18. Dezember 2010

Videocracy

Menomale che Silvio c’é.        

„Italien ist ein verkommenes Land“, sagt einer, der es wissen muss. Fabrizio Corona leitet ein Paparazzi-Unternehmen, sozusagen. Er lässt Prominente photographieren und verkauft ihnen dann die Bilder, damit diese nicht veröffentlicht werden. Ein Vorgehen, das Corona mit der Sagengestalt Robin Hood vergleicht. Von den Reichen nehmen, dann allerdings doch nicht den Armen geben, sondern stattdessen lieber für sich behalten. Ein moderner Robin Hood eben, findet Corona, der sich sowieso an ganz anderen Vorbildern orientiert. Beispielsweise an Scarface, prangt doch das Konterfei von Al Pacino an der Wand. „Eine Spur negativ, aber die Menschen wollen so sein“, zuckt Corona lapidar mit den Schultern, während er sein bananenförmiges Glied mit einer Hautcreme einschmiert.

Fabrizio Corona ist ein mediales Enfant terrible in Italien und saß vor drei Jahren wegen Erpressung 80 Tage im Gefängnis. Daraufhin stieg seine Popularität noch, angeheizt durch Selbstvermarktung. Eine Spur negativ, aber die Menschen wollen das so. Jetzt kriegt er 10.000 Euro, wenn er sich eine Stunde lang in einem Club zeigt. Dann sitzt er auf einem Sofa, legt den Arm um die Person neben sich und blickt gelangweilt in die Digitalkameras. „Ich rede eine Menge Scheiß“, erzählt er hinterher auf der Heimfahrt. „Die Leute achten gar nicht darauf, was ich sage. Die sehen einfach nur den Star.“ Corona zeugt von der Macht, die Bilder über eine Gesellschaft haben können. Videokratie nennt man das. Ein Phänomen, dem sich Erik Gandini in seiner gleichnamigen Dokumentation widmete.

Gandini, von schwedisch-italienischer Abstammung, charakterisiert Italien in Videocracy als „Land, das vom Fernsehen regiert wird“. Und in der Tat dient das Fernsehen für 80 Prozent der Italiener als primäres Informationsmedium. Was wiederum suggeriert, dass wer das Fernsehen kontrolliert, auch das Volk kontrolliert. Wenig verwunderlich also, dass seit jeher ein gewisses Maß an Kritik auf Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi einprasselt, der sich Anfang dieser Woche erst eines Misstrauensvotums im Senat wie Abgeordnetenhaus erwehren musste. Mit drei kommerziellen TV-Sendern, sowie dem staatlichen Fernsehsender RAI unter seiner Fuchtel, kontrolliert Berlusconi gut 90 Prozent der italienischen Fernsehsender. Und damit zu 90 Prozent 80 Prozent seines Volkes.

Ein Umstand, der vor sechs Jahren dazu führte, dass die Organisation „Freedom of the Press“ Italien von einem pressefreien Staat als „teilweise pressefrei“ zurückstufte. Bei „Reporters Sans Frontières“ wird Italien was die Pressefreiheit angeht auf Platz 50 geführt. Damit stehen die Italiener zwar noch vor El Salvador, aber abgeschlagen hinter Surinam, Trinidad und Tobago oder Kap Verde. Dabei widmet Berlusconi immerhin stolze „50 Prozent seiner Zeit“, um aus Italien ein „international glaubwürdiges Land zu machen“, wie Videocracy den Regierungschef an einer Stelle zitiert. Wohin die anderen 50 Prozent vermutlich fließen, lässt sich dagegen in verschiedenen Klatschpressen nachlesen, von seinen unzähligen Partys und Affären bis hin zu Kontakten zur Mafia und anderen Geschichten.

Aber „die Menschen lieben ihn“, weiß Gandinis Film zu berichten. Anders lässt es sich auch nicht erklären, dass sich der Ministerpräsident in seiner dritten Legislaturperiode befindet. „Berlusconi ist (…) ein bedeutender Führer“, erzählt Italiens einflussreichster TV-Agent Lele Mara. Zwar sei der Regierungschef „nicht genau Mussolini“, von dem Mara im Übrigen ein großer Fan ist - er hat sogar ein faschistisches Video auf seinem Handy, welches er stolz mit den Worten „Hübsch, nicht wahr?“ in die Kamera hält -, aber dennoch „eine große Persönlichkeit“. Man kann davon ausgehen, dass Mara und Berlusconi per Du sind. Schließlich hat der TV-Agent „die Macht, aus gewöhnlichen Menschen TV-Stars zu machen“. Und zum TV-Star, so scheint es, wollen die meisten Italiener avancieren.

