Posts mit dem Label Mélanie Thierry werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Mélanie Thierry werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

18. September 2014

The Zero Theorem

Everything adds up to nothing.

Warum sind wir hier, was ist der Sinn unserer Existenz? Fragen, so alt wie die Menschheit selbst, die aufgrund unzureichender Antworten irgendwann der Einfachheit halber die Religion erfand. Die Sinnfrage beschäftigt auch den Protagonisten in The Zero Theorem, dem jüngsten Film von Terry Gilliam, der diesen als Abschluss seiner Dystopie-Trilogie sieht, zu der Brazil und 12 Monkeys gehören. In einem futuristischen London ist Qohen Leth (Christoph Waltz) einer von vielen Angestellten der Firma Mancom und berechnet für diese Einheiten. Qohen strebt danach, als arbeitsunfähig deklariert zu werden, damit er von daheim – einer verlassenen Kirche – arbeiten kann. Dort erwartet er den Anruf einer höheren Autorität.

Diese wollte die Antwort auf die alles entscheidende Frage geben, doch der Anruf wurde frühzeitig beendet. “All we want is our call”, wiederholt Qohen – der von sich selbst in der 1. Person Plural spricht – mehrfach im Film. Weil die Firmenärzte ihm die Arbeitsunfähigkeit nicht bestätigen, sondern lediglich mit dem Psychiater-Programm Dr. Shrink-Rom (Tilda Swinton) nach Hause schicken, sucht Qohen das Gespräch mit dem Management (Matt Damon). Auf einer Feier seines Vorgesetzten Joby (David Thewlis) erhält Qohen seine Chance – wird jedoch zuerst nicht erhört. Immerhin lernt er die verführerische Bainsley (Mélanie Thierry) kennen, die ihn später dazu einlädt, mit ihr Cyber-Tantra-Sex zu haben. Dann meldet sich Management.

Qohen darf von daheim arbeiten, wenn er für Mancom das Zero Theorem knackt. “Zero must equal one hundred percent”, rattert der Computer daraufhin monatelang runter, während Qohen die entscheidende Gleichung bis auf knapp 98 Prozent pusht. Wirklich vorwärts kommt er jedoch nicht, sodass er irgendwann wieder in eine Sinnkrise fällt. Etwas, das Management nicht zulassen kann und Qohen unentwegt beobachtet. Die Antworten, die Qohen anstrebt, treiben uns letztlich alle um. Bieten können sie ihm weder das Management (“you’re quite insane”) noch Dr. Shrink-Rom (“you’re a tough nut to crack”). Und dennoch erhält Qohen Ansätze, wenn auch abseits des Zero Theorems. Schlichtweg, indem er lebt und interagiert.

Der zurückgezogen lebende Glatzkopf, der Körperkontakt vermeidet, weicht auf, als ihm Management seinen Progammierer-Sohn Bob (Lucas Hedges) zur Seite stellt. Genauso wie bei seinen Online-Dates im Cyberspace. Anstatt nach dem Sinn des Lebens zu fragen, lebt Qohen einfach. Doch das vermeintliche Glück – insofern existent – ist nur von kurzer Dauer. Prinzipiell ist The Zero Theorem also eine Allegorie auf das Leben selbst, welches wir zu Beginn des Films in ziemlich übersteigerter Form erleben. Penetrante Straßenreklame, eine Gesellschaft, abhängig von ihren Mobilgeräten – selbst auf Partys. Schrill-schräg ist diese Welt, die Gilliam entsprechend bunt zelebriert. Was jedoch eine gewisse billige Künstlichkeit mit sich bringt.

