24. Oktober 2015

Me and Earl and the Dying Girl

Summer...what does that word even mean, right?

Übung macht den Meister – wohl insbesondere dann, wenn man selbst unter Meistern lernt. So wie Regisseur Alfonso Gomez-Rejon, der zuvor Second Unit Director unter anderem bei Babel von Alejandro Gonzáles Iñárritu, Andrew Macdonalds State of Play oder Argo von Ben Affleck war (allesamt Oscarpreisträger), ehe er 2014 mit The Town That Dreaded Sundown sein Debüt feierte. So vergessenswert dieses geraten sein dürfte, so eindrucksvoll bleibt nun seine Romanadaption Me and Earl and the Dying Girl in Erinnerung. Eine Krebs-Dramödie im Mumblecore-Stil, basierend auf dem gleichnamigen Buch von Jesse Andrews, die zu Jahresbeginn einen der begehrten Hauptpreise beim Sundance-Filmfestival einheimsen konnte.

Ähnlich wie in Josh Boones Teenie-Schmonzette The Fault in Our Stars nach dem Roman von John Green erzählt Me and Earl and the Dying Girl im Kern die Geschichte einer Jugendlichen, die an Krebs erkrankt. Nur: Die Hauptfigur ist weniger die an Leukämie erkrankte Rachel (Olivia Cooke), sondern vielmehr der verschlossene Greg (Thomas Mann). Da seine Mutter mit der von Rachel bekannt ist, nötigt sie ihn dazu, Rachel Gesellschaft zu leisten, nachdem diese ihre Diagnose erhalten hat. Etwas, wofür Greg wenig Lust hegt, hat er doch jahrelang seinen Status als Schulhof-Diplomat zementiert, eine “carefully-cultivated invisibility”, die es ihm ermöglichte, zugleich am Schulalltag teilzunehmen, ohne an ihm richtig teilzunehmen.

Aus der widerwilligen Begegnung entwickelt sich schließlich zögerlich eine enge Freundschaft – und damit sogleich eine Ausnahmebeziehung in Gregs Leben. Selbst seinen einzigen Jugendfreund Earl (Ronald Cyler II) bezeichnet dieser lediglich als “co-worker”, drehen die beiden Teenager, die Fans des internationalen Kinos sind, doch persiflierende Hommage-Filme. “Breathe Less”, “The 400 Bros” oder “A Sockwork Orange” beispielsweise. Jene Filme sind es dann, die nach Erwähnung ihrer Existenz durch Earl für Rachel, die fortan während ihrer Chemotherapie der Schule fernbleibt, etwas nötige Ablenkung verschaffen. Und die für Madison (Catherine C. Hughes), einen Schulschwarm von Greg, Anlass für eine Geschenkidee an Rachel sind.

Greg und Earl sollen einen Film explizit für Rachel drehen – etwas, worauf Greg nur bedingt Lust hat. Ihre Filme seien schließlich Mist und sowieso er selbst nur jemand ohne Talent mit dem Gesicht eines Murmeltiers. Hinter Gregs albern-extrovertierter Fassade verbirgt sich eine verlorene Seele. Oder wie es Earl gegenüber Rachel formuliert: “Dude got issues.” Gregs Mutter (Connie Britton) ist enorm vereinnahmend und der Vater (Nick Offerman), ein Soziologieprofessor ohne soziale Kontakte, ein wenig geeignetes Vorbild. Als Stimme der Vernunft taugt höchstens Jon Bernthals Geschichtslehrer Mr. McCarthy (“Respect the reserach!”), selbst wenn im Fall von Greg, wie die meisten Menschen seiner Umwelt merken, guter Rat teuer ist.

Dass die Geschichte weniger um Rachel als um Greg kreist, vernachlässigt Erstere und ihr Schicksal als Folge teils. Wie ihre Krebstherapie ihr zusetzt, nimmt das Publikum zwar nur oberflächlich, aber ausreichend zur Kenntnis. Auch die anderen, etwas dünn gezeichneten Figuren – darunter auch Greg selbst –, vermögen im Kontext des Films ausreichend Luft zum Atmen zu erhalten, um über den Status einer Karikatur hinaus zu kommen. Gomez-Rejon stattet Me and Earl and the Dying Girl vielmehr mit Nuancen aus, die manche Akzente setzen. So wie der aufkommende Alkoholismus von Rachels Mutter (Molly Shannon), die nach dem Weggang des Ehemanns nun auch ihre Tochter und damit irgendwie ihre eigene Identität zu verlieren droht.

Wo The Fault in Our Stars ein kitschiges Beziehungsdrama ist, avanciert Me and Earl and the Dying Earl mehr zum Coming-of-Age-Film. Mittels exzellenter Musik von Brian Eno und Nico Muhly sowie einigen visuellen Vignetten wie Stop-Motion-Szenen oder Greg und Earls „geschwedete“ Amateurfilme sorgen mit dem schrulligen Ensemble für genug Auflockerung. Zwar durchaus ein klassisches Sundance-Feelgood-Produkt entwickelt Alfonso Gomez-Rejons zweiter Film genug Charme, um ungeachtet einiger Klischees zu überzeugen. Fast durchweg komisch und stellenweise berührend entspricht die Geschichte dann durchaus Gregs ironischer Einschätzung zu Beginn des Films: “It was the best of times; it was the worst of times.”

7.5/10

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