26. Juni 2013

Die Top 5: The Shield

Good cop and bad cop have left for the day. I’m a different kind of cop.

Der Polizei- bzw. Kriminalfilm besitzt sein ganz eigenes Genre, im Fernsehen gerne auch “police procedural” genannt. Von Kojak über Miami Vice bis hin zu Law & Order werden seit über 40 Jahren die Erlebnisse der Gesetzeshüter in Amerikas Großstädten erzählt. In den vergangenen Jahren ging der Trend mehr hin zum Realismus, Serien wie The Wire versuchten sich als sozio-kultureller Kommentar darzustellen, andere Shows wie The Shield eher als eine Tragödie mit shakespeareschen Anleihen. Letztere, von Shawn Ryan konzipierte Serie, lief von 2002 bis 2008 auf dem Kabelkanal FX und erzählt von einer Einheit korrupter weißer Ermittler in einem Minoritäten-Stadtteil von Los Angeles.

Vic Mackey (Michael Chiklis) leitet die Sondereinheit des Strike Teams, das sich auf die Gangs im Viertel spezialisiert. Mit seinem Team (Walton Goggins, Kenneth Johnson, David Rees Snell) legt er das Gesetz jeden Tag aufs Neue selbst aus, was ihn bei seinem Vorgesetzten, David Aceveda (Benito Martinez), in Misskredit gebracht hat. Mackey macht Deals mit Drogenhändlern, unterschlägt hier und da etwas Geld und wendet bereitwillig Gewalt an, um seinen Standpunkt klarzumachen. Von Kollegen wie der Streifenpolizistin Danny Sofer (Catherine Dent) wird das akzeptiert, von Ermittlerin Claudette Wyms (CCH Pounder) geduldet und von ihrem Partner ‘Dutch’ Wagenbach (Jay Karnes) eher missbilligt.

Nun erzählt The Shield nichts, was man nicht bereits anderswo gesehen hätte. Egal ob Colors oder die Filme von Polizei-Fan David Ayer wie End of Watch oder Street Kings, alle sind voll von Rassenunruhen, Korruption und Straßengangs in Los Angeles. Letztlich ist The Shield somit eine Polizeiserie von vielen, auch wenn Blogger-Kollegen wie Bullion („Eine mitreißende und schockierende Cop-Serie“) oder Stefan Rybkowski das anders sehen. Dabei legt die Serie durchaus Wert darauf, alle ihre Figuren mit Makeln zu versehen – manche mehr als andere. So sind Wyms und Wagenbach von Egomanie zerfressen, während Aceveda (im Serienfinale nicht unpassend “ass invader” ausgesprochen) sogar gänzlich inkompetent ist.

Somit ist die zentrale Identifikationsfigur der amoralische Vic Mackey, ein klassischer guter Polizist, der nebenbei böse Sachen macht. Zum Beispiel – Achtung: Spoiler – direkt zum Ende der Pilotfolge einen von Aceveda angeheuerten Undercover-Cop in der eigenen Einheit hinrichten und es einem Dealer in die Schuhe schieben. Jener Vorfall ist es auch, der letztlich die späteren Entwicklungen der letzten drei Staffeln auslösen und beherrschen wird. Shawn Ryan und Co. zeigen allerdings oft genug, dass Mackey zum einen das Wohl des Viertels am Herzen liegt und zum anderen, dass es zumeist seiner Arbeitsmentalität zu verdanken ist, wenn Verbrechen wie Drive-by-Shootings oder Morde schnell aufgelöst werden.

“I’m the best there is at what I do, but what I do best isn’t very nice”, hatte bereits Wolverine gesagt und diese Selbstdarstellung passt auch auf Mackey (zum Ende der finalen Staffel bezeichnet er sich ohne Umschweife als “action hero”). Er ist fraglos ein tragischer Held à la Macbeth, der sich sein eigenes Grab schaufelt beziehungsweise gleich zu Beginn eine Suppe einbrockt, die er sieben Jahre lang auslöffeln wird. Hinter Mackeys Darstellung stehen die übrigen Figuren leider etwas zurück. Manchen wie Strike Team-Mitglied Ronnie (David Rees Snell) widmet man sich gar nicht, andere wie sein Kollege Shane (Walton Goggins) oder Aceveda stagnieren und Wyms macht irgendwann sogar eine Kehrtwende um 180 Grad.

War ihr zu Beginn Mackeys Art des Polizeidienstes schnuppe (“I don’t judge other cops.”), macht sie am Ende wegen diesem mehr Theater als selbst Aceveda. Dabei ist es sogar Mackey, der von allen am effektivsten in seinem Kommissariat arbeitet. Zuvorderst wird in The Shield jedoch intrigiert, fingiert und kompromittiert. Und wie die Serie das zeigt, ist keinesfalls schlecht, allerdings auch selten wirklich überdurchschnittlich. So ragen aus den 88 Episoden nur sieben Folgen wirklich erkennbar heraus, die fünf besten von ihnen sollen im Folgenden vorgestellt und präsentiert werden. (Leichte) Spoiler lassen sich bei sieben ineinandergreifenden Staffeln jedoch nicht vermeiden, insofern sei “viewer discretion advised”:


5. Back to One (Season 6, Episode 3/Gwyneth Horder-Payton): In seiner Suche nach dem vermeintlichen Mörder eines Freundes und Kollegen verliert sich Vic immer mehr in seiner unkontrollierbaren Rachsucht. Zuvorderst gefällt in dieser Folge jedoch, dass der sonst oft in den Hintergrund gedrängte Ronnie für einen Fall vom Strike Team abgezogen wird und bei der Sprengung eines Drogenrings sein Können zeigen darf.

4. Possible Kill Screen (Season 7, Episode 12/Billy Gierhart): Die vorletzte Episode der Serie drängt Vic mit dem Rücken zur Wand. Angesichts seiner bevorstehenden Entlassung aus dem Dienst und der Gefahr, womöglich alles zu verlieren, entschließt sich Vic im Austausch für seine Kooperation gegenüber der Zollbehörde von dieser mit Immunität für seine Verbrechen ausgestattet zu werden. Die Folge: ein mehrstündiges Geständnis.

3. Mum (Season 3, Episode 5/Nick Gomez): Infolge der Ereignisse zum Ende der 2. Staffel steht das Strike Team unter strenger Beobachtung von Wyms und Aceveda. Letzterer tut sich allerdings damit selbst keinen Gefallen und als er auf eigene Faust Ermittlungen an einem Tatort anstellt, kommt ihm seine fehlende Erfahrung im Polizeidienst zu Schaden. Die Vorfälle dieser Folge werden den Captain zwei weitere Staffeln begleiten.

2. Dragonchasers (Season 1, Episode 10/Nick Gomez): Während Vic seine menschliche Seite zeigt und einer Informantin beim Drogenentzug helfen will, darf Wagenbach sich im Verhör mit einem gerissenen Serienmörder beweisen. Dies stellt Dutch vor seine bisher größte Prüfung, professionell wie psychologisch. Das Resultat ist am Ende neugewonnener Respekt in seinem Dezernat, allerdings auch eine tränenreiche Selbsterkenntnis.

1. Trophy (Season 5, Episode 5/Philip G. Atwell): Die internen Ermittlungen von Jon Kavanaugh (Forest Whitaker) gegenüber Vic und dem Strike Team scheinen nach einer Abhörung von deren Büro zu einem Ende zu kommen. Doch wie sich zeigt, hat Kavanaugh die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn Vic demonstriert auf eindrucksvolle und ausgeklügelte Weise sein Genie – schafft sich damit aber einen unkontrollierbaren Antagonisten.

20. Juni 2013

The Last of Us

You make every shot count.

Mit Zombies, zumindest der alten Romero’schen Schule, ist es so, dass sie individuell relativ harmlos sind, als Masse jedoch riskant daherkommen. Ähnlich könnte man es mit Filmen und anderen Geschichten halten, die sich Zombies oder Zombie-ähnlicher Antagonisten (meist als „Infizierte“ gebrandmarkt) bedienen. Nach 28 Days/Weeks Later, Dawn of the Dead, Zombieland, Warm Bodies, World War Z und The Walking Dead ist das Genre selbst ein fast nicht tot zu kriegender Zombie geworden. Weshalb es nicht überrascht, dass das post-Zombie-apokalyptische Szenario vermehrt Einzug in die Spielwelt gewinnt. Aktuell der Fall in The Last of Us, dem angeblichen neuen PlayStation-3-Referenzspiel von Naughty Dog.

Darin wird die Welt – zumindest jedoch die USA – im Jahr 2013 von einer Cordyceps-Pandemie heimgesucht. Parasitische Pilze, die sich im Gehirn der Infizierten einnisten und diese als Wirt missbrauchen. In Austin, Texas muss unser Held Joel (Troy Baker) am Abend des Krankheitsausbruchs mit persönlichen Verlusten klarkommen, ehe die Handlung 20 Jahre in die Zukunft und an die Ostküste nach Boston springt. Inzwischen in einer vom Militär regierten Quarantänezone als Plünderer lebend, werden Joel und seine Partnerin Tess (Annie Wersching) von Firefly-Widerstandskämpferin Marlene (Merle Dandridge) engagiert, um die 14-jährige Ellie (Ashley Johnson) an Militär und Infizierten vorbei aus der Stadt zu schmuggeln.

