Posts mit dem Label Miguel Ferrer werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Miguel Ferrer werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

8. September 2017

Twin Peaks: The Return

When you get there, you will already be there.

Der Duden beschreibt Nostalgie als Rückwendung zu einer vergangenen, in der Vorstellung verklärten Zeit. Sie ist zur Zeit wieder in Mode, die Nostalgie – speziell die 1980er Jahre, die als Schablone für filmische Produkte wie Stranger Things, das It-Remake oder Steven Spielbergs kommenden Ready Player One dienen. Auch die Erinnerung an 80er-TV-Shows wie 21 Jump Street und Baywatch wurde zuletzt im Kino gepflegt und die sind dabei keinesfalls die Ausnahme von der Regel. Revival ist das magische Wort der Fernsehlandschaft im Moment, so gab es nach acht Jahren die Rückkehr von Prison Break, 14 Jahre hatten The X Files geruht und auf Netflix herrscht nach 21 Jahren plötzlich wieder Leben in der Bude des Fuller House.

Ebenfalls ein Revival, wenn auch eines der etwas ungewollt stringenteren Form, ist Twin Peaks: The Return. Anfang der 1990er Jahre veränderte die Serie von David Lynch und Mark Frost mit der Aufklärung des mysteriösen Todesfalls um Teenager Laura Palmer das Fernsehen. Vor den Insel-Rätseln von Lost und den ungelösten X-Akten des FBI war es Twin Peaks, das auf sehr ungewöhnlich-gewöhnliche Art mit verschiedenen Genre-Konventionen spielte und seine Grenzen auslotete. Kulminierend in einem wahnwitzigen Serienfinale und dem atmosphärisch ähnlichen Prequel-Film Twin Peaks: Fire Walk With Me. Zu dem Zeitpunkt als Twin Peaks endete, war zwar aufgelöst, wer Laura Palmer getötet hatte. Doch viele andere Fragen blieben zugleich.

“I’ll see you again in 25 years”, hatte sich Laura (Sheryl Lee) damals in Episode Twenty-Nine von FBI-Agent Dale Cooper (Kyle MacLachlan) im Red Room der Black Lodge verabschiedet. Und nun, quasi exakt jene 25 Jahre später, knüpfen David Lynch und Mark Frost in Part 1 von Twin Peaks: The Return an jenen Abschied an. Konzipiert als beinahe 18-stündiger Film, der in 18 Teilen erzählt wird, hat das Revival allenfalls oberflächlich und in Facetten etwas mit Twin Peaks gemein. Zwar nimmt es direkt Bezug auf das Serienfinale und Fire Walk With Me, zuvorderst ordnet sich The Return aber eher in Lynchs jüngere Filmografie ein: Quasi als experimentelles serielles Erzählen im Stile seiner Werke wie Mulholland Drive oder Lost Highway.

Twin Peaks: The Return ist eine Verquickung dieser beiden Lynch-Welten. Es gibt ein Wiedersehen mit vielen der Figuren aus der Serie und dem Film – nicht alle von ihnen verlaufen glücklich. Genauso wie nicht jede Figur zwingend einen Platz im Revival hat, egal ob sie neu zum Ensemble dazu stößt oder von Anfang an dabei war. So leitet Norma (Peggy Lipton) weiter ihr Double-R-Diner, wo Shelly (Mädchen Amick) ebenfalls weiter den Kaffee ausschenkt und Kuchen serviert. Während Erstere sporadisch ihre Romanze mit Big Ed (Everett McGill) weiterspinnen darf, verliert sich Letztere primär in einem weitestgehend unbedeutenden Nebenplot um ihre Tochter Becky (Amanda Seyfried), die dieselben Fehler macht, wie ihre Mutter einst.

Viele der früheren Twin Peaks-Figuren tauchen hierbei in derartigen Handlungssträngen auf, so auch James (James Marshall) als schmachtend Verliebter oder Dr. Jacoby (Russ Tamblyn), der sich in einer amüsanten Alex-Jones-Persiflage im Internet als “Dr. Amp” über die Regierung und den Ist-Zustand generell aufregt. “We all live in the mud”, erklärt Jacoby in einem Werbeclip, der dazu dient, von ihm mit Goldfarbe besprühte Schaufeln zu verkaufen. “Shovel your way out of the shit!”, ermuntert er seine Zuschauer. Und spricht unwissentlich durchaus in gewisser Weise über die Thematik, die Twin Peaks: The Return über weite Strecken innewohnt. Zumindest für Agent Cooper gilt diese Aufforderung, sich aus einem Ärgernis befreien zu müssen.

