es ja zumindest der Chad sein müssen. Da ich aber leider nur sieben Filme der Brüder kenne, kann ich mir unmöglich anmaßen eine eigene Liste anzufertigen.
AntwortenLöschenIch muss wirklich nochmal The Big Lebowski schauen, wie es aussieht.
AntwortenLöschenAber freut mich, dass es Harry Pfarrer geschafft hat, ein wunderbar verrückter Charakter :)