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7. Juli 2017

John Wick: Chapter 2

This is the end of the line.

Unverhofft kommt oft – das mag sich auch Keanu Reeves vor drei Jahren gedacht haben, als sein Film John Wick überraschend positiv besprochen und rezipiert wurde. Am Ende sollte der R-Rated Action-Thriller unter dem Aspekt der Kosten-Nutzen-Rechnung gar zu Reeves erfolgreichstem Film seit The Matrix Reloaded (2003) aufsteigen. Mehr als das Vierfacher seiner Kosten spielte John Wick ein, was sich von Reeves Super-Flops der Jahre zuvor wie Henry’s Crime (2011) oder seinem Regie-Debüt Man of Tai Chi (2013) nicht behaupten ließ. Folglich galt es für Reeves und Regisseur Chad Stahelski, den Moment zu nutzen und vom Erfolg zu profitieren – mit dem Sequel John Wick: Chapter 2, das leider den klassischen Fortsetzungsfehler macht.

Der Film beginnt direkt mit einer leicht ausufernden Action-Szene, die das im Vorgänger praktizierte Gun Kata zur Schau stellt. Quasi eine Art Epilog zu John Wick sucht die titelgebende Figur (Keanu Reeves) den Bruder (Peter Stormare) von Viggo auf, in dessen Fabrik das Auto von Wick lagert. Einige Headshots später hat Wick den schwer ramponierten Wagen zurück, erwartet kurz darauf mit Santino D’Antonio (Riccardo Scamarcio) einen alten Bekannten. Santino erinnert Wick an eine Bringschuld, die noch aussteht. Wick lehnt zuerst ab, als Santino sein Haus daraufhin in die Luft sprengt, gibt er dann doch nach. “Rules. Without them we live with the animals”, betont auch Winston (Ian McShane), Leiter des New Yorker Auftragskiller-Hotels.

Die Handlung verlagert sich nach Rom, wo ein vollends ausgerüsteter Wick seinem finalen Auftrag nachgeht. Dieser ruft aber in Cassian (Common) nicht nur den Bodyguard seines Auftragsziels auf den Plan, sondern nach getaner Arbeit setzt Santino in Ares (Ruby Rose) auch seinen eigenen Bodyguard auf Wick an, um lose Enden zu eliminieren. Das übergeordnete Thema von John Wick: Chapter 2 ist somit, wenn so will, das Begleichen offener Rechnungen. Wick steht in der Schuld Santinos (im Film als “marker” bezeichnet), mit seinen Handlungen eröffnet er jedoch neue Rechnungen mit allen Beteiligten, die jeder – stets die Pistole griffbereit im Holster – darauf aus sind, das direkt zu Beginn initiierte Gun-Kata-Festival nicht aussterben zu lassen.

Der große Unterschied zwischen John Wick und John Wick: Chapter 2 findet sich in der Motivation – sowohl der inhärenten als auch die der Produzenten. Der erste Teil erzählte von einem Auftragskiller, der in der Krebserkrankung seiner Frau (Bridget Moynahan) einen Gegner fand, den er nicht per Kopfschuss ausmerzen konnte. Die Hauptfigur vermochte ihren Kummer und Schmerz ob des Todes der Gattin erst dadurch kanalisieren, indem sie Vergeltung für den Mord an dem Hund verübte, den die Frau ihm hinterließ. John Wick: Chapter 2 dagegen schleift die Figur zurück in jene Welt die sie verließ, um von dem Action-Element zu kapitalisieren, das dem Publikum im Vorgänger so gut gefallen hat, dass es nun ein Sequel nach sich rief.

Das Problem ist dabei schon der Einstieg, der an das Original anknüpften will Wick macht viel Aufhebens, um sein Auto zurückzubekommen, welches er in der Folge selbst nahezu komplett verschrottet. Die Action ist hier bereits Selbstzweck, da die Bedeutung des Wagens für Wick marginal ist und er einfach Peter Stormares Figur ob des Autos kontaktieren könnte. Stormare evoziert ohnehin nur wieder jene “Baba Yaga”-Ehrfurcht, die schon Michael Nyqvist an den Tag gelegt hat. Die “Marker”-Storyline mit ihrem Godfather: Part III-Szenario des Zurückholens eines Ausgestiegenen ist an sich in Ordnung, wäre jedoch als Auftakt für die Figur spannender gewesen, anstatt an die noch frische Opferzahl mit weiteren Toten anknüpfen zu wollen.

Andersherum würden die Filme schlüssiger sein. Ein pensionierter Wick sucht das Glück mit seiner Frau, wird aber zurück in seine Rolle als “Baba Yaga” gezerrt, um eine alte Schuld zu begleichen. Dies würde eine gewisse Gegenüberstellung anbieten zwischen dem Mann, der Wick nun ist, und dem, den er versucht, hinter sich zu lassen. Am Ende des Films steht dann die Rückkehr zu einer Frau, die plötzlich erkrankt ist, und Wick nicht nur hilflos zurücklässt, sondern dem Paar durch Wicks Killer-Comeback so nun auch auch kostbare gemeinsame Zeit fehlt. Wicks Widerstreben, seine Schuld gegenüber Santino zu begleichen, macht hier weniger Sinn, da Wick bereits zurück in jenen Gepflogenheiten ist, die er hinter sich gelassen hatte.

Die Motivation ist nicht dieselbe, weniger persönlich und emotional und daher irgendwie letztlich egal. Auch, da die Widersacher und anderen Charaktere etwas blass sind. Eine gewisse Note hatte in John Wick noch der Umstand, dass Wick selbst es einst war, der Nyqvists Gangsterboss an die Macht half. Er widerwillig legte der sich mit dem Killer an. Hier ist Santino ein umsympathischer Lakai, dessen stummer Bodyguad Ares zwar mit ihrer Zeichensprache ein nettes Feature hat, als Widersacher jedoch kaum Ernst zu nehmen ist. Auf Cassian trifft dies schon weniger zu und so sind es auch die zwei Kampfszenen zwischen ihm und Wick, die das Highlight des Filmes sind – primär, weil hier für Nahkampf mal auf Gun Kata verzichtet wird.