Dale Cooper steckt weiter in der Black Lodge fest – zumindest bis MIKE (Al Strobel) ihm einen Weg aufzeigt, den Red Room zu verlassen. “Is it future? Or is it past?”, wird Cooper von dem Einarmigen in Part 2 gefragt. Die Zeit steht still in der Black Lodge, auch wenn dies nicht ohne Folgen bleibt. Zwar gelingt Cooper bereits in Part 2 die Flucht aus dem verfluchten Ort, doch seine Rückkehr – nicht nur nach Twin Peaks, sondern zu seiner eigenen, alten Identität – wird beinahe die gesamte Laufzeit des Revivals in Anspruch nehmen. Eine Odyssee der absurd-redundanten Irrelevanz gewissermaßen, als Agent Cooper schließlich den Platz und das Leben eines weiteren von BOB fabrizierten Doppelgängers von sich in Las Vegas beansprucht.

Die Passagen rund um Dougie Jones (Kyle MacLachlan) entsprechen dem ins Extreme verschobenen komödiantischen Stilmittel der Repetition wie sie sich in Family Guy oder auch den Komödien von Will Ferrell oft findet. Als Versicherungsvertreter befindet sich Cooper fortan den Großteil der Serie im Dauerzustand einer katatonischen Apathie. In dieser ist er weder zu motorischen Bewegungen noch verbalem Austausch fähig – seine Liebe zum Kaffee behält er jedoch. Der Humor liegt dabei einerseits in MacLachlans perfekter Darbietung, unter anderem als Spielautomaten-Rain Man Mr. Jackpots (“Hello-oooooo”), aber auch in der unglaublichen Akzeptanz seiner sozialen Umwelt wie Gattin Janey-E (Naomi Watts) ob seines Zustands.

Immer wieder beobachten wir Ereignisse oder treffen Figuren, von denen zuerst unklar ist, ob sie von irgendeiner Relevanz sind – oder es noch sein werden. Sei es Ashley Judd als neue Assistentin Beverly von Ben Horne (Richard Beymer) in dessen Great Northern Hotel und ihr pflegebedürftiger Ehemann, Balthazar Getty als Drogendealer Red mit Hang zu Zaubertricks oder Charlyne Yi als junge Frau, die eines Abends im Roadhouse plötzlich von Panik befallen wird. Wiederholt wird von einer Figur namens Billy gesprochen, ohne dass wir diese jemals sehen oder erklärt bekommen, welche Bedeutung ihr zukommt. “I feel like I’m somewhere else”, entfährt es da Audrey Horne (Sherilyn Fenn) in Part 13. Und so geht es wohl vielen.

In vereinzelten, verstörten Äußerungen teilten Zuschauer online mit, dies sei nicht ihr Twin Peaks aus den 1990er Jahren. Die Rückwendung in die verklärte Zeit misslingt – natürlich weil Lynch und Frost sie auch nicht bemühen. Stellenweise versuchen sie sich am Entmystifizieren des Mythos’ der Serie, verfolgen dies aber in der Regel nicht weiter. So widmet sich nahezu der ganze Part 8 in einer kongenialen Inszenierung der Entstehung von BOB (Frank Silva) und der Rolle von Laura. Eingestreut in Atomwaffen-Tests im New Mexico von 1945, überwechselnd ins Jahr 1956, wenn am selben Ort Froschkäfer aus Wüsteneiern schlüpfen und ölige Holzfäller aus der anderen Dimension mordend eine lokale Radiostation aufsuchen.

Ähnlich skurril war zuvor schon Coopers Flucht in die Wirklichkeit in Part 3 inszeniert worden. In Schwarzweiß gehaltener Optik, oft visuell und auditiv verzerrt, lebt Lynch hier seinen Avantgardismus aus. Evoziert Frühwerke wie Eraserhead und schert sich sichtlich keinen Deut darum, Antworten zu liefern oder selbst da, wo er sie beginnt, auch abzuschließen. “This is the water, and this is the well”, verkündet der Holzfäller in der Radiostation in Part 8 kryptisch. “Drink full, and descend.” – Trinkt dich voll und steig hinab in die Untiefen des Twin Peaks-Universums, könnte er genauso gut zum Zuschauer sprechen. So wie Sarah Palmer (Grace Zabriskie) später in Part 14, als sie einen aufdringlichen Bar-Gast fragt: “Do you really wanna fuck with this?”

