Es ist die Krux der Psychosomaten: das Verspüren eines Leidens, das von der Seele ausgeht, aber keinen körperlichen Befund anbietet. Seit jeher plagen auch die 25 Jahre alte Chloé (Marine Vacth) abdominale Schmerzen. Die, so versichern ihr die Ärzte, sind jedoch mentalen Ursprungs. Weshalb die junge Frau zu Beginn von François Ozons L’amant double [Der andere Liebhaber] schließlich die Praxis des Psychotherapeuten Paul Meyer (Jérémie Renier) aufsucht. Anstatt dass er sie von ihren Problemen befreit, verfängt sich Chloé stattdessen mehr und mehr in einem sexuell und psychologisch aufgeladenem Knäuel, das sich um Pauls Vergangenheit und familiären Hintergrund rankt. Die Frage stellt sich: Was ist wahr – und was nicht?
Ein Motiv, das sich durch Ozons jüngsten Film zieht, von Chloés Bauchschmerzen hin zu ihrer Wahrnehmung der sich entwickelnden Ereignisse. Nach einigen Sitzungen beendet Paul die Therapie von Chloé, um mit ihr eine Beziehung einzugehen. Die hegt in der Folge Zweifel am Vertrauen zu ihrem Freund, als sie zuerst seinen Pass unter anderem Namen und dann ihn selbst mit einer anderen Frau sieht. Sein Zwilling Louis, wie sich herausstellt, der ebenfalls als Psychotherapeut tätig ist. Aber auch ein Bruder, von dem Paul seiner Freundin nie etwas erzählt hat. Die nimmt fortan bei Louis zuerst Sitzungen wahr, aus denen sich schnell eine sexuelle Affäre entwickelt. Mit der Frage, was die Brüder einst derart entzweit hat.
Das Zwillingsmotiv ist insofern interessant, da es Chloé in ihrer ersten Sitzung mit Paul selbst in den Raum wirft. Sie selbst wünsche sich eine Zwillingsschwester, die sie beschützen könne. Indiz für ein problematisches Familienbild, ist die 25-Jährige doch ein „Unfall“ – so die Worte ihrer Mutter –, der aus einem One-Night-Stand resultierte. Aufgewachsen ist Chloé bei ihren Großeltern, offenkundig ist sie auf der Suche nach Geborgenheit, die ihr lange höchstens ihr Kater Milo schenkt, und die sie nun in Paul zu finden glaubt. Die Hintergründe ihrer sozialen Störung schlüsselt Ozon nicht auf. Die Figur ist anfangs auf der Suche nach Arbeit, war früher einmal Model. Sie sage oft das Falsche, L’amant double liefert aber kein Beispiel hierfür.
Ein soziales Netz scheint Chloé dabei nicht zu besitzen. So sehen wir sie weder im Umfeld eines Freundeskreises, noch die erwähnten Großeltern. Umso stärker ist dadurch der Fokus auf Paul und das Geheimnis um ihn und Louis. Der gibt sich aufgeschlossener als Paul, durchschaut aber schnell den Vorwand, mit dem Chloé erstmals bei ihm aufschlägt. “Lying to seduce is common practice among pretty women”, feixt er. So ähnlich die Zwillinge sind, so verschieden sind sie. Beide zwar herrisch, doch Louis weitaus selbstbewusster und bestimmter. In der Folge befindet sich Chloé den Film hindurch stets außer Kontrolle, wirkt selbst in den Momenten, die sie aktiv bestimmt, eher wie ein Spielball ihres Freundes oder Liebhabers.
Nicht nur deswegen erinnert sie ein wenig an Frauen-Figuren aus Roman Polanskis Filmen der 1960er Jahre wie Repulsion mit Catherine Deneuve oder Rosemary’s Baby mit Mia Farrow. Mit Letzterer teilt sich Marine Vacth zudem das Erscheinungsbild, vom Kurzhaarschnitt hin zu leicht eingefallenen Augen. Auch der verstärkt in L’amant double zu Tage tretende Psycho-Horror und die ihm innewohnende Paranoia erinnern an Polanskis erwähnte Filme, genauso wie an sein Werk The Tenant. Wo sich Ozon zuletzt in Jeune et jolie von Luis Buñuels Belle de jour inspirieren ließ, verzeichnet sein neuer Film somit Ähnlichkeiten mit dem franko-polnischen Regisseur. Dabei ist der Film an sich eine Adaption von Joyce Carol Oates’ Roman Lives of the Twins.
