30. Januar 2015

The Look of Silence

If you drink blood, you can do anything.

„Nimm ein Butterfly Messer mit“, sagt die Mutter zu dem Sohn. Ein gut gemeinter Ratschlag, wenn in der Nachbarschaft die Mörder des eigenen Bruder leben. In The Look of Silence widmet sich Regisseur Joshua Oppenheimer nochmals den Massakern von 1965/66, als in Indonesien die Diktatur den Massenmord von Mitgliedern und Sympathisanten der Kommunistischen Partei veranlasste, nachdem er in The Act of Killing die Täter von damals ihre Verbrechen hatte nachstellen lassen. „Surreal und pietätlos“, beschrieb ich das damals. „Den Überlebenden jener Massaker sowie den Nachkommen der Getöteten wird die Dokumentation allerdings so nicht gerecht.“ Dies versucht Oppenheimer nun mit seinem Nachfolgefilm.

Zwei Jahre bevor er gezeugt wurde, verloren die Eltern von Adi ihren Sohn Ramli in jenem Massaker. „Kommunisten sind grausam“, lernt Adis Sohn in der Schule. „Es sind alles Lügen“, klärt Adi den Sohn auf. Und macht sich selbst daran, die Wahrheit aus dem Mund der Lügner zu hören. Immer wieder sehen wir Adi, wie er sich auf einem Fernseher Szenen aus The Act of Killing ansieht, in denen die Täter ihren Mord an Ramli beschreiben. Im Verlauf des Films besucht Adi jene Orte, an denen der Bruder, den er nie gekannt hat, sein Martyrium erlitt. Darunter teils mit einem Überlebenden der Massaker. „Ich will mich nicht erinnern“, sagt dieser. „Das würde nur Ärger heraufbeschwören.“ Schließlich leben die Täter weiter unter ihnen.

Wenn sie Ramlis Mördern im Dorf begegnet, sprechen sie nicht miteinander, erzählt Adis Mutter Rohani. Es mache keinen Sinn sich jetzt aufzuregen, zugleich betet sie aber, dass auch „die Kinder und Enkel der Täter büßen werden“ – selbst wenn die mit dem Massaker von damals nichts zu tun haben. Adi wird im letzten Akt der Dokumentation einigen Nachfahren des Mörders seines Bruders gegenübersitzen. Die wiederum wollen nicht mit den Taten ihrer Väter konfrontiert werden. „Das Vergangene ist vergangen“, hört Adi immer wieder. Von den Tätern, ihren Verwandten, aber auch den eigenen. Wie seinem Onkel, der als Gefängniswärter über die Kommunisten wachte, vom Massenmord an diesen jedoch nichts geahnt haben will.

Ähnliches kennst man hinsichtlich deutscher Erlebnisse aus der NS-Zeit. Mitbekommen hat niemand etwas und die, die es taten, hatten keine Wahl. „Keiner fühlt sich verantwortlich“, merkt Adi im Gespräch mit den Tätern, die auf die Regierung oder Befehlskette verweisen. „Einige haben so viele Menschen getötet, dass sie wahnsinnig wurden“, weiß einer der Mörder. Das Einzige was half, war, das Blut der Opfer zu trinken. Salzig und süß sei es gewesen, sinniert der Täter, während Adi ihm konsterniert zuhört. Der titelgebende Blick des Schweigens findet sich unterdessen nicht nur bei Adi – und dem Zuschauer –, sondern auch bei seinen Gesprächspartnern, wenn er ihnen Fragen zu ihren Motiven und Gefühlen bezüglich ihrer Taten stellt.

Das kommt bei den wenigsten gut an. Einer der Mörder echauffiert sich, dass Adi „weitaus tiefgründigere Fragen“ stelle „als Joshua [Oppenheimer] es je getan hat“. Und in der Tat stellt Adi den Tätern all jene Fragen, die sich Oppenheimer in The Act of Killing sparte. Was damals noch irritierte, kriegt nun womöglich eine Erklärung, sieht man, wie Adis Gegenüber immer wieder seine Fragen abblocken. Vielleicht ließ Oppenheimer die Mörder deshalb zuvor einfach drauflos labern, um die ungeschminkte Wahrheit auf Band zu haben, mit der Adi als Basis für die „Fortsetzung“ arbeiten kann. Allerdings haben die Täter wenig Probleme, einem Familienmitglied direkt zu berichten, wie man dessen Verwandten seinerzeit verunstaltet und malträtiert hat.

Insofern macht der Film den Vorgänger fast obsolet, der als Referenz besser funktioniert als für sich betrachtet. The Look of Silence ist das beste zweier Welten: die Berichte der Täter kombiniert mit der Reaktion der Opfer. Entsprechend muss man The Act of Killing nicht gesehen haben, um dieser Dokumentation folgen zu können. So erschütternd das Gezeigte auch ist, weiß Oppenheimer die Stimmung aufzulockern, indem er Adi mit seiner unbeschwerten Tochter zeigt. Sie weiß, ähnlich wie die erwachsene Tochter eines Täters später, scheinbar nichts von den mörderischen Umständen von 1965/66. Doch wenn The Look of Silence uns etwas zeigt, dann, dass das Vergangene nicht vergangen ist – zumindest nicht für die Opfer.

7.5/10

25. Januar 2015

Art and Craft

I always knew they’d find out. Sooner or later.

Die etwas Älteren werden sich noch an den Namen Konrad Kujau erinnern, der 1983 dem Magazin Stern vermeintliche Tagebücher von Adolf Hitler überließ. Diese waren allerdings von Kujau im großen Stil gefälscht worden, was nicht nur den Rücktritt der Stern-Chefredaktion nach sich zog, sondern auch einen Makel für das Magazin als solche. Niemand sitzt gerne einer Fälschung auf, das gilt für journalistische Medien ebenso wie für Museen. Und dennoch schaffte es in den USA ein Mann über drei Jahrzehnte hinweg, 46 Museen in 20 Bundesstaaten gefälschte Bilder unterzujubeln. Nachdem Mark A. Landis vor einigen Jahren damit aufflog, wird er nun für Sam Cullman und Jennifer Grausman zum Objekt ihres Films Art and Craft.

Dass Landis trotz seiner Kunstfälschungen straffrei ausging, verdankte sich der Tatsache, dass er keinen Profit daraus zog. “He’s not in it for the money”, bestätigt Matt Leininger, ein ehemaliger Kurator, der Landis auf den Leim ging. “He likes to see this stuff on display.” Leininger (Bild unten links) ist quasi die zweite Hauptfigur in dieser Dokumentation, derart obsessiv von Landis besessen, dass selbst seine kleine Tochter den Fälscher inzwischen identifizieren kann. In gewisser Weise erinnert Leininger an Robert Graysmith aus David Finchers Zodiac – ein Mann, dessen Leben an einer Obsession zu scheitern droht. Für Leininger zählt nur, Landis’ Handlungen ein Ende zu setzen und andere Museen vor weiterem Schaden zu bewahren.

Mark Landis selbst präsentiert sich in Art and Craft als ziemlich schrulliger Charakter. Im Alter von drei Jahren habe er angefangen, Bilder aus Museumskatalogen in seinem Hotelzimmer nachzumalen, während seine Eltern abends ausgingen. Große Teile seiner Biografie, darunter dass Landis sich mit 17 nach dem Tod seines Vaters wegen Schizophrenie behandeln ließ oder er Kunstkurse besuchte, erwähnen Cullman und Grausman wiederum nicht. Genauso wie sie sich nur oberflächlich dafür interessieren, wie Landis seine Fälschungen vornimmt. Zwar sehen wir ihn, wie er mit gewöhnlichen Buntstiften ein Kruzifix-Bild malt und es anschließend einer Bibliothek als Nachlass einer fiktiven Schwester vermacht, aber tiefer geht der Film nicht.

Dabei wäre es sicherlich interessant zu wissen und zu sehen, inwiefern es Unterschiede macht, ob Landis nun ein Bild von Paul Signac oder René Magritte fälscht und was es ausmacht, einen Brief von Thomas Jefferson nachzumachen. Stattdessen schwenken die Regisseure immer wieder zu Leininger, der praktisch zu Landis’ Nemesis hochstilisiert wird. “That guy is a skilled artist”, erkennt Leininger dabei das Talent von Landis durchaus an. Man merkt, dass es ihm weniger darum geht, Landis aus dem Verkehr zu ziehen als vielmehr sich selbst in gewisser Weise zu rehabilitieren. Etwas weiter ist da Aaron Cowan (Bild unten rechts), ein Galerist aus Cincinnati, der dem Werk und der Person Mark A. Landis mehr mit Interesse begegnet.

