10. September 2010

Heavy Rain

You should be careful not to over-indulge in 'you-know-what'.

Es lässt sich schwerlich abstreiten: Serienmörder üben eine gewisse Faszination auf die menschliche Gesellschaft aus. Noch heute wird darüber spekuliert, wer sich hinter Jack the Ripper verbarg - jenem Schlitzer des Londoner East Ends von 1888. Er wurde Mitte des 20. Jahrhunderts zum Ermittlungsobjekt zweier Sherlock Holmes-Filme und schließlich auch zentrales Handlungselement in Alan Moores Comic From Hell. Sein US-Pendant findet er im Zodiac-Killer, der zwischen Dezember 1968 und Oktober 1969 fünf Menschen im Großraum San Franciscos ermordete. David Fincher bannte die Faszination über den Mythos dieses Serienmörders in Zodiac auf Zelluloid. Filme wie Natural Born Killers greifen das fast schon perverse Interesse der Bevölkerung und insbesondere der Medien am Serienmörder weiter auf. Umso konsequenter also, dass es diese speziellen Kriminellen auch schon längst in die Welt der Videospiele geschafft haben. Mit Heavy Rain brachte Quantic Dream dieses Jahr nun ein interaktives Drama um einen solchen Serienmörder heraus.

Und wenn man bei Quantic Dream etwas macht, dann macht man es wohl gleich richtig. Denn Drehbuch und Regie zu Heavy Rain stammen von niemand Geringerem als David Cage, seines Zeichens Gründer und Firmenboss von Quantic Dream. Mit Heavy Rain folgt der französische Videospielentwickler den letztes Jahr hinterlassenen Fußstapfen von Naughty Dogs Uncharted 2: Among Thieves, verdient sich doch auch Heavy Rain das Prädikat, ein cineastischer Spielspaß zu sein. Weltweit eine Million verkaufter Exemplare des PS3-Spieles gingen über die Ladentheken und Lob fiel auch von Kritikerseite nicht gering aus. Der Serienmörder um den es in Cages Spiel geht, ist der Origami-Killer. Ein Kindermörder, der stets im Herbst zur Tat schreitet, wenn er Jungen im Alter von 10-12 Jahre entführt, um sie in einem Abwasserkanal durch den herrschenden Starkregen ertrinken zu lassen. Die Leichen selbst werden später irgendwo in Philadelphia, PA mit einer Orchidee und Origami-Figur versehen in der Nähe von Bahngleisen abgesetzt.

Zu Beginn des Spieles lernt der Spieler den Familienvater Ethan Mars (Pascal Langsdale) kennen. Nach einem Ausflug in das örtliche Einkaufszentrum kommt diesem sein ältester Sohn Jason abhanden und stirbt kurz darauf bei einem Autounfall. Ein Erlebnis, welches die Familie auseinanderreißt. Ethans Ehe geht in die Binsen und die Beziehung zu seinem anderen Sohn Shaun ist gestört. Als dieser bei einem Spielplatzausflug von dem Origami-Killer entführt wird, muss Ethan fortan nicht nur seine Liebe für seinen Sohn unter Beweis stellen, sondern auch, dass es sich bei dem unter Blackouts leidenden Vater nicht selbst um den gesuchten Serienmörder handelt. Per Schnitzeljagd wird Ethan dabei in bester Saw-Manier genötigt, sein eigenes Leib und Wohl mehrfach als Liebesbeweis in Gefahr zu bringen. Unerwartet erhält er hierbei Unterstützung durch die Journalistin Madison Paige (Judi Beecher), während der Privatdetektiv Scott Shelby (Sam Douglas) und der FBI-Profiler Norman Jayden (Leon Ockenden) separat ermitteln.

In seiner Erzählstruktur wechseln sich nun diese vier Protagonisten nacheinander ab - zumindest so lange, bis eine von ihnen stirbt. Denn das ist vielleicht das herausragende Merkmal von Heavy Rain: Wenn die Spielfigur(en) sterben, wird der Bildschirm noch lange nicht schwarz und verkündet das „Game Over“. Solange zumindest eine der Figuren am Leben bleibt, läuft auch das Spiel weiter - allerdings in anderer Form. Womit sich Heavy Rain rühmt, ist, dass jede Entscheidung des Spielers einen Einfluss auf das Spielgeschehen hat. Sagt die Figur in der einen Szene „yes“ statt „no“, kann sie kurz darauf ihrem Tod ins Auge blicken. Andere Szenen bieten die Möglichkeit zu einem Techtelmechtel, welches die Handlung an der hier gegebenen Gabelung in eine neue Richtung führt. Geht es nach David Cage, so sollte jeder Spieler Heavy Rain nur ein Mal spielen - ohne die einzelnen Kapitel zu wiederholen. Nur so sei das einmalige Erlebnis einer individuellen Geschichte gewährleistet. Denn auch im Leben haben Entscheidungen Konsequenzen.

