If your life had a face, I would punch it in the balls.
(Scott Pilgrim Gets It Together, p. 149)
Eine Mütze bedeckt seinen Kopf, die Augen fixieren ein Computerspiel. Er ist Mitglied in einer nerdigen Welt. Daran besteht kein Zweifel. Dafür braucht es nicht die deplatziert wirkende Mütze, das Videogame oder die Comic- und Skateboardeinbindungen ins Geschehen. Er teilt sich sein Leben mit einer Frau, die ihm in gewisser Hinsicht nicht unähnlich ist. Beide hängen noch alten Beziehungen hinterher; emotionaler Ballast und fehlende Reife zeichnen sie aus. Sie bevölkern ihre eigene kleine Welt, in der auch mal einem Videospiel gleich Lebensbalken am oberen Bildschirmrand auftauchen oder in Panik aus dem Fenster gesprungen wird. Es ist das Leben von Tim (Simon Pegg) und Daisy (Jessica Hynes), zweier Slacker, die eine WG gründen. Sie entstammen der britischen Sitcom Spaced von Regisseur Edgar Wright. Das Ganze geschah 1999, fünf Jahre ehe der kanadische Comicautor Bryan Lee O’Malley mit Scott Pilgrim für Oni Press eine der Comicreihen des letzten Jahrzehnts entwarf.
Im Juli 2004 erschien Scott Pilgrim’s Precious Little Life, eine Geschichte eines Antihelden, wie er im Buche steht. Die Titelfigur ist ebenjener 23-jährige Scott Pilgrim, der sich gerade zwischen zwei Jobs befindet (lies: arbeitslos ist). Er teilt sich eine Einzimmerwohnung mit dem homosexuellen Wallace Wells, der neben der Wohnung selbst und dem Inventar auch die Lebensmittel bezahlt. O’Malleys Geschichte setzt ein, als Scott seinen Freunden und Bandmitgliedern mitteilt, dass er mit der 17-jährigen Knives Chau eine High Schoolerin dated. Allerdings nur so lange, bis er der aus Amerika nach Toronto zugezogenen Ramona Flowers begegnet - in seinen Träumen. Als er sie schließlich zu einem Rendezvous überzeugt und mit Knives Schluss macht, führt O’Malley schließlich den MacGuffin seiner Geschichte ein: Ramonas sieben Ex-Freunde. Um mit der Amerikanerin zusammen sein zu können, muss Scott ihre Ex-Liebhaber im Kampf bezwingen. Und mit diesen auch Ramonas Bindungsangst.
Scott wirkt wie eine unsympathische Figur, sagt doch selbst seine beste Freundin Kim, dass wenn sein Leben ein Gesicht hätte, sie es schlagen würde. Mit dem geringstmöglichen Aufwand kriegt Scott wenn schon nicht das größtmögliche Ergebnis dann doch eines, das ergiebiger ist als das, was er reinsteckt. Um die finanziellen Dinge kümmert sich Wallace, und Scott hangelt sich von der einen Freundin zur anderen. „You seem really fine doing nothing. It’s like you don’t feel all that bullshit pressure to be successful”, legte Noah Baumbach in Greenberg einer Figur einen Satz in den Mund, der auch auf Scott Pilgrim zutreffen würde. Dabei hat auch Scotts Leben eine Schattenseite, die erst später, speziell in Scott Pilgrim & the Infinite Sadness und Scott Pilgrim’s Finest Hour, beleuchtet wird. Stück für Stück werden die thematischen Schwerpunkte in die locker-flockige Handlung eingestreut. Zwar wird die Geschichte um die sieben Kämpfe strukturiert, diese dann jedoch stets in wenigen Panels abgehakt.