Nicht alles verläuft dabei nach Plan und schon bald sieht sich Joel, der von dem ganzen Plan ohnehin von Anfang an nichts gehalten hat, alleine für Ellie verantwortlich. Nun gilt es, diese durch das Land zur University of Eastern Colorado zu eskortieren, wo die Fireflies angeblich ihr letztes Hauptquartier hatten. Denn es zeigt sich, dass Ellie gegen den Cordyceps-Befall immun und dabei womöglich die Rettung der Menschheit ist. Weil die USA jedoch nicht nur von den Infizierten befallen sind, sondern auch an jeder Ecke kriminelle Banden lauern, muss Joel öfter als ihm lieb ist seine Stealth- und Shooter-Qualitäten unter Beweis stellen. Immer Ausschau haltend nach Material, um Nagelbomben und Molotow-Cocktails zu basteln.

Atmosphärisch dicht kam der Trailer zu The Last of Us daher, passend dazu fiel das Lob der Gaming-Seiten aus – so zückte unter anderem IGN die Höchstwertung. Inhaltlich ist Naughty Dogs jüngstes Abenteuer ein Amalgam verschiedener anderer Werke. Cormac McCarthy wurde als Inspiration genannt, sein The Road gemeinsam mit P.D. James’ Children of Men, I Am Legend und Telltale Games’ The Walking Dead sind vermutlich mit die offensichtlichsten Parallelen, die man als Spieler ausmachen dürfte. Aber auch Enslaved: Odyssey to the West ruft einige Erinnerungen auf den Plan, ebenso wie optisch Naughty Dogs eigene Uncharted-Trilogie oder vom Gameplay her ähnliche jüngere Spiele wie Tomb Raider.

So erwehrt man sich der Infizierten meist im Shooter-Stil, wobei auch die Option besteht, sie im Stealth-Modus einzeln auszuschalten. Letzterer wird primär auf den Plan gerufen, wenn es gilt, die Milizen oder Räuberbanden zu überwältigen. Von Erwürgen bis Erdolchen sind der Fantasie dabei keine Grenzen gesetzt – bei Vollinfizierten, so genannte blinde und daher auf Geräusche angewiesene “Clickers”, ist Körperkontakt dagegen nicht zu empfehlen. Mittels Zucker, Scheren und Alkohol kann dann wahlweise ein Medikit oder eine Splitterbombe gebastelt werden – worauf der Spieler eben mehr Wert legt. Außerdem lassen sich auch Jagdgewehr, Shotgun, Bogen, Revolver, Flammenwerfer und Co. aufrüsten und modifizieren.

Das alles kennt man von anderen Spielen, eben nicht zuletzt Tomb Raider. Das Gameplay von The Last of Us erfindet das Rad somit alles andere als neu, vielmehr kommt wohl kaum noch ein Action-Adventure-Game ohne Stealth-Modus aus. Gerade für Spieler, die durch Uncharted, Far Cry 3 und Konsorten erprobt sind, hält Naughty Dog kaum Überraschungen bereit. Auch die zusammengeklaubte Geschichte will nie so richtig zünden. Der Zeitsprung von 20 Jahren ist hart, was es für eine Figur wie Tess nicht leichter macht. Wieso man dem Militär nur an der Ostküste begegnet, ob es noch eine Regierung gibt und was die Fireflies eigentlich wollen, vermag nur herauszufinden, wer jede der zahlreichen Notizen sucht und liest.

Im direkten Vergleich schneidet Handlungstechnisch jedenfalls Telltale Games’ The Walking Dead besser ab, da die Beziehung zwischen Spieler und kleinem Mädchen eindringlicher gestaltet wurde und das Spiel darauf basierte, dass die Entscheidungen des Spielers nicht nur einen Einfluss auf den Spielverlauf haben, sondern auch auf die Reaktion der Figuren. The Last of Us folgt dagegen linear einer vorgefertigten Handlung: Getötet werden muss, wer eben getötet werden muss – eine Wahl hat man meist nicht. Viel Potential wurde verschenkt, indem man hier und da einfach mal nicht auf Gegner oder Infizierte verzichtet hat, um die verwucherte, verlassene post-apokalyptische Welt richtig auf einen wirken zu lassen.

Das Potential des Spiels ist bisweilen zu erkennen – zum Beispiel bei einer Rettungsaktion in einer Geisterstadt inmitten eines Schneesturms –, nur wird es selten wirklich ausgeschöpft. Stattdessen folgt stets die nächste Welle an Infizierten, Clickers, Milizen und Kannibalen, die man erwürgen, -dolchen, -schlagen, in die Luft jagen oder erschießen muss. Obschon The Last of Us somit gut aussieht (es erinnert an die Uncharted-Serie), tolle Set Pieces beinhaltet und im Lauf der Zeit die Beziehung von Joel und Ellie den Spieler einnimmt, ist das Spiel kaum als Meisterwerk und nicht einmal als Referenzspiel zu bezeichnen. Zu ähnlich ist es dafür den Konkurrenten der jüngeren Vergangenheit, zu viel Originalität lässt es vermissen.

Die musikalische Untermalung von Gustavo Santaolalla, die den Fokus auf die Emotionalität der Geschichte zu legen versucht, will dabei nicht so recht zum Spiel passen. Dafür ist das Tempo der Action zu enorm. Wirklich zur Ruhe kommt das Game nur in den Cut Scenes, die man aber nicht spielen kann und die zudem – dadurch, dass sich das Spiel für seine Story nur bei bekanntem Material bedient – ohnehin vorhersehbar sind. The Last of Us ist somit selbst in gewisser Weise von Parasiten befallen, die seinen Weg vorherbestimmen. Mehr Mut zur Eigenständigkeit, wie beispielsweise von Team Ico an den Tag gelegt, hätte nicht geschadet. Entsprechend liegt die Game-Hoffnung auf deren angekündigtem The Last Guardian.

7.5/10

17. Juni 2013

Man of Steel

A good death is its own reward.

Christopher Nolan ist vermutlich jemand, der zum Lachen in den Keller geht. Zumindest gibt sich der Brite in seinen Comic-Geschichten derart bierernst, dass man den armen Mann fast bemitleidet und ihn umarmen möchte. Umso paradoxer also, dass gerade der Einstieg in sein Superman-Reboot Man of Steel lächerlicher kaum sein könnte. Das beginnt auf Krypton, das hier keine Eiswelt mit Swarovski-Innendesign mehr ist, sondern eine technologisierte Dschungel-Landschaft voller Vulkane. Russell Crowe gibt einen bärigen Jor-El, der Befehle in einen Flugsensor im Pin-Art-Look schnauzt, während er auf einem Flugdrachen vor Raumschiffen flieht. Wüsste man es nicht besser, würde man sich in einem feuchten Traum von Wolfgang Hohlbein wähnen. 

Superman, das ist nicht dabei nicht nur der allererste, sondern auch populärste Comic-Held der Amerikaner. Und trotz seines Alters von 75 Jahren und fünf Kinofilmen gibt es nun von Warner Bros. wie bereits für Batman einen Relaunch der Figur. Inklusive Origin-Story versteht sich. Ähnlich wie zuvor in Richard Donners Superman frisst der allseits bekannte Hintergrund zur Figur fast die Hälfte der Laufzeit, ehe Clark Kent alias Kal-El endlich das blaue Spandex mit dem roten Cape überstreifen darf. Der sehenswerte und gemeinhin unterschätze Superman Returns soll vergessen gemacht werden, so der Auftrag des The Dark Knight-Triumvirats um Warner, Christopher Nolan und David S. Goyer an Krachbumm-Regisseur Zack Snyder.

Verfügten die Filme von Donner und Singer zusammen über rund fünf Action-Setpieces, kommt auf die Zuschauer in Man of Steel nun ein Action-Setpiece alle fünf Minuten zu. Angefangen auf Krypton, wo ein in Knochenrüstung gekleideter Jor-El im Angesicht der bevorstehenden Apokalypse nicht nur seinen neugeborenen Sohn in eine sichere Zukunft schicken will, sondern auch den meuterischen General Zod aufhalten muss. Ausgestattet mit dem Gen-Material seiner gesamten Rasse – schick in Form eines alten Yorick-Schädels – wird Kal-El zur Erde entsandt. Zod, obschon nunmehr verhaftet und ins Exil verbannt, will dies nicht auf sich sitzen lassen. Finden wird er Kal-El, schreit er daher wieder und wieder.