Eine Frage, die sich auch viele Figuren in Twin Peaks stellen könnten, sei es Audreys soziopathischer Sohn Richard Horne (Eamon Farren), der wie sein Großvater im lokalen Drogengeschäft involviert ist, oder auch das FBI-Duo um Gordon Cole (David Lynch) und Albert (Miguel Ferrer). Aufgerüttelt durch mysteriöse Mordfälle in New York und dem scheinbaren Auftauchen der kopflosen Leiche von Major Briggs sowie von Coopers bösem Doppelgänger (Kyle MacLachlan) in South Dakota beginnen sie mit der jungen Agentin Tammy (Chrysta Bell) die Ermittlungen in einem neuen “Blue Rose”-Fall. Zu diesem stößt wenig später auch Diane dazu, die nach zahlreichen Cooper-Referenzen dank Lynch-Muse Laura Dern nach 25 Jahren ein Gesicht erhält.

Ihre eigenen Ermittlungen verfolgen die Beamten in Twin Peaks um Hawk (Michael Horse), Andy (Harry Goaz) und Lucy (Kimmy Robertson). Mit Sheriff Frank Truman (Robert Forster), Bruder des an Krebs erkrankten Harry, rollen sie den Fall um Laura Palmer und Dale Cooper wieder auf. Unterstützt von Bobby Briggs (Dana Ashbrook), der, wie es der Zufall so will, inzwischen selbst für das Sheriff’s Department arbeitet. Twin Peaks: The Return jongliert weitestgehend überaus geschickt all diese Handlungsstränge, die nur peripher im Zusammenhang zueinander stehen. Sei es, wenn Tim Roth und Jennifer Jason Leigh ein Tarantino-eskes Auftragskiller-Duo mimen oder Robert Knepper und Jim Belushi gutmütige Casino-Gangster-Brüder.

Über allem schwebt natürlich dennoch die Frage nach dem Warum und Wieso dieser Welt. “Our world is a magical smoke screen”, hatte die Log Lady (Catherine E. Coulson) in Episode Twenty-Seven gesagt. Aufgrund des Ablebens der Darstellerin in 2015 – nicht der einzige Verlust im Ensemble, so verstarb Miguel Ferrer Anfang des Jahres – kommuniziert diese im Revival ausschließlich mit Hawk per Telefon. Ist aber kryptisch wie eh und je. “Now the circle is almost complete”, teilt sie Hawk in Part 10 mit. Die zeitliche Einordnung der Ereignisse ist von Bedeutung, nun, 25 Jahre später. Weshalb auch immer. “If we’re not at the right place at exactly the right time, we won’t find our way in”, wusste schon Cooper in Episode Twenty-Eight.

Twin Peaks: The Return gebiert sich hier stellenweise als vorherbestimmtes Schicksal in Lost-Manier. Wo Ereignisse der Gegenwart lange in der Vergangenheit bereits vorausgedeutet und Figuren wie Wachmann Freddie (Jake Wardle) in Position gebracht wurden. Wenn wir dann erleben, wie Phillip Jeffries über Judy spricht, erscheint es so, als würden Lynch und Frost uns Antworten geben, stattdessen werfen sie aber eher neue Fragen auf. Im Kern geht es in den beiden finalen Part 17 und Part 18 dann erneut darum, dass Agent Cooper irgendwie – und: irgendwann – doch noch Laura Palmer retten kann. Denn wie die Log Lady in Part 15 in einer Selbstreferenz gegenüber Hawk deutlich macht: der Tod sei “just a change, not an end”.

Was die Zuschauer mit dem Revival tatsächlich sehen, bleibt offen. Lynch macht hier wie schon in Fire Walk With Me Andeutungen, es könnte sich nur um einen (Fieber-)Traum handeln. “We live inside a dream!”, hatte Phillip Jeffries (David Bowie) im Prequel-Film behauptet. Eine Vermutung, die Gordon Cole in einem Traum von Monica Bellucci bestätigt zu werden scheint. “We are like the dreamer who dreams and then lives inside the dream”, teilt die italienische Schauspielerin dem FBI-Direktor darin mit. Und stellt die entscheidende Frage: “But who is the dreamer?” Ob Traum oder Realität, die Welt von Twin Peaks meint es so oder so mit vielen ihrer Figuren nicht allzu gut. Wenn auch stets mit einer gewissen Prise schwarzem Humor.