Insofern opfern Reeves und Stahelski in ihrer Fortsetzung etwas die narrative Note, um dafür die Action weiter aufzublasen. Kulminierend in einer Szene, in der Wick gleich ein halbes Dutzend Kollegen ausschalten muss, dabei stets demselben Rhythmus folgend: zwei Schüsse in Brust und/oder Beine, gefolgt vom finalen Kopfschuss. Das ist etwas eintönig, auch, da der Film mit zwei Stunden Laufzeit etwas überfrachtet wirkt. Da der Erfolg den Herren jedoch Recht gibt – auch John Wick: Chapter 2 spielte rund das Vierfache seiner Kosten ein –, folgt in Kürze der Abschluss dieser neu erdachten Trilogie. Dem Ende nach zu urteilen dürfte dieser jedoch den Gun-Kata-Regler weiter aufdrehen. Das Erfolgs-Moment muss eben (aus-)genutzt werden.

4.5/10

7. Dezember 2013

The Counselor

The slaughter to come is probably beyond our imagining.

Wenn nicht jetzt, wann dann? Das mag sich Ridley Scott gedacht haben, als er vom Originaldrehbuch erfuhr, das Cormac McCarthy verfasst hatte. Seit langem wollte Scott dessen renommierten Roman Blood Meridian auf die Leinwand bringen, nun bot sich in The Counselor die Chance, die Worte des speziell in den USA hochgeschätzten Pulitzerpreisträgers zu verfilmen. Gespickt mit Stars und bekannten Darstellern bis in die Nebenrollen, wurde The Counselor anschließend vom Feuilleton verrissen. Relativ unverständlich, eint den Film doch viel mit der 2007 weltweit gefeierten Adaption von McCarthys Roman No Country for Old Men der Coen-Brüder.

Hier wie da bringt sich der Hauptprotagonist um Kopf um Kragen, als er sich aus Raffgier mit einem mexikanischen Kartell einlässt. Ein – dem Film seinen Titel leihender – Rechtsberater (Michael Fassbender), der allem Anschein nach in finanziellen Schwierigkeiten steckt, teilt einem seiner Klienten, dem flamboyanten Geschäftsmann Reiner (Javier Bardem), mit, dass er bereit sei, in dessen illegale Geschäfte mit dem Drogenkartell mitinvolviert zu werden. Ein weiterer Partner dieses Geschäfts ist der Mittelmann Westray (Brad Pitt), der im Folgenden wie Reiner versucht, den Counselor vor den Risiken und möglichen Folgen der Zusammenarbeit mit dem Juárez-Kartell zu warnen. Doch der Anwalt will davon nichts hören.

Er will seiner Verlobten, Laura (Penélope Cruz), jenes Luxusleben bieten, dem auch Reiner und seine arglistig-kalkulierende Freundin Malkina (Cameron Diaz) frönen. “I always liked smart women”, erzählt ihm Reiner, “but it’s an expensive hobby”. Als jedoch einer der Kuriere des Kartells ermordet wird und sich herausstellt, dass der Counselor eine Verbindung zu ihm besaß, machen sich der Anwalt sowie Reiner und Westray selbst verdächtig. “They don’t really believe in coincidences”, sagt Westray über das Kartell. “They’ve heard of them. They’ve just never seen one.” Und während Westray kurzerhand beginnt, alle Zelte abzubrechen und das Weite sucht, strebt der Counselor nach einer Lösung dieses Konflikts.

Dies wiederum unterscheidet ihn zwar von Llewelyn Moss aus No Country for Old Men, dennoch hat seine Involvierung in Kartellvorgänge für sein Umfeld ähnliche Konsequenzen. The Counselor ist dabei von nicht minder illustren Figuren bevölkert, viele von ihnen in Handlungsstränge integriert, die für den Fortgang der eigentlichen Geschichte wenig erheblich sind. Beispielsweise Bruno Ganz als niederländischer Diamantenhändler, bei dem der Counselor den Verlobungsring für Laura ersteht oder Édgar Ramírez als Priester, dem Malkina versucht, durch sexuelle Anzüglichkeiten nahe zu treten. Insofern hat McCarthys Drehbuch fast schon etwas Episodenhaftes und lebt primär von den Interaktionen seiner Figuren.

Der tragische und gnadenlose Verlauf der Geschichte sowie kleinere narrative Rückrufe im Finale auf Expositionen im ersten Akt lassen The Counselor wie ein shakespearesches Drama wirken. Die Verwicklung mit dem Kartell gleicht einem Schneeball, der einmal ins Rollen geraten, nicht mehr aufzuhalten ist. Hierbei gefallen im Film besonders die Dialogreichen Szenen zwischen Fassbenders Figur und Bardem sowie Pitt und ein kurzer Ausflug nach Chicago mit einer humorvollen Interaktion zwischen John Leguizamo und Breaking Bad’s Dean Norris verkommt fast zum Highlight. Ebenso wie die Konklusion der Geschichte, die sich keinen Hollywood-Konventionen beugen will, sondern dem Œuvre McCarthys folgt.

Problematisch ist lediglich, dass Cameron Diaz – zu der die Jahre nicht nett waren – hier für die kleine, aber ausschlaggebende Figur von Malkina absolut fehlbesetzt ist. Ob die ursprünglich vorgesehene Angelina Jolie eine bessere Wahl gewesen wäre, sei dahingestellt. Hiervon sowie von ein paar Längen im dritten Akt und wenig gehaltvollen Auftritten von Ramírez oder Toby Kebbell abgesehen, bietet der Film jedoch eine vergnügliche Tour de Force. Zwar ist keine der Figuren derart einprägsam wie Anton Chirgurh in No Country for Old Men, dennoch ist The Counselor im direkten Vergleich sicherlich der zugänglichere Film. Selbst wenn eine Adaption von Blood Meridian angesichts der Kritiken für Scott in weite Ferne gerückt ist.