Die eigentliche Geschichte behandelt eine Gruppe von Twens, die versucht, sich im Leben zu recht zu finden. Scott Pilgrim erzählt von Bindungsangst, von emotionalem Ballast, davon, Schlussstriche zu ziehen und nach vorne statt zurück zu blicken. Die Reifeprozesse seiner Figuren stagnieren, neben ihren wöchentlichem Jam Sessions treiben sich manche wie Stephen Stills in einer Restaurantküche rum, andere wie Kim arbeiten in der Videothek oder wie Scotts kleine Schwester Stacey in einem Coffee Shop. Was auf Scotts „berufliche“ Situation zutrifft, lässt sich auf das Leben von ihnen allen münzen. Sie befinden sich nicht zwischen zwei Jobs, sondern zwischen zwei Leben. Mit dem College haben sie abgeschlossen, ihren Platz jedoch noch nicht gefunden. Bindungsängste eben, in der Karriere, wie im Leben. Keine Figur, die bei O’Malley nicht einer oder einem Ex hinterher trauert. Letztlich ist seine gesamte Comicreihe ein Reifeprozess, ein Coming of Age, für alle Figuren, nicht nur für Titelprotagonist Scott.
Ein thematisches Feld, welches Edgar Wright bestens kennt, nicht nur durch Spaced, sondern auch durch dessen geistiges Kind Shaun of the Dead. Tim, Shaun, Scott - sie alle sind zockende Nerds, Slacker, Loser im Verständnis des kapitalistischen Establishments. Und sie alle hängen emotional an einer Frau, egal ob sie Sarah, Liz oder Envy Adams heißt. Somit schien der englische Regisseur prädestiniert zu sein für eine Adaption der in der Szene vielbeachteten und populären Scott Pilgrim-Reihe. Für Wright wiederum stellt das Projekt seinen nächsten Karriereschritt dar - gen Hollywood. Das 12-Millionen-Dollar-Budget von Hot Fuzz verfünffachte sich zu 60 Millionen Dollar für Scott Pilgrim vs. the World. Eine gewagte Investition, die letztlich in einen kreativen Output floß, dem mit einem weltweiten Einspiel von 47 Millionen Dollar kein finanzieller Input folgte. Zu nah war Wrights Adaption an der Vorlage. Und damit zu weit weg, vom Massenkompatiblen Kinopublikum.
Das fängt bereits mit dem Universal-Logo zu Beginn im 8-bit-Format an und setzt sich in den folgenden 110 Minuten fort, in denen sich Wright offensichtlich darin bemüht, Panel für Panel der Vorlage treu zu bleiben. Der Engländer übernimmt die Urinskala als Scott Pilgrim (Michael Cera) aufs Klo geht, er versieht die meisten Geräusche lautmalerisch mit entsprechenden Zuweisungen. Es „dingt“, wenn jemand an der Tür ist oder „ringt“, wenn das Handy klingelt. Und auch Kims (Alison Pill) Drum-Set-Anweisungen werden angezeigt. Wenn der Zuschauer in Scotts und Wallaces (Kieran Culkin) Wohnung eingeführt wird, etikettiert Wright wie O’Malley die Gegenstände nach ihrem Besitzer. Dies alles ist ungemein bemüht und zugleich charmant, wenn die Kämpfe einem Capcom-Spiel gleich kommentiert („Combo!“, „K.O.!“) oder mit Charakterstärken ausgezeichnet werden. Der Film besitzt eine Visualität, die ihn auszeichnet und vereinnahmt, die letztlich aber auch zum Hauptdarsteller mutiert.
Etwa 110 Minuten dauert Scott Pilgrim vs. the World und Wright versucht, alle sechs Bände zu integrieren. Ein Unterfangen, das nur scheitern kann und es auch tut, denn um dem Comic so gerecht zu werden, wie Wright es möchte, langt ihm schlichtweg die Laufzeit nicht. Wird der erste Band quasi 1:1 integriert (wenn auch innerhalb von 15 Minuten rasch abgespult und somit ob seiner Hast zur Last), selektiert Wright anschließend Häppchenweise Elemente und Momente, versucht sie zu einem Konstrukt zu stricken, das zwischen den Kampfszenen aufgezogen wird. Und hier liegt, wie in den meisten Comicverfilmungen, der Fehler. Denn die Kämpfe gegen die sieben Ex-Freunde von Ramona (Mary Elizabeth Winstead) sind an sich belanglos - ein MacGuffin. Dementsprechend hakt sie O’Malley meist sehr schnell ab (so beansprucht der „Kampf“ gegen Lucas Lee im Comic nur wenige Panels), wohingegen sie Wright, sicher auch wegen Lee-Darsteller Chris Evans, auf das Doppelte ausgedehnt.
