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12. Mai 2017

Burden

Science has failed. Heat is life. Time kills.

Bisweilen fragt man sich beim Anblick mancher Werke wohl: Ist das Kunst oder kann das weg? Die Frage nach dem Kunstbegriff ist dabei wohl nur subjektiv zu beantworten. So schaffte es Robert Rauschenbergs einfach nur aus weißen Bildern bestehende Serie White Paintings (1951) ins New Yorker Museum of Modern Art (MoMA), während sich andere Künstler von Kritikern ihren Berufszweig absprechen lassen müssen. Beispielsweise Chris Burden (1946-2015), der in den 1970er Jahren zu einer Welle von Body-Art-Künstlern Amerikas zählte, die ihren Körper zum Kunstmedium wie -objekt zugleich machten und dadurch eine Performance zelebrierten, welche die Zuschauer aus ihrer passiven Rolle des Beobachters zwingen sollten.

Die beiden Regisseure Richard Dewey und Timothy Marrinan widmeten sich dem vor zwei Jahren an Krebs verstorbenen Künstler in ihrer Dokumentation Burden. In Archiv-Aufnahmen und kurz vor seinem Tod gefilmten Interview-Segmenten kommt Chris Burden dabei selbst zu Wort und gibt mit Zeitgenossen und Kollegen einen Rückblick seines Schaffens. Einst in die Architektur strebend, jedoch von der dortigen Monotonie der Arbeit abgeschreckt, widmete sich Burden zu Beginn der Siebziger als einer der ersten amerikanischen Künstler der neuen Form der Body Art. In seinem Abschlussprojekt an der Hochschule schloss sich der 25-jährige Burden dabei in 5 Day Locker Piece (1971) für fünf Tage lang in einen Schulspind ein.

“Chris was a bit of an issue in the very beginning”, blickt sein Künstlerkollege Robert Irwin auf jene Jahre zurück. Noch im selben Jahr folgte mit Shoot (1971) ein weiteres, wenn nicht sogar Burdens berüchtigstes, Projekt: Er ließ sich von einem Freund in den linken Arm schießen. “It’s new. But that doesn’t make it art! ”, betont diesbezüglich der Kunstkritiker Brian Sewell angesichts Burdens sadomasochistischer Arbeitsweise. Kurz darauf  ließ sich dieser in seiner Installation Trans-fixed (1974) für zwei Minuten auf einen VW Käfer nageln. Ein Event, das drei Jahre später David Bowie in seinem Lied “Joe the Lion” besang. Für die Medien war Burden damit eine Art Kunst-Märtyrer. Für seine Kollegen jemand, der die Grenzen der Kunst verschob.

Was ist Kunst? Was kann Kunst sein? “The idea of a scientist, an artist, an engineer – hundreds of years ago there was no distinction”, meint Burden in Bezug auf Vorgänger wie Leonardo da Vinci. Ein Künstler muss immer auch Vorreiter sein, so die Meinung des Dokumentations-Objektes. “The act of doing something in itself could be art”, war seine Schlussfolgerung, die ihn schließlich zur aufstrebenden Körperkunst führte. Seine Werke sollten dabei keine Antworten geben, sondern Fragen aufwerfen. “It doesn’t have a purpose and that’s what it is”, bringt es Burden auf den Punkt. Was natürlich nicht gleichzeitig bedeuten muss, dass in seinen Werken deshalb keine Botschaft mitschwingen konnte, nur weil diese nicht im Vordergrund stand.

Für den Betrachter mag Chris Burden dabei je nach Blickwinkel Spinner und Visionär sein. Er hat natürlich Recht, wenn er reklamiert, dass im Gegensatz zu anderen Kunstobjekten seine Form von Perfomance und Body Art weder zu horrenden Summen ge- oder verkauft werden kann und er so die Kontrolle über sein Werk behält. So musste man Doomed (1975) erlebt haben, als sich Burden 45 Stunden lang regungslos unter eine Glasplatte legte. Niemand kann diese Installation heute für zig Millionen Dollar erstehen, die Flüchtigkeit des Werks zeichnet es somit gleichzeitig aus. Insofern ist Body Art in gewisser Weise auch immer ein Stück weit Event Art, ein subjektives Erlebnis für den Zuschauer mit aktiver Teilnahme.