Cowan ist es, der für die Filmemacher im Gespräch mit Landis mehr biografischen Hintergrund aus ihm kitzelt. Und der für den dritten Akt der Dokumentation eine Ausstellung mit Landis’ Fälschungen in einer Galerie organisiert. Dort darf dann auch Leininger erneut auftreten, sodass es zur Begegnung zwischen den beiden Personen kommt. Keine wirklich spannende Entwicklung und auch wenn sich Art and Craft thematisch als Double Bill mit Tim’s Vermeer eignet, ist Letzterer der weitaus gelungenere Film, da er Einblicke in die Motivation seines Protagonisten gibt und zugleich aufzeigt, wie dieser in seiner Arbeit vorgeht. Er verfolgt in seinem Film keine banal-gewöhnliche Narration wie es Cullman und Grausman hier versuchen.

Angesichts der Persönlichkeit von Mark Landis und seinem unverkennbaren Talent ist es schade, dass Art and Craft sein Potential nicht vollends ausschöpft. Interessant ist der Film zwar allemal, zusammengehalten von der Schrulligkeit der Hauptfigur, die sich bisweilen auch als Priester verkleidete, um ihre Werke an die Wand zu bringen. Landis’ Bilder-Spenden erachtet ein FBI-Agent als “ego satisfaction” – jenes Ego wäre wichtiger gewesen, in den Vordergrund zu stellen. So ist diese Dokumentation letztlich weniger gelungen als die Werke seiner Hauptfigur. Als Folge werden auch die Älteren wohl in 30 Jahren mit dem Namen Mark A. Landis wenig anzufangen wissen. Ausgenommen vermutlich die Nachfahren von Matt Leininger.

5.5/10

17. Januar 2015

Return to Paradise vs. Brokedown Palace

Für viele Rucksack-Touristen ist Asien der Hotspot schlechthin. Das Leben ist für westliche Verhältnisse nicht sonderlich teuer und zugleich dank Sonne, Strand und Meer paradiesisch. Allerdings liegen in den träumerischen Ländern Fernosts Paradies und Hölle bisweilen nah beieinander. Denn wenn es um Drogen geht, versteht das asiatische Justizsystem meist keinen Spaß. Fälle von Backpackern, die wegen Drogen im Gepäck zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt werden, sind keine Seltenheit. Auch in Hollywood war das Thema Ende der 90er Jahre aktuell, zuerst in Joseph Rubens Return to Paradise (dt. Für das Leben eines Freundes) von 1998, ein Jahr später dann in Jonathan Kaplans Brokedown Palace. Beide Filme liefen wenig erfolgreich.

Im Gegensatz zu A Bug’s Life/Antz oder Snow White & the Huntsman/Mirror, Mirror handelt es sich allerdings nicht um Schwesternfilme. Zwar ähneln sich die Werke von Ruben und Kaplan darin, dass ihre US-amerikanischen Figuren aus Spaßzwecken nach Asien kamen, ehe sie wegen des Besitzes von Drogen ins Gefängnis wandern, dennoch geraten sie in ihrer Struktur unterschiedlich. Während Brokedown Palace seine Figuren als Opfer zeichnet, denen Unrecht getan wurde, gelingt es Return to Paradise, über weite Strecken ein interessantes moralisches Dilemma zu zeichnen, das der Zuschauer auf sich selbst übertragen kann. Aufgrund des ähnlichen Themas sollen beide Filme an dieser Stelle  etwas genauer betrachtet werden.

Return to Paradise [Für das Leben eines Freundes]

It’s like God’s own bathtub.

Manchmal kann eine unbedachte Handlung ein ganzes Leben verändern. “So, the plan was to party till we ran out of cash in Malaysia”, berichtet Vince Vaughns Figur Sheriff zu Beginn von Return to Paradise. “It was a paradise of rum, girls and cheap hash.” Gemeinsam mit seinem Kumpel Tony (David Conrad) lernt Sheriff vor Ort den „Öko“ Lewis (Joaquin Phoenix) kennen. Das Trio verbringt fortan seinen Urlaub gemeinsam, mit Alkohol und Haschisch. Leiht ein Fahrrad und entsorgt es dann einfach im Dschungel, als es nach einem Unfall nicht mehr fahrtauglich ist. Am nächsten Tag verabschieden sich Sheriff und Tony zurück nach New York. Dort erhalten sie zwei Jahre später Besuch von Anwältin Beth (Anne Heche), die um Lewis’ Leben kämpft.

Denn als der Fahrradbesitzer mit der Polizei vorstellig wurde, fanden sie das verbliebene Haschisch der Jungs in Lewis’ Besitz. Vier Gramm über der Toleranzgrenze gilt Lewis nun als Schmuggler. Worauf in Malaysia die Todesstrafe steht. Nachdem alle Einsprüche abgeschmettert wurden, bleibt ihm nur noch eine Woche Zeit. Wenn sich Sheriff und Tony bereit erklären, für jeweils drei Jahre ins Gefängnis zu gehen oder alternativ einer der beiden für sechs Jahre, wird die Todesstrafe für Lewis ausgesetzt. Ein moralisches Dilemma, dem sich die beiden Männern in den Folgetagen stellen müssen. Sind sie bereit, für das Leben eines Freundes das eigene hintenanzustellen und es womöglich sogar im Gefängnis eines fremden Landes zu gefährden?

Es ist diese zentrale Frage, die im Grunde die Handlung von Return to Paradise darstellt. Und auch, wenn der Film bisweilen Tonys Abwägung berücksichtigt, steht Sheriff doch im Mittelpunkt. Im Gegensatz zu Tony, der einen respektableren Job und eine Verlobte (Vera Farmiga) hat, blickt Sheriff auf ein eher nutzloses Leben zurück. Die Wohnung macht wenig her, tagsüber verdingt er sich als Limousinenfahrer. Entsprechend hebt auch sein Vater hervor, dass es eigentlich die sinnigere Entscheidung sei, zurückzugehen. Auch wenn ihm natürlich klar ist, dass Sheriffs Persönlichkeit dies nicht hergibt. “Who’s kiddin’ who?”, meint dessen alter Herr süffisant. Und auch Sheriff betont immer wieder die Schwäche in seinem Charakter.

“It isn’t in me”, gesteht er da an einer Stelle Beth, wie auch vor Jahren bereits ihrem Bruder. In Malaysia hatte Lewis Sheriff gefragt, ob er mit ihm in Borneo Orang-Utans retten wolle. “I don’t have that kind of stuff in me”, lehnte Sheriff den Vorschlag dankend ab. Erst in der Erkenntnis, dass sein Leben in der jetzigen Form kein lebenswertes ist – schon gar nicht, wenn Lewis hierfür sein eigens Leben lassen muss –, setzt bei Sheriff allmählich ein Umdenken ein. Dabei reitet Ruben gar nicht mal so sehr auf der Tatsache herum, dass es Sheriff war, der einerseits das Fahrrad weggeworfen und andererseits Lewis das Haschisch überlassen hat. Von der Schuldfrage her sollte Sheriffs Rückkehr als Hauptverursacher kaum Überwindung kosten.

Zugleich postuliert Return to Paradise die Frage, die sich Sheriff und Tony stellen müssen, auch an sein Publikum. Wie würde der Zuschauer selbst reagieren, wenn das Leben eines Freundes von seiner Entscheidung abhinge? Hier macht es sich der Film im Grunde sogar so leicht, dass Lewis weniger Freund als Urlaubsbekanntschaft ist. Dennoch wird seine Persönlichkeit zumindest für die übrigen Figuren derart etabliert, dass diese ihn als guten Menschen beschreiben. Womöglich als einen besseren als sie selbst es sind. Dass Sheriff und Tony dabei voneinander abhängig sind, ob sie „nur“ drei oder doch sechs Jahre ins malaysische Gefängnis müssen, führt bei der jeweiligen Entscheidungsfindung der beiden zu weiteren Spannungen.