Neben der Handlung und der Atmosphäre arbeitet Ozon gerade zu Beginn mit visuellen Spielereien, um Thema und Stimmung zu verstärken. So blendet er im ersten Bild geschickt von Chloés Vulva zu ihrem Auge über, ihr Weg zu Pauls Praxis führt sie über eine unendlich anmutende Spindeltreppe. Einstellungen, die sich leider im Verlauf nicht durch den Rest des Films ziehen – vielleicht, weil Ozon befürchtete, sie würden zu sehr ablenken. Stattdessen übertragen sich die Zweifel von Chloé auf den Zuschauer. Was ist real, was Traum, was nur Einbildung? Ist die schrullige Nachbarin (Myriam Boyer) mehr, als sie vorgibt? Oder die Mutter (Jacqueline Bisset) einer ehemaligen Freundin und Schulkameradin von Paul und Louis?
Die Geschichte bewegt sich dabei zumeist an der Oberfläche der Ereignisse, wird selten konkret. So soll das Mysterium am Leben erhalten, wenn nicht sogar befeuert werden. Im Vergleich zu einem ähnlichen Film wie Denis Villeneuves Enemy arbeitet Ozon dann aber doch weniger vage per Bildsprache, sondern versucht gegen Ende die Auflösung zwar mit Interpretationsspielraum zu versehen, zugleich aber dennoch mit ausreichend Antworten zu unterfüttern. “When it comes to twins we assume if we know one, we know the other”, sagt Bissets Figur im Film zu Chloé hinsichtlich Paul und Louis. Das Dilemma für Chloé ist, dass sie selbst Paul kaum besser kennt als Louis – zu sehr liegt seine Vergangenheit im Dunkeln.
François Ozon inszeniert seine Geschichte durchweg gekonnt, selbst wenn die schöne Bildsprache zu Beginn keinen roten Faden erhält. Wiedervereint mit Marine Vacth trägt diese den Film überwiegend überzeugend, während es Jérémie Renier etwas vermissen lässt, Paul und Louis geschickter auszuarbeiten (wobei auch dies die Intention Ozons sein könnte). L’amant double erinnert dabei zugleich neben modernen Psycho-Dramen wie Enemy und den Arbeiten Polanskis auch an erotisch aufgeladene Thriller der 1990er Jahre. Die Frage ist, ob der Film mit all seinen Wendungen auch noch Wiederholungssichtungen Stand hält. Im ersten Eindruck jedenfalls stellt er einen weiteren gelungenen Beitrag in François Ozons Filmografie dar.
Ein Motiv, das sich durch Ozons jüngsten Film zieht, von Chloés Bauchschmerzen hin zu ihrer Wahrnehmung der sich entwickelnden Ereignisse. Nach einigen Sitzungen beendet Paul die Therapie von Chloé, um mit ihr eine Beziehung einzugehen. Die hegt in der Folge Zweifel am Vertrauen zu ihrem Freund, als sie zuerst seinen Pass unter anderem Namen und dann ihn selbst mit einer anderen Frau sieht. Sein Zwilling Louis, wie sich herausstellt, der ebenfalls als Psychotherapeut tätig ist. Aber auch ein Bruder, von dem Paul seiner Freundin nie etwas erzählt hat. Die nimmt fortan bei Louis zuerst Sitzungen wahr, aus denen sich schnell eine sexuelle Affäre entwickelt. Mit der Frage, was die Brüder einst derart entzweit hat.
Das Zwillingsmotiv ist insofern interessant, da es Chloé in ihrer ersten Sitzung mit Paul selbst in den Raum wirft. Sie selbst wünsche sich eine Zwillingsschwester, die sie beschützen könne. Indiz für ein problematisches Familienbild, ist die 25-Jährige doch ein „Unfall“ – so die Worte ihrer Mutter –, der aus einem One-Night-Stand resultierte. Aufgewachsen ist Chloé bei ihren Großeltern, offenkundig ist sie auf der Suche nach Geborgenheit, die ihr lange höchstens ihr Kater Milo schenkt, und die sie nun in Paul zu finden glaubt. Die Hintergründe ihrer sozialen Störung schlüsselt Ozon nicht auf. Die Figur ist anfangs auf der Suche nach Arbeit, war früher einmal Model. Sie sage oft das Falsche, L’amant double liefert aber kein Beispiel hierfür.