7/10

28. Mai 2013

Moulin Rouge!

A magnificent, opulent, tremendous, stupendous, gargantuan bedazzlement!

In diesem Jahr eröffnete Baz Luhrmanns Adaption von F. Scott Fitzgeralds The Great Gatsby die 66. Filmfestspiele von Cannes – eine Ehre, die ihm bereits 2001 mit Moulin Rouge! zu Teil geworden war. Mit jenem so pompösen wie bildgewaltigen Jukebox-Musical schloss der australische Regisseur zugleich seine “Red Curtain”-Trilogie ab, die er 1992 mit Strictly Ballroom begonnen und vier Jahre später mit William Shakespeare’s Romeo + Juliet fortgesetzt hatte. Dennoch eint Moulin Rouge! vermutlich fast mehr mit Luhrmanns fünftem und jüngstem Leinwandepos, nicht zuletzt dank des Glamours und der anachronistischen Gegenwartsmusik.

Sich bekannter Pop-Musik zu bedienen, um damit ein Musical zu füllen – so etwas hatte es zuvor bereits bei beispielsweise The Blues Brothers gegeben. Eine Liebesgeschichte um die letzte Jahrhundertwende mit David Bowie, Elton John und anderen zu unterlegen, sorgte allerdings 2001 für Aufsehen. Wie in The Great Gatsby dient die populäre Musik für Luhrmann in seinen historischen Filmen als Darstellungsmittel. Im Fall von Moulin Rouge! bringt sie zum Ausdruck, dass Hauptfigur Christian (Ewan McGregor), ein aufstrebender Autor, seiner damaligen Zeit voraus ist, indem er sich der Worte von Künstlern des 20. Jahrhunderts bedient.

McGregors Figur kommt 1899 nach Paris, um sich der Bohème-Bewegung anzuschließen. Entsprechend mietet er sich im Stadtteil Montmartre im Vergnügungsviertel Pigalle des 18. Arrondissements ein, gegenüber des berüchtigten Varietés Moulin Rouge. Seine Inspiration: die Liebe. Sein Problem: “I’ve never been in love”. Abhilfe verspricht das überraschende Auftreten von Henri de Toulouse-Lautrec (John Leguizamo) und seiner Theatergruppe aus dem oberen Stockwerk. Sie planen eine Bühnenshow namens “Spectacular Spectacular” (“It’s set in Switzerland”), die sie Harold Zidler (Jim Broadbent) anbieten wollen, dem Besitzer des Moulin Rouge.

Dieser wiederum plant seine beliebteste Kurtisane Satine (Nicole Kidman) an den Herzog von Monroth (Richard Roxburgh) abzugeben als Ausgleich für dessen finanzielle Unterstützung des Varietès. Am Abend kommt es in dem Etablissement dann jedoch zu einer Verwechslung als Satine während ihrer Performance Christian für den Herzog hält. Ein Gespräch in ihren privaten Gemächern später ist es nach Christians Darbietung von Elton Johns “Your Song” um die rothaarige Kurtisane geschehen. “I can’t fall in love with anybody”, seufzt Satine zwar noch, doch sie und Christian haben sich bereits ineinander verliebt – sehr zum Missfallen von Zidler.

“We’re creatures of the underworld”, erinnert er Satine. “We can’t afford to love.” Auch im Wissen, dass seine geliebte Kurtisane hoffnungslos an Tuberkulose erkrankt ist. Dennoch deckt er ihre junge Liebe, um die Finanzierung durch den Herzog nicht zu gefährden. Der bezahlt, im Glauben so Satines Herz zu erobern, derweil “Spectacular Spectacular”. Moulin Rouge! bedient sich für seine Geschichte bei Handlungselementen aus den Opern La Traviata und La Bohème sowie Jacques Offenbachs Orpheus in der Unterwelt. Daraus wurde laut Baz Luhrmanns Worten im Audiokommentar dann “this very classical, simple story of tragic love”.

Gerade Offenbachs Interpretation von „Orpheus und Eurydike“ durchzieht Moulin Rouge!. Wie Zidler selbst sagt, ordnet er sich und die Prostituierten des Moulin Rouge der Unterwelt zu. Aus jener muss Christian in der Rolle des Orpheus seine Eurydike befreien. “All my life you made me believe I was only worth what somebody would pay for me”, wirft Satine später Zidler vor. Wo sie der Herzog mit Geld zu kaufen versucht, schafft es Christian, sie mit Worten für sich zu gewinnen. “Love lifts us up where we belong”, behauptet er im bombastischen “Elephant Love Medley” und versichert Satine in diesem getreu den Beatles: “All you need is love”.

Im steten Wechsel zwischen Tragik und Komik zieht Luhrmann in seinem dritten Spielfilm dabei sein Melodrama auf. Bewusst folgen auf Szenen, die dem Zuschauer Satines Sterben in Erinnerung rufen, humorvolle Momente. “One hopes that it’s got that feeling of a Warner Bros. cartoon”, sagt der Regisseur im Audiokommentar. Wird der Humor im ersten Akt zuerst aus Toulouse und seinem Bohème-Clan gewonnen, wandert er im zweiten Akt über zur Täuschung des Herzogs (bis hin zu Broadbents und Roxburghs herrlich inszenierter Travestie-Darbietung von Madonnas “Like a Virgin”). Aber das Glück ist – wie könnte es anders sein – nur von kurzer Dauer.

Die Affäre fliegt auf, der Herzog droht Christian umzubringen und Satine wird ihres nahenden Todes gewahr. “Hurt him to save him”, rät ihr daraufhin Zidler. “The show must go on.” Über dem dritten und finalen Akt schwebt natürlich das Musical im Musical: “Spectacular Spectacular”. Die Bollywoodeske Nachinszenierung der vorangegangenen Filmhandlung ist dabei nicht minder pompös wie Luhrmanns eigene Revue, holt diese auf der Zielgeraden vom Ablauf her schließlich ein, um mit ihr zu einer einzigen großen Darbietung zu verschmelzen. Nur: Wo “Spectacular Spectacular” ein Happy End beschert ist, endet Moulin Rouge! tragisch.

