2. März 2018

Mute

Did you spit in this?

Fast 30 Jahre hat es gedauert, ehe Martin Scorsese sein Passions-Projekt Silence über Glauben und Zweifel umsetzen konnte. Wirklich gedankt hat es ihm niemand, vielmehr avancierte der Film zu Scorseses größtem Flop in diesem Jahrhundert. Shutter Island blieb bei wichtigen Award-Shows wie den Oscars zwar ebenso außen vor, spielte aber in den USA locker das 18-Fache von Silence ein. Herzblut tut selten gut – das mag sich inzwischen auch Duncan Jones denken. Zwar keine knapp drei Jahrzehnte, aber doch seit fast zehn Jahren, arbeitete der Brite an der Adaption seines Wunschfilms Mute. Lange vergeblich, ehe es zuletzt dann schließlich doch klappte, wenn auch nur für den Streaming-Dienst Netflix. Auch ihm dankt(e) es niemand.

Die Schuld liegt in diesem Fall anders als bei Martin Scorsese wohl zuvorderst am Regisseur selbst. Plan- und leblos wirkt die Geschichte von Mute – genauso wie die Welt, in der sie sich bewegt. Im Berlin der Zukunft spielt sie, nur spielt das wiederum keine wirkliche Rolle. Hier geht dem stummen Barmann Leo (Alexander Skarsgård) seine Freundin und Arbeitskollegin Naadirah (Seyneb Saleh) eines Tages flöten. Als Amish American aufgezogen begibt sich Leo mehr schlecht als recht mittels technologischer Hilfsmittel auf die Suche nach ihr, während der im Berliner Exil lebende US-Militärchirurg Cactus Bill (Paul Rudd) bestrebt ist, sich und seine Tochter mit falschen Dokumenten zurück in die USA zu schleusen.

„Berlin, du kannst so hässlich sein, so dreckig und grau. Du kannst so schön schrecklich sein, deine Nächte fressen mich auf“, sang Peter Fox in seinem Song „Schwarz zu blau“, der im Grunde auch von Mute handeln könnte. Nur dass der Film, abgesehen von etwaig auftretender deutscher Sprache, keinerlei Bezug zu unsere Hauptstadt hat. Ob das jetzt Berlin ist oder vielleicht doch Straßburg bzw. Prag lässt sich nicht sagen. Eben auch, weil Duncan Jones sein Blade Runner-Template über das Setting legt und dieses in die Zukunft verfrachtet. Im Jahr 2525 könnte vermutlich auch Wanne-Eickel so steril im Neonlicht vor sich hin siechen (oder tut es womöglich – ohne der Stadt zu nahe treten zu wollen – sogar schon heute).

Ursprünglich war Mute auch als britischer Gangster-Film angedacht, ehe Jones das Ganze dann nach Japan verlagerte. Damals sollte Ken Watanabe den stummen Mann mit dem Shaker in der Hand mimen. Bevor der überraschende Erfolg für Jones’ Debütwerk Moon bei diesem ein Umdenken initiierte. Woraufhin der Regisseur veranlasste, die Story in die Zukunft zu verlegen, sodass sie im selben filmischen Universum wie Moon spielen kann. Dessen Ende erweist Jones auch in einer Szene hier Referenz, die jedoch kaum mehr als ein Easter Egg darstellt, da sich beide Handlungen nie wirklich auf irgendeine Weise auf Augenhöhe begegnen. Genauso gut könnten auch Blade Runner und Alien im selben Universum spielen.