In der Tat sieht The Zero Theorem aus, als wäre er 20 Jahre alt, was sicher dem geringen Budget des Films geschuldet sein dürfte. Dessen grundsätzlich interessante Ideen und Ansätze vermag Gilliam bedauerlicherweise nicht zu transportieren. Qohen ist eine irritierende Figur, deren Spleen nicht recht greifbar ist. Wir erfahren später, dass er einst verheiratet war und nun geschieden ist, was angesichts seines Charakters verwundert – diesen womöglich aber auch erklärt. Grundsätzlich kann und soll die Figur wohl als Spiegelbild der Menschen gelesen werden, daher auch die Referenz auf sich selbst in der 1. Person Plural. Die philosophische Dichte, die der Intention des Ansatzes innewohnt, will sich derweil nicht wirklich einstellen.

Während Qohen nach einem Fixpunkt sucht, um seiner Existenzangst Einhalt zu gebieten, soll er für Management zugleich mit dem Zero Theorem die Big Crunch-Theorie bestätigen. “Everything adds up to nothing”, fasst es Joby eingangs zusammen. Für die Menschheit eine unnatürliche Vorstellung: ein Leben aus dem Nichts ins Nichts. “What’s the point?”, entgegnet Qohen daher. Später wird Management ihn bei der Arbeit mittels einer Kamera beobachten, die auf den Torso eines Kruzifix’ angebracht ist. Eine höhere Macht, die uns unentwegt beobachtet und kontrolliert. Eine der wenigen netten Ideen des Films, zu der auch Tilda Swintons Cameo als Psycho-Programm und David Thewlis im Monty-Python-Gedächtnis-Modus gehören.

Zugleich hadert der Film auch mit seinen Figuren. Christoph Waltz wirkt fehl am Platz oder nicht in seinem Element. Der ursprünglich vorgesehene Billy Bob Thornton wäre hier ebenso die bessere Wahl gewesen wie Management tatsächlich von Al Pacino statt Matt Damon spielen zu lassen. Gastauftritte von typische gilliamschen Figuren wie einem Doktoren-Trio (u.a. Peter Stormare und Ben Whishaw) oder Werbefiguren (darunter Rupert Friend) verpuffen, da sie keinem wirklichen Zweck dienen und nicht weiter verfolgt werden. Ohnehin wird die Welt des Films nicht erforscht – wofür man aufgrund des billigen Looks gleichzeitig irgendwie aber auch wieder dankbar sein muss. Richtig überzeugen kann The Zero Theorem jedenfalls nicht.

Zu Gute halten mag man dem Film, dass er immerhin originäre Ideen umsetzt – auch wenn viele Elemente mitunter an Brazil erinnern. Mit seinen dystopischen Kollegen aus Gilliams Œuvre kann sich The Zero Theorem jedenfalls nicht messen, dafür fehlt ihm das inhaltliche Momentum wie auch die visuelle Überzeugungskraft. Der Output des Ex-Python im 21. Jahrhundert vermag folglich nicht mehr mit seinen Werken aus den 1980er und 1990er Jahren mitzuhalten. Dies wiederum gibt wenig Hoffnung für sein wiedererwecktes Don-Quixote-Projekt, für das der Regisseur seit Jahren um Finanzierung kämpft. Aber zumindest scheint das Projekt Gilliams Schaffen einen Sinn zu geben. Und das ist doch wiederum schließlich auch etwas.

4/10

2. September 2008

Babylon A.D.

Save the planet. What for?

“Thou turnest man to destruction; and sayest: Return, ye children of men.” (Psalm 90, 3 – King James Version). Dieser Psalmvers stellte quasi die Vorgabe für P.D. James 1992 erschienenen Roman The Children of Men, welcher von einer dystopischen Gesellschaft erzählte. Vor zwei Jahren nahm sich Alfonso Cuarón dieses Romans an und verfilmte ihn mit einigen Abweichungen und Clive Owen in der Hauptrolle. In einer unfruchtbaren Gesellschaft muss dieser die erste schwangere Frau seit Jahren sicher über die Grenzen Englands nach Frankreich beziehungsweise ins Ausland bringen. Ein Jahr später, 1993, würde der gebürtige Kanadier Maurice G. Dantec mit La sirène rouge seinen ersten Roman verfassen. In diesem erschuf er einen Söldner namens Hugo Cornélius Toorop, welcher ein kleines Mädchen über Ländergrenzen hinweg zu einem Treffpunkt begleitet. Ähnlich liest sich die Handlung von Dantecs drittem Roman Babylon Babies, der 1999 erschien. Auch hier taucht wieder die Figur des Söldners Toorop auf, erneut muss dieser ein Mädchen eskortieren.