Dennoch winkt der Film teils etwas arg mit dem Zaunpfahl, beispielsweise wenn Sheriff in New York an einem Werbeplakat für Malaysia vorbeiläuft. Auch der Subplot mit Jada Pinkett-Smiths egoistischer und destruktiver Klatschreporterin sowie die etwas unnötig in die Handlung geschriebene Romanze zwischen Sheriff und Beth (die sich obendrein als Lewis’ Schwester entpuppt) ziehen einen von seiner Intention ausgesprochen starken Film etwas herunter. Gerade, da das eigentliche Thema die Wandlung von Sheriff darstellt. “I knew you was coming back”, sagt Lewis da zum Schluss. “Even if you didn’t.” Das hätte trotz der Ereignisse in aller Tragik als „Happy“ End gereicht. Schade, dass der Film dennoch die Abfahrt nach Hollywood nimmt.

6.5/10

Brokedown Palace

No matter how I look at this, you didn’t deserve this.

Der Habitus, nach dem Schulabschluss erstmal um die Welt zu reisen, ist inzwischen Gang und Gäbe. So entschließen sich auch die Freundinnen Alice (Claire Danes) und Darlene (Kate Beckinsale) in Brokedown Palace dazu, nach dem High-School-Abschluss einen kurzen Trip zu unternehmen. Statt nach Hawaii, wie ursprünglich geplant, geht es heimlich doch lieber nach Thailand. “It hat to be amazing”, sagt Alice später. “Memorable.” In Thailand ist das Leben billiger und aufregender, zwischen alten Tempeln und gefälschten Souvenirs. Als sich die Mädchen in ein Luxushotel schleichen und dabei erwischt werden, Cocktails auf Kosten anderer Gäste zu trinken, springt ihnen der nette Australier Nick (Daniel Lapaine) rettend zur Seite.

Wo Return to Paradise das Beziehungsdrama bis zum Schlussakt aufspart, präsentiert es Jonathan Kaplan im ersten Akt. Sowohl Alice als auch Darlene finden Gefallen an Nick, der beide Mädchen zu einem kostenlosen Flug nach Hong Kong einlädt. Beim Einchecken taucht jedoch plötzlich die Polizei auf und findet bei den Amerikanerinnen Heroin im Gepäck. In ihrer Naivität unterschreibt Darlene unwissentlich ein in Thai verfasstes Geständnis, vor Gericht werden sie und Alice daraufhin zu je 33 Jahren Gefängnis verurteilt. Lag ihnen soeben noch ihre ganze Zukunft offen, scheint ihr Leben nunmehr dahin. Die Frage, ob eine von ihnen dabei für Nick die Drogen schmuggelte, stellt Kaplan gar nicht, etabliert lieber die Unschuld der zwei Mädchen.

Seinerzeit schlug Brokedown Palace Wellen, weil sich Hauptdarstellerin Claire Danes negativ über die Philippinen äußerte, wo der Film wegen seiner kritischen Darstellung des thailändischen Justizsystems gedreht wurde. Anschließend wurde sie dort zur Persona non grata ernannt – nicht gerade die beste Werbung. Ein Problemkind ist auch ihre Figur, wie Darlenes Vater später etabliert. Nicht zuletzt war es Alices Idee, statt nach Hawaii gen Asien zu reisen. Wenn also eine der beiden das Heroin in die Tasche gepackt hätte, wäre es wohl unweigerlich Alice gewesen. Insofern ist die Entscheidung, beide als Opfer der Umstände zu zeichnen, nachvollziehbar. “They don’t give a shit in this third world country”, echauffiert sich Alice entsprechend.

Insofern geht Kaplan in seinem Film einen anderen Weg als Kollege Ruben, auch wenn Brokedown Palace am Ende mit Alices Entschluss, beide Haftstrafen abzusitzen und somit ihre Freundin seit Kindestagen in die Freiheit zu entlassen einen ähnlichen Verlauf nimmt. Der wiederum ist selbst jedoch nicht Thema, obschon Alices Entscheidung, statt 33 Jahren 66 Jahre – und damit den Rest ihres Lebens – in dem thailändischen Gefängnis zu verbringen, weitaus dramatischer ist, als Sheriffs Akzeptanz von sechs Jahren (die schlussendlich ohnehin zu sechs Monaten verkürzt werden). Dass den Zuschauer dennoch Sheriffs Entschluss mehr berührt, obschon die Tragweite für Alice größer ist, zeugt vom Scheitern von Brokedown Palace.

Vielmehr ist Kaplans Beitrag ein Drogen-Drama mit Kritik am Justizsystem von Thailand im Speziellen wie Asien im Allgemeinen. Berücksichtigt man beide Filme, erscheinen die Strafen in der Tat übertrieben hart, angesichts dessen, wie leicht und billig die Drogen in den Ländern erhältlich sind. Auch derartige Haftstrafen scheinen sie nicht wirklich von der Straße zu halten. Im Gegensatz zu Return to Paradise (wo vier läppische Gramm den Unterschied zwischen Konsum und Handel ausmachten) ist der Drogenfund bei Alice und Darlene alles andere als ein Kavaliersdelikt, dem man fehlendes Fingerspitzengefühl nachsagen kann. Und das trotzdem wie bei Sheriff, Lewis und Tony am Ende schlicht auf westliche Naivität zurückzuführen ist.

In seiner zweiten Hälfte driftet der Film dann durch die Integration des in Thailand tätigen Anwalts “Yankee” Hank Green (Bill Pullman), der die Verteidigung von Alice und Darlene übernimmt, etwas mehr in Justizdrama-Gefilde, was aber nicht allzu spannend gerät. Auch, weil Nachforschungen zu Nick, die nicht so schwierig sein sollten, im Sand verlaufen. Dass Kaplan den Film von Anfang bis Ende mit Pop-Gedudel der Marke PJ Harvey unterlegt, sollte ihn wohl der MTV-Generation nahebringen, lässt ihn jedoch eher fiktionaler erscheinen, als seine Geschichte eigentlich ist. Wo sich Return to Paradise letztlich also trotz seiner guten Prämisse zu sehr Hollywood-Klischees bedient, ist Brokedown Palace nicht mehr als ein ebensolches.

4.5/10

12. Januar 2015

Saga – Volume Four

Are you lady folk?

Eigentlich sollte es in heutigen Zeiten kein Problem sein, mit mehrmonatigen Pausen in Unterhaltungsmedien klarzukommen. Da liegen zwischen den Finals und Starts von Serienstaffelfn vier bis fünf Monate und zwischen Teil X und Y von Hunger Games bis Hobbitses in der Regel gar ein Jahr. Irgendwo dazwischen lag mit neun Monaten die Wartezeit für Volume Four von Brian K. Vaughans und Fiona Staples Geniestreich Saga. Klar, einzelne Ausgaben gab es dazwischen, aber das macht das Warten auch nicht leichter. Und die neuesten Entwicklungen im Leben von Vaughans und Staples Figuren in einem Rutsch zu verfolgen, ist doch gleich viel intensiver und befriedigender. Erneut halten die Macher für die Leser einige Überraschungen bereit.

Wie der erste Band beginnt auch der vierte mit einer Geburt – in diesem Fall der des Sohns von Prince Robot IV. Der wird immer noch von der königlichen Familie vermisst, verlustiert sich derweil unter einer Amnesie leidend auf Sextillion. Alana, Marko und Hazel haben nun wiederum Unterschlupf auf Gardenia gefunden, einem entfernt ihre Heimatplaneten Landfall und Wreath umkreisenden Trabanten. Während Marko sich um die Erziehung seiner inzwischen sehr vitalen Tochter kümmert, schlägt sich Alana mehr schlecht als recht als Soap-Darstellerin im Piratensender Open Circuit durch. Und versucht die Monotonie ihres Schaffens bald mit Drogen zu betäuben. Ein Umstand, der zu Spannungen zwischen ihr und ihrem Ehemann führt.

Bereits zum Ende des 19. Kapitels – also des ersten des vierten Bands – hält Vaughan einen der für Saga nicht ungewöhnlichen unerwarteten Schläge in die Magengrube bereit. Wenn auch einer, der sich vier Kapitel später als etwas anders darstellt wie erwartet. Aber auch später beweist Vaughan, dass er seine kompromisslose Linie, die schon im ersten Band für überraschende Wendungen sorgte, durchaus gewillt ist, beizubehalten. Von einer heilen Welt ist in Saga keine Spur und auch wenn die Situation für unsere Familie auf Gardenia alltäglich erscheint, ist sie dies – spätestens zum Ende des Bandes – alles andere als das. Vielmehr werden die Karten neu gemischt, nachdem ein weiterer, unberechenbarer Spieler zum Deck gestoßen ist.