„Mehr Ruhm heißt mehr Mädchen“, weiß Riccardo, ein 26-jähriger Mechaniker, der davon träumt, als Mischung aus Ricky Martins Gesangstalent und Jean-Claude van Dammes Kampfkunst die Bildschirme (und damit die Herzen Lenden der Frauen) zu erobern. Doch Riccardo, der noch Daheim wohnt und dessen Mutter ihm auf seinen Verabredungen nachspioniert, weiß, dass es für Männer schwer ist, ins Fernsehen zu kommen. Schließlich finden sich dort bevorzugt halbnackte Frauen, so genannte Showgirls oder auch „veline“. Glaubt man Riccardo, dann wollen 80 Prozent der italienischen Frauen eine velina werden, um anschließend einen Fußballer zu heiraten. Das Absurde daran ist, dass dies tatsächlich der natürliche Prozess in der italienischen TV-Landschaft zu sein scheint.

Die veline kommen primär in der Nachrichtensatiresendung „Striscia la notizia“ zum Einsatz, sind Anfang 20 - die Eine blond, die Andere brünett - und dienen als leicht bekleideter optischer Anreiz, unterstützt von einem 30 Sekunden dauernden Tänzchen, dem stracchetto. Für die Rolle einer velina gibt es in Italien ein eigenes Casting - mit großem Andrang. Denn wer eine velina wird oder war, kann es weit schaffen. Ehemalige Showgirls wie Alessia Merz, Giorgia Palmas oder Ilary Blasi sind mit Fußballern liiert. Blasi mit Nationalheld Francesco Totti, Melissa Satta wiederum mit Ex-Nationalstürmer Christian Vieri. Dem haben es die veline besonders angetan, garnierte seine Seite früher Elisabetta Canalis, die inzwischen jedoch zum aktuellen Betthäschen von George Clooney aufgestiegen ist.

Eine Liga weiter oben spielt das Ex-Showgirl Mara Carfagna, die einst beim Berlusconi-Medienunternehmen Mediaset arbeitete und seit 2008 als Ministerin für Gleichstellungsfragen angestellt ist (unglaublich, aber wahr). Wüsste man es nicht besser, man könnte all dies für eine brillante Sitcom aus der hollywoodschen Traumfabrik halten. Betrachtet man es in Videocracy, mutet es doch eher wie ein einziger großer Fremdschämfaktor für eine ganze Nation an. Eine Nation, die als Römisches Reich in der Antike eine unanfechtbare Weltmacht war, und die nun, rund anderthalb Jahrtausende später, Frauen zu halbnackten Püppchen in einer Gesellschaft degradiert, in der Männer noch Macher sind und Showgirls als Trophäen an oft zweitklassige Fußballspieler weitergereicht werden wollen.

So amüsant Gandinis Film inhaltlich auch sein mag, ist Videocracy aus journalistischer Sicht inszenatorisch doch etwas dilettantisch. So schaut gerade Mara in jeder seiner Szenen treudoof in die Kamera, als warte er auf einen Sprechbefehl. Etwas mehr Informationen zur verzweigten Berlusconischen Medienlandschaft und was das nun genau für diese, aber auch für die Demokratie und Meinungsbildung - und damit den eigentlichen Auftrag der Presse - bedeutet, hätte man dann schon integrieren müssen (das Thema „Pressefreiheit“ spricht Gandini erst im Abspann in einer kurzen Einblendung, ohne Nennung der Quelle, an). Damit ist Videocracy von einem journalistischen Standpunkt zwar nur bedingt gelungen, als Realsatire über Italiens Medienlandschaft unterhält er jedoch bestens.

7/10

3 Kommentare:

  1. Schöne Besprechung, habe die "Doku" zwar noch nicht gesehen, aber ich glaub dass muss ich mal nachholen.

    Kleine Bemerkung am Rande: die Mehrzahl von velina ist veline und nicht "velinas" ;-)

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  2. Eine gelungene Besprechung, wenn mir, der ich die Anfänge des deutschen Privatfernsehens, das in eine ähnliche Richtung hätte abdriften können (Leo Kirch etc.), noch miterlebte, der Film auch stärker einfuhr. - Es stimmt aber: Da wäre noch mehr rauszuholen gewesen. Immerhin freut es mich, dass der Film bei Bloggern auf so grosses Interesse stösst.

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  3. Kleine Bemerkung am Rande: die Mehrzahl von velina ist veline und nicht "velinas"

    Oha, danke. Ich als alter Lateiner hab das einfach so konjugiert, wie ich es gelernt hab *g*

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