6. September 2012

Whore’s Glory

Never say never.

Prostitution gilt als ältestes Gewerbe der Menschheit und deckt wohl eine Nachfrage, die nie abebbt. Weltweit soll es rund 40 Millionen Prostituierte geben – das sind mehr als es Einwohner in Australien oder Kanada gibt. Mit 80 Prozent ist ein Großteil von ihnen weiblich und davon wiederum sind drei von vier Mädchen zwischen 13 und 25 Jahren alt. Faktische Daten, die sich auch in Michael Glawoggers Dokumentation Whore’s Glory im Ansatz widerspiegeln, wenn sich der Regisseur der Prostitutionsszene in Thailand, Bangladesch und Mexiko widmet. Für wenig Geld verkaufen junge Frauen dort auf Zeit ihre Körper einer Welt, die von Sex bestimmt zu sein scheint.

In Bangkok berichten sich zwei Prostituierte, dass ihre Freunde ständig Sex haben wollen. Auf der Arbeit sei das Ganze zumindest nach 30 bis 60 Minuten vorbei, „aber Zuhause lassen sie dich nie in Ruhe“, klagt eine. Das Bild vom notgeilen Mann findet sich unentwegt wieder in Glawoggers Film, nirgends mehr als in Bangladesch. Dort besucht der österreichische Regisseur das Hurenviertel von Faridpur, in dem sich mehrere hundert Frauen feilbieten. Eine junge Frau verlangt von einem Freier 200 Taka, was umgerechnet 2 Euro sind. Am Ende wird sie sich mit 50 Taka, also 50 Cent, begnügen müssen. Bei solchen Preisen erklärt sich wohl, dass viele Einwohner nicht nur ein Mal am Tag im Hurenviertel vorbeischauen.

„Ich denke an nichts anderes“, gesteht ein junger Mann. Zugleich ist er sicher, dass das Hurenviertel eine wichtige Rolle in der Gemeinde spielt. Wären die Prostituierten nicht, normale Frauen könnten gar nicht mehr auf die Straße gehen, erzählt er. „Ohne das Hurenviertel würden es die Männer mit Kühen und Ziegen treiben.“ Es herrscht ein reges Treiben in den Gängen des Viertels, wo junge Mädchen versuchen, Männer zum Verweilen zu bewegen oder zumindest zum Versprechen auf eine baldige Rückkehr. „Die Straße ist unsere Zukunft“, sagt eine ältere Prostituierte, die als „Hurenmutter“ inzwischen selbst drei junge Frauen für sich arbeiten lässt.

Teil eines größeren Ganzen sind auch die Frauen in einem so genannten Bangkoker fish tank. Wie in einem Aquarium nehmen sie mit einer Nummer versehen in mehreren Reihen Platz. Die Kunden kommen herein und suchen sich mittels Beratung eine von ihnen aus. Bemerkenswert ist, dass die Prostituierten im Fish Tank weitaus weniger Konkurrenzdenken verspüren als die Kolleginnen in Bangladesch. Wird eine ausgewählt, freuen sich die anderen für sie. Dabei könnten sie selbst den Freier nicht minder gut gebrauchen. Immerhin sind die Damen des Fish Tank mit rund 45 Euro auch mehr als 30 mal so teuer wie die Mädchen in Faridpur.

Statistisch gesehen geht einer aus zehn Männern zu Prostituierten. In China sogar einer aus vier Männern. Ausschlagebend ist dabei die Art und Weise der Befriedigung. Die Freundinnen machen im Bett nicht, was man gerne hätte, beklagt eine Gruppe junger Mexikaner an der Einfahrt zu “La Zona”, einem Hurtenviertel in der mexikanischen Grenzstadt Reynosa. Die Frauen in La Zona „sind nicht so verkrampft“ sagt einer. Die Frauen machen, was der Kunde wünscht – solange der Preis stimmt. Ein Kunde aus Bangkok sieht im Interview plötzlich gar eine verkehrte Welt. „Hier sind wir die Ware für die Frauen“, findet er, „Wir bringen das Geld“.

Passenderweise degradieren die Frauen des Fish Tanks aber durchaus Männer zur Ware, wenn auch nicht ihre Freier. Nach der Arbeit suchen sie oft Clubs mit Animateuren auf, jungen Männern, die ihnen gegen Geld Gesellschaft leisten. In Thailand, dem internationalen Hot Spot der Prostitution, entwickelt sich somit ein Kreislauf aus Lust und Leidenschaft. Zugleich zeigt das Beispiel der Animateure, dass es nicht jedem nur um Sex geht. Viele Männer suchen Prostituierte tatsächlich nur für Gespräche auf, die meisten, um eine Abwechslung zu ihrer Frau zu finden. Ihre Gattinnen wiederum halten dennoch alle Männer in Ehren.

„Diese Mädchen und meine Frau kann man nicht vergleichen“, sagt der eine. „Meine Frau ist eine Partnerin fürs Leben.“ Der andere dagegen versichert: „Meine Frau ist immer noch meine Nummer eins“. Und ein Dritter wirft die These in den Raum, dass ihre Frauen sich ja gerade mit dem Nachbarn amüsieren könnten. Letztlich dreht sich alles um Sex, so sehr sogar, dass Glawogger in Bangkok mehrere Minuten eine Gruppe sich besteigender Hunde filmt. Die Gegensätze seiner drei Handlungsorte in Whore’s Glory sind dabei offensichtlich. Wo in Faridpur Konkurrenzdenken und Trubel herrschen, springt in La Zona eine trostlose Leere ins Auge.

Umso bedauerlicher, dass der Film hier fast 40 Minuten verbringt. Denn der abschließende dritte Akt in Reynosa gerät weitaus weniger faszinierend als die vorangegangenen Episoden in Bangkok und Faridpur. Dennoch ist Whore’s Glory ein beeindruckender Blick in eine Schattenseite unserer Gesellschaft gelungen. In der tatsächlich größtenteils jugendliche Mädchen gezwungen sind, ihre Körper zu verkaufen, um zu existieren. „Als Frau zu überleben ist wirklich schwer“, versichert eine junge Prostituierte in Faridpur und bricht in Tränen aus. „Gibt es keinen anderen Weg für uns Frauen?“ Ob sie an den Ruhm der Hure glaubt, darf bezweifelt werden.

8.5/10

2 Kommentare:

  1. Sehr sehenswerte Dokumentation, danke für den Tipp! : )

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    1. Kein Problem. Schade, dass ich sie erst dieses Jahr gesehen habe, sonst hätte sie es auf meine Jahresliste 2011 geschafft.

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