Dieses Mädchen verkörpert Hoffnung für die Menschheit, weshalb Toorop es gegen verschiedene Übergriffe verteidigen muss. Zwei Männer müssen zwei Mädchen über Landesgrenzen hinaus schleusen, da beide Mädchen sprichwörtlich schicksalsträchtig sind. Während Cuarón den mitunter anstrengenden Roman von James in teils elegische Bilder packte, wählte der Franzose Mathieu Kassovitz für seine Verfilmung von Dantecs Werk einen anderen Weg. Nicht nur änderte er mit Drehbuchautor Eric Besnard einige Handlungselemente der Vorlage sowie den Titel, sondern sein Film kommt als Gewaltmär daher, die kaum Gewalt zu bieten hat. Für die Hauptrolle des Söldners Hugo Cornélius Toorop, der im Film selbst lediglich Toorop heißt, war ursprünglich Vincent Cassel vorgesehen. Letztlich engagierte man aber Vin Diesel, der daraufhin aus seiner Beteiligung bei Hitman ausstieg.

Will uns Babylon A.D. zu Beginn eine post-apokalyptische Welt verkaufen, merkt man am Ende, dass man einem falschen Hasen aufgesessen ist. Es handelt sich lediglich um Ost-Europa, welches scheinbar anarchischen Verhältnissen untersteht. Kassovitz präsentiert hier eine verregnete, trübe und hoffnungslose Welt. Jeder ist bewaffnet, keiner vertraut dem anderen. Im Internetfernsehen von Google werden ausschließlich über Kriegsregionen berichtet – es ist eine Welt, in der sich jeder selbst der Nächste ist. Düster und trostlos, untermalt von harten Rap-Beats – der Look weiß zu gefallen, nur Vin Diesel als muskulöse Kampfmaschine passt hier noch nicht so recht rein in seiner Jacke, die zwei Nummern zu groß ist. Wie man später erfahren wird, befindet sich Toorop (Diesel) im Exil in New Serbia. In seiner Heimat, den USA, wird er als Terrorist angesehen. Glücklich ist Toorop nicht, das merkt man ihm an. Was er tut ist Routine, so auch als ein Einsatzkommando durch seine Tür stürmt.

“Carl, is that you?”, fragt Toorop den Anführer, ehe er in kurz darauf exekutiert. Gut ein Dutzend Männer bedarf es, um Toorop aus dem Haus zu führen – man merkt, mit Toorop ist nicht gut Kirschen essen. In einem gepanzerten Konvoi erwartet Toorop dann die Filmhandlung. Der Pate Gorsky (Gérard Depardieu) unterbreitet unserem Helden ein Angebot, das dieser nicht ablehnen kann. Eine neue Identität, einen Passport für die amerikanische Grenze. Alles was Toorop tun muss, ist ein Mädchen nach New York City eskortieren. Toorop sagt zu und weiß sogleich, dass er sich auf eine Suizidmission eingelassen hat. Als er auf das „Paket“ namens Aurora (Mélanie Thierry) trifft, muss er sich auch mit deren Ziehmutter und Sektennonne Rebecca (Michelle Yeoh) auseinandersetzen. Bald schon merkt Toorop, dass die Mission umständlicher wird, als er erwartet hat. Dabei sind weniger Ausflüsse von außen die Gefahr, sondern vielmehr Aurora selbst. Und ihr Geheimnis.