Auch hierin gleicht die Geschichte von Satine und Christian der von Romeo und Julia oder von Gatsby und Daisy. Die Liebe der Figuren führt in den Tod. Was bleibt, ist das Drama. Insofern wäre The Great Gatsby wohl eher als Abschluss einer Trilogie zu Romeo + Juliet und Moulin Rouge! geeignet, ähnelt Strictly Ballroom in dem optimistischen Ende für die Liebenden mehr Australia. Dagegen bleibt in Luhrmanns übrigen drei Filmen nur, die Magie jener Liebe und ihren letztendlichen Niedergang als Chronik für folgende Generationen festzuhalten. “For never was a story of more woe than this”, wie der Prinz von Verona in „Romeo und Julia“ abschließend sagt.

Fraglos ist Moulin Rouge! im Speziellen wie ein Film von Baz Luhrmann allgemein nicht jedermanns Sache. Man muss es mögen, wie der Mann aus Oz Tragik und Komik verknüpft und dabei – bewusst – ins Theatralische abdriftet. Dazu kommen knallige Farben, Pomp und Glamour und dann noch The Cardigans unterlegt zum mit bekanntesten Stück des britischen Barden oder eben ein Tango-Sting-Mashup von “Roxanne”. Angesichts all dessen, was Luhrmann und Co. hier jedoch auffahren, von den Kostümen über die Ausstattung, das Bühnenbild und die visuellen Effekte, ist es so erstaunlich wie beachtlich, dass der Film nur 50 Millionen Dollar kostete.

Dennoch steht und fällt dieser als Musical natürlich mit seinem Soundtrack. Wie Baz Luhrmann hier kongenial populäre Lieder einsetzt, sucht dann seinesgleichen. Angefangen mit David Bowies stimmigem “Nature Boy” über die Verwendung von Nirvana hin zur harmonischen Verschmelzung von Marilyn Monroes “Diamonds are a Girl’s Best Friend“ mit Madonnas “Material Girl” und kulminierend im “Elephant Love Medley”, das sich der Textzeilen eines Dutzend Lieder bedient. Eine superbe Song-Symbiose. Insofern ist Moulin Rouge! also nicht nur ein Musical zum Erleben und Anschmachten geworden, sondern allen voran eines zum Mitsingen.

Ein Fest für die Sinne, zweifelsohne Baz Luhrmanns Magnum opus und nicht weniger und nicht mehr als die Mutter aller modernen Film-Musicals. Die acht Oscarnominierungen seiner Zeit waren berechtigt, wenn auch Luhrmann selbst bei den Nominierungen überraschend Ridley Scott für dessen Inszenierung von Black Hawk Down in der Regie-Kategorie den Vortritt lassen musste. Das ändert allerdings nichts daran, dass Moulin Rouge! ein Film für die Ewigkeit geworden ist. Großes, glamouröses Kino. Oder wie es Harold Zidler nannte: “A magnificent, opulent, tremendous, stupendous, gargantuan bedazzlement, a sensual ravishment!”.

10/10

11. Oktober 2010

Vorlage vs. Film: Romeo and Juliet

Romeo and Juliet (1595/96)

Für die einen ist er der größte Dramatiker aller Zeiten, für die anderen lediglich ein Pseudonym. William Shakespeare soll im April 1564 in Stratford-upon-Avon geboren worden sein und heiratete als 18-Jähriger Anne Hathaway. Mit Ende zwanzig fand er erstmals Erwähnung als Theaterautor und als er am 23. April 1616 verstarb, waren 18 seiner 37 Stücke publiziert worden. Galt Ende des 16. Jahrhunderts Christopher Marlowe als der größte Dramatiker des elisabethanischen Zeitalters, zog Shakespeare zumindest was die Bekanntheit angeht über die Jahrhunderte hindurch an seinem Zeitgenossen vorbei. Glaubt man Ulrich Suerbaum, so war Romeo and Juliet seiner Zeit für Shakespeare sein „erster großer und dauerhafter Erfolg“ im Tragödienfach. Inzwischen gelten die beiden „star-cross’d lovers“ als „das berühmteste Liebespaar der Weltliteratur“ - was sich auch dadurch zeigt, dass es seit seiner Entstehung kontinuierlich aufgeführt wurde. De facto war es zwischen 1751 und 1800 mit 399 Aufführungen sogar Shakespeares meistgespieltes Stück.

Der Ruhm, der dem Stück gebührt, ist bemerkenswert. Nicht zuletzt, weil es nicht in seiner Originalfassung vorliegt. Die meisten Versionen greifen auf die zweite Quartfassung zurück, eine Rohfassung von Shakespeare, die bisweilen durch die schlechte erste Quarto, basierend auf Erinnerungen der Schauspieler, ergänzt wird. Wäre Romeo and Juliet also ein Drehbuch, müssten wir uns mit einem First Draft begnügen, während Shakespeares Final Draft im 16. Jahrhundert verschollen bleibt. Wie angesprochen handelt es sich bei seinem vermutlich berühmtesten Werk neben Hamlet und Macbeth um eine Tragödie. Erzählt wird von der „death-mark’d love“ zweier Kinder aus verfeindeten Häusern im würdevollen Verona. Die Handlung entstammt der italienischen Novellenliteratur des 16. Jahrhunderts, zu der neben Luigi Da Portos A Story Newly Found of Two Noble Lovers von 1530 auch Matteo Bandellos Romeo e Guilietta aus dem Jahr 1554 zählt. Von ihnen ließ sich Arthur Brooke zu The Tragicall Histroye of Romeus and Juliet (1562) inspirieren.