Dann heißt es erstmal durchatmen. Auf der Erde sehen wir nun Clark als bärtigen einsamen Wanderer à la Bruce Wayne. Mal hier, mal da – auf der Suche nach seiner Bestimmung. Seine Kindheit wird in Rückblenden aufgedröselt, erste Kraftmanifestierungen im Klassenzimmer oder eine Schulbusrettung aus dem Fluss. Irgendwann hört Clark dann zwei Militärs von einer Entdeckung im Eis reden. Nicht nur er. Auch Starreporterin Lois Lane erfährt von dem mysteriösen Fund und wird daraufhin – weitaus mysteriöser – vom US-Militär exklusiv zur Berichterstattung eingeflogen. Der Fund entpuppt sich wiederum als ein 18.000 Jahre altes kryptonisches Raumschiff, das Clark mittels einer Art kryptonischen USB-Stick rebooted.

Dies ruft einige Situationen auf den Plan, mit denen Clarks Ziehvater Jonathan Kent (Kevin Costner) nicht sonderlich zufrieden wäre. So taucht kurz darauf Zod mit seiner Schergentruppe auf und fordert die Übergabe seines Landsmanns. Jetzt muss Clark/Kal-El also zum Superman werden, den passenden Anzug hierfür hat er praktischerweise in dem 18.000 Jahre alten UFO gefunden. Das fungiert in diesem neuen Superman-Franchise als der Ersatz für Kal-Els Fortress of Solitude, ist jedoch auch weit mehr als das. Schließlich geht es im Gegensatz zu Richard Lesters Superman II nicht ausschließlich um Zods Rache am Sohn von Jor-El, sondern um weitaus existentiellere Fragen. The survival of the fittest – wenn man so will.

Krypton wird nämlich als eugenische Gesellschaft dargestellt, bevölkert von Retortenbabys nach dem Vorbild des platonischen Staates. Somit wird jeder Kryptonier zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks geboren. Im Falle von Zod ist es die Sicherstellung des Überlebens aller Kryptonier. Kal-El dagegen wurde „herkömmlich“ geboren, um einen freien Willen und die Wahl seines Schicksals zu besitzen. Eine Begebenheit, die Zod zur tragischen Figur macht, da er weniger zum klassischen Bösewicht wird – der intendierte Massenmord an der Menschheit hin oder her. Schade jedoch, dass sich Nolan und Co. für diesen Umstand nicht sonderlich interessieren. Stattdessen aber dafür, Superman und die Kryptonier sich nonstop kloppen zu lassen.

Mit Schmackes zimmern sie sich erst in Smallville, später auch nochmals in Metropolis von einem Gebäude durch ein Gebäude zum nächsten Gebäude – und wieder zurück. Das weckt gerade im Finale dann böse Erinnerungen an The Matrix Revolutions, nicht nur, weil hier Harry Lennix erneut eine Rolle übernimmt. Bisweilen wähnt man sich aber auch in einer Kinoversion von NetherRealms zuletzt veröffentlichtem Beat-’em-up-Spiel Injustice: Gods Amongst Us, wo man Szenenwechsel dadurch schafft, indem man seine Gegner durch ein Gebäude prügelt. Dumm nur, dass eine Action-Szene in Man of Steel mit der nächsten so identisch ist wie mit der vorherigen. Und sonderlich spannend sind sie dabei – oder eher: dadurch – ohnehin nicht.

Denn wenn sich unverletzbare Supermenschen durch die Innenstadt kloppen – einmal geht es sogar in den Orbit, wo auf einem Satelliten weitergeprügelt wird, ehe man das Ganze wieder zurück auf die Erde verlagert –, fiebert man ebenso mit wie bei Transformers. Dass sie sich keinen Schaden zufügen, geht zumindest an den Figuren vorbei. So entleert auch ein von Christopher Meloni gespielter Militär erfolglos ein Maschinenpistolenmagazin auf Antje Traues Kryptonierin Faora, ehe Meloni zur Handwaffe greift und als diese leer ist, ein Messer zückt. Sinn ergibt in Nolans Welt ohnehin wenig, angefangen vom der Erde 100.000 Jahre (!) voraus seiendem und daher auf Drachen reitenden (!) Krypton bis zur Darstellung von Supermans Kräften.

Der kann weder hören, wenn auf einem Fischerkutter über seinem Kopf ein Krabbenkäfig auf ihn stürzt, noch wenn ihm Lois Lane mit 20 Metern Abstand in sein Raumschiff folgt. Warum in diesem ein Superman-Anzug – der nicht wie Jor-Els aus Knochen, sondern Spandex ist – wartet oder wieso Zod später eine Terraforming-Maschine namens „Genesis“ in Aktion bringt (auf Krypton liest man wohl die Bibel oder lernt Griechisch), hinterfragt man besser ebenfalls nicht. Genauso wenig den vorgeschrieben Tod von Papa Kent, der hier auf selten dümmliche Weise geschieht, sich aber letztlich exzellent in das Gesamtbild des Films einfügt. Bei Nolan muss, so hat es den Anschein, eben alles eine Nummer größer sein. Komme, was wolle.

Den Vogel schießt allerdings die christliche Metaphorik ab. So wandert Clark 33 Jahre lang über die Erde und verbringt hier und da seine Wunder – er interveniert zum Beispiel bei einem Bohrinselbrand –, ehe er sich als nicht von dieser Welt zu erkennen gibt, um sich nach einem Zwiegespräch mit einem Priester in dessen Kirche dazu zu entschließen, sich für die Menschheit als Martyrer zu opfern, als Zod danach verlangt. Nebst der redundanten Action, der komplex eingeführten Geschichte Kryptons, die dann bis auf ihren Gimmick-Wert außer Acht gelassen wird, und dem Versuch, Spannung und Dramatik in Szenen zu entwickeln, die aufgrund der Gegebenheiten weder spannend noch dramatisch sind, ärgert das am meisten.

In seiner Summe ist Man of Steel weniger klassischer Superhelden- als ein Alien-Invasion-Film und Science-Fiction-Actioner. Voll mit Raumschiffen, Gigant-Subwoofern und ordentlich Krawall und Remmidemmi. Bruce Wayne dürfte sich in Florenz an seinem Espresso verschlucken, angesichts der Bilder aus Metropolis, die über den Bildschirm flackern. Vom Charme des 1978er oder 2006er Films ist hier jedenfalls nichts mehr geblieben. Snyder präsentiert einen superernsten – und wohl gerade deswegen ziemlich lächerlichen – Action-Marathon, bei dem vielleicht nicht unbedingt weniger mehr gewesen wäre, aber zumindest mehr anderes anstatt immer dasselbe. Für das angekündigte Sequel schwant einem da also schon Böses.

4/10

11. Juni 2013

Sunset Blvd.

Stars are ageless, aren’t they?

Worte können Karrieren zerstören. So scheiterte mancher Schauspieler am Wechsel vom Stumm- zum Tonfilm, was nicht erst im vergangenen Jahr in The Artist zum Thema wurde. Michel Hazanavicius’ Oscargewinner erzählte dabei keine völlig neue Geschichte, eher eine Art von Prequel mit Happy End zu Billy Wilders Sunset Blvd. In seinem Film noir-Meisterwerk aus dem Jahr 1950 berichtete Wilder vom vergessenen Stummfilm-Star Norma Desmond (Gloria Swanson), die in ihrer einsamen Villa am Sunset Boulevard auf eine Rückkehr ins Filmgeschäft unter der Regie ihres alten Gönners Cecil B. DeMille wartet. Dass sie es am Ende wieder vor die Kameras schafft, ist dann jedoch keinem neuen Film von ihr geschuldet.

Stattdessen schwimmt in ihrem Pool die Leiche des erfolglosen Drehbuchautoren Joe Gillis (William Holden), mit zwei Kugeln im Rücken und einer im Bauch. Schon bald werden die Klatschreporter um Hedda Hopper den Vorfall genüsslich in den Medien zerreißen. “Maybe you’d like to hear the facts”, lädt uns derweil Gillis als Erzählstimme auf eine Rückschau der Ereignisse ein. Sechs Monate zuvor hatte der verschuldete B-Movie-Autor bei der Flucht vor seinen Gläubigern zufällig Schutz auf dem Anwesen von Norma Desmond gesucht. Von ihr angeheuert, ihr selbst geschriebenes Drehbuch zu straffen, verlor sich Gillis nach und nach in einem Abhängigkeitsverhältnis zu der Diva. Mit tragischen Konsequenzen.

Was passiert aus einem Film-Star, wenn seine Zeit verstrichen ist? Diese Frage stellten sich Wilder und Co-Autor Charles Brackett Ende der 1940er. Das Ergebnis ist auf eine Art ein klassischer Film noir, auf der anderen Seite allerdings auch eine Satire mit Meta-Anleihen über Hollywood selbst. “I just think that pictures should say a little something”, kritisiert die Lektorin Betty Schaefer (Nancy Olson) da bei einem Studio-Treffen das neueste Skript von Gillis. “Oh, one of those message kids”, entgegnet dieser höhnisch. “Just a story won’t do.” Ihr neckisches Gezanke wird dann letztlich von Paramount-Produzent Sheldrake (Fred Clark) mit dem Vergleich beendet, dass sie klingen “like a bunch of New York critics”.