Ein soziales Netz scheint Chloé dabei nicht zu besitzen. So sehen wir sie weder im Umfeld eines Freundeskreises, noch die erwähnten Großeltern. Umso stärker ist dadurch der Fokus auf Paul und das Geheimnis um ihn und Louis. Der gibt sich aufgeschlossener als Paul, durchschaut aber schnell den Vorwand, mit dem Chloé erstmals bei ihm aufschlägt. “Lying to seduce is common practice among pretty women”, feixt er. So ähnlich die Zwillinge sind, so verschieden sind sie. Beide zwar herrisch, doch Louis weitaus selbstbewusster und bestimmter. In der Folge befindet sich Chloé den Film hindurch stets außer Kontrolle, wirkt selbst in den Momenten, die sie aktiv bestimmt, eher wie ein Spielball ihres Freundes oder Liebhabers.
Nicht nur deswegen erinnert sie ein wenig an Frauen-Figuren aus Roman Polanskis Filmen der 1960er Jahre wie Repulsion mit Catherine Deneuve oder Rosemary’s Baby mit Mia Farrow. Mit Letzterer teilt sich Marine Vacth zudem das Erscheinungsbild, vom Kurzhaarschnitt hin zu leicht eingefallenen Augen. Auch der verstärkt in L’amant double zu Tage tretende Psycho-Horror und die ihm innewohnende Paranoia erinnern an Polanskis erwähnte Filme, genauso wie an sein Werk The Tenant. Wo sich Ozon zuletzt in Jeune et jolie von Luis Buñuels Belle de jour inspirieren ließ, verzeichnet sein neuer Film somit Ähnlichkeiten mit dem franko-polnischen Regisseur. Dabei ist der Film an sich eine Adaption von Joyce Carol Oates’ Roman Lives of the Twins.
Neben der Handlung und der Atmosphäre arbeitet Ozon gerade zu Beginn mit visuellen Spielereien, um Thema und Stimmung zu verstärken. So blendet er im ersten Bild geschickt von Chloés Vulva zu ihrem Auge über, ihr Weg zu Pauls Praxis führt sie über eine unendlich anmutende Spindeltreppe. Einstellungen, die sich leider im Verlauf nicht durch den Rest des Films ziehen – vielleicht, weil Ozon befürchtete, sie würden zu sehr ablenken. Stattdessen übertragen sich die Zweifel von Chloé auf den Zuschauer. Was ist real, was Traum, was nur Einbildung? Ist die schrullige Nachbarin (Myriam Boyer) mehr, als sie vorgibt? Oder die Mutter (Jacqueline Bisset) einer ehemaligen Freundin und Schulkameradin von Paul und Louis?
Die Geschichte bewegt sich dabei zumeist an der Oberfläche der Ereignisse, wird selten konkret. So soll das Mysterium am Leben erhalten, wenn nicht sogar befeuert werden. Im Vergleich zu einem ähnlichen Film wie Denis Villeneuves Enemy arbeitet Ozon dann aber doch weniger vage per Bildsprache, sondern versucht gegen Ende die Auflösung zwar mit Interpretationsspielraum zu versehen, zugleich aber dennoch mit ausreichend Antworten zu unterfüttern. “When it comes to twins we assume if we know one, we know the other”, sagt Bissets Figur im Film zu Chloé hinsichtlich Paul und Louis. Das Dilemma für Chloé ist, dass sie selbst Paul kaum besser kennt als Louis – zu sehr liegt seine Vergangenheit im Dunkeln.
François Ozon inszeniert seine Geschichte durchweg gekonnt, selbst wenn die schöne Bildsprache zu Beginn keinen roten Faden erhält. Wiedervereint mit Marine Vacth trägt diese den Film überwiegend überzeugend, während es Jérémie Renier etwas vermissen lässt, Paul und Louis geschickter auszuarbeiten (wobei auch dies die Intention Ozons sein könnte). L’amant double erinnert dabei zugleich neben modernen Psycho-Dramen wie Enemy und den Arbeiten Polanskis auch an erotisch aufgeladene Thriller der 1990er Jahre. Die Frage ist, ob der Film mit all seinen Wendungen auch noch Wiederholungssichtungen Stand hält. Im ersten Eindruck jedenfalls stellt er einen weiteren gelungenen Beitrag in François Ozons Filmografie dar.
7/10
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