Shakespeare nahm die zugrunde liegenden Werke und bearbeitete sie nach seinem Gusto. Wie der Titel schon sagt, handelt das Stück von Romeo und Juliet. Beide werden, wie es sich für die Tragödie des elisabethanischen Zeitalters gehört, durch Fortunas Zutun zu Fall und damit zu Tode kommen. Mehr schlecht als recht leben die verfeindeten Häuser Montague und Capulet in Verona. Als mal wieder ein Streit ausbricht, droht der Verona regierende Prinz Escales mit drastischen Konsequenzen bei einem weiteren Friedensbruch. Sorgen, die den jungen Romeo nicht plagen. Stattdessen wird der einzige Sohn des Grafen Montague vom Liebeskummer heimgesucht, versagt sich ihm doch die schöne Rosaline. „He makes himself an artificial night“, bemerkt auch sein Vater (1. Aufzug, 1. Szene). Um seine Stimmung anzuheben und Rosaline zu verdrängen, schlägt Romeos Cousin Benvolio vor, eine abendliche Veranstaltung der Capulets zu besuchen. Dieser willigt, ahnt jedoch: „Some consequence yet hanging in the stars“ (1. Aufzug, 4. Szene).

Ein Ölgemälde von Fort Maddox Brown aus dem Jahr 1870 zeigt die berühmte Balkonszene
Das Schicksal nimmt auf der Feier seinen Lauf. Romeo erblickt Juliet, die Tochter des Grafen Capulet, der diese - insofern sie zustimmt - mit dem Grafen Paris vermählen will. Doch die Jugendlichen verlieben sich sofort und auf Initiative von Juliet wird noch in derselben Nacht der verfeindeten Familien zum Trotz die Ehe beschlossen. Da Juliets heißblütiger Cousin Tybalt jedoch Romeo auf der Feier erkannte und seine Anwesenheit als Affront empfand, sucht er diesen am nächsten Tag auf, um sich mit ihm zu duellieren. Der frisch Vermählte weicht aus, was von seinem besten Freund, dem nicht minder erregbaren Mercutio, zum Anlass genommen wird, Tybalt Einhalt zu gebieten. Durch Romeos unbeholfenes Einschreiten wird Mercutio tödlich verletzt und stellt das erste Opfer im Familienzwist dar („A plague o’ both your houses!“, 3. Aufzug, 1. Szene). Romeo rächt den Freund und flieht nach dem Mord an Tybalt und der nachgeholten Hochzeitsnacht mit seiner Angetrauten ins Exil nach Mantua.
Die Ereignisse überschlagen sich. Juliets Vater setzt nun die Hochzeit mit Paris fest. Um einen Suizid des Mädchens zu vermeiden, beginnt Bruder Lawrence, der die Jugendlichen getraut hat, ein gewagtes Spiel. Per Anästhetikum soll Juliet wie tot erscheinen, derweil ein Brief ihren Mann aus Mantua zum Grabe locken. Wäre da nicht das Schicksal. Der Brief erreicht Romeo nicht, der seine junge Frau für verstorben hält. Er erwirbt eine Ampulle Gift, tötet durch ein Missverständnis noch Paris am Grabe Juliets, und seine beiden Opfer um Vergebung bittend, begeht er neben seiner Liebsten Selbstmord. Diese erwacht und folgt dem Beispiel Romeos, indem sie sich mit seinem Dolch ersticht. Die Tragödie fordert ein weiteres und letztes Opfer, als Graf Montague am Grab erscheint und vom Tod seiner Frau ob der Gram von Romeos Verbannung berichtet. Die Wahrheit der jungen Ehe kommt ans Licht, die verfeindeten Grafen versöhnen sich. „For never was a story of more woe / Than this of Juliet and her Romeo”, schließt Prinz Escales (5. Aufzug, 3. Szene).

Im Gegensatz zu Brooke, dessen Werk laut Suerbaum „ein langes und langatmiges Versepos“ ist, komprimiert Shakespeare die tragische Liebe der Jugendlichen von neun Monate auf vier Tage, indem er alle wichtigen Plot-Elemente in eine Folge von Szenen packt. Wo Brooke Partei für die Seite der Eltern ergriff, lässt Shakespeare das Publikum sich mit den Verliebten identifizieren. Shakespeare gelang ein bemerkenswertes Stück, welches mit den Ehe-Vorstellungen seiner Zeit brach und die Liebe pries. Des Weiteren etablierte Shakespeare mit Juliet eine überaus starke Frauenfigur, deren Sachlichkeit Romeos romantischen Träumereien gegenübersteht. Sie ist es, die die Vermählung ins Spiel bringt („If that thy bent of love be honourable / Thy purpose marriage”, 2. Aufzug, 2. Szene). Im Vergleich zu Romeo erscheint Juliet als die reifere Figur, was angesichts ihres Geschlechts und ihres Alters ein durchaus hervorstechendes Merkmal ist. Somit ist Romeo and Juliet letztlich mehr ein Stück über Juliet, denn über ihren Romeo.

Was Shakespeares Stück neben seiner tragischen Liebesgeschichte und den starken Figuren auszeichnet, sind seine Verse. Umso erstaunlicher, da sie - wie angesprochen - aus einer Rohfassung stammen. Auch hier ist es Julia, der die stärksten Zeilen zufallen. Sei es bei der ersten Begegnung („For saints have hands that pilgrims’ hands do touch / And palm to palm is holy palmers’ kiss”, 1. Aufzug, 5. Szene) oder dem ersten Abschied (My only love sprung from my only hate! / Too early seen unknown, and known too late! / Prodigious birth of love it is to me / That I must love a loathed enemy”, ebd.) mit Romeo. Auch sonst wartet Shakespeare mit unsterblichen Sätzen wie „Do you bite your thumb at us, sir?“ (1. Aufzug, 1. Szene) oder dem Klassiker „It was the nightingale, and not the lark“ (3. Aufzug, 5. Szene) auf. Kein Wunder also, dass Romeo and Juliet seit jeher als Stück gilt, „mit dem ein Regisseur alles machen kann“, so Suerbaum. Von seinen rund drei Dutzend Filmadaptionen sollen zwei an dieser Stelle näher beleuchtet werden.