Es ist daher die Ironie von Sunset Blvd., dass der B-Movie-Autor Gillis erst in bzw. durch seinen Tod die Chance hat, eine große Geschichte zu erzählen. Gefangen im Studio-System will Sheldrake sein Baseball-Drama zum Frauen-Softball-Streifen umwandeln. Vermarktung ist alles, soviel versteht Gillis dann zumindest selbst, wenn er sich bei Norma Desmond größer macht als er in Wirklichkeit ist. Aus der Arbeit für wenige Wochen werden daraufhin mehrere Monate und ab einem gewissen Zeitpunkt spielt Normas Drehbuch ohnehin keine Rolle mehr. Gillis ist inzwischen zu ihrem “boy toy” verkommen und zieht nach einem Wasserschaden im Gästehaus schließlich hinüber ins Schlafzimmer ihrer ehemaligen Ehemänner.

“Older woman who’s well to do. A younger man who’s not doing too well”, fasst es Gillis für Betty zusammen. Zuvor hat er in Normas Butler Max, einst der viel versprechende Regisseur Maximilian von Mayerling und Normas erster Gatte, gesehen, wohin ihn sein Weg wohl führen könnte. Wöchentlich schreibt er Fan-Briefe an die Hausherrin; als er erfährt, dass Paramount nicht unentwegt anruft, um Norma mit Cecil B. DeMille zu vereinen, sondern um ihren Wagen für ein Period Piece zu leasen, wird dies verschwiegen. The show must go on – wenn auch nur hier in Normas Palast am Sunset Boulevard. “You used to be big”, staunt Gillis zu Beginn. “I am big”, erwidert Norma brüskiert. “It’s the pictures that got small.”

Für Gillis ist klar, die Diva “was still sleepwalking along the giddy heights of a lost career”. Die Kommode und Wände zieren Bilder von sich selbst und auch im Privatkino werden Woche für Woche nur Norma Desmond Filme für Norma Desmond aufgeführt. “I don’t wanna be left alone”, klagt sie und umgibt sich doch nur mit sich selbst. Abgesehen von den gelegentlichen Bridge-Abenden mit anderen verblichenen Stimmfilm-Stars (darunter Buster Keaton). Zuvor schon musste sie ihren Schimpansen-Begleiter beerdigen – heutzutage fühlt man sich an angesichts einer solchen Primaten-Liebe an Prominente wie Michael Jackson – selbst eine tragische Figur à la Norma Desmond – oder Justin Bieber erinnert.

Ohnehin hat Wilders Meisterwerk nichts von seiner Aktualität eingebüßt. “There’s nothing tragic about being 50”, beschwört Gillis am Ende die Desmond. “Unless you’re trying to be 25.” Wer sieht die Szene und denkt nicht an Nicole Kidman, Meg Ryan und all die anderen Hollywood-Damen, die jenseits der 40 wöchentlich die Botox-Spritze anlegen? In seinem bissigen Kommentar auf Hollywood – “it is a wonder Hollywood ever let Wilder work again”, schrieb Colin Kennedy in der britischen Empire – eignet sich Sunset Blvd. dabei ebenso gut als companion piece zu Robert Aldrichs What Ever Happened to Baby Jane? wie zu Rob Reiners Misery. Schließlich ist auch Gillis ein Autor, gefangen in der Welt einer Verrückten.

Horror, Satire, Film noir – Wilder mäandert geschickt zwischen den Genres. Dabei ist sein Film am Ende natürlich auch großes Charakterkino, mit Dank an sein Darsteller-Trio. Gloria Swanson beherrscht diesen Film und umso beachtlicher ist es, dass sich weder William Holden noch Erich von Stroheim von der seinerzeit bereits abgetretenen Aktrice an die Wand spielen lassen. Sie alle erhalten später ihr Grande Finale, wenn in Normas Mord an Gillis dieser nicht nur eine Geschichte erzählen darf, sondern sogar eine, die wie es Betty nennen würde, etwas zu sagen hat. Norma dagegen ist das Objekt der Kamerabegierde (“All right, Mr. DeMille. I’m ready for my close-up”), mit Max als deren anweisender Regisseur.

Zugleich wurde nur angerissen, worüber sich ausgiebiger diskutieren ließe. Zum Beispiel ob sich eher Norma oder Betty für die Rolle der Femme fatale qualifiziert. Immerhin ist es Gillis’ Romanze mit Letzterer, die ihn endgültig ins Verderben stürzt und die Ereignisse im Finale lostritt. Oder man ergötzt sich an Locations wie Paramounts Autorenabteilung und fragt sich, ob sich die Coens hier zu Barton Fink inspirieren ließen. Billy Wilders Sunset Blvd. ist ein zeitloses Meisterwerk, das auch nach über 60 Jahren nichts von seiner Kraft eingebüßt hat. “I don’t want you to think I thought this was going to win any Academy Award”, hatte Gillis bezüglich seines Skripts gesagt. Wilder wiederum wurde mit einem Oscar ausgezeichnet.

10/10

5. Juni 2013

Classic Scene: Heat - “That’s the discipline.”

DIE SZENE: Der ermittelnde Mord-Detektiv Lieutenant Vincent Hanna (Al Pacino) hat den verdächtigen schwerkriminellen Räuber Neil McCauley (Robert De Niro) bei einem vermeintlichen Routinestop auf der Schnellstraße zu dessen Überraschung auf einen Kaffee eingeladen. Im folgenden Gespräch führt Hanna seinem Gegenüber die Ausweglosigkeit seines Unterfangens vor, während beide Männer mit offenen Karten spielen und ihre Motive einander darlegen. Aus Neugier wird Respekt.

EXT. DINER - HANNA + NEIL AT A TABLE
- NIGHT


HANNA: Seven years in Folsom. In the hole for three. McNeil before that.

NEIL nods agreement.

HANNA: McNeil as tough as they say?

NEIL: You looking to become a penologist?

HANNA: You looking to go back? You know, I chase down some crews... guys just looking to fuck up, get busted back. That you?

NEIL: You must’ve worked some dipshit crews.

HANNA: I worked all kinds.

NEIL (pause): You see me doing thrill-seeking liquor-store holdups with a “Born to Lose” tattoo on my chest?

HANNA: No, I do not.

NEIL: Right. I am never going back.

The adversarial intensity is eye-to-eye.

HANNA: Then don’t take down scores.

NEIL: I do what I do best, I take scores. You do what you do best, trying to stop guys like me.

HANNA: So you never wanted a regular-type life?

NEIL: What the fuck is that? Barbecues and ball games?

HANNA (smiles): Yeah.

NEIL: This regular-type life like your life?

HANNA: My life? No, my life... No, my life’s a disaster zone. I got a stepdaughter so fucked up... because her real father is this large-type asshole. I got a wife. We’re passing each other on the down slope of a marriage... my third... because I spent all my time chasing guys like you around the block. That’s my life.

NEIL: A guy told me one time: “Don’t let yourself get attached to anything you are not willing to walk out on in 30 seconds flat if you feel the heat around the corner”. Now, if you’re on me, and you gotta move when I move... how do you expect to keep a -- A marriage?

HANNA: Well, that’s an interesting point. What are you, a monk?

NEIL: I have a woman.

HANNA: What do you tell her?

NEIL: I tell her I’m a salesman.

HANNA: So then, if you spot me coming around that corner... you’re just gonna walk out on this woman? Not say goodbye?

NEIL: That’s the discipline.

HANNA: That’s pretty vacant, no?

NEIL: Yeah, it is what it is. It’s that, or we both better go do something else, pal.

HANNA: I don’t know how to do anything else.

NEIL: Neither do I.

HANNA: I don’t much want to either.

NEIL: Neither do I.

Both of these guys look at each other and recognize the mutuality of their condition. Hanna’s light laughter.

HANNA: You know, I have this, uh, recurring dream. I’m sitting at this big banquet table and all the victims of all the murders I ever worked are sitting at this table and they’re staring at me with these black eyeballs... because they got eight-ball hemorrhages from the head wounds. And there they are these big balloon people... because I found them two weeks after they’d been under the bed. The neighbours reported the smell and there they are, all of them just sitting there.

NEIL: What do they say?

HANNA: Nothing.

NEIL: No talk?

HANNA: None. Just... They don’t have anything to say. See, we just look at each other. They look at me. And that’s it, that’s the dream.

NEIL: I have one where I’m drowning. And I gotta wake myself up and start breathing, or I’ll die in my sleep.

HANNA: You know what that’s about?

NEIL: Yeah. Having enough time.

HANNA: Enough time to do what you wanna do?

NEIL: That’s right.

HANNA: You doing it now?

NEIL: No, not yet.

HANNA: You know, we’re sitting here... you and I, like a couple regular fellows. You do what you do, and I do what I gotta do. And now that we’ve been face to face... if I’m there and I gotta put you away, I won’t like it. But I’ll tell you... if it’s between you and some poor bastard whose wife you’re gonna turn into a widow... brother, you are going down.