Dieses Mal verbringen die Leser weniger Zeit mit Gwendolyn, Sophie und Lying Cat und auch das homosexuelle Reporter-Duo Upsher und Doff bleibt meist außen vor, dafür gibt es einen tieferen Einblick in das Königreich der Roboter. War in den vorherigen Bänden nicht ganz klar, wieso die TV-Hybridwesen sich an dem Konflikt zwischen Landfall und Wreath beteiligen, erhalten wir nun das Motiv – wenn auch aus dritter Hand –, dass Landfall dem Königreich Schutz vor Wreath versprach. Was etwas seltsam anmutet, wenn man die tragende Rolle der königlichen Mitglieder im Krieg betrachtet. Zumindest wissen wir nun, dass auch im Roboterreich der Schein trügen kann. Und die schlimmsten Feinde in den eigenen Reihen sitzen können.

Eine Umkehr der bisherigen Ereignisse droht dort, ähnlich wie sie Hazels Existenz für Landfall und Wreath darstellen könnte. Gleichzeitig verknüpft Saga aber auch hier das unterschwellige Thema einer sich anbahnenden Revolution mit dem über-Thema Elternschaft und Erziehung. Genauer gesagt, mit Vätern. So ist die Beziehung zwischen Prince Robot IV zu seinem Sohn ähnlich vorbelastet wie die zu seinem eigenen Vater, dem König. Und auch der neueste Antagonist kommt aus zerrütteten Familienumständen. Für Marko wiederum ist weniger sein Elterndasein ein Problem, als die verstärkte Entfremdung zu seiner Frau. Kündigte er zuvor noch an, sich nicht daran zu stören, für Hazel daheim zu bleiben, scheint sich das gewandelt zu haben.

Nun ist Marko froh, wenn das Töchterchen sich tagsüber so verausgabt, dass sie nachts hoffentlich mal durchschläft. Und hofft, mehr von seiner Frau zu sehen als zuletzt. “She’s been putting in crazy hours all month“, klagt er da einer Einheimischen, die sich als Tanzlehrerin für Hazel anbietet. Und in den wenigen Momenten, wo sich Alana und Marko im vierten Band sehen, kommt es oft zum Streit. “We’re going to be okay, right?“, äußert Alana da zwar. Doch letztlich wird die Realität etwas anders aussehen. Izabel und Klara rücken ebenso in den Hintergrund wie die übrigen Figuren, Letztere sich der übrigen Werke des verstorbenen Autors D. Oswald Heist hingebend. Dafür lernen wir neue Charaktere kennen – darunter Heists zweite Ex-Frau Yuma.

Die arbeitet als Set-Designerin im Open Circuit und weiß als einzige Person um Alanas und Markos Hintergrund. Was sie nicht nur zu einer Verbündeten, sondern zugleich zu einer Gefahr macht. Während das Familiendrama in Volume Four überwiegt, nutzt Vaughan den Open Circuit aber auch subtil als Medienkritik. Ironischerweise spiegelt eine der Szenen von Alanas Figur in ihrem kitschigen Melodrama da sogar einen späteren in der Realität stattfindenden Moment wider. Beziehungsdramen dominieren die Produktion des Senders, von Product Placement abgesehen. Da macht es gleichzeitig Sinn und Unsinn als der aktuelle Antagonist zum Schluss dann das Netzwerk für seine Botschaft der Revolution an die Massen missbrauchen will.

“Once you start ranting about politics, ninety percent of your audience is just going to change the channel“, macht ihm Yuma klar. “If you want people to pay attention to you, you have to talk about sex.“ Eine Botschaft, die in der heutigen Medienwelt keine Unbekannte ist. Sex sells – passender Weise auch in Saga, selbst wenn Vaughan und Staples das Obszöne dieses Mal etwas zurückfahren im Vergleich zu den bisherigen Bänden. Die wirkten wiederum in ihrer Summe runder als Volume IV. Dem merkt man an, dass es eher eine Verschnaufpause darstellt, zwischen der Ereignisse auf Quietus zum Schluss des dritten Bandes und dem, was nun folgt. Zudem vermochten die neuen Figuren wie Yuma und Ginny nicht an die bisherigen heranzureichen.

Da verwundert es nicht, dass Vaughan Platz findet, um auch The Stalk und The Will kurz zu integrieren. Vielleicht tat er sich keinen Gefallen, beide früh aus dem Geschehen zu nehmen. Unerwartet – und umso erfreulicher – gibt es auch ein Wiedersehen mit Ghüs und einen neuerlichen amüsanten Dialog zwischen ihm und einem fremden Besucher. In diesem Fall The Brand. Auch sie muss noch zeigen, dass sie sich im Dienste von Saga entwickeln kann. Gefällig ist der vierte Band des Weltraumepos’ aber allemal geraten, wenn auch nicht ganz so stark wie die bisherigen Bände. Die konnte ich damals in einem Rutsch lesen, was seine ganz eigenen Vorteile hat. Jetzt heißt es dagegen auf Volume Five zu warten. Es handelt sich ja nur um Monate.

8/10

6. Januar 2015

Filmtagebuch: Dezember 2014

20,000 DAYS ON EARTH
(UK 2014, Iain Forsyth/Jane Pollard)
3/10

E AGORA? LEMBRA-ME [WHAT NOW? REMIND ME]
(P 2013, Joaquim Pinto)

5/10

ALL THIS MAYHEM
(UK/AUS 2014, Eddie Martin)
6.5/10

BLENDED [URLAUBSREIF]
(USA 2014, Frank Coraci)
8/10

BOOMERANG
(USA 1992, Reginald Hudlin)
6.5/10

THE CASE AGAINST 8
(USA 2014, Ben Cotner/Rob Reiner/Ryan White)
5.5/10

CITIZENFOUR
(USA/D 2014, Laura Poitras)
7.5/10

CLOUDS OF SILS MARIA [DIE WOLKEN VON SILS MARIA]
(F/CH/D 2014, Olivier Assayas)

6.5/10

THE CRASH REEL
(USA 2013, Lucy Walker)
7/10

EL CUERPO [THE BODY – DIE LEICHE]
(E 2012, Oriol Paulo)

5/10

LE DERNIER DES INJUSTES [DER LETZTE DER UNGERECHTEN]
(F/A 2013, Claude Lanzmann)

4/10

THE EXPENDABLES 3 [DIRECTOR’S CUT]
(USA/F 2014, Patrick Hughes)

3/10

FRIENDS – SEASON 4
(USA 1997/98, Peter Bonerz u.a.)
8/10

FRIENDS – SEASON 5
(USA 1998/99, Gary Halvorson/Kevin S. Bright u.a.)
7.5/10

THE GRAND SEDUCTION [DIE GROSSE VERSUCHUNG]
(CDN 2013, Don McKellar)

6/10

GUARDIANS OF THE GALAXY
(USA 2014, James Gunn)
6.5/10

THE GUEST
(USA 2014, Adam Wingard)
7.5/10

HOME ALONE [KEVIN – ALLEIN ZU HAUS]
(USA 1990, Chris Columbus)

10/10

HOME ALONE 2: LOST IN NEW YORK [KEVIN – ALLEIN IN NEW YORK]
(USA 1992, Chris Columbus)

7.5/10

HOW TO TRAIN YOUR DRAGON 2 (3D)
[DRACHENZÄHMEN LEICHT GEMACHT 2]
(USA 2014, Dean DeBlois)

6.5/10

HROSS Í OSS [OF HORSES AND MEN]
(IS/D/N 2013, Benedikt Erlingsson)

5/10

IL ÉTAIT UNE FORÊT [DAS GEHEIMNIS DER BÄUME]
(F 2013, Luc Jacquet)

5.5/10

JODOROWSKY’S DUNE
(USA/F 2013, Frank Pavich)
8.5/10

K2: SIREN OF THE HIMALAYAS
(USA 2012, Dave Ohlson)
6/10

KAGUYAHIME NO MONOGATARI [DIE LEGENDE DER PRINZESSIN KAGUYA]
(J 2013, Takahata Isao)

6.5/10

KILL ZONE USA
(D 2014, Helmar Büchel)
5.5/10

KIŞ UYKUSU [WINTERSCHLAF]
(TR/F/D 2014, Nuri Bilge Ceylan)

5.5/10

KREUZWEG
(D 2014, Dietrich Brüggemann)
6/10

LET’S BE COPS
(USA 2014, Luke Greenfield)
4/10

LISTEN UP PHILIP
(USA 2014, Alex Ross Perry)
4.5/10

LOCKE [NO TURNING BACK]
(UK/USA 2013, Steven Knight)