Dementsprechend verloren unter meinem ersten Spieldurchgang sowohl Madison als auch Jayden ihr Leben und auch den verbliebenen Figuren war nicht unbedingt ein Happy End beschert. Es führen in Heavy Rain also viele unterschiedliche Wege nach Rom und wenn der Spieler in der Tat damit lebt, dass er das Leben einer der primären oder sekundären Figuren verliert, dann kann er sich sicher sein, dass die Geschichte, die er präsentiert bekommt, wirklich auf gewisse Weise seine Geschichte ist. Dabei ist dem Spieler nicht unendliche Freiheit gegeben, die meisten Szenen haben nur einen Ausgang - lediglich die Wege zu diesem lassen sich variieren. Der Anreiz liegt vielmehr darin, den Figuren einen eigenen Touch zu verleihen. Lässt man den verzweifelten Vater mit der heißen Photographin ins Bett steigen oder orientiert man sich an der Stimmung des Momentes, der eigentlich keinen Platz für Erotik lässt? Andere Szenen geben zudem die Möglichkeit in bester, lüsterner Gamer-Manier, Madison nackte Tatsachen zeigen zu lassen.

Erfreulicherweise geht es in Heavy Rain weniger ums Ballern und auch nicht sonderlich darum, Rätsel zu lösen (dafür hat Jayden sein forensisches Programm ARI), sondern mehr um die Geschichte als solche. Was das Spiel sogar mehr noch als zuvor Uncharted 2 zu einem zockbaren Kinofilm macht. Jeder Spieler kann entscheiden, welche Art Held Ethan sein soll in dieser Geschichte. Jemand, der andere Menschen verletzt, um seinen Sohn zu retten? Der seine eigene Gesundheit schädigt, um an Informationen zu gelangen? Und auch die übrigen Figuren dürfen derartige Entscheidungen treffen. Unterstützt FBI-Agent Jayden den rabiaten Kurs seines Polizeikollegen Blake oder gibt er den guten Cop? Zwar verstrickt sich das Spiel bei dieser Entscheidungsfreiheit bisweilen in charakterliche Widersprüche, diese scheinen jedoch mit Abstrichen nötig, um das Finale des Games zu gewährleisten. So spannend und packend Heavy Rain auch ausfällt, bricht das Ende mit seiner schlussendlichen Enthüllung des Origami-Killers aber ein wenig ein.

Vielleicht wäre ein anonymer Killer à la Jack the Ripper oder der Zodiac-Killer auch in diesem Fall besser gewesen, eventuell wollte sich Cage jedoch auch Spekulationen um eine Fortsetzung ersparen (die es nicht geben wird). Die Effekte des Spiels sind beeindruckend (gerade der ständige Regen untermauert das Noir-Element), die versuchte Authentizität (selbst wenn die Figuren etwas Trinken wollen, muss dies mit dem Controller koordiniert werden) trägt zur Atmosphäre bei. Auch die teils schwermütige, aber prinzipiell schöne Musik passt sich dieser melodramatischen Stimmung an. So einfach das Gameplay zwar zu bedienen ist (welche Tasten zu drücken sind, wird angezeigt), kann man es im Eifer des Gefechtes (was ruhig sprichwörtlich zu nehmen ist), etwas aus den Augen verlieren - was dann zum Tod der Figuren führen kann. In seiner Summe ist Heavy Rain daher ein aus der Masse heraus ragendes Spiel, das seiner Intention, ein einmaliges Erlebnis für den Spieler darzustellen, die meiste Zeit durchaus gerecht wird.

8/10

2 Kommentare:

  1. Schön, dass du Heavy Rain hier Raum gibst. Es war nebst Uncharted 2 mein Kaufgrund Nummer 1 für die PS3 (zumal ich riesiger Fan des Quasi-Vorgängers Fahrenheit bin) und hat mich nicht enttäsucht. Habe dazu auf GamersGlobal auch eine Kolumne geschrieben: http://www.gamersglobal.de/meinung/heavy-neuland

    Aber: Die Auflösung des Killers ist wirklich eher enttäuschend. Zumal uns in mindestens zwei Szenen vorgegaukelt wird, dass der, der der Mörder ist, gar nicht der Mörder sein kann.

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  2. Ja, der "Twist" ist sehr bemüht am Ende und nicht zwingend schlüssig charakterlich ausgearbeitet. Aber dennoch ist HEAVY RAIN nebst dem von dir erwähnten UNCHARTED 2 ganz großes Kino (fast sprichwörtlich) auf der PS3. Abgesehen von HALO und STAR WARS: KOTOR find ich auch wenig Anreize für eine XBOX.

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