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3. Dezember 2016

Kimi no na wa [Your Name]

You sure do like your boobs.

Wenn Figuren aus ihrem Element sind, ist das oft ein beliebtes Mittel, um Humor zu generieren. Allen voran sicherlich im Film-Subgenre des Körpertauschs, das speziell in den Achtzigern und Neunzigern an Popularität gewann. In Klassikern wie Like Father Like Son oder Freaky Friday wechselt meist ein Elternteil mit seinem pubertierenden Kind den Körper und damit die Perspektive, in Shinkai Makotos Kimi no na wa – international als Your Name vertrieben – sind es der Tokioter Schüler Taki (Kamiki Ryūnosuke) und die Kleinstadt-Jugendliche Mitsuha (Kamishiraishi Mone), die alle paar Tage im Körper des anderen aufwachen. Nur um jeder am Tag darauf dann aufzuarbeiten, was der andere zuvor einem als man selbst eingebrockt hat.

“You’re normal today”, stellt da Mitsuhas Großmutter ebenso beim Frühstück fest wie Takis Klassenkameraden, wenn beide wieder sie selbst und nicht der andere sind. Der Chronologie der Ereignisse folgt Shinkai dabei nicht immer ganz, so beginnt Kimi no na wa praktisch als der Körpertausch bereits im Gange ist. Ausgelöst durch einen Komet, der die Erde in den nächsten Tagen passiert, ist der Körpertausch speziell für Mitsuha ein kleiner Gewinn, ist sie doch von der Provinzialität ihrer Kleinstadt gelangweilt. “There’s really nothing in this town”, bestätigt ihre Freundin. Der Zug hält nur alle zwei Stunden am Bahnhof, es gibt keinen Zahnarzt, aber immerhin zwei Kneipen. Kein Wunder, träumt Mitsuha also von einem zukünftigen Leben in Tokio.

Dieses ermöglicht ihr der Körpertausch mit Taki, der sie bevorzugt mit dessen Freunden in ein Café treibt, wo sie sich an Kuchen und süßen Backwaren labt. Sehr zu Takis Missfallen, muss er doch aufgrund seiner steigenden Ausgaben mehr Schichten als Kellner übernehmen. Auch dabei fährt ihm Mitsuha in die Parade, beginnt sie doch bei ihren Ausflügen in seinen Körper Avancen gegenüber dessen etwas älterer Vorgesetzter (Nagasawa Masami) einzuleiten. Die Einblicke in Takis Leben in Mitsuhas Körper halten sich derweil in Grenzen, jenseits des wiederkehrenden amüsanten Gags, wenn er als erste Handlung stets ihre/seine Brüste massiert. Sehr zur Verwunderung von Mitsuhas kleiner Schwester Yotsuha.

Die Reduktion seiner Sicht auf das rein Körperliche ist zwar etwas schade, aber die Eingrenzung der Einblicke wohl auch der Tatsache geschuldet, dass Shinkai nach etwa der Hälfte der Laufzeit eine Art Twist einführt, der die zweite Hälfte des Films bestimmt. Zuvor ist Kimi no na wa so uneindeutig wie vorhersehbar zugleich, ganz so wie es japanische Animes mitunter sein können. Als es Taki ist, der in seinem Körper eine Verabredung mit seiner Vorgesetzten wahrnehmen darf, die Mitsuha zuvor eingeleitet hat, zeigt die sich zum Beispiel derart enttäuscht, dass kurz der Eindruck entsteht, sie habe ein aufrichtiges sexuelles Interesse an Takis Chefin. Wobei klar sein dürfte, dass Shinkai für sie auf eine Romanze mit Taki hinarbeitet.

Narrativ macht der Film dann in der zweiten Hälfte einen großen Sprung, wo dies womöglich gar nicht nötig gewesen wäre. Der Twist dominiert plötzlich das Geschehen und gibt eine Richtung vor, die wenig Platz für Ausflüge lässt. Wo die Geschichte zuvor gemächlich vor sich hinplätscherte, mit Taki und Mitsuha einander Nachrichten auf ihrem Smartphone oder direkt auf dem Körper hinterlassend, was sie alles nicht im Körper des anderen tun sollen, wird die Geschichte für die restliche Dreiviertelstunde auf einmal von einer unabwendbaren Dringlichkeit dominiert. Was jedoch nicht bedeutet, dass nicht weiter Raum für humorvolle Momente wäre, nur wirkt es doch wie ein enormer Tempowechsel, der etwas aus heiterem Himmel kommt.

Ungeachtet dessen liefert Shinkai Makoto mit Kimi no na wa einen visuell hinreizenden und inhaltlich amüsanten sowie durchaus bewegenden Film, der einen als Zuschauer so berührt, wie es für gewöhnlich nur japanische Animes – insbesondere die von Hosoda Mamoru – können. Der Voice Cast rund um Kamishiraishi Mone ist ebenfalls herausragend und die Musik von Radwimps trägt ihren Teil zur melancholischen Ergreifung des Publikums teil. Insofern ist Kimi no na wa zwar weniger ein typischer Vertreter für das Körpertausch-Genre, aber fraglos einer für das japanische Kino. Und bietet einem wie es Taki und Mitsuha selbst an einer Stelle im Film hinsichtlich des Kometen-Schweifs formulieren “nothing more, nothing less than a beautiful view”.

8/10

30. September 2010

Samā Wōzu

Koi Koi!