0/10

MAGIC IN THE MOONLIGHT
(USA/UK 2014, Woody Allen)
3/10

MR. TURNER
(UK/F/D 2014, Mike Leigh)
7/10

NEXT GOAL WINS
(UK 2014, Mike Brett/Steve Jamison)
6/10

NIGHTCRAWLER
(USA 2014, Dan Gilroy)
8.5/10

THE NORMAL HEART
(USA 2014, Ryan Murphy)
7/10

NYMPH()MANIAC [DIRECTOR’S CUT]
(DK/D/B/UK/F 2013, Lars von Trier)

6/10

THE RAID: BERANDAL
(RI/USA 2014, Gareth Evans)
2.5/10

THE RETURN TO HOMS
(SYR/D 2013, Talal Derki)
5/10

RICH HILL
(USA 2014, Andrew Droz Palermo/Tracy Droz Tragos)
7.5/10

SACRO GRA
(I/F 2013, Gianfranco Rosi)
6/10

SONS OF ANARCHY – SEASON 7
(USA 2014, Paris Barclay u.a.)
7/10

SOUTH PARK – SEASON 18
(USA 2014, Trey Parker)
7/10

A SPELL TO WARD OFF THE DARKNESS
(F/EST/D 2013, Ben Rivers/Ben Russell)
4/10

THE THEORY OF EVERYTHING [DIE ENTDECKUNG DER UNENDLICHKEIT]
(UK 2014, James Marsh)

7/10

TIMBUKTU
(F/RIM 2014, Abderrahmane Sissako)
7/10

TRACKS [SPUREN]
(AUS 2013, John Curran)

6/10

TURIST [HÖHERE GEWALT]
(S/F/N 2014, Ruben Östlund)

7/10

ZULU
(F/ZA 2013, Jérôme Salle)
4/10

31. Dezember 2014

Filmjahresrückblick 2014: Die Top Ten

Cinema is not an art which films life: the cinema is something between art and life.
(Jean-Luc Godard)


Während die internationalen Filmkritiker/innen teils schon seit Wochen ihre Bestenlisten für das Kinojahr 2014 publizieren, geschieht dies auf diesem bescheidenen Blog wieder mal erst kurz vor knapp. Immerhin wird der traditionelle Filmjahresrückblick auf Symparanekromenoi noch dieses Jahr und nicht wie 2013 erst am Neujahrstag über die Bühne gehen. Die alten Hasen unter meinen Lesern wissen wie es abläuft: es soll nicht nur ein persönliches Fazit mit Bestenliste gezogen werden, sondern auch ein Ausblick auf den internationalen Kinokonsum geben. Wer daran wenig Interesse hat, kann auch direkt nach unten zu meinen zehn favorisierten Filmen in diesem Jahr scrollen. Für alle anderen gilt derweil: Buckle up!

Ursprünglich hatte ich erwartet, dass sich mein Filmkonsum dieses Jahr auf dem Niveau von 2007 oder 2008 einpendelt. Was einerseits beruflich und andererseits mit der steigenden Frustration ob der Qualität der Kinofilme zu tun hat. Am Ende wurden es dann dennoch 152 Filme aus dem aktuellen Filmjahr, was in etwa so viele waren wie 2011. Immerhin 27 Filme weniger als im Vorjahr, was speziell den Kinosichtungen geschuldet ist. Waren es 2013 noch 40 Kinobesuche, so halbierte sich diese Zahl dieses Jahr. 133 der 152 Filme habe ich im Heimkino gesehen, also rund 87 Prozent. Von den 19 Kinobesuchen – im Grunde waren es 20, da ich Nightcrawler als einzigen Film dort zweimal sah – entfielen wiederum 12 auf Pressevorführungen.

In einer solchen sah ich auch jenen Film, der viele Kritiker spaltete und dennoch – insbesondere beim Publikum – sehr gut wegkam. Christopher Nolans jüngster Streich Interstellar hält in der Internet Movie Database (IMDb) zum Jahresende eine 8.9/10-Wertung (Stand: 31. Dezember) und liegt damit nun zwischen seinen anderen Filmen Inception und The Dark Knight. Mit leichtem Abstand folgt dann der absolute Kritikerliebling und Oscarfavorit Boyhood von Richard Linklater, der sich mit einer 8.4/10 vom Kinojahr 2014 verabschiedet. Knapp auf dem dritten Platz landete mit David Finchers Gone Girl der noch beste dieser drei Filme dank einer 8.3/10-Einstufung. Wie auch schon im Vorjahr liefen jedoch drei andere Filme weitaus erfolgreicher.

Auch wenn es sich stets nie jemand wirklich erklären kann, lockte Michael Bay erneut mit seinen sich prügelnden Riesenrobotern die Massen ins Kino. Wie bereits mit Dark of the Moon gelang es ihm auch mit Transformers: Age of Extinction die Milliarde-Dollar-Marke zu überschreiten. Damit war das vierte Hasbro-Abenteuer der einträglichste Film des Jahres. Mit etwas Abstand näherte sich über den Jahreswechsel gesehen Peter Jacksons neuerlicher Trilogieabschluss The Hobbit: The Battle of the Five Armies, während Marvels wenig bekannte Comicserie Guardians of the Galaxy zum überraschend erfolgreichen Space-Abenteuer avancierte, das in den USA erst im Nachhinein von The Hunger Games: Mockingjay – Part I überholt wurde.

Überraschend war auch der Erfolg des Märchenfilms Maleficent, der gerade bei den Südamerikanern aus Brasilien, Ecuador und Venezuela zum Jahressieger wurde, ebenso in Mexiko und in Italien. Derweil zeigten sich Bolivianer und Kolumbianer von Transformers: Age of Extinction beeindruckt, der ansonsten auch auf dem asiatischen Kontinent sehr gut lief und sowohl bei Russen wie Chinesen, aber auch in Thailand und Südafrika auf Platz Eins landete. In Japan rollte wiederum Frozen dieses Jahr wie eine Lawine durch die Kinosäle und spielte im Land der aufgehenden Sonne dreimal so viel ein wie der Zweitplatzierte. Von alledem unbeeindruckt blieb sich Südkorea treu und huldigte stattdessen mit Myeong-ryang einem einheimischen Film.

Dies wird seit Jahren auch traditionell in vielen europäischen Ländern so gehandhabt. Beispielsweise in der Türkei, wo sich Recep Ivedik 4 von der Konkurrenz absetzte. Nationale Filme liefen auch in Argentinien (Rotatos salvajes), Dänemark (Fasandraeberne), Finnland (Mielensäpahoittaja), den Niederlanden (Gooische Vrouwen II), Norwegen (Børning), Peru (A los 40), Polen (Bogowie) Serbien (Montevideo, vidimo se!), Spanien (Ocho apellidos vascos) und der Ukraine (Viy) am besten. In Frankreich begeisterte Qu’est-ce qu’on a fait au Bon Dieu? (hierzulande: Monsieur Claude und seine Töchter) die Massen, der nicht nur auch in der Schweiz die Nummer Eins ist, sondern es bis vor wenigen Wochen bei uns in Deutschland ebenso war.

Zumindest solange Peter Jacksons Trilogieabschluss The Hobbit: The Battle of the Five Armies nicht in wenigen Wochen über fünf Millionen Deutsche in die Lichtspielhäuser trieb. Ein erster Platz, der dem Film auch in Tschechien und bei den Briten gelang (die Australier zogen The Hunger Games: Mockingjay – Part I vor), wo kurz vor dem Ende noch The Lego Movie übertrumpft wurde. Ein anderer Animationsfilm lockte die Slowaken am häufigsten ins Kino: How to Train Your Dragon 2, was sie wiederum mit den Kollegen aus Ungarn gemein haben. Die Schweden solidarisierten währenddessen mit Japan und krönten Frozen zum Sieger, heißer her ging es in Kroatien und Uruguay, wo Rio 2 am Jahresende der König im Kino war.

Wer sich schon immer fragte, was Belgien und Österreich gemein haben (außer Fällen von Kindesentführung) findet in ihrer Begeisterung für Martin Scorseses The Wolf of Wall Street dieses Jahr die Antwort. Und da Ägypten kurzerhand Ridley Scotts Exodus nicht in den Kinos haben wollte, bleibt dort eben der neueste Godzilla-Film an der Jahresspitze. In alten Zeiten schwelgten dafür die Griechen, die sich von 300: Rise of an Empire vereinnahmen ließen. „Historisches“ stand auch in Bulgarien und Slowenien hoch im Kurs, wo die Konkurrenz gegen Darren Aronofskys Bibelepos Noah absoff. Stirnrunzeln rufen die ersten Plätze in Portugal und Nigera hervor, wo Lucy und Think Like a Man Too die Gunst des Publikums genossen.