Was Scott Pilgrim ausgezeichnet hat, sucht man im Film vergebens. Kaum vorhanden ist die Bindungsangst von Ramona, deren Bedeutung bei Wright ohnehin primär die einer Trophäe darstellt. Dementsprechend verlieren auch die Ex-Freunde, speziell Gideon (Jason Schwartzman), an Tiefe, da ihre und Ramonas Geschichte - hier und da als Flashback in ursprünglicher Comic-Form integriert - irgendwann nicht einmal mehr angesprochen wird. Am deutlichsten wird dies im Fall der Katayanagi-Zwillinge (Keita & Shota Saito), denen nicht einmal eine einzige Dialogzeile vergönnt ist, da sie mit Darstellern besetzt wurden, die der englischen Sprache nicht mächtig sind. Somit irgendwie logisch, dass das große Thema des emotionalen Ballastes und des Ziehens von Schlussstrichen auch weitestgehend unter den Tisch gekehrt wird. Das zeigt sich schon daran, dass eine Figur wie Envy Adams (Brie Larson), bei O’Malley mit ihrem eigenen Band (Scott Pilgrim & the Infinite Sadness) ausgestattet, zur Randfigur wird.
Ohnehin spielt in Scott Pilgrim vs. the World niemand eine Rolle, außer Michael Ceras Scott. Insofern Figuren wie Lisa Miller oder Joseph nicht ganz aus der Handlung eliminiert wurden, sind sie wie Kim oder Envy zu Stichwortgebern degradiert. Die Bedeutung der Charaktere, insbesondere für Scott und somit die Handlung, geht verloren. Szenen und Momente werden aus ihrem Zusammenhang gerissen, zum Beispiel dass Todd (Brandon Routh) einst für Ramona ein Loch in den Mond schlug, einzig um einer amüsanten Anekdote Willen. Dass Kim und Scott mal ein Paar waren, ist für Wrights Film unerheblich, da er diesem Handlungsstrang keine Bedeutung schenkt. Wieso er jedoch ebenso angesprochen wird wie die Beziehung von Stephen Stills (Mark Webber) und Julie (Aubrey Plaza), die für den Filmverlauf unerheblich ist, bleibt fraglich. Zudem verabschieden sich nahezu alle Figuren nach dem zweiten Drittel aus unerklärlichen Gründen, ohne dass sie zuvor von Mehrwert waren.
Das Problem von Wrights Scott Pilgrim vs. the World ist in diesem Fall style over substance. Was umso verstörender ist, wenn man bedenkt, dass Wright dasselbe Thema wie hier mit mehr Fürsorge in Spaced umgesetzt hat. Seine Szenenauswahl ist es jedoch, die seinen ersten Hollywood-Film zu keinem kohärenten Ganzen werden lassen will. Denn wenn der Kern einer Geschichte vernachlässigt - oder wie in diesem Fall: ausgelöscht - wird, funktioniert die Geschichte auch trotz allerlei liebe- und detailvoller Optik nur bedingt. So nett und gelungen Szenen wie Crash and the Boys oder die Seinfeld-Hommage (die in diesem Fall originär aber auch sehr langatmig ist) auch sind, entschädigt das nicht für jene wichtigen Szenen, die die Geschichte ausmachen. Oder wie schon bei Zack Snyders Watchmen der Fall: Eine Treue zu den einzelnen Panels entspricht nicht einer Treue zum Comic. Gerade von Watchmen hätte Scott Pilgrim vs. the World viel lernen können. Umso bedauerlicher, dass dies nicht geschah.