Für den Menschen des 21. Jahrhunderts ist Social Media inzwischen sein Wasser und Brot. Eine Studie der Universität in Maryland fand im April 2010 heraus, dass sich Studenten sozial abgeschottet fühlen und Entzugserscheinungen haben, wenn sie 24 Stunden nicht ihr Facebook-Profil besuchen. Die digitalen Freunde sind für die 500 Millionen Facebook-Nutzer inzwischen wichtiger geworden als ihre realen sozialen Kontakte. Was Facebook für den Westen ist, bedeutet jedem vierten Japaner sein Mixi. In Hosoda Mamorus jüngstem Film Samā Wōzu übernimmt die fiktive Welt OZ die Rolle des sozialen Netzwerks. Hier hat jeder sein Avatar, vom Gymnasiasten bis hin zum Militär. Man unterhält sich mit seinen Freunden online, ficht Kämpfe aus oder geht einkaufen. OZ ist von fast überall zugänglich, sei es das Notebook, der Nintendo DS oder das Mobiltelefon. Was passieren kann, wenn sich der Mensch zu sehr in den Social Media verliert und diese von einem Dritten gehackt werden, zeigt Samā Wōzu.

Während seiner Sommerferien wollte das Mathe-Genie Kenji (Kamiki Ryūnosuke) eigentlich als Moderator für OZ arbeiten. Doch als Natsuki (Sakuraba Nanami), das populärste Mädchen der Schule, ihm für vier Tage einen Privatjob anbietet, willigt Kenji natürlich ein. Nichtsahnend, dass er nun vor ihrer Großfamilie zum 90. Geburtstag der Großmutter Sakae (Fuji Sumiko), dem Familienoberhaupt, Natsukis Pseudo-Freund mimen muss. Da kommt ihm eine nächtliche SMS mit einem Zahlencode gerade recht. Bis zum Morgengrauen hat Kenji das Ganze entschlüsselt, nur um sich kurz darauf in den Nachrichten wiederzufinden: als Hacker von OZ. Wie sich herausstellt, hat der Schüler durch sein Passwort einer KI Zugang in das soziale Netzwerk gewährt - und diese beginnt fortan, nicht nur Chaos zu veranstalten, sondern sich zudem die anderen Profile einzuverleiben. Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, droht auch noch das Ende der Welt. Lediglich Kenji, Natsuki und ihre Familie können dies verhindern.

Von Hosoda-san stammte vor drei Jahren der exzellente Toki o Kakeru Shōjo, an dessen Klasse Samā Wōzu zwar nicht heranreicht, aber dennoch sehr gut unterhält und gegen Ende berührt. Zurückführen lässt sich das natürlich auf die große und über weite Strecken sehr herzliche Familie Jinnouchi, die vom großmäuligen Onkel über die Baseball-begeisterte Tante bis hin zu den naseweisen Kleinkindern reicht. Es sind auch diese familiären Momente, die zugleich - wie es im japanischen Kino üblich ist - für humorvolle Szenen herangezogen werden. Auch die sehr zurückhaltend inszenierte Liebesgeschichte zwischen Kenji und Natsuki gehört zu den emotionalen Gewichten auf Hosodas Waage. Gerade die romantischen Gefühle der beiden Schüler spielen sich nahezu komplett im Hintergrund ab, frei von der Aufdringlichkeit des westlichen Kinos reicht eine einzige Szene, eine einzige Berührung der Finger, um glaubhaft und bewegend eine Veränderung in der Beziehung der Beiden zu schildern.

Die meiste Zeit verbringt das Publikum mit Kenji und den Jinnouchis, wohingegen man von OZ selbst nur zu Beginn des Filmes einen Eindruck erhält. Ist die KI, „Love Machine“ genannt, erst einmal im System, verschwindet eigentlich nahezu alles, was OZ zuvor ausgezeichnet hat. Einem bedrohlichen Tyrann gleich, verschanzen sich die übrigen Avatare - sich lediglich dann zeigend, wenn jemand für sie und ihr soziales Netzwerk einzutreten bereit ist. Diese an Terry Malloy angelegte Figur übernimmt der Avatar „King Kazma“ von Natsukis 13-jährigem Otaku-Cousin Kazuma (Tanimura Mitsuki). In der digitalen Welt von OZ können nun jedwede Actionszenen Einzug finden, für die in der Realität kein Platz ist, die allerdings zum Unterhaltungswert des Filmes enorm beitragen. Hier wie da propagiert Hosoda natürlich das Motto „(Nur) Gemeinsam sind wir stark“, das in Hunderten von Filmen aufgegriffen wurde, unter anderem natürlich auch in dem messianisch angehauchten On the Waterfront von Elia Kazan.

Was Samā Wōzu vermissen lässt, ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem Phänomen „soziales Netzwerk“. Unabhängig davon, dass die Gefahr am Ende durchaus real wird, fürchten die Protagonisten um ihre Avatare als wäre es ihr eigen Fleisch und Blut. Die Problematik der vermehrten Verlagerung ins Web 2.0 und das verstärkte Verlieren in dieses (Kazumo müsste als Otaku Warnung genug sein), wird von Hosoda nicht beachtet. OZ wird als so selbstverständlich erachtet, wie die Realität. Das hat am Ende insofern Konsequenzen, da dadurch die digitale zur reellen Gefahr werden kann. Abgesehen von einigen offenen Fragen - so hat es Kenji zum Beispiel nicht geschafft, sein Land in der Mathe-Olympiade zu vertreten, dabei erscheint es zweifelhaft, dass jemand ähnlich begabt ist wie er - gefällt Hosodas Film gerade durch die Lockerheit, die seine Werke von denen eines Ōtomo Katsuhiro oder Oshii Mamoru unterscheiden. Und katapultiert ihn spätestens jetzt in dieselbe Liga wie Ōtomo und Oshii.

8/10