NEIL: There’s a flip side to that coin. What if you do get me boxed in and I gotta put you down? Because no matter what, you will not get in my way. We’ve been face to face, yeah... but I will not hesitate. Not for one second.

HANNA: Maybe that’s the way it’ll be. Or who knows?

NEIL: Or maybe we’ll never see each other again.

They look at each other for a moment. Neil’s wry smile.

1. Juni 2013

Filmtagebuch: Mai 2013

AUSTRALIA
(AUS 2008, Baz Luhrmann)
7/10

BERBERIAN SOUND STUDIO
(UK 2012, Peter Strickland)
7/10

THE BIG BANG THEORY - SEASON 6
(USA 2012/13, Mark Cendrowski)
7.5/10

THE BIG FIX
(USA/F/D 2012, Joshua Tickell/Rebecca Harrell Tickell)
5/10

THE CENTRAL PARK FIVE
(USA 2012, Ken Burns/Sarah Burns/David McMahon)
8/10

COMMUNITY - SEASON 4
(USA 2013, Tristram Shapeero u.a.)
7/10

DEAF JAM
(USA 2010, Judy Lieff)
7/10

THE EVIL DEAD [TANZ DER TEUFEL]
(USA 1981, Sam Raimi)

5.5/10

EVIL DEAD
(USA 2013, Fede Alvarez)
5/10

EVIL DEAD II [TANZ DER TEUFEL 2]
(USA 1987, Sam Raimi)

6.5/10

EXAM
(UK 2009, Stuart Hazeldine)
6/10

FAST FIVE [FAST & FURIOUS FIVE]
(USA 2011, Justin Lin)

7.5/10

FAST & FURIOUS [FAST & FURIOUS - NEUES MODELL. ORIGINALTEILE.]
(USA 2009, Justin Lin)

7/10

FAST & FURIOUS 6
(USA 2013, Justin Lin)
6.5/10

GATTACA
(USA 1997, Andrew Niccol)
10/10

GIRLS - SEASON 1
(USA 2012, Lena Dunham)
7/10

THE GREAT GATSBY
(USA 2013, Baz Luhrmann)
7.5/10

HEAT
(USA 1995, Michael Mann)
7/10

LES LÈVRES ROUGES [BLUT AN DEN LIPPEN]
(F/B/D 1971, Harry Kümeli)

7.5/10

MOULIN ROUGE!
(USA 2000, Baz Luhrmann)
10/10

THE OFFICE - SEASON 9
(USA 2012/13, David Rodgers u.a.)
7/10

PARKS AND RECREATION - SEASON 5
(USA 2012/13, Dean Holland u.a.)
7.5/10

PRIMER
(USA 2004, Shane Carruth)
6.5/10

THE SHIELD - SEASON 5
(USA 2006, D.J. Caruso u.a.)
7/10

THE SHIELD - SEASON 6
(USA 2007, Guy Ferland u.a.)
7.5/10

THE SHIELD - SEASON 7
(USA 2008, Gwyneth Horder-Payton u.a.)
7/10

STAR TREK
(USA/D 2009, J.J. Abrams)
4.5/10

STAR TREK INTO DARKNESS
(USA 2013, J.J. Abrams)
5.5/10

TCHOUPITOULAS
(USA 2012, Bill Ross IV/Turner Ross)
8/10

UPSTREAM COLOR
(USA 2013, Shane Carruth)
7/10

YOUTH IN REVOLT
(USA 2009, Miguel Arteta)
5.5/10

Werkschau: Terrence Malick


BADLANDS
(USA 1973, Terrence Malick)
7.5/10

DAYS OF HEAVEN [IN DER GLUT DES SÜDENS]
(USA 1978, Terrence Malick)
7.5/10

THE THIN RED LINE [DER SCHMALE GRAT]
(USA 1998, Terrence Malick)
9/10

THE NEW WORLD [THE EXTENDED CUT]
(USA/UK 2005, Terrence Malick)

8/10

THE TREE OF LIFE
(USA 2011, Terrence Malick)
8.5/10

TO THE WONDER
(USA 2012, Terrence Malick)
7/10

28. Mai 2013

Moulin Rouge!

A magnificent, opulent, tremendous, stupendous, gargantuan bedazzlement!

In diesem Jahr eröffnete Baz Luhrmanns Adaption von F. Scott Fitzgeralds The Great Gatsby die 66. Filmfestspiele von Cannes – eine Ehre, die ihm bereits 2001 mit Moulin Rouge! zu Teil geworden war. Mit jenem so pompösen wie bildgewaltigen Jukebox-Musical schloss der australische Regisseur zugleich seine “Red Curtain”-Trilogie ab, die er 1992 mit Strictly Ballroom begonnen und vier Jahre später mit William Shakespeare’s Romeo + Juliet fortgesetzt hatte. Dennoch eint Moulin Rouge! vermutlich fast mehr mit Luhrmanns fünftem und jüngstem Leinwandepos, nicht zuletzt dank des Glamours und der anachronistischen Gegenwartsmusik.

Sich bekannter Pop-Musik zu bedienen, um damit ein Musical zu füllen – so etwas hatte es zuvor bereits bei beispielsweise The Blues Brothers gegeben. Eine Liebesgeschichte um die letzte Jahrhundertwende mit David Bowie, Elton John und anderen zu unterlegen, sorgte allerdings 2001 für Aufsehen. Wie in The Great Gatsby dient die populäre Musik für Luhrmann in seinen historischen Filmen als Darstellungsmittel. Im Fall von Moulin Rouge! bringt sie zum Ausdruck, dass Hauptfigur Christian (Ewan McGregor), ein aufstrebender Autor, seiner damaligen Zeit voraus ist, indem er sich der Worte von Künstlern des 20. Jahrhunderts bedient.

McGregors Figur kommt 1899 nach Paris, um sich der Bohème-Bewegung anzuschließen. Entsprechend mietet er sich im Stadtteil Montmartre im Vergnügungsviertel Pigalle des 18. Arrondissements ein, gegenüber des berüchtigten Varietés Moulin Rouge. Seine Inspiration: die Liebe. Sein Problem: “I’ve never been in love”. Abhilfe verspricht das überraschende Auftreten von Henri de Toulouse-Lautrec (John Leguizamo) und seiner Theatergruppe aus dem oberen Stockwerk. Sie planen eine Bühnenshow namens “Spectacular Spectacular” (“It’s set in Switzerland”), die sie Harold Zidler (Jim Broadbent) anbieten wollen, dem Besitzer des Moulin Rouge.

Dieser wiederum plant seine beliebteste Kurtisane Satine (Nicole Kidman) an den Herzog von Monroth (Richard Roxburgh) abzugeben als Ausgleich für dessen finanzielle Unterstützung des Varietès. Am Abend kommt es in dem Etablissement dann jedoch zu einer Verwechslung als Satine während ihrer Performance Christian für den Herzog hält. Ein Gespräch in ihren privaten Gemächern später ist es nach Christians Darbietung von Elton Johns “Your Song” um die rothaarige Kurtisane geschehen. “I can’t fall in love with anybody”, seufzt Satine zwar noch, doch sie und Christian haben sich bereits ineinander verliebt – sehr zum Missfallen von Zidler.

“We’re creatures of the underworld”, erinnert er Satine. “We can’t afford to love.” Auch im Wissen, dass seine geliebte Kurtisane hoffnungslos an Tuberkulose erkrankt ist. Dennoch deckt er ihre junge Liebe, um die Finanzierung durch den Herzog nicht zu gefährden. Der bezahlt, im Glauben so Satines Herz zu erobern, derweil “Spectacular Spectacular”. Moulin Rouge! bedient sich für seine Geschichte bei Handlungselementen aus den Opern La Traviata und La Bohème sowie Jacques Offenbachs Orpheus in der Unterwelt. Daraus wurde laut Baz Luhrmanns Worten im Audiokommentar dann “this very classical, simple story of tragic love”.

Gerade Offenbachs Interpretation von „Orpheus und Eurydike“ durchzieht Moulin Rouge!. Wie Zidler selbst sagt, ordnet er sich und die Prostituierten des Moulin Rouge der Unterwelt zu. Aus jener muss Christian in der Rolle des Orpheus seine Eurydike befreien. “All my life you made me believe I was only worth what somebody would pay for me”, wirft Satine später Zidler vor. Wo sie der Herzog mit Geld zu kaufen versucht, schafft es Christian, sie mit Worten für sich zu gewinnen. “Love lifts us up where we belong”, behauptet er im bombastischen “Elephant Love Medley” und versichert Satine in diesem getreu den Beatles: “All you need is love”.