Bei der Sichtung von Burden wird das Publikum unweigerlich an heutige Performance-Künstler wie Marina Abramović und deren Installation The Artist is Present (2010) denken. Ein Projekt, das Hollywood-Schauspieler Shia LaBeouf in ähnlicher Form als #IAMSORRY (2014) umsetzte. Burden selbst widmete sich später weniger der Body Art als vielmehr seiner ursprünglich Passion der Skulpturen. So vollendete er nach vierjähriger Planungsphase schließlich seine kinetische Skulptur Metropolis II (2011), eine Stadt mit über 1.000 sich bewegenden Spielzeugautos. Drei Jahre zuvor war in Los Angeles Urban Light (2008) vorgestellt worden, eine Kollage von antiken Straßenlampen, die seither eine ikonische Sehenswürdigkeit ist.

Dewey und Marrinan gelingt es somit ganz gut, einen übergreifenden Einblick in die Person und das Werk von Burden zu geben. Allerdings hätte es durchaus noch Potential gegeben, nicht nur eine Art historische Chronologie der Body-Art-Form an sich zu geben, genauso wie auch den Künstler selbst retrospektiv die Gedanken um seine Arbeit reflektieren zu lassen. Wie genau funktionierte seine Inspiration für Installationen wie Trans-fixed? Wie denkt der alte Burden, der weniger provokativ-kontrovers, eher konventionell arbeitet, über sein drei Jahrzehnte jüngeres Pendant? Auch eine Kurator-Einschätzung wäre vielleicht ein Interview Wert gewesen, nebst solchen mit Restaurant- und Film-Kritikern wie Jonathan Gold und Roger Ebert.

Auch der verstärkte Wechsel von Body Art hin zu gemäßigteren Skulptur-Installationen, der Ende der 1970er, Anfang der 1980er bei Burden begann, hätte ein Thema für sich sein können. Sieht der Künstler Werke wie Shoot und Urban Light oder seine Beam Drop-Installationen (in denen Stahlträger in flüssigen Beton fallengelassen werden) auf einem Level? Vollständige Antworten vermag Burden nicht zu liefern – getreu dem Filmobjekt und seinem Mantra selbst. “Monkey see. Monkey do”, tat Sewell an einer Stelle Performance-Kunst ab, den Anspruch, Kunst zu sein, wird sie aber wohl dennoch verdientermaßen gerecht. “Creativity takes courage”, meinte bereits Henri Matisse. Und wer auf sich schießen lässt, hat Mut genug.

6/10

19. Juli 2014

Life Itself

I’ll see you at the movies.

Für viele ist er der größte Filmkritiker aller Zeiten – diesen inoffiziellen Titel verdiente sich Roger Ebert aufgrund seiner speziellen Art, Filme zu rezipieren. Im vergangenen Jahr verlor der 70-Jährige seinen Kampf gegen Schilddrüsenkrebs und hinterließ ein großes Loch bei seiner Zeitung Chicago Sun-Times. Über 45 Jahre war er für sie als Filmkritiker tätig, gewann 1975 sogar den Pulitzer Preis für seine Arbeit. Bevor sich sein Gesundheitszustand verschlechterte, plante Ebert mit Regisseur Steve James seine Autobiografie Life Itself als Dokumentation umzusetzen. In ihr werden seine journalistischen Anfänge reflektiert sowie seine Hass-Liebe zu Kollege Gene Siskel, mit dem er gemeinsam zum Filmkritiker-Gesicht der USA avancierte.