Der unangefochtene Gewinner des Jahres ist wohl ohne Zweifel Matthew McConaughey, der sich vom RomCom-Schauspieler zum Oscarpreisträger gewandelt hat. Sein jüngster Wandel erhielt inzwischen sogar eine eigene Wortschöpfung (McConnaisance). Auch Christopher Miller und Phil Lord untermauerten mit The Lego Movie und 22 Jump Street ihren guten Ruf in Hollywood. Etwas schwerer hatte es dagegen Sony, die nicht nur trotz des veritablen Erfolgs von The Amazing Spider-Man 2 scheinbar das Vertrauen in das Reboot verloren haben, sondern im Zuge des Starts von The Interview auch noch einem Hacker-Angriff zum Opfer fielen. Damit befanden sie sich in guter Gesellschaft, was Jennifer Lawrence und Co. bestätigen können.

Und wo wir schon bei Matthew McConaughey waren, seine HBO-Serie True Detective avancierte zurecht zur TV-Show des Jahres, obgleich auch die Fernsehversion von Fargo überraschend überzeugen konnte. Dass sich dies auch von ihren beiden zweiten Staffeln sagen lässt, muss sich noch zeigen. Im Nachbeben der neuen Konsolen gab es derweil auf dem Videospielmarkt nichts, was mich wirklich gereizt hat in diesem Jahr, weshalb eine entsprechende Kür diesmal ausfällt. Ersatzweise kann ich an dieser Stelle Brian K. Vaughans und Fiona Staples Comicreihe Saga zum Comic des Jahres küren, dessen vierter Band schon bei mir bereitliegt und Anfang des neuen Jahres in einer ausführlichen Besprechung beleuchtet werden wird.

War auch die diesjährige Oscarverleihung vorhersehbar und langweilig wie selten zuvor, konnte ich mich dennoch mit vielen Preisträgern arrangieren. Trotz seines variablen Spiels in drei Rollen habe ich mich entschlossen, am Ende doch Jared Leto für seine gewinnende Leistung in Dallas Buyers Club den Vorzug vor Jake Gyllenhaal zu geben. Und so vergnüglich Tilda Swinton in ihren Darbietungen in den sonst enttäuschenden Snowpiercer und The Zero Theorem auch war, beeindruckte mich letzten Endes Dorothy Atkinson als Mauerblümchen in Mike Newells Mr. Turner doch eine Spur mehr. Bei den Newcomern geht meine persönliche Auszeichnung an Stacy Martin, für ihren mutigen und herausfordernden Einsatz in Lars von Triers Nymph()maniac.

Ansonsten setzte sich in diesem Jahr fort, was seit Jahren Trend ist: Sequels dominieren den Markt – siehe acht der zehn erfolgreichsten Filme in 2014 – und nach dem Erfolg von Guardians of the Galaxy steht eine noch größere Welle an Comicverfilmungen bevor. Während die an den Kinokassen abräumen, dominieren bei den Kritikern kleinere Filme wie Birdman oder Boyhood. Ein Art Zwei-Klassen-Gesellschaft, was zumindest hoffen lässt, dass trotz generischer Blockbuster auch Kreativität noch einen Platz findet. Und damit ohne weitere Umschweife nun zu meinen persönlichen zehn liebsten Filmen des Jahres – eine ausführliche Liste gibt es bei Letterboxd –, mit Runner Ups und der Flop Ten wie gewohnt in den Kommentaren:


10. Blended (Frank Coraci, USA 2014): Inzwischen regiert US-Comedian Adam Sandler nach eigenen Gesetzen wie seine Anarcho-Komödien à la That’s My Boy belegen. Was Blended von den meisten Sandler-Werken unterscheidet und ihn zugleich auszeichnet, sind die hier immer wieder eingestreuten kleinen emotionalen Momente in dieser vergnüglichen Patchwork-Safari. Unterm Strich handelt es sich um eine unterschätzte Komödie, die zugleich die Lachmuskeln zu bewegen und auf die Tränendrüse zu drücken vermag.

9. Citizenfour (Laura Poitras, D/USA 2014): Anderthalb Jahre ist es her, seit Edward Snowden der Öffentlichkeit offenbarte, dass die NSA im großen Stil unsere Kommunikation überwacht. Selbst vor Angela Merkel wird da kein Halt gemacht. Laura Poitras war im Juni 2013 mit der Kamera dabei, als Snowden in einem Hotelzimmer in Hong Kong zu dem wohl berühmtesten Whistleblower der Geschichte wurde. Trotz des bereits bekannten Ausgangs gelingt Poitras in Citizenfour einer der spannendsten Thriller des Jahres.

8. Borgman (Alex van Warmerdam, NL/B/DK 2013): Alex van Warmerdam macht sich in Borgman keine wirkliche Mühe, seine Filmhandlung für die Zuschauer näher zu erklären. Vielmehr lässt er in seiner Dekonstruktion eines beschaulichen Familienidylls die Bilder für sich sprechen und Fragen bereitwillig im Raum stehen. In gewisser Weise ist dieser Film ein modern-düsteres Märchen, dabei weder Thriller, noch Drama, Horror oder Fantasy. Sondern von allem eine Melange, die zu überzeugen und gefallen weiß.

7. Rich Hill (Andrew Droz Palermo/Tracy Droz Tragos, USA 2014): Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten fristen die jugendlichen Protagonisten in Rich Hill zwischen Energy Drinks und Zigaretten ein trostloses Dasein am Rande der Gesellschaft. Dabei schaffen es Andrew Droz Palermo und Tracy Droz Tragos gekonnt, das White-Trash-Stigma für ihre Figuren zu umschiffen und sie mit würdevoller Zuneigung in ihrer Gesellschaftsnische zu begleiten. Am Ende bleibt ein intimer Einblick in das toughe Leben von drei Außenseitern.

6. The Guest (Adam Wingard, UK 2014): Nach dem enttäuschenden You’re Next liefert Adam Wingard nun mit The Guest nicht nur den genialsten Soundtrack des Jahres ab, sondern zugleich einen Mix aus Home-Invasion-Thriller und Actionfilm, der sich bei mehrmaligem Sehen als wahres Brett entpuppt. Die Coolness seiner charismatischen Hauptfigur überträgt Adam Wingard mit einer erstaunlichen Lockerheit auf den gesamten Film, dessen so stylisches wie ironisches Finale ihm das Prädikat zum Kultfilm offen hält.

5. Schnee von gestern (Yael Reuveny, D/IL 2013): Die Rückkehr ins Land der Täter ist wohl für wenige Shoa-Überlebende und deren Familie erträglich. Zu groß ist der Schmerz, den der Verlust von geschätzt 5,6 Millionen Opfern hinterließ. Auch für die Familie der Israelin Yael Reuveny. Umso größer war deren Unverständnis als sie erfahren, dass der Großonkel nach dem Krieg in Deutschland blieb. Reuveny gelingt mit Schnee von gestern eine bewegende Reise in die Vergangenheit, die gleichzeitig Hoffnung für die Zukunft macht.

4. Finding Vivian Maier (John Maloof/Charlie Siskel, USA 2013): In ihrer Dokumentation über ein Kindermädchen, das sich erst nach seinem Tod als eine der besten Straßenfotografinnen des 20. Jahrhunderts entpuppt, gelingt John Maloof und Charlie Siskel ein faszinierender Einblick in eine schwer zu greifende Persönlichkeit. Für die Künstlerin Vivian Maier aber bekommen die Zuschauer dagegen ein besseres Gespür. Maiers Bilder zeugen dabei von einer künstlerischen Qualität, die auch Finding Vivian Maier selbst innewohnt.

3. Enemy (Denis Villeneuve, CDN/E 2013): In der Folklore gilt ein Doppelgänger als Vorbote von Unglück und als Todesomen für die Person, die ihn sieht. In Enemy adaptierte Denis Villeneuve den Roman „Der Doppelgänger“ von José Saramago – allerdings von Villeneuve weitaus mystischer aufgeladen und mit viel Interpretationsspielraum. Kryptische Traumsequenzen bitten den Zuschauer um Wiederholungssichtungen, aber eine definitive Antwort auf alle offenen Fragen werden auch diese vermutlich nicht bereithalten.