Im steten Wechsel zwischen Tragik und Komik zieht Luhrmann in seinem dritten Spielfilm dabei sein Melodrama auf. Bewusst folgen auf Szenen, die dem Zuschauer Satines Sterben in Erinnerung rufen, humorvolle Momente. “One hopes that it’s got that feeling of a Warner Bros. cartoon”, sagt der Regisseur im Audiokommentar. Wird der Humor im ersten Akt zuerst aus Toulouse und seinem Bohème-Clan gewonnen, wandert er im zweiten Akt über zur Täuschung des Herzogs (bis hin zu Broadbents und Roxburghs herrlich inszenierter Travestie-Darbietung von Madonnas “Like a Virgin”). Aber das Glück ist – wie könnte es anders sein – nur von kurzer Dauer.

Die Affäre fliegt auf, der Herzog droht Christian umzubringen und Satine wird ihres nahenden Todes gewahr. “Hurt him to save him”, rät ihr daraufhin Zidler. “The show must go on.” Über dem dritten und finalen Akt schwebt natürlich das Musical im Musical: “Spectacular Spectacular”. Die Bollywoodeske Nachinszenierung der vorangegangenen Filmhandlung ist dabei nicht minder pompös wie Luhrmanns eigene Revue, holt diese auf der Zielgeraden vom Ablauf her schließlich ein, um mit ihr zu einer einzigen großen Darbietung zu verschmelzen. Nur: Wo “Spectacular Spectacular” ein Happy End beschert ist, endet Moulin Rouge! tragisch.

Auch hierin gleicht die Geschichte von Satine und Christian der von Romeo und Julia oder von Gatsby und Daisy. Die Liebe der Figuren führt in den Tod. Was bleibt, ist das Drama. Insofern wäre The Great Gatsby wohl eher als Abschluss einer Trilogie zu Romeo + Juliet und Moulin Rouge! geeignet, ähnelt Strictly Ballroom in dem optimistischen Ende für die Liebenden mehr Australia. Dagegen bleibt in Luhrmanns übrigen drei Filmen nur, die Magie jener Liebe und ihren letztendlichen Niedergang als Chronik für folgende Generationen festzuhalten. “For never was a story of more woe than this”, wie der Prinz von Verona in „Romeo und Julia“ abschließend sagt.

Fraglos ist Moulin Rouge! im Speziellen wie ein Film von Baz Luhrmann allgemein nicht jedermanns Sache. Man muss es mögen, wie der Mann aus Oz Tragik und Komik verknüpft und dabei – bewusst – ins Theatralische abdriftet. Dazu kommen knallige Farben, Pomp und Glamour und dann noch The Cardigans unterlegt zum mit bekanntesten Stück des britischen Barden oder eben ein Tango-Sting-Mashup von “Roxanne”. Angesichts all dessen, was Luhrmann und Co. hier jedoch auffahren, von den Kostümen über die Ausstattung, das Bühnenbild und die visuellen Effekte, ist es so erstaunlich wie beachtlich, dass der Film nur 50 Millionen Dollar kostete.

Dennoch steht und fällt dieser als Musical natürlich mit seinem Soundtrack. Wie Baz Luhrmann hier kongenial populäre Lieder einsetzt, sucht dann seinesgleichen. Angefangen mit David Bowies stimmigem “Nature Boy” über die Verwendung von Nirvana hin zur harmonischen Verschmelzung von Marilyn Monroes “Diamonds are a Girl’s Best Friend“ mit Madonnas “Material Girl” und kulminierend im “Elephant Love Medley”, das sich der Textzeilen eines Dutzend Lieder bedient. Eine superbe Song-Symbiose. Insofern ist Moulin Rouge! also nicht nur ein Musical zum Erleben und Anschmachten geworden, sondern allen voran eines zum Mitsingen.

Ein Fest für die Sinne, zweifelsohne Baz Luhrmanns Magnum opus und nicht weniger und nicht mehr als die Mutter aller modernen Film-Musicals. Die acht Oscarnominierungen seiner Zeit waren berechtigt, wenn auch Luhrmann selbst bei den Nominierungen überraschend Ridley Scott für dessen Inszenierung von Black Hawk Down in der Regie-Kategorie den Vortritt lassen musste. Das ändert allerdings nichts daran, dass Moulin Rouge! ein Film für die Ewigkeit geworden ist. Großes, glamouröses Kino. Oder wie es Harold Zidler nannte: “A magnificent, opulent, tremendous, stupendous, gargantuan bedazzlement, a sensual ravishment!”.

10/10

22. Mai 2013

The Great Gatsby

You can’t repeat the past.

Als Weltliteratur erachtet man Werke, die über die Landesgrenzen des Autors hinaus bekannt und zugleich für die Bevölkerung der Welt bedeutsam sind. Beispielsweise Leo Tolstois Anna Karenina, der Einblicke in Werte wie Ehe und Moral des zaristischen Russlands gibt. Oder F. Scott Fitzgeralds im Jahr 1925 entstandener The Great Gatsby: Oberflächlich betrachtet eine tragische Liebesgeschichte in den wohlhabenden Goldenen Zwanzigern, zugleich aber auch ein Spiegel für die damalige Gesellschaft und ein kritischer Sozialkommentar zur Pervertierung des „American Dream“. Was einst das Streben nach Freiheit und Glück war, verkam in den 1920er Jahren nun zum Streben nach Reichtum und Macht.

Jenen als Klassiker geltenden Roman adaptierte im Vorjahr Baz Luhrmann, Hollywoods Mann für das extravagant Tragische. Zuletzt legte er mit Australia ein episches Genre-Mashup vor, das ein Liebesbrief an seine australische Heimat war, eingebettet in den Zweiten Weltkrieg. Dennoch ähnelt The Great Gatsby eher Moulin Rouge!, Luhrmanns Abschluss seiner Red Curtain-Trilogie von 2001. Hier wie da beginnt der Film mit einem verlorenen wirkenden Schriftsteller, der ein miterlebtes Liebestrauma per Schreibmaschine zu Papier bringen muss. Die Geschichte einer Liebe, korrumpiert von Macht und der Lust nach Reichtum. Führte in Moulin Rouge! Ewan McGregor durch den Film, ist es hier nun Tobey Maguire.

Er schlüpft in die Rolle von Nick Carraway, der zu Beginn der Handlung ein kleines Anwesen in Long Island anmietet, weil er sich in New York City als Börsenspekulant versuchen will. Direkt nebenan wohnt wiederum der mysteriöse Millionär Jay Gatsby (Leonardo DiCaprio), Mittelpunkt zahlreicher obskurer Gerüchte und zudem Gastgeber pompös-glamouröser Festivitäten am Wochenende. Zu einer dieser Partys wird Carraway eines Tages eingeladen und freundet sich daraufhin mit dem jungen Millionär an. Der hat jedoch eine Bitte: Carraway möge seine Cousine Daisy Buchanan (Carey Mulligan) zum Tee einladen. Mit ihr unterhielt Gatsby fünf Jahre zuvor eine Affäre, ehe der Erste Weltkrieg die Beiden trennte.

Daisy heiratete anschließend den Millionär Tom Buchanan (Joel Edgerton) und bewohnt die dekadente Villa gegenüber von Gatsby – getrennt durch das tosende Gewässer. Während ihr Gatte Affären unterhält, zum Beispiel zur Automechanikergattin Myrtle (kaum wiederzuerkennen: Isla Fisher), vertreibt sich Daisy die Zeit mit ihrer Freundin Jordan Baker (Elizabeth Debicki). In jene Welt der Schönen und Reichen sowie ihrer dubiosen Machenschaften und Affären wird nun Carraway geworfen, ein Platzhalter für das Publikum. Er fungiert zuerst als Cupidus, der die ehemaligen Liebenden wieder zusammenführt, zusätzlich ist er für Tom wie Daisy und Gatsby ein begleitender Vorwand zur Kaschierung des Ehebruchs.

Eine derartig glamouröse Welt wie die des Long Islands von 1922 ist natürlich wie geschaffen für einen Mann wie Baz Luhrmann. Speziell im ersten Akt feiert der Australier den Prunk und Protz der Jazz Ära. Während Gatsbys Anwesen zum wilden Party-Palast wird – dessen einziger Sinn und Zweck es ist, Daisy anzulocken –, stellt die Villa der Buchanans gerade auch visuell das Artifizielle der Welt von Daisy dar. Alle Farben fallen so knallig aus, dass einen das Grün des perfekt symmetrisch geschnittenen Rasens fast schon blendet. Eine perfekte Welt für unperfekte Menschen und zugleich Gegenentwurf zu den damaligen Corona Ash Dumps und heutigen Flushing Meadows – dem größten Park im Stadtteil Queens.

Es ist irgendwie passend, dass es Tom gerade hierhin verschlägt, um mit Myrtle eine Flamme aus der Arbeiterklasse aufzureißen, deren Ehemann (Jason Clarke) von all dem nichts ahnt. Die Wunder jener Welt der Buchanans, Bakers und Gatsbys werden Carraway ähnlich wie McGregors Christian in Moulin Rouge! mittels anachronistischer Verwendung von Gegenwartsmusik vermittelt. Da swingen dann Jay-Z (zugleich einer der Produzenten des Films), Gattin Beyoncé sowie Fergie und will.i.am durch die Lautsprecher, während Newcomerin Lana Del Rey mit „Young and Beautiful“ ein traurig-schön-melancholisches Herz-Schmerz-Lied (“Will you still love me when I’m no longer young and beautiful?”) trällern darf.

