12. März 2009

The Fall

Kaboom.

Klassische Musik wird eingespielt. Dazu präsentieren sich in Zeitlupe abgefilmte Szenen in Schwarzweiß. Irgendwie erweckt dies den Eindruck, man betrachte eine Hugo-Boss-Werbung, die Bilder zumindest wirken durch ihre enorme Ästhetik durchaus einer Werbepause entnommen. Sobald die Anfangscredits von The Fall langsam laufen, gibt einem der erfahrene Werbe- und Musikvideo-Regisseur Tarsem Singh einen ersten Vorgeschmack auf das, was das Publikum in den folgenden zwei Stunden noch erwarten wird. Ein Fest für die Sinne, ein audiovisueller Schmaus. Und während man sich in Tarsems Welt und ihrer Bildgewalt verliert, vergisst man bisweilen beinahe, dass die Handlung mitunter leicht schwächelt. Aber nur beinahe.

Im Los Angeles der 1920er Jahre befindet sich die kleine Alexandria (Catinca Untaru) im Krankenhaus. Sie hat sich den Arm gebrochen als sie beim Orangenpflücken gefallen war. Als eines Tages eine persönliche Nachricht an Alexandrias Lieblingsschwester Evelyn (Justine Waddell) verloren geht, macht sie die Bekanntschaft des scheinbar querschnittsgelähmten Roy (Lee Pace). Auch Roy hat seine augenblickliche Lage einem Sturz zu verdanken. Bei den Dreharbeiten zu einem Hollywoodfilm wollte der gelernte Stuntman seine Freundin beeindrucken, doch ging sein Stunt schief. Seine Beine kann Roy nun nicht mehr benutzen und auch seine Freundin hat unterdessen mit dem Hauptdarsteller des Films (Daniel Caltagirone) angebandelt.

Unzufrieden mit seinem Leben will Roy Suizid verüben. Um an Morphium-Tabletten zu gelangen, versucht er sich Alexandria gefügig zu machen. Er beginnt ihr eine phantastische Geschichte von sechs Gleichgesinnten zu erzählen. Der mysteriöse Blaue Bandit (Lee Pace) und fünf andere Geächtete streben nach Rache am verhassten Gouverneur Odious (Daniel Caltagirone). Immer mehr beginnen sich Alexandria und Roy in ihrer Geschichte zu verlieren. Für seinen zweiten Kinofilm nach The Cell hat sich Singh von dem bulgarischen Film Yo Ho Ho von 1981 inspirieren lassen. Darin ist es ein gelähmter Schauspieler, der einem kleinen Jungen eine Piratengeschichte erzählt, um diesen dadurch für seine persönlichen Pläne einzuspinnen.

Das Original findet insofern eine Referenz, als Roy der kleinen Alexandria zuerst ebenfalls eine Piratengeschichte erzählt, ehe die desinteressiert abwinkt. Wenn man sich fragt, was Tarsem seit The Cell gemacht hat, so ist die Antwort auf diese Frage: The Fall. Vier Jahre lang drehte der Inder weltweit in über 20 Ländern – ein Aufwand, der in jeder Sekunde spürbar ist. Endlose Wüstenlandschaften, eine Insel mit Schmetterlingsförmiger Bucht – Tarsem hat sie für seinen neuesten Film gefunden und mit elegischer Schönheit in diesen integriert. Man mag sich zwar durchaus fragen, wieso der Regisseur einen schwimmenden Elefanten mitten im Pazifik in seine Handlung einbaut, grandios anzusehen ist der Dickhäuter aber allemal.

Am beeindruckendsten ist zudem fraglos die Tatsache, dass Tarsem den Film ohne jegliche computergenerierte Spezialeffekte gedreht hat. Besonders bei der Schmetterlingsbucht oder dem Treppenkomplex erstaunt dies. Leider vermag die Geschichte mit den Bildern nicht immer mitzuhalten. So liebevoll die Beziehung zwischen Roy und Alexandria auch aufgebaut ist, so sehr die Hommage an The Wizard of Oz zu gefallen weiß, zu gezwungen wirken ihre Szenen speziell zum Schluss. Dies kulminiert dann in einem etwas enttäuschenden Finale, in dem die Geschichte innerhalb der Geschichte – selbst wenn sie nie wirklich stringent war – sträflich vernachlässigt wird und das Ende des eigentlichen Films somit zusätzlich aufgesetzt wirkt.

Hier zelebriert Tarsem Style over Substance, womit sich der Kreis zu The Cell schließt. Mit seinem Horrorfilm von 2000 konnte der Inder ebenfalls visuell überzeugen, jedoch auf Kosten der Handlung. Auch in The Fall schenkt Tarsem seinen Figuren wenig Motivation für das, was sie tun. Wenn Alexandria die Anweisungen des Arztes für ihre Mutter nicht wahrheitsgemäß übersetzt, so denkt man sich, dass sie lediglich die Existenz ihrer Familie schützen möchte. Ein wenig mehr Ausbau der Charaktere sowie Handlung hätte nicht geschadet. Aber wie erwähnt, beginnt man meist seine Gedanken zur Geschichte zurückzustellen, wenn Singh die Szenerie wechselt und das Publikum in eine neue, atemberaubend photographierte Kulisse entführt.

8/10

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