Romeo and Juliet (1968)

Where civil blood makes civil hands unclean.

Laurence Oliviers Stimme leitet mit dem Prolog Franco Zeffirellis Adaption von 1968 ein (und aus). Auf einem Markplatz begegnen sich Sampson, Gregory, Abraham und Balthasar und aus spielerischer Neckerei wird beim italienischen Regisseur schnell eine riesige Schlacht, in die sich der alte Montague mit gezücktem Schwerte stürzt. Ein probates Mittel, um früh die Aufmerksamkeit des Zuschauers zu gewinnen. Dass Shakespeares Stück in der Tat dem freien Willen seines Regisseurs unterliegen kann, zeigt Zeffirelli dann in den folgenden zwei Stunden. Insbesondere was seinen Romeo angeht, ist der Italiener variabel. So gehen Romeo, Benvolio, Mercutio und Co. einfach zur Feier der Capulets, ohne dass dies Benvolio zuvor gegenüber seinem Cousin vorgeschlagen hat, um ihn von Rosaline abzulenken. Es verwundert dann auch nicht, dass Romeo sich hier - im Gegensatz zu Shakespeares Stück („I am not for this ambling“, 1. Aufzug, 4. Szene) - zum Mittanzen entschließt. Nicht die einzige problematische Szene mit dem Sohne Montagues.

In Zeffirellis Adaption ist Romeo (Leonard Whiting) unverkennbar die bereits bei den Literaten identifizierte passio. Wie ein Besessener knutscht Whiting seine Juliet (Olivia Hussey) während der Balkonszene ab, das Sexuelle der Beziehung steht für ihn stets im Vordergrund. Umso hervorstechender gerät Juliets ratio-Part, den die junge (und atemberaubende) Hussey über weite Strecken des Filmes beeindruckend und überzeugend zur Schau stellt. Ihre Besetzung als junge Schönheit ist vermutlich Zeffirellis größter Trumpf (umso ironischer, dass er sie ursprünglich nicht besetzen wollte, weil sie ihm zu dick war); vermag sie doch nicht nur die starke Persönlichkeit von Juliet mit ihrer unschuldigen Schönheit zu paaren, sondern zugleich Whitings weitestgehend unpassendes Spiel zumindest in den gemeinsamen Szenen auf ein gewisses Niveau zu heben. Auch in der übrigen Besetzung bewies Zeffirelli ein gemischtes Händchen. Ist Michael Yorks aggressiver Tybalt noch akzeptabel, so gerät John McEnerys Mercutio zur nervlichen Belastung.

Hinzu kommt, dass Zeffirelli die Auseinandersetzung zwischen Tybalt, Romeo und Mercutio als öffentliches Spektakel erneut auf dem Markplatz inszeniert. Was eine Vielzahl an Zuschauer zur Folge hat und folglich später Benvolios Zeugensaussage - die von Zeffirelli ohnehin stark beschnitten wird - bedeutungslos macht. Umso interessanter jedoch wird der Kampf zwischen Tybalt und Mercutio gezeigt, der erneut mehr spielerische Neckerei denn ernstes Duell sein will. Es ist ein Geben und ein Nehmen, ein Vorführen und Lächerlich Machen, das die beiden Großmäuler hier propagieren. Ernst wird erst daraus, als sich Romeo einmischt: „Why the devil came you between us?“. Ganz im Gegensatz zum anschließenden Gefecht mit Romeo, das durchaus von einem tödlichen Trieb beseelt ist und letztlich in Tybalts Tod endet, der mehr aus Romeos Selbstverteidigung resultiert, denn aus einem gezielten Angriff. Insofern passt Romeos Ausspruch „O, I am fortune’s fool!“ dementsprechend gut zur Interpretation der Szene.

Durch die ausufernde Darstellung der Kampfszenen hat Zeffirelli nun jedoch Zeit verloren, was Kürzungen an anderen Stellen nach sich zieht. Beispielsweise fehlen nahezu vollständig Juliets brillante Wortwindungen gegenüber ihrem Vater und designiertem Gatten, wie auch Romeo nach seiner Rückkehr aus dem Exil einfach das Gift des Apothekers (wobei hier nicht geklärt wird, woher er es eigentlich hat) sein eigen nennt - was ebenfalls die gelungenen Verse Shakespeares („I pay thy poverty, and not thy will“, 5. Aufzug, 1. Szene) obsolet macht. Bei all dem Fokus auf die Kämpfe überrascht es dann, dass das blutige Treffen Romeos und Paris’ am Grabe Juliets entfällt. Stattdessen folgt die finale Szene der Liebenden, die auch durch Husseys etwas überpointiertes Spiel einen „camp“-Stempel verdient. Viel bedauerlicher ist allerdings die fehlende „Moral der Geschichte“, insofern sich das Schicksal von Romeo und Juliet als solche überhaupt missbrauchen lässt. Ihr Tod führt für die Montagues und Capulets zu keinem „glooming peace“ und war somit letztlich vergebens.

Nun sind Bearbeitungen von Romeo and Juliet keine Seltenheit, wurde das Stück doch 200 Jahre lang fast ausschließlich in Bearbeitungen gespielt (die Mercutios Part reduzierten oder Juliet vor Romeos Tod erwachen ließen). Dennoch verliert Zeffirelli sich zu sehr in seinen exaltierten Markplatzszenen (seien es die Gefechte oder die Botschaftsübermittelung der Amme) sowie den Tanzeinlagen bei Capulets Feier - zu Lasten einiger gewitzter Verse Shakespeares. Dafür besticht seine Adaption durch ihre Ausstattung und Kostüme, die sich schön traditionell geben. Schauspielerisch ist Romeo and Juliet ein zweischneidiges Schwert, auf dessen Klinge lediglich Hussey mit sicheren Schritten zu tanzen versteht. Dass seine Ensemblewahl nicht immer die gelungenste ist, untermauerte Zeffirelli später erneut in seiner Verfilmung von Hamlet, in der Mel Gibson den depressiven Dänenprinzen gab. Somit kann am Ende konstatiert werden, dass Franco Zeffirellis Version optisch Akzente setzt, denen sie inhaltlich nicht entsprechend gerecht wird.