Das alles ist natürlich herausragend inszeniert, wenn Gatsby zu Begin nur andeutungsweise zu sehen ist, Carraway in einem Meer aus weißen Vorhängen Daisy wieder trifft oder diese sich begeistert einem Regen von edelsten Hemden aus Gatsbys Kleidersammlung unterwirft. Das Glanz und Gloria der damaligen Zeit, die Dekadenz dieser von Fitzgerald beschriebenen Welt – sie sind der eigentliche Star von The Great Gatsby. Denn die Charaktere bleiben nie mehr als reine Figuren, die zumeist hohle Phrasen vor sich hin seufzen. “He gives large parties, and I like large parties”, offenbart Jordan Baker zu Beginn über Gatsbys wöchentliche Gratis-Feste. “They’re so intimate. Small parties, there isn’t any privacy.”

Unterdessen verliert sich DiCaprio in der unzähligen Verwendung der Floskel “old sport” und Mulligans Daisy in den Untiefen der Dummheit ihrer Figur. “That’s the best thing a girl can be in this world, a beautiful little fool”, hofft sie für ihre kleine Tochter, die bis zum Ende die gesamte Dauer des Films in der Obhut des Kindermädchens verbringen darf. Weder kann sich ihre Figur zwischen Gatsby und Tom entscheiden, noch scheint sie überhaupt zu wissen, was sie will. Da Maguires Rolle lediglich die des Beobachters ist, darf Gatsby noch als interessantester Charakter erachtet werden. Insbesondere wenn sich im dritten Akt herausstellt, was es alles beinhaltet, Jay Gatsby zu sein und worin dies seinen Ursprung hat.

The Great Gatsby ist ein Fest für die Sinne und trotz seiner fast zweieinhalb Stunden sehr kurzweilig. Bedauerlich ist, dass der Film nach seinem ersten, an Moulin Rouge! erinnernden, Akt für den Fortlauf der Handlung mehr und mehr auf Australia-Niveau fällt. Was an sich nicht schlimm ist, allerdings vor Augen führt, dass hier noch mehr für Luhrmann herauszuholen gewesen wäre. Und sicher gab es schon originellere und lebendigere Figuren als hier, beides ist jedoch Fitzgeralds Roman geschuldet. Dessen Bedeutung als sozialkritischen Blick zur Pervertierung des „American Dream“ wird Luhrmanns Adaption aber durchaus gerecht. Gewohnt großes Kino also vom Mann fürs extravagant Tragische.

7.5/10

17. Mai 2013

Tchoupitoulas

Life ain’t gonna be always what it seems.

Im Stück Don Karlos lässt Friedrich Schiller den Marquis von Posa die Königin bitten, eine Nachricht an den durch ihn verhafteten Prinzen auszurichten: „Sagen Sie Ihm, daß er für die Träume seiner Jugend soll Achtung tragen, wenn er Mann sein wird“ (IV, 21). Schaut man sich Tchoupitoulas an, die Dokumentation von Bill Ross IV und seines Bruders Turner Ross, verspürt man das Begehren, dies auch dessen jüngstem Protagonisten William auf den Weg mitzugeben. Der afroamerikanische Knabe macht sich an eines Abends mit seinen älteren Brüdern Kentrell und Bryan sowie ihrer Hündin Buttercup auf den Weg ins Nachtleben von New Orleans. “We saw some pretty amazing things”, wird William später sagen.

Einen wirklichen Handlungsbogen besitzt der Film der Gebrüder Ross dabei nicht und doch ist ein roter Faden durch den chronologischen Ablauf der Geschehnisse vorhanden. Mit der Kamera wird ein nächtlicher Ausflug der drei Jugendlichen ins French Quarter begleitet, was den Zuschauer in gewisser Weise zum vierten Bruder werden lässt. Gleichzeitig verliert sich die Kamera bisweilen auch in ihrer Umgebung, besucht eine Gruppe Burlesque-Tänzerinnen, die das einheimische Lied „Iko Iko“ singen und diskutieren, mehrere Straßenmusiker, ein paar Betrunkene oder einen mit seiner älteren Kundschaft flirtenden Austernöffner. Auch die Stimme eines Touristenführers begleitet den Zuschauer hier und da aus dem Off.

Selten hat man einen Film gesehen, der einerseits so harmonisch in seine Umgebung eintaucht und zugleich in dieser Funktion als Türöffner für das Publikum funktioniert. Böte sich hier zusätzlich noch (gutes) 3D an, man wäre wohl wahrhaftig mittendrin statt nur dabei. So verlockend pulsierend das lebendige Nachtleben von The Big Easy ist, im Mittelpunkt stehen dennoch die Erlebnisse der drei „Führer“ und Brüder. “This is everything I hoped for”, schwärmt William an einer Stelle. “Naked pictures, clubs – you guys know what I’m talking about?” Wieso seine Eltern den neunjährigen Knirps mit seinen beiden jugendlichen Brüdern allein bis spät in die Nacht durchs French Quarter bummeln lassen, spielt da keine wirkliche Rolle.

Was Tchoupitoulas vor allem trägt, ist Williams kindliche Begeisterung. “I’d live life like I’d never lived before”, erklärt er seine Zukunftspläne. Zuerst will er ein NFL-Star werden, mit sechs Meisterringen – die er dann alle an einem Finger trägt. Anschließend wird er ein Anwalt und später auch noch Architekt. Und dass er die Fähigkeit zu Fliegen lernt und dafür einen Stern auf dem Walk of Fame erhält, ist sowieso klar. Zudem beschließt der 9-Jährige: “I wanna stay at 21 forever”. Wie es mit Kindern so ist, lechzt es William nach Aufmerksamkeit, vor allem der seiner großen Brüder. Die torpediert er während ihres Ausflugs mit allerlei Fragen, z.B. wie groß sie gerne wären oder was sie bei einem Löwenangriff machen würden.

“Shut up, William”, entgegnen die irgendwann genervt. “You’re asking too many questions.” Es verwundert bei all den Wundern der Nacht nicht, dass die Brüder später die letzte Fähre nach Hause verpassen und bis zum Morgen festsitzen. “I need my beauty sleep”, lamentiert der müde William. Als sie jedoch am Hafen ein altes, verlassenes und dennoch beleuchtetes Kreuzfahrtschiff entdecken, ist es mit seiner Schläfrigkeit schnell dahin. Entgegen des merklichen Widerwillens von Kentrell erkunden sie dessen heruntergekommene Innenräume. Selbst als ihre Nacht der Wunder am Ende schien, stoßen die Brüder also noch auf ein letztes Abenteuer. Ein solches, wie es wohl die meisten in ihrer Jugend erlebt haben dürften.

Mit Tchoupitoulas ist den Ross-Brüdern ein wahrer Erlebnisfilm gelungen, der einerseits natürlich von den drei sympathischen Zanders-Brüdern als Protagonisten lebt, anderseits aber von der magischen Atmosphäre des Nachtlebens von New Orleans. Entgegen der Eindrücke wurde der Film natürlich nicht innerhalb einer einzigen Nacht, sondern über den Verlauf von neun Monaten gedreht. Fiktion und Dokumentation verschwimmen in diesem Fall also zu einem magischen Kunstprodukt. Schließlich hatte bereits Theodor Adorno gesagt, dass Kunst Magie ist, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein. Am Ende entfährt es dem Zuschauer angesichts Tchoupitoulas wie William selbst: “We saw some pretty amazing things”.

8/10

11. Mai 2013

Les lèvres rouges [Blut an den Lippen]

How does this story end?

Ein Wort das sich wohl unweigerlich mit dem Vampirismus verbindet ist: Sex. Erotische Figuren, blanke Hälse, pulsierendes Blut. Kein Wunder passt True Blood so exquisit zum Blankzieh-Sender HBO und was heute in Form der Twilight-Filme oder der TV-Serie The Vampire Diaries allenfalls zugeknöpft-prüde daherkommt, avancierte schon bei Harry Kümel Anfang der 1970er Jahre zur Horror-Sexploitation in dessen zweitem Spielfilm Les lèvres rouges (dt. Die roten Lippen) – international bekannt als Daughters of Darkness. Jahrelang in Deutschland indiziert, veröffentlicht das kleine beachtenswerte Label Bildstörung das von manchen als Kult-Klassiker gefeierte Horror-Poem nun mit einer Freigabe ab 16 auf Blu-ray und DVD.