Bereits in der Schulzeit fand Ebert zum Journalismus, arbeitete als Sportreporter für die News-Gazette. “It was unspeakably romantic“, erinnert sich Ebert. Später wechselte er 1967 mit 25 Jahren an die Universität in Chicago und schrieb für die dortige Sun-Times. “And then, five months later, the film critic retired and they gave me the job“, erzählt er. Eher zufällig also kam er zu seiner größten Leidenschaft im Leben: den Filmen. “He really, really loved films“, berichtet auch Martin Scorsese, einer der Talking Heads und zugleich Produzenten von Life Itself. Ähnlich wie Werner Herzog und Errol Morris profitierte er besonders von Eberts Kritiken, ernannte dieser doch Scorseses Debüt Who’s That Knocking at My Door zum Instant Classic.

Landesweit bekannt wurde Roger Ebert aufgrund seiner Zusammenarbeit mit Gene Siskel, die gemeinsam in einer Sendung neue Filmstarts besprachen. Eine interessante Konstellation, war Siskel doch der Filmkritiker von Eberts Konkurrenzblatt: der Chicago Tribune. “We were professional enemies“, erzählt Ebert. Und, dass die zwei Männer in den ersten fünf Jahren, die sie sich kannten, kaum miteinander sprachen. Dennoch stimmten beide später zu, gemeinsam vor die Kamera zu treten. Dabei konnten sie sich auch dort lange Zeit nicht riechen, wurden aber dann zu Amerikas go-to Filmkritikern, ihre “two thumbs up“ zum begehrten Qualitätssiegel. Bis Gene Siskel 1999 an einem Hirntumor starb, von dem ausschließlich seine Familie wusste.

Drei Jahre später würde bei Ebert selbst ebenfalls Krebs diagnostiziert werden, in dessen Verlauf er seinen Unterkiefer verlor. Als Folge blieb ihm ein herabhängender Hautlappen, der ihm irgendwie ein stetes Lächeln ins Gesicht zaubert. Seine Fernsehauftritte wurden danach seltener, nicht aber seine Arbeit als Kritiker. “When I am writing I am the same person I always was“, verrät er. Und Werner Herzog nennt ihn in seiner so typischen herzogschen Art “a soldier of cinema“. Ob Ebert in seinen späteren Jahren so viel weiser wirkte, weil seine Worte nun einem Sprachcomputer entstammten, sei dahingestellt. Und auch wenn Steve James’ Film nah dran am großen Filmkritiker ist, macht Life Itself ihn leider nicht wirklich greifbar.

Was genau sah er in Filmen und wie sah er sie? Was bedeutete ihm seine Beziehung zu Siskel und zu seiner großen Liebe, Ehefrau Chaz? Genauere Einblicke verschafft der Film nicht, reißt sie allenfalls an. So wird Eberts Faible für die Filme von Russ Meyer mit dessen großbrüstigen Darstellerinnen erklärt. Zu Beginn heißt es – nach einer klassischen Rekapitulation der Journalisten-Truppe, die nach Feierabend durch die Kneipe zog – plötzlich, dass Ebert im August 1979 mit dem Trinken aufhörte. “I couldn’t take it anymore.“. Wieso er Alkoholiker war und wie sich die Krankheit auf seine Arbeit oder Persönlichkeit auswirkte – man müsste es wohl wie so vieles in seiner Biografie nachlesen. Aber ob diese tatsächlich Antworten bietet?

Steve James scheint sie darin nicht gefunden zu haben. Dass Life Itself ein detaillierter Blick auf Eberts Leben und Schaffen fehlt – ein Großteil fokussiert sich ausschließlich auf Siskel & Ebert & the Movies –, könnte der gesundheitlichen Verschlechterung und dem folgenden Ableben seines Protagonisten geschuldet sein. Vollends gerecht wird die Dokumentation diesem aber nicht, auch wenn sie durchweg über ihre zweistündige Laufzeit unterhält. Dennoch ist sie zu oberflächlich, um lebendig zu werden, selbst dann, wo sie Konflikte wie zwischen Ebert und Siskel oder Richard Corliss vom Time Magazine behandelt. Im Film leiht Stephen Stanton Eberts Worten teilweise seine Stimme. Wirklich hörbar wird diese in Life Itself aber nicht.

7/10