2. Jodorowsky’s Dune (Frank Pavich, USA/F 2013): Wer schon mal Alejandro Jodorowsky in einem Audiokommentar gehört hat, weiß, dass dieser Mann geboren wurde, um Geschichten zu erzählen. Und welche eignet sich besser als die jenes Films, der zum Prophet einer eigenen Religion werden sollte. Frank Pavich vermittelt hier einen Eindruck, wie Jodorowskys Adaption von Frank Herberts „Dune“ ausgesehen hätte. Und wie Jodorowsky’s Dune zeigt, wurde diese auch ohne ihre Entstehung zu einer Art von Kino-Prophet.

1. Nightcrawler (Dan Gilroy, USA 2014): Eine fast ähnlich große Ambition wie Alejandro Jodorowsky in seinem Dune-Projekt legt der scharfzüngige Lou Bloom in Dan Gilroys Debütfilm Nightcrawler an den Tag. Jake Gyllenhaal liefert als soziopathisch veranlagter Unfallreporter die Darbietung seines Lebens ab, während seine Figur um sich herum einen für ihre Umwelt destruktiven Malstrom erschafft. Dan Gilroy gelingt ein mitreißender Urban-Media-Thriller, der im Finale nochmals die Spannungsschraube andreht.

26. Dezember 2014

The Guest

All gave some. Some gave all.

Schon Goethe wusste: wo viel verloren wird, ist manches zu gewinnen. Vielleicht öffnet auch deswegen Laura Peterson (Sheila Kelley) bereitwillig an jenem Tag die Tür zu ihrem Haus, als der charmante David (Dan Stevens) vor ihr steht. Er habe gemeinsam mit ihrem im Krieg gefallenen Sohn gekämpft, erklärt David. Und habe diesem versprochen, dass er nach dem Rechten sehen werde. Es mag der Kummer sein, der die Mutter schließlich dazu bewegt, David für einige Tage im ehemaligen Zimmer ihres Sohnes nächtigen zu lassen. Während David schon bald Beziehungen zu den anderen Familienmitgliedern aufbaut, allen voran den in der Schule gemobbten Luke (Brendan Meyer). Nur dessen Schwester Anna (Maika Monroe) ist skeptisch.

Adam Wingard hält sich in seinem jüngsten Film The Guest gar nicht lange mit einer Exposition auf. Die Geschichte beginnt sogleich mit Davids Ankunft und lässt früh erahnen, dass mit dem Ex-Militär nicht alles im Reinen ist. Auch Familienvater Spencer (Leland Orser) hat zuerst seine Zweifel ob möglicher PTSD-Folgen, doch sind diese nach ein paar Bier beiseite geräumt. Davids aalglattes Erscheinungsbild irritiert derweil weiterhin Anna, die sich zugleich zumindest körperlich zu dem Beau hingezogen fühlt. Am meisten Einfluss hat David jedoch auf Lukes Leben, indem er dessen Bullys in einer Bar konfrontiert. Nicht zuletzt hier zeigt sich hinter seiner coolen Fassade, dass David eine ernstzunehmende Gefahr darstellt. Auch für die Petersons?

In gewisser Weise ist The Guest eine Art Home Invasion-Thriller, auch wenn Davids charmante Art diesen Eindruck nicht wirklich entstehen lässt. Aus einer Nacht werden schnell mehrere und ehe sich die Petersons versehen, agiert David wie ein eingefleischtes Familienmitglied. Seine Agenda bleibt dabei im Dunklen. Schaut er wirklich nur für einen gefallenen Kameraden in dessen Haushalt rein oder hat David eine tiefere MO? Fragen, die sich auch Anna stellt und per Telefon bei der Armee nachfragt. Was in Major Richard Carver (Lance Reddick) einen alten Weggefährten von David auf dessen Spur führt. Zur selben Zeit beginnen in der beschaulichen Kleinstadt der Petersons mehrere Leichen und Morde aus deren Umfeld für Aufsehen zu sorgen.

Die Coolness von David überträgt Wingard mit einer erstaunlichen Lockerheit auf seinen gesamten Film. Mit Dan Stevens hat er einen idealen Leading Man, der Davids Charme wie die von ihm ausgehende Bedrohung gekonnt zu transferieren versteht. Auch Maika Monroe hinterlässt Eindruck, während das übrige Ensemble seinen Dienst tut. Zweiter und heimlicher Hauptdarsteller ist hier jedoch der atmosphärische Soundtrack, der mit seinem 80’s-Flair Erinnerungen an Drive wachruft. Wenn während The Guest dann Survive mit “Hourglass”, Annie mit “Anthonio” oder F.O.O.L mit “Sahara” aus den Boxen schallen, weiß man nicht, ob man noch zuschauen oder schon mittanzen soll. Als Folge ist The Guest ein auditiver Hochgenuss – aber auch nicht makellos.

So wäre es wünschenswert gewesen, wenn sich Wingard etwas mehr den Beziehungen zwischen David und den Petersons gewidmet hätte. Gerade sein Verhältnis zum Familienvater wird kaum beleuchtet, abseits eines ersten Biergeschwängerten Abends. Wenn sich der Film auf diese psychologischen Komponente etwas mehr fokussiert hätte, anstatt im Schlussakt zum Action-Thriller zu mutieren, wäre auch die narrative Atmosphäre stärker geraten. Zwar kann man aufgrund von Davids Verhalten erahnen, dass er sich problemlos zu integrieren versteht, dennoch schadet sich The Guest hier zum Teil ein wenig selbst. Seine offenen Fragen um Davids Vergangenheit sind wiederum weniger problematisch und ausreichend angerissen.

Allerdings handelt es sich hierbei um Kritikpunkte, die womöglich bei Wiederholungssichtungen (für die er sich exzellent eignet) weniger schwer ins Gewicht fallen werden, wie sich der Film wohl ohnehin eher in der Tradition von Genre-Filmen aus den späten Achtzigern und frühen Neunzigern sieht. Unterhaltsam und mitreißend ist er auf jeden Fall und außer der fehlenden Tiefe im Drehbuch frei von Vorwurf. Nach dem enttäuschenden Meta-Horror You’re Next liefert Adam Wingard somit dieses Jahr wieder eine filmische Steigerung ab und auch wenn The Guest letzten Endes nicht der diesjährige Drive ist, so zählt er dennoch zu den stylischsten und lässigsten Vertretern des 2014er Jahrgangs. Auf jeden Fall ein Gewinn.

10/10

18. Dezember 2014

Citizenfour

Sometimes to do the right thing you have to break the law.
(Edward Snowdon)

Er selbst sieht sich als „Patriot“, der Außenminister seines Landes hingegen nennt ihn einen „Verräter“ – liegt die Wahrheit nun irgendwo dazwischen? Oder ist Edward Snowden vielmehr weniger als noch, sondern eher ein Liberalist, ein Freiheitskämpfer der Moderne? Wie dem auch sei, die Lawine, die der ehemalige Systemadministrator der CIA im Juni 2013 mit seiner Enthüllung auslöste, die NSA, sein damaliger Arbeitgeber, würden nicht nur die Bürger der ganzen Welt, sondern sogar die eigenen abhören, rollt bis in die Gegenwart. Ncht einmal das Handy der Bundeskanzlerin war vor dem US-Geheimdienst sicher. Laura Poitras’ Dokumentation Citizenfour begleitete Snowdens Aufdeckung dieser Vorfälle im vergangenen Jahr mit der Kamera.

Zuerst nahm Snowden als anonyme Quelle mit der Regisseurin Kontakt auf, in Form von Dialogen, die wie eine Mischung aus The Matrix und All the President’s Men klingen. Schließlich trafen sie sich gemeinsam mit Glenn Greenwald, Journalist des britischen The Guardian, im Juni 2013 in einem Hotel in Hong Kong. Hier würde Edward Snowden ihnen verraten, dass die NSA seit Jahren im großen Stil die Rechner von Internetfirmen anzapft, um sich dort Videos, Fotos, E-Mails und Kontaktdaten zugänglich zu machen. Das Ganze nicht nur außerhalb der USA, wo es aufgrund des US-Kampfes gegen den Terror zumindest für die Vereinigten Staaten legal ist, sondern auch in ihrem eigenen Land. Was die Bürgerrechte der Amerikaner verletzt.