Hier liegt im Prinzip der Hund begraben, der auf den Namen Mute hört. Selbst wo die Suche von Leo nach Naadirah und Cactus Bills Bestreben, zurück in die Heimat zu gelangen, im Ansatz interessant wären, steht sich die Handlung meist selbst im Weg. Sie beginnt mit einer nutzlosen Rückblende zu Leos Kindheit im The Bourne Identity-Stil und jenem Unfall, der ihm die Stimme raubte. Dass die Figur aber stumm ist oder einen Amish-Hintergrund hat – geschweige denn ein stummer Amish ist – besitzt keinerlei Relevanz für die Geschehnisse. Leo könnte auch jüdischen Glaubens oder Moslem sein, taub statt stumm, seine Biografie definiert ihn nicht, sondern ist bestenfalls Beiwerk. Und markiert nicht die einzige offene Frage.

Was verschlug Cactus Bill einst nach Berlin? Wieso kann er nicht in die USA zurück? Sein Problem erinnert an das von Leonardo DiCaprios Dilemma in Inception, nur erhielt man dort zumindest eine Erklärung für das Exil und den Wunsch der Heimkehr. Generell wirkt Mute oft in seinem Versuch, Hommage zu liefern eher wie ein schlechter Abklatsch. Von dem unausgegorenen Blade Runner-Muster, das eher an eine Folge der Sci-Fi-Serie The Expanse erinnert, über Paul Rudds Aufmachung getreu Elliott Gould als Trapper McIntyre in MASH hin zu Naadirahs blauem Haar, das sich an Kate Winslet aus Eternal Sunshine of the Spotless Mind orientiert. Mute ist weniger Original Song, sondern unausgegorenes Mash-up größerer Hits.

Das könnte man ihm noch verzeihen, wenn die Spezialeffekte nicht so billig daherkämen wie aus einer Folge Dr. Who. Bisweilen wirkt es, als hätten Filmstudenten aus eigener Tasche versucht einen Fan-Film zu Blade Runner – dem von Jones selbsterklärten Vorbild für Mute – gedreht. Der generell billige VOD-Look ist dabei keine Hilfe – und kein Einzelfall für jene Filme, die Netflix als angebliche “Originals” vermarktet (obschon der Dienst sie meist einkauft statt selbst produziert). Ob The Cloverfield Paradox, The Ritual oder nun Mute – keiner dieser Filme des Streaming-Services wirkt visuell sonderlich berauschend und von der Farbpalette her allzu cineastisch. Kein Wunder also wurde ihnen allen am Ende eine Kinoauswertung versagt.

Trostlos gerät auch das Spiel der Darsteller. Alexander Skarsgård wirkt überfordert mit seiner Rolle, die primär über Mimik und Gestik funktioniert. Mit großen Augen stolziert sein Leo da durch die Welt, ohne dass diese sonderlich Empathie erwecken. Paul Rudd wiederum ist schlichtweg fehlbesetzt, auch wenn er sich bemüht, das Bestmögliche aus seiner Figur herauszuholen. Ebenfalls eine Hommage an MASH, wenn auch optisch eher an John Lennon erinnernd, generiert Justin Theroux als pädophiler Kollege von Cactus Bill absurderweise fast noch am ehesten Sympathien. Dominic Monaghan ist auch mit von der Partie, ohne dass sein skurriler Kurzauftritt wirklich viel zur Handlung beizutragen hätte (falls dies jemand überrascht).

Man mag sich gut vorstellen, dass Mute als Neo-Noir-Film ohne all den planlosen Charakter-Schnickschnack funktioniert. Mit entsättigten Bildern oder gleich Schwarzweiß. Dazu andere Schauspieler, während wiederum Robert Sheehan in einer tollen Nebenrolle als Transgender-Kellner an Bord bleiben darf. Der atmosphärische Soundtrack von Clint Mansell ist letztlich noch das Gelungenste an Duncan Jones’ jüngstem Werk, das es ihm nach dem finanziell schwachen – aber dennoch sehr gefälligen – Warcraft schwer machen dürfte, Unterstützung für das nächste Passions-Projekt zu erhalten. Vielleicht lauscht er derweil doch lieber den Song-Zeilen von Peter Fox: „Es wird für mich wohl das Beste sein, ich geh nach Haus’ und schlaf mich aus.“

3/10

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