In beiden Fällen ging die Rollenbesetzung zum Teil gehörig in die Hose. Zwar wird eine fehlbesetzte Alison Pill als Kim dadurch entschädigt, indem ihre Figur im Film kaum auftaucht, aber dennoch zählt sie wie Aubrey Plaza, Brie Larson, Anna Kendrick, Thomas Jane und insbesondere Michael Cera zu den großen Fehlern von Edgar Wrights Film. Gerade Cera ist mit seiner obligatorischen eingeschüchterten Flüsterstimme plus patentiertem Dackelblick phänomenal an der Figur vorbeibesetzt. Er bleibt über die gesamte Spielzeit Michael Cera (ein Schauspieler, der es wie kein Zweiter in den letzten Jahren versäumt hat, sich weiterzuentwickeln) und avanciert nie zu Scott Pilgrim. Das es auch besser geht, zeigt vor allem Ellen Wong, die als „Scottaholic“ Knives Chau ein Traum ist. Keine andere Person scheint ihren Part so gut verstanden zu haben, wie die 25-jährige Kanadierin. Ihre Darbietung ist neben der visuellen Ästhetik der Höhepunkt eines Filmes, der ansonsten zu selten sein Potential ausschöpft.
Insofern ist Scott Pilgrim vs. the World ein zweischneidiges Schwert. Wrights Bemühungen, sich visuell an der Vorlage zu orientieren, gehen oft auf, obschon sie bisweilen - gerade im überhastet abgespulten ersten Akt - verloren gehen. Zwar sind Ramonas Ex-Liebhaber bis auf die nutzlosen Saitos punktgenau besetzt, allerdings leiden sie größtenteils an ihrem geraubten Hintergrund (nur Matthew Patel und Todd erhalten eine Comic-Flashback-Erläuterung). Der fehlende Hintergrund, der zwar bei Wright gelegentlich impliziert, aber nie gebührend erläutert wird, ist es auch, der allen Figuren - und mit ihnen der Handlung selbst - das Genick bricht. Von O’Malleys eigentlicher Geschichte (commitment, closure, coming of age, emotional baggage) ist in Wrights Film jenseits der Oberfläche nicht mehr viel übrig geblieben. Und das, was es auf die Leinwand geschafft hat (warum auch immer, die Auswahl des Engländers ist selten nachvollziehbar, siehe die Integration von Negascott im Finale), vermag sich nicht wie eine stringente Geschichte anzufühlen.
Die Verfilmung eines Comics stellt somit weiterhin eine diffizile Angelegenheit dar (trotz exzellenter Beispiele wie Hulk oder Bryan Singers X-Men-Filme), von denen Sylvain Whites The Losers zwischen den misslungenen Scott Pilgrim vs. the World, Kick-Ass und Iron Man 2 dieses Jahr sichtbar herausragt. Und wie sich zeigt, scheinen auch die optimalen Voraussetzungen eines Edgar Wright durch Themenverwandte Projekte wie Spaced und Shaun of the Dead nicht auszureichen, um eine Geschichte in ihrem Kern getreu zu adaptieren. Weshalb sich der Brite neben seine Landsleute Matthew Vaughn und Christopher Nolan, sowie die amerikanischen Kollegen Zack Snyder und Jon Favreau einreiht. Vielleicht sollte Wright einfach einen erneuten Blick in O’Malleys Comics werfen, speziell in den finalen Band und auf Kims entscheidenden Rat an Scott: „If you keep forgetting your mistakes, you’ll just keep making them again“.
5.5/10
Endlich mal jemand, der den Film nicht für das genialste Machwerk seit Ewigkeiten hält.
AntwortenLöschenKleiner Hinweis zum letzten Teil: du sagst, Wright hätte speziell in den letzten Band genauer gucken sollen. Der letzte Band wurde meines Wissens nach aber erst nach Drehschluss vollendet.
Der letzte Band wurde meines Wissens nach aber erst nach Drehschluss vollendet.
AntwortenLöschenNaja, die beiden Finals sind ja nicht von ungefähr "identisch", O'Malley wird Wright sicher 1st Hand Infos gegeben haben. Zudem war das auch eher ein Hinweis, sich dieses Mal beim Lesen der Geschichte zu widmen und nicht zu gucken, was sich "cool" in einem Film machen würde. Wright ist ja an sich kein Talentfreier, hat hier hoffentlich nur einen auf Anakin gemacht...