Anschließend bereitete Greenwald die Enthüllung des NSA-Abhörskandals mit seinem Kollegen Ewen MacAskill für die Medien auf, während Snowden bald untertauchte. Citizenfour begleitet jene Tage, in denen der 29-jährige Amerikaner die vermutlich schwerste Entscheidung seines Lebens trifft. Sein altes Leben – und damit auch seine Freundin und Familie – zurückzulassen, um die Menschheit auf diesen Umstand aufmerksam zu machen. Gut überlegt habe er sich das, versichert Snowden da Poitras an einer Stelle. Nervös sei er nicht. Er nehme eine Gefängnisstrafe in Kauf, ihm seien seine Rechte und die aller anderen auf Freiheit und Privatsphäre wichtiger. Wie ein Held 2.0 wirkt Snowden dabei. Wie ein Jesus Christus der Hacker-Szene.

Sympathisch kommt er rüber, mit Ahnung von dem, worüber er spricht. Wirklich schlau wird das Publikum aber nicht aus ihm. So edel seine Motive, so wenig nah wirkt Snowden zugleich. Und Poitras hakt auch nicht nach, was seine Entscheidung, seinen Arbeitgeber – immerhin die Regierung – zu bestehlen und mit den Informationen an die Öffentlichkeit zu gehen, für Folgen haben könnte. Der Mensch Edward Snowden erscheint in diesen Momenten sekundär, der Skandal überschattet alles – auch seine Person. Auch die Gefahr, in die sich Laura Poitras und Glenn Greenwald mit ihrer Berichterstattung begeben, wird allenfalls angerissen. Und bald weitet die Dokumentation dann ihre Spannweite auf andere Protagonisten aus.

Da wird in einer Szene auch kurz Julian Assange eingefangen, dessen Enthüllungsplattform WikiLeaks die Ausreise von Snowden nach Moskau geregelt hatte, ehe dort sein Pass eingezogen wurde. Und William Binney, ehemaliger Technischer Direktor der NSA und ebenfalls ein Whistleblower, darf in seinem Rollstuhl in den Bundestag einrollen. Unterdessen verschwindet Snowden in dem Moment wo er untertaucht auch aus Citizenfour – zumindest bis zu einem etwas konstruierten Epilog am Schluss. Und mit Snowden geht dem Film leider auch etwas von seiner Intensität verloren, die zuvor die Hotelszenen in Hong Kong bestimmt hatte – obschon man als Zuschauer bereits den Ausgang der damaligen Ereignisse kennt.

Und dennoch liegt auch hier zum Teil die Krux, denn mit anderthalb Jahren „Verspätung“ ist der Bedeutung der Dokumentation ein wenig der Wind aus den Segeln genommen. Der NSA-Abhörskandal ist keine Neuigkeit, nicht mal mehr Skandal, sondern aufgrund der politischen Untätigkeit wieder zum Alltag geworden. Insofern bietet Citizenfour am ehesten eine Art „Behind-the-Scenes“ einer der größten Enthüllungen der letzten Jahre, die in ihren besten Momenten packender ist als jeder John-le-Carré-Thriller und mit Edward Snowden eine auf Märtyrer getrimmte Figur hat, die sich als „Held“ dieser Geschichte praktisch aufdrängt. Weswegen Regisseur Oliver Stone die Geschichte im Jahr 2016 nochmals Hollywoodgerecht aufbereiten will.

7.5/10

12. Dezember 2014

Kreuzweg

Als Christen sind wir für die Schlacht geboren.

Wer eine Armee rekrutiert, fängt am besten damit bei den Jüngsten an. „In unserem Herzen tobt eine Schlacht zwischen Gut und Böse“, sagt Pater Weber (Florian Stetter) am Anfang von Dietrich Brüggemanns Kreuzweg im Firmungsunterricht seiner Gemeinde. Täglich sei man 100 Versuchungen ausgesetzt in der Schlacht zwischen Gott und dem Teufel, erklärt er einer Gruppe Jugendlicher. Mit ihrer Firmung würden sie ihrer Umwelt zeigen: „Dieser Mensch ist ein Soldat Jesu Christi.“ Es gilt, den Versuchungen zu widerstehen, Verzicht zu üben. Einen besonderen Eindruck hinterlässt die Rede bei der 14-jährigen Maria (Lea van Acken), die sich fortan in den Kopf setzt, für Gott den größten Verzicht anzustreben: den auf ihr Leben.

Dabei ist die Jugendliche hin und hergerissen zwischen den Erwartungen ihrer Eltern, Kirchengemeinde und von Gott sowie ihren eigenen Gefühlen. Als sie in der Schulbibliothek ein Gespräch mit ihrem Mitschüler Christian (Moritz Knapp) beginnt, der sie in seinen Kirchenchor einlädt, stürzt das die 14-Jährige in ein Dilemma. Schließlich singt Christians Chor nicht nur Bach, sondern auch Gospel und Soul. Beide werden von Pater Weber und Marias Mutter (Franziska Weisz) als „dämonische Rhythmen“ angesehen. Ein neuerlicher Streit entbrennt beim Vesper der sechsköpfigen Familie. „Meinetwegen könnten wir einfach eine glückliche Familie sein“, keift die Mutter ihre älteste Tochter an, die unterdessen in Tränen ausbricht.

Dietrich Brüggemann zeichnet in seinem jüngsten und auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären für das beste Drehbuch prämierten Film das Bild einer schrecklich christlichen Familie. Die scheint seit langem von Spannungen durchzogen, auch da das jüngste Kind, der vierjährige Johannes, an einer unbekannten Krankheit zu laborieren scheint. Er müsse nicht von Maria auf den Arm genommen werden, herrscht die Mutter sie bei einem Ausflug ins Grüne an – und verfrachtet den Vierjährigen stattdessen dafür in einen Kinderwagen. „Der Tag kann noch so schön sein, Maria findet immer einen Grund für schlechte Laune“, ist dann die nächste Breitseite aus dem Mund der Mutter, als Maria für ein anschließendes Familienfoto nicht lächeln will.

Einen wirklichen Zugang erfährt man als Zuschauer dabei nicht zur problematischen Beziehung zwischen Maria und der Matriarchin. Widerworte duldet diese nicht, weder von ihrer Tochter noch vom Kindermärchen Bernadette (Lucie Aron). Ihr Ehemann scheint das schon längst eingesehen zu haben und lässt die Gattin schalten und walten wie sie möchte. Die angespannte Situation zu Hause mit ihrem kleinen Bruder, der immer noch nicht gesprochen hat, und ihr gleichzeitiger Wunsch, zumindest ansatzweise ein Leben wie ihre Mitschüler zu haben, bilden den Rahmen für Marias fortwährende Passion, die Dietrich Brüggemann mit den 14 Stationen des Kreuzwegs Jesu Christi auf seinem Weg zum Kalvarienberg kontrastiert.

Hierbei bedient sich Brüggemann in seinen Einstellungen – bis auf zwei Ausnahmen mit Dolly Shot und Kranfahrt – einer unbewegten Kamera, was den Szenen etwas Theatralisches verleiht. Aber zugleich wirkt eine derartige Mise-en-scene auf Dauer auch anstrengend, da oftmals nur minimale Aktionen die Szenen bestimmen. Im Vordergrund steht das Spiel von Lea van Acken und ihre Interaktion mit ihrer Umwelt. Darunter auch mit Mitschüler Christian, der versucht, sich ihr zu nähern. „Ich weiß genau, was ich will“, erklärt diese ihm, als im Sportunterricht das Gerücht die Runde macht, Christian sei in sie verliebt. „Ich will zu Gott“, blockt sie Christian ab. „Dabei stör ich dann wohl“, räumt dieser wie alle resignierend das Feld.

Als Parallele zu den letzten Tagen Jesu ist Kreuzweg bisweilen zwar ganz nett, vermag aber nicht wirklich unter die Oberfläche vorzudringen – insofern man die Geschichte nicht als reines Spiegelbild von Jesu Handeln liest. Marias Weg scheint vorherbestimmt – weniger von einer göttlichen Macht als von ihr selbst. Die Ohnmacht ihrer Umwelt ist etwas erstaunlich, das Ende des Films zugleich vorhersehbar. Der dargestellte Wahnsinn, der Christliche im Speziellen wie der Religiöse im Allgemeinen, wird in Kreuzweg nicht hinterfragt. Zumindest im Ansatz wäre dies vielleicht geschickter gewesen, so bleibt einem als Zuschauer nur, einer Figur dabei zuzusehen, wie sie für eine Nichtigkeit ihr Leben opfern will. Eben wie ein echter Soldat.

6/10