Seiner Zeit brachte es Les lèvres rouges gerade international zu Ruhm, der Film füllte an seinem Startwochenende die Pariser Kinos und das Hollywood-Fachmagazin Variety nannte ihn damals “so intentionally perverse that it often slips into impure camp”. Beide Attribute sind sicher der damaligen Zeit geschuldet, wirkt Kümels Film 42 Jahre nach seiner Premiere weder pervers noch sonderlich theatralisch. Vielmehr erzählt der Belgier eine faszinierend gefilmte Geschichte über Liebe, Macht und Lust der vier Protagonisten im mondänen Schauplatz eines leeren, feudalen Luxus-Hotels im Küstenort Ostenende. Innerhalb von 72 Stunden werden drei dieser Personen sterben, die Vierte wiederum “will live… forever”.

So kündigte einer der Radiospots den als Vampir-Erotik vermarkteten Film damals an. Zu Beginn reist ein vor wenigen Stunden vermähltes Paar, der vermeintlich adelige Stefan (John Karlen) und die bürgerliche Valerie (Danielle Ouimet), im Zug gen England. Als es auf den Gleisen zu Komplikationen kommt, steigen sie in einem Luxus-Hotel in Ostenende unter. Dieses ist dank der winterlichen Saison vollkommen leer, doch bereits am selben Abend kündigen sich mit der Gräfin Elizabeth Bathory (Delphine Seyrig) und ihrer Zofe Ilona (Andrea Rau) weitere Gäste an. Die entwickeln bald ein wachsendes Interesse an dem jungen Paar, das wiederum auf eine Mordserie im benachbarten Brügge aufmerksam wird.

Dort fanden sich in einer Woche vier junge Frauen mit durchgeschnittener Kehle. “No trace of blood”, lässt ein scheinbarer Anwohner, der sich später als pensionierter Polizist (Georges Jamin) entpuppt, das Paar beim Fund der vierten Leiche wissen. “It gave you pleasure”, bemerkt Valerie die Erregung Stefans beim Anblick des Leichnams. Und während Stefan immer aufgewühlter reagiert, wecken die Ereignisse Erinnerungen bei den anderen Beteiligten. “Those Bruges murders are rather special”, deutet der Polizist am Abend im Hotel an. “One might say… classic.” Er erinnert sich an einen ähnlichen Vorfall einige Jahrzehnte zuvor. Und nicht nur er hat ein Déjà-vu-Erlebnis, sondern auch Concierge Pierre (Paul Esser).

“It seems to me that Madame has already stayed at this hotel”, bemerkt er entgeistert als die Gräfin eincheckt. “It was such a long time ago and Madame looks exactly like the lady who must have changed a great deal since.” Die jung gebliebene Adelige erwidert kokett, dass es sich um ihre Mutter gehandelt haben muss – eine These, die auch Stefan gegenüber Pierre in den Raum wirft. Für sich selber entwirft Bathory gegen Ende eine eigene, keinesfalls unpassende Beschreibung: “You know, the beautiful stranger – slightly sad, slightly mysterious”. Die schöne Blondine will lediglich geliebt werden, was einerseits ihre Zofe Ilona erklärt, anderseits ihr aufkommendes Interesse an Stefan und insbesondere Valerie.

Mit dem klassischen Vampirfilm hat Les lèvres rouges nur bedingt etwas zu tun, dass es sich bei der Gräfin Bathory und Ilona um Vampire handelt, ist hier lediglich Detail und Erklärung für das jugendliche Erscheinungsbild der Gräfin. Es gibt keine exponierten Eckzähne und die Scheu vor Sonnenlicht wird nur am Rande erwähnt, vielmehr arbeitet Seyrigs Protagonistin auf einem psychologischen Level und mittels Erotik. Im Vordergrund steht jedoch der Kampf um Valerie, der hier personifizierten Unschuld. Im Abhängigkeitsverhältnis zu Stefan stehend, will sie die Gräfin unter ihre Fittiche nehmen. Darin wiederum sieht die leblose Ilona ihre Chance, aus ihrer eigenen Abhängigkeit von der einnehmenden Gräfin zu entkommen.

“I don’t know what’s going to happen to any of us”, heißt es an einer Stelle von der schmollmündigen Brünetten ominös. Und wie der Radiospot vorwegnahm, bleibt es nicht bei den vier Leichen in Brügge. Viel gewinnt Kümels Film hier aus seinem Schauplatz des verlassenen Hotels in all seiner Mondänität, aber auch aus der Farbpalette, auf die der Belgier zurückgreift. Dabei ist Rot vorherrschend, von den Kleidungsstücken der Figuren (u.a. Stefans Pullover und Bademantel, aber auch das Kleid der Gräfin) bis hin zu dem Auto der Gräfin und ihren sowie Ilonas Lippen. In der Tat ist das erste, was wir von der Gräfin sehen, ihr rot bemalter Mund. Ergänzt wird das Farbbild zusätzlich primär von Weiß und Schwarz.

So viel Zeit sich Les lèvres rouges zuerst auch nimmt, im Schlussakt überschlagen sich die Ereignisse dann. Und ein Subplot über Valeries Bestreben, mit Stefan dessen Mutter in England zu besuchen (die von der Hochzeit nichts ahnt und ihre eigenen Geheimnisse besitzt), dient zwar der Charakterzeichnung von Stefan – der sich als Unterwürfiger in seiner Ehe zu Valerie Dominanz verspricht –, wirkt aufgrund der Geschehnisse zu Beginn des finalen Akts aber verloren. Kümel präsentiert also eine Geschichte von Getriebenen, sei es die nach Jugend lechzende Gräfin, der nach Macht lüsterne Stefan, die nach Liebe suchende Valerie, die Freiheitsstrebende Ilona oder der sich Aufklärung wünschende Polizist.

Unbestrittener Star des Films ist dabei die mysteriös-erotische Delphine Seyrig, zehn Jahre zuvor bekannt geworden durch L’Année dernière à Marienbad ihres Mannes Alain Resnais. Dagegen hinterlässt speziell Danielle Oiumet, ehemalige Miss Quebec, kaum Eindruck. Die träumerisch-verspielte Musik stellt sich dabei wie Kümels Mise-en-scène ganz in den Dienst des Films. Somit ist Les lèvres rouges ein atmosphärisches Werk geworden, das als „Horror-Sexploitation“ zu beschreiben wohl zuviel des Guten wäre. Dafür sind die beiden Sexszenen zu ästhetisch inszeniert und die Handlung aus heutiger Sicht mehr Drama denn Horror. Erotisch ist das Ganze aber allemal – und wen wundert’s, es ist ja auch ein Vampirfilm.

7.5/10

Blu-ray
Das Bild der Blu-ray überzeugt vor allem in den gut ausgeleuchteten Szenen des Films, während es in „Nachtszenen“ (gedreht wurde im Day-for-Night-Verfahren) bisweilen Detailschwächen im Schwarzbereich gibt. Ebenso zufriedenstellend ist die klar verständliche Mono-Tonspur. Neben der ungeschnittenen Fassung des Films ist die umgeschnittene und teils sinnentstellende deutsche Kinofassung enthalten. Zudem Interviews und ein Audiokommentar mit Harry Kümel in deutscher Sprache, eine kommentierte Bildergalerie sowie der Vorspann für die US-Fassung mit einem leicht trashigen Lied von Jazz-Sängerin Lainie Cooke. Das solide Bonusmaterial wird abgerundet durch das für Bildstörung obligatorische Booklet mit zwei guten Essays über Kümels Schaffen.

9. Mai 2013

Stoker | Starlet | Smashed | Star Trek Into Darkness

Es kommt nicht jede Woche vor, dass ich von den aktuellen Filmstarts die namhaftesten Vertreter vorab gesehen habe. An diesem Donnerstag war dies der Fall, mit dem Blockbuster Star Trek Into Darkness von J.J. Abrams als Frontrunner, dem Arthouse-Horror Stoker von Park Chan-wook als Schmankerl und den Indie-Filmen Starlet von Sean Baker und Smashed von James Ponsoldt. Abrams zweites Abenteuer auf der Enterprise ist dabei eine durchwachsene Angelegenheit, deren erster Akt sich in Repetition des Vorgängers verliert, während der dritte Akt zur fehlplatzierten Serien-Hommage avanciert. Lediglich das Mittelstück gefällt.

Stoker ist hingegen ein audiovisueller Augenschmaus, dessen Story vielleicht keine Bäume ausreißt, aber dennoch unterhält - auch dank des überzeugenden Ensembles. Luftig-leicht kommt derweil Starlet daher, eine Mumblecore-Nachgeburt über eine verträumte Jungschauspielerin, die sich mit einer alten Witwe anfreundet - perfekt für verregnete Sonntage. Abraten lässt sich dagegen von Smashed, einem 0815-Drama einer Alkoholikerin, die beschließt, trocken zu werden. Mary Elizabeth Winstead verliert sich mehr als einmal im overacting und nicht mal Nick ‘Ron-fucking-Swanson’ Offerman vermag hier viel zu retten. Zu den ausführlichen Kritiken gelangt man jeweils per Link über die Szenenbilder (obschon Smashed lediglich auf Twitter führt). Also ab ins Kino mit euch!