Wie erwähnt, düster und trostlos ist das Geschehen in Babylon A.D.. Gewalt regiert die Welt und wer kein tough motherfucker ist, wird schwerlich überleben können. Da wirkt es ziemlich ironisch, dass Kassovitz seinem Publikum jede Form von Gewalt vorenthält. Am meisten merkt man dies der Szene im Flüchtlingslager von Wladiwostok an, in der eine Kampfszene so zerschnitten ist, dass man von der Choreographie im Grunde gar nichts mitkriegt. Auch sonst wurde der Film so weit entschärft, dass man ihn problemlos an der Zensur vorbei für 12-Jährige freigeben kann. Der Grundstimmung des Filmes dient das nicht unbedingt, ähnlich wie auch bereits bei Mad Max der Fall. Aber dass Concorde seinem Publikum nur noch zensierte Ware vorsetzt, ist man bereits durch Iron Man, The Incredible Hulk und Doomsday gewöhnt. Ob sich das Studio damit in eine ungeschickte Position gegenüber dem Zuschauer manövriert sei mal dahingestellt. Man kann Babylon A.D. zwar durchaus auch ohne die explizite Darstellung von Gewalt ertragen, doch läuft dies wie angesprochen etwas dem Grundsatz des Filmes zuwider und hinterlässt einen leicht bitteren Beigeschmack. Dennoch beinhaltet der Film einige Actionszenen, zwar nicht in einem Maße wie Hitman, aber durchaus ansehnlich, wenn auch mitunter leicht vertraut. Da aber auf Blut und andere größeren Verletzungen verzichtet wurde, dürfte der Film keinerlei Plattform für Gewaltdiskussionen liefern. Interessant wäre, ob auf DVD ein Extended Cut erscheint.

Obschon Kassovitz einiges änderte, sind die Cyberpunk-Elemente von Dantecs Roman noch im Film enthalten. Die Thematik des Filmes geht jedoch in eine andere Richtung als die von Children of Men. Dort waren die Probleme selbst verschuldet, hier hingegen existieren solche Probleme überhaupt nicht. Das Geheimnis von Aurora ist gänzlich andere Natur mit einer vollkommen anderen Konnotation. Diese christlich-messianische Komponente weiß Kassovitz durchaus für seine Geschichte zu nutzen und die Handlung daran aufzuhängen. Das Finale des Filmes wird dann auch ganz von dieser Komponente aufgesogen. Hier stören lediglich die etwas flachen Effekte (Rakete in Zeitlupe, z.B.), die jedoch auch zu Beginn des Filmes zu finden sind. Auch die Handlung weist einige Lücken auf, im Endeffekt ist Toorops Mission nämlich leichter, als sie zu Beginn den Anschein hat. Zudem bleiben viele Fragen offen und einige Entwicklungen stoßen sauer auf.

Hinzu kommen die teilweise überforderten Schauspieler, allen voran Vin Diesel und traurigerweise auch Charlotte Rampling. Ihr overacting nimmt im Laufe des Filmes katastrophale Auswüchse an. Dagegen wissen Thierry und Yeoh relativ zu überzeugen, ohne sich besonders hervorzutun. Die Musik von Hans Zimmer-Schüler Atli Örvarsson ist solide, passt sich den Bildern an, dürfte für sich genommen aber unspektakulär sein. Überraschenderweise macht Babylon A.D. dann aber trotzdem über einen Großteil seiner Handlung hinweg Spaß, besitzt Zug und weis diesen gerade in Wladiwostok und der U-Boot-Szene gekonnt zu nutzen. Das Ende ist dann sicherlich etwas etepetete, aber allein die christliche Konnotation hält den Film über seine gesamte Laufzeit hinweg zusammen. Wer keine großen Sprünge erwartet, sondern einen kleinen Endzeit-Actioner, kann in Kassovitz’ Film durchaus auf seine Kosten kommen.

6/10