6/10


William Shakespeare’s Romeo + Juliet (1996)

Reason will not reach a solution.
(“Lovefool”, The Cardigans)

In die Filmgeschichte ging Baz Luhrmanns zweiter Spielfilm nach dem campigen aber durchweg gelungenen Strictly Ballroom als die MTV-Version des Stoffes ein, die quasi naturbedingt wie im Fall von Roger Ebert nicht jedem gefiel. Wie Suerbaum sagte, ist Romeo and Juliet ein Stück, „mit dem ein Regisseur alles machen kann“. In diesem Fall bedeutet dies: Jump Cuts, knallige Farben und ein poppiger Soundtrack (angeführt von „Lovefool“ der Cardigans). Das Setting ist Verona Beach, die verfeindeten Häuser werden zu Konkurrenzunternehmen, die sich auf offener Straße mit Knarren unter ihren Hawaiihemden begegnen. Der größte Verdienst Luhrmanns ist dann sicherlich, dass er der Sprache Shakespeares treu geblieben ist und somit im positiven Sinne eine moderne Version des Stoffes darbietet, dem dennoch weitestgehend treu geblieben wurde. Präsentiert wird das Ganze dann zu Beginn kongenial als Nachrichtensendung in einer mise-en-abyme, wenn die Moderatorin „now the two hours’ traffic of our stage“ ankündigt.

Grundsätzlich eint Romeo + Juliet viel mit seinem ´68er Kollegen, sei es die überbordende Exposition (bei der die Montagues gegenüber ihren Vertretern als Weichlinge karikiert werden), die Gesangseinlage bei der capulet’schen Feier, die zwei Gesichter Romeos, Juliets fehlende Wortspiele sowie das Streichen von Paris’ Tod und des Vergebens der Montagues und Capulets. Zusätzlich hat Luhrmann das Stück stark bearbeiten lassen - nicht immer zu dessen Vorteil. So verliebt sich Romeo (Leonardo DiCaprio) beispielsweise unter Drogeneinfluss in seine Juliet (Claire Danes), was der Schicksalhaftigkeit ihrer Liebe ein wenig den Wind aus den Segeln nimmt. Im Folgenden ist auch die erste Begegnung der beiden Jugendlichen nicht so romantisch eingefangen wie bei Zeffirelli, auch wenn die Aquariumsspiegelung zumindest von Seiten der Kameraführung ein Lob verdient. Auch die Verlagerung der Balkonszene in den Pool wirkt ob ihrer Tradition gar wie eine Sünde und etabliert relativ früh, dass es eigentlich Baz Luhrmann’s Romeo + Juliet heißen müsste.

Sehr viel problematischer ist jedoch die Entwicklung, die der Australier für seinen Romeo bereit hält. Nachdem ein wutentbrannter Tybalt (John Leguizamo) auf Romeo losgeht und diesen richtiggehend verdrischt, wird er nach Mercutios (Harold Perrineau) Tod - der auch hier mehr einem Versehen gleichkommt - vom Sohne Montagues weniger getötet als vielmehr exekutiert, zieht sich Tybalt doch vor Romeo zurück. Da passt es dann ganz gut, dass der aus Mantua eilende Romeo im Finale gar eine Geisel nimmt und auf die staatliche Gewalt in Person von Captain Prince (Vondie Curtis-Hall) schießt, als dieser mit seinem S.W.A.T.-Team die Kirche umzingelt. Dass Luhrmann dann einer der klassischen Bearbeitungen folgt, in der Juliet vor Romeos Tod erwacht und dieser somit ebenfalls Zeuge des jugendlichen Irrtums wird, kann da kaum noch negativ aufstoßen. Auch mit der fehlenden Reue ob der Tode Tybalts (und Paris’) wird der Figur ein essentieller Bestandteil ihrer Reife genommen, die bei ihrer Einführung noch vorhanden war.

Spielte Whiting seinen Romeo neben Husseys Juliet besser, tritt bei DiCaprio das Gegenteil auf. Es sind seine Momente fernab von Danes, in denen er sich auszeichnet. Sei es beim Schreiben seines Tagebuchs (eine sehr gelungene Integration) oder mit Benvolio in der Pool-Halle. Allgemein ist die Besetzung auch in Romeo + Juliet eine zwiespältige Angelegenheit. Besonders Paul Sorvino ist mit seinem Fulgencio Capulet vollkommen überfordert und scheint sich an seinem Part aus Goodfellas orientiert zu haben. Brian Dennehy (als Ted Montague) wäre die bessere Wahl gewesen - hätten beide ihre Rollen einfach getauscht. Auch Danes vermag mit ihrem teils hysterischen Spiel und Dauergrinsen nicht an die unschuldige Schönheit und charakterliche Reife von Hussey heranzureichen. Die Verschwendung von Figuren wie Benvolio (ebenfalls fehlbesetzt: Dash Mihok) ist da schon kaum der Rede wert. Akzente setzen können zumindest Pete Postlethwaite (als Friar Lawrence), Harold Perrineau und Diane Venora (als Gloria Capulet).

Als Gesamtwerk kann Baz Luhrmanns Adaption allerdings als gelungen erachtet werden. Selbst wenn die überbordende christliche Metaphorik stört, gefällt am meisten die pop-kulturelle Einbettung. Romeo + Juliet ist schrill und bunt, zudem überaus stark untermalt von Songs wie Stina Nordenstams „Little Star“, Radioheads „Talk Show Host“ oder „You and Me Song“ von The Wannadies bereithält. Dass es Luhrmann mit der Treue zur romeo’schen Figur nicht so ernst genommen hat, mag man daher verzeihen können, auch wenn der Film mit weniger Bearbeitungen vielleicht noch besser geworden wäre. Letztlich ist William Shakespeare’s Romeo + Juliet weniger eine Adaption für die MTV-Generation - das natürlich auch -, als vielmehr eine opulente und gutgelaunte zeitgenössische Interpretation. Und so sei es Shakespeares Stück gewünscht, dass es auch noch in weiteren 400 Jahren aufgeführt wird. Schließlich ist es ein Stück, „mit dem ein Regisseur alles machen kann“.

