27. Juli 2018

Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb

You’re gonna have to answer to the Coca-Cola company.

Heutzutage kann man sich im Grunde nicht vorstellen, dass es gefühlt jeden Moment zum nuklearen Holocaust kommen könnte. Während des Kalten Krieges zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion war dies schon anders; ganz besonders natürlich in der knapp zwei Wochen währenden Kubakrise im Oktober 1962. Eigentlich kein Thema, um darüber zu lachen – so sollte man meinen. Regisseur Stanley Kubrick sah dies seiner Zeit allerdings ein wenig anders, als er seine ursprünglich als Thriller konzipierte Adaption von Peter Georges Roman Red Alert über einen drohenden Krieg zwischen beiden Nuklearmächten ins Absurde verdrehte. Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb war das Ergebnis.

Ungeachtet seines Komödien-Genres war der Film über weite Strecken relativ authentisch gehalten – selbst wenn die Produzenten eingangs eine Texttafel integrierten, um auf die Fiktionalität des Gezeigten hinzuweisen. Ausgangspunkt der Handlung ist die Aktivierung des Wing Attack Plan R durch General Jack D. Ripper (Sterling Hayden). Im paranoiden Wahn vor sowjetischen Einflüssen auf die US-amerikanische Gesellschaft setzt er sich über die Befehlskette hinweg und instruiert die sich in der Luft befindlichen B-52 Bomber zum Gegenschlag auf die UdSSR. Darunter das Kommando von Major ‘King’ Kong (Slim Pickens). Der Gegen- ist dabei ein Präventivschlag – was die Weltvernichtungsmaschine der Sowjets aktivieren würde.

Die Hybris der Figur von Ripper ist es, die ein Untergangsszenario beschwört. Eben auch durch die Ironie, dass die Amerikaner nichts vom automatisierten sowjetischen Gegenschlag wussten. “Of course, the whole point of a Doomsday Machine is lost, if you keep it a secret!”, moniert später auch Dr. Strangelove (Peter Sellers) gegenüber dem sowjetischen Botschafter Alexi de Sadesky (Peter Bull). Zu dem Zeitpunkt sind die Figuren bereits Spielbälle eines Vorgangs, den sie kaum mehr beeinflussen können – ähnlich wie ihn John Badham 1982 für seinen Film WarGames kopieren sollte. In jenem Film weigert sich zu Beginn ein Soldat, zum nuklearen Gegenschlag auszuholen, der wie sich anschließend herausstellt, auch unbegründet gewesen wäre.

George C. Scott als bedepperter General Turgidson gibt sich angesichts vorhandener Umstände opportun. Wenn Wing Attack Plan R schon in Aktion ist, warum dann nicht gleich ganz All In gehen – um bei dem Bild zu bleiben, das Kubrick mit dem Poker-Tisch im War Room kreiert. Ein großflächiger umfassender Angriff würde den Sieg bringen, bei verhältnismäßig moderaten zivilen Verlusten um die 20 Millionen Menschen. Für US-Präsident Merkin Muffley (Peter Sellers) aber keine echte Option, will er nicht als größer Massenmörder seit Adolf Hitler in die Geschichte eingehen. “Perhaps it might be better, Mr. President, if you were more concerned with the American people than with your image in the history books”, mahnt Turgidson.

Ein Dialog, der in Hinblick auf die Trump-Administration nun praktisch seiner Zeit voraus wirkt. Figuren wie Turgidson und Ripper vertreten einen “America first”-Anspruch, während Muffley und der in Rippers Militärstützpunkt als britischer Liaison fungierende britische RAF-Captain Lionel Mandrake (Peter Sellers) die Stimme der Vernunft repräsentieren. Dr. Strangelove hat somit den Zwiespalt eines Gegen- und eines Miteinander zum Thema. Kubrick persifliert den Wettrüstungsgedanken, der den Ursprung der Doomsday Machine markiert, dabei auch in der vielleicht humorvollsten Szene des Films: jenem teils von Sellers improvisierten informierendenTelefonanruf von Präsident Muffley an seinen Gegenüber, den russischen Premier.

Der Humor der Szene wirkt dem relativ informellen Gesprächston inne (“Do you suppose you could turn the music down just a little?”), obschon das Gespräch der beiden den drohenden Kriegsausbruch abwenden soll. “I am as sorry as you are, Dmitri. Don’t say that you’re more sorry than I am because I am capable of being just as sorry as you are”, setzt Muffley das apologetische Wettrüsten auf sprachlicher Ebene fort. Auch sonst finden sich widersprüchliche Verhaltensweisen im Film. Von den etlichen, ins Gegenteil verkehrten, “Peace is our profession”-Plakaten auf Rippers Militärbasis hin zu Muffleys Tadel, als Turgidson und de Sadesky ob möglicher Spionage aneinandergeraten (“You can’t fight in here! This is the War Room”).