7/10

Verwendete Literatur:
Pulverness, Alan: Romeo and Juliet: Interpretationshilfe, Berlin 2007.
Suerbaum, Ulrich: Der Shakespeare-Führer, Stuttgart 2006.

3. Januar 2009

Righteous Kill

You do it because you get respect.

Sie sind Filmlegenden und sie sind Freunde. Nachdem Al Pacino und Robert De Niro zwar beide 1974 in The Godfather: Part II aufgetreten sind, jedoch nicht gemeinsam vor der Kamera stehen konnten, vereinte Michael Mann die beiden Oscarpreisträger 1995 in seinem Actionthriller Heat. Wie schon der Coppola ist auch der Film von Mann mit den beiden zum Kultfilm avanciert. Ein Grund mehr für die beiden italienisch-stämmigen „Greise“ erneut vor eine Kamera zu treten. Seit Jahren haben sie nach einem passenden Skript gefunden. Gefunden haben sie es schließlich in Russell Gewirtz’ Righteous Kill über einen Serienmörder innerhalb der Polizei. Inszeniert wurde das ganze dann von Jon Avnet, der mit Pacino bereits 88 Minutes gedreht hat. Jener Echtzeitthriller, der mit Ach und Krach weltweit seine Kosten wieder eingespielt hat und bei Rotten Tomatoes starke 5% hält hat bei Pacino scheinbar bessere Eindrücke hinterlassen als beim Rest der Welt. Insofern dürfte er auch mit Righteous Kill ziemlich zufrieden sein.

Das amerikanische Justizsystem ist eine Sache für sich. Über die Eigenheiten kann man Enzyklopädien schreiben und gerecht geht es in den seltensten Fällen zu. Daher werden auch oft Verbrecher laufen gelassen, weil die Beweislage zu gering ist. Das gefällt dem polizeilichen Ermittler Turk (Robert De Niro) nicht sonderlich. Ohnehin ist er ein Hitzkopf und sein aggressionsgeiles Betthäschen, die Leichenbeschauerin Karen (Carla Gugino), macht es auch nicht grade besser. Daher macht Turk Jagd auf die zu Unrecht nicht vom Recht belangten Kriminellen. Vierzehn Stück habe er getötet, lässt er zu Beginn des Filmes auf einer Videoaufzeichnung verlauten, während Avnet beginnt die Geschichte vom Gedichtskiller aufzurollen. Jener Killer, der Verbrecher jagt und zur Strecke bringt, hinterlässt stets ein Gedicht. Gemeinsam mit seinem langjährigen Partner Rooster (Al Pacino) ermittelt Turk in dem Fall. Bald schon stellt sich heraus, dass jener Killer auch in den Arbeitsbereich der Kollegen Riley (Donnie Wahlberg) und Perez (John Leguizamo) fällt. Als das Quartet entdeckt, dass der Killer ein Cop ist, beginnt sich für Turk die Schlinge enger zu ziehen.

Avnets Film hält sich für ungemein schlau, speziell dann, wenn er zum Schluss seine dramatische Wendung nimmt, mit der – so hoffen sie Macher – wohl keiner gerechnet hat. Dabei ist das gesamte Geschehen von vorne bis hinten unglaubwürdig und ohne Hintersinn inszeniert. Ein wohlhabender Vergewaltiger wird in seinem Appartmenthaus, das über einen Concierge verfügt erschossen. Dem Täter ist es dabei gelungen an den Videokameras vorbei zur Wohnung vorzudringen. Auch die übrigen Toten fallen allesamt eher unergründlichen Umständen zum Opfer. Ein pädophiler Priester wird ermordet, doch die Ursache dafür, dass dies erst jetzt, nach all den Jahren geschieht, löst der Film nicht auf. Ohnehin gibt sich Gewirtz’ Drehbuch keine sonderliche Mühe auf Ausarbeitung weder der Charaktere noch der Handlung. Die Dialoge sind bisweilen flacher als Keira Knightleys Brust und schmerzen ob ihrem Dilettantismus (beispielsweise die Brady-Bunch-Referenzen).

Die Irrelevanz der Filmhandlung kommt am besten durch die überflüssige Figur von Spider (Curtis „50 Cent“ Jackson) zum Ausdruck, ergänzt durch die nicht minder unnotwendige Anwältin Jessica (Trilby Glover). Glover war ebenfalls an dem Avnet-Pacino-Vehikel 88 Minutes beteiligt. Im Grunde lässt sich für das gesamte Schauspielensemble kaum ein gutes Wort finden, lediglich Wahlberg sticht etwas hervor. Weder Pacino noch De Niro wissen zu irgendeinem Zeitpunkt ihr (ehemaliges) Potential abzurufen. Vielmehr begnügen sie sich mit einer Mindestanzahl an Gesichtsmimiken die von „böse dreinschauen“ (Turk) bis zu „verschmitzt lachen“ (Rooster) reicht. Bedenkt man dass sowohl der Eine (Dog Day Afternoon, The Godfather) als auch der Andere (Brazil, Raging Bull) früher in Filmen mit starken Drehbüchern auftrat, ist man geradezu schockiert, für was sich die beiden Altstars hier im Grunde prostituieren. Beide warten in den vergangen Jahren mit zahlreichen miesen Filmen auf und scheinen auf Teufel komm raus weiterhin auf der Leinwand präsent sein zu wollen. Mit diesem spannungsarmen, inhaltsschwachen und schlecht gespielten Thriller haben sich De Niro und Pacino weder selbst einen Gefallen getan, noch dem Publikum.

1.5/10