Der drohende Zusammenbruch der menschlichen Gesellschaft ist bei Kubrick zuvorderst ein verbaler. Mandrakes gutes Zureden auf Ripper stößt auf taube Ohren, wie später auch sein Bemühen, den Präsidenten von den Umständen per Telefon zu infomieren. Der angespannte Dialog zwischen USA und UdSSR inmitten des Kalten Krieges und seines nuklearen Wettrüstens führte schließlich zum Bau der Doomsday Machine und die B-52 von Kong ist später per Funk nicht mehr zu erreichen und von ihrem Kurs abzubringen. Dabei hatten die Männer an Bord sowie Kong anfangs noch die Glaubwürdigkeit des Wing Attack Plan R in Zweifel gezogen. Ebenjener Umstand, der in WarGames zu dessen Simulationsprogramm WOPR führen sollte.

“Human beings for Kubrick possess something of the quality of mobile dolls or mannequins (…) Human actions, in his view, are governed by determinations beyond our grasp”, beschreibt der Yale-Dozent und Filmjournalist David Bromwich in seinem Essay The Darkest Room, welcher der Criterion Edition des Films beiliegt, einen der generellen Vorwürfe an Kubricks Regie. Dabei ist dies in Dr. Strangelove nur bedingt so, gerade Mandrake und Muffley sind sehr warm gezeichnete Charaktere, Turgidson und Ripper zwar von ihren Handlungen bestimmt, aber dennoch in all ihrer Lächerlichkeit nachvollziehbar skizziert. Am Ende eint Ripper und die Sowjets mehr, als sie sich eingestehen würden: die Angst vor dem jeweils anderen.

Bemerkenswert ist, dass Kubrick und Bühnengestalter Ken Adam im Prinzip den gesamten Film mit drei Sets gestalten: dem War Room, Rippers Büro und das Innere von Kongs B-52. Was im Umkehrschluss nicht bedeutet, dass hier am Budget gespart wurde, war doch gerade der War Room eine 1.200m² große Bühne mit einer Höhe von elf Metern. Wie Dr. Strangelove zeigt, war aber auch nicht sehr viel mehr nötig, um die Theaterartige Dramaturgie zu inszenieren. Dass der Film so gut funktioniert, verdankt er nicht zuletzt jedoch seinem Drehbuch von Kubrik und Terry Southern sowie dem kongenialen Ensemble, das die Worte und Charaktere der beiden Männer basierend auf Peter Georges Vorlage zum Leben erweckte.

Hochgelobt, wenn auch keine schauspielerische Glanzleistung, war der Dreifachauftritt des am Set improvisierenden Peter Sellers. Seine Besetzung in mehreren Rollen soll nach dem Erfolg von Kubricks Lolita-Verfilmung eine Forderung seitens Columbia Pictures gewesen sein. So nüchtern wie Mandrake und Muffley sind, fällt dann das Spiel von Sellers aus, am meisten Fleisch an den Knochen durfte der Schauspieler für den titelgebenden gelähmten Nazi-Wissenschaftler Dr. Strangelove gepackt haben (“Mein Führer… I can walk!”). Kubrick ließ seinen Star hier quasi als eine Art Proto-Johnny Depp an der langen Leine, was zu herrlichen Momenten wie dem von Sellers für die Figur entwickelten Alien-Hand-Syndrom führte.

Heimlicher Star des Films ist aber im Grunde George C. Scott, den Kubrick in der Regel so viele Einstellungen spielen ließ, bis er ihn an seinem theatralischem Limit hatte. Gerade jene Theatralik ist es jedoch, die Turgidson das Tüpfelchen auf dem i verleiht, als großgewachsener Schulhof-Rowdy in Militäruniform. Der Darsteller selbst soll anfangs mit der Take-Auswahl seines Regisseurs nicht glücklich gewesen sein, ehe er mit der Zeit dann doch ihre Brillanz und Notwendigkeit für den absurden Humor des Films erkannte. Dass Sellers, der ursprünglich auch noch hätte Major King spielen sollen, von dem Part zurücktrat und Kubrick ihn mit dem Rodeo-Reiter Slim Pickens ersetzte, darf im Nachhinein auch als Coup erachtet werden.

„99 Kriegsminister, Streichholz und Benzinkanister, Hielten sich für schlaue Leute“, besang Nena im Jahr 1983 in 99 Luftballons ein ähnliches Szenario über die gegenseitige Auslöschung. Mit dem Ende des Kalten Kriegs und dem Fall der Berliner Mauer schien ein Nuklearer Holocaust jedoch endgültig abgewendet. Ehe US-Präsident Trump zu Jahresbeginn Nordkoreas Diktator Kim Jong-un via Twitter in Turgidson-Manier wissen ließ: “I too have a Nuclear Button, but it is a much bigger & more powerful one than his, and my Button works!” Die Realität scheint das absurde Bild, das Stanley Kubrick 1964 in Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb von der Administration seines Landes zeichnete, eingeholt zu haben.

9.5/10

2 Kommentare:

  1. Eine meiner großen filmischen Lücken. Bin nun einmal wieder motiviert, diese zeitnah zu schließen...

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