“Things can happen!”, erregt sich da Sarah Palmer in Part 12 im Supermarkt. “Something happened to me!” Damit steht sie natürlich nicht allein, auch mit Dale Cooper und Audrey Horne geschah etwas, das sie veränderte. Genauso wie mit Diane. Echtes Glück blieb nur wenigen Charakteren vorbehalten, allen voran Andy und Lucy mit ihrem Sohn Wally “Brando” (Michael Cera) oder – wenn auch spät – Norma und Big Ed. Für viele andere wartet dagegen nur der Tod oder der Weg hin zu diesem, deutlich am Krebstod vieler der Darsteller wie Catherine E. Coulson und Miguel Ferrer vor der Ausstrahlung. Es bleibt nur die Hoffnung, dass diese Traurigkeit nicht von zu langer Dauer ist. “One day the sadness will end”, sagte die Log Lady in Episode Three.

Wie bereits in den ersten beiden Staffeln haben David Lynch und Mark Frost mit diesem ungewöhnlichen Revival erneut die Grenzen des Fernsehens ausgelotet. Voller abstrakt-genialer Momente wie in Part 3 oder Part 8, kulminierend in einem starken kryptisch-mystischen Finale rund um Part 15, Part 16 sowie dem brillanten Ausklang in Part 18. Wer sich von Twin Peaks: The Return eine nostalgische Rückbesinnung zu den Anfängen der Serie erhoffte, muss jedoch genauso enttäuscht werden wie diejenigen, die nach ultimativen Antworten auf offene Fragen lechzten.“Is there an answer? Of course there is”, verriet allerdings schon in Episode Thirteen die Log Lady. “As a wise person said with a smile: ‘The answer is within the question.’”

9/10

14. Februar 2016

RoboCop

Why is America so robophobic?

Irgendwas muss Paul Verhoeven doch richtig gemacht haben, angesichts einer jüngsten Remake- und Reboot-Welle seines Sci-Fi-Œuvres. Auf ein Remake von Total Recall aus 2012 folgte zwei Jahre später ein Reboot von RoboCop, während ein Reboot von Starship Troopers derzeit in der Mache ist. Verhoeven zog sich derweil vor zehn Jahren in die Niederlande zurück, wo er alle Jubel Jahre weitaus kleinere Filme dreht (dieses Jahr erscheint sein Psycho-Thriller Elle). Es kommt nicht von ungefähr, dass Verhoevens Sci-Fi-Werke eine Neugestaltung erfahren, zählen sie doch zu den Kult-Filmen ihrer Zeit. Ein Attribut, mit dem sich José Padilhas (Tropa de Elite) Remake von Verhoevens 1987er RoboCop nicht schmücken können wird.

Die 2014er und 1987er Versionen von RoboCop ähneln sich über weite Strecken. Beide Filme beginnen mit Nachrichtensegmenten (hier Samuel L. Jackson als TV-Moderator, der Roboter-kontrollierte Kriminalitätsbekämpfung verfechtet), ehe sie eine Tötung durch einen ED-209 zum Anlass für ihr RoboCop-Programm nutzen. Wo dieses im Original eine Alternative zu ED-209 darstellt, ist RoboCop im Remake eine massentaugliche Ergänzung seitens OmniCorp-Chef Raymond Sellars (Michael Keaton) als Reaktion auf das fehlende humane Element in seinem bisherigen Firmen-Portfolio. Wie bei Verhoeven avanciert auch hier der bei seinen Ermittlungen lebensgefährlich verletzte Alex Murphy (Joel Kinnaman) unfreiwillig zum Probanden.

Schon bei der Exposition dieses Umstands zeigt sich, was Original von Remake unterscheidet. Wird Murphys Tod bei Verhoeven als wahre Folter durch Bösewicht Boddicker (Kurtwood Smith) inszeniert, greift Padilha auf eine schlichte Autobombe zurück. Diese wird auf Geheiß eines zweitklassigen eindimensionalen Widersachers angeordnet, der zuvor erklärte, er wolle keine Polizisten umbringen, weil er dann im Fadenkreuz der Polizei sei. Das Ganze, nachdem er in der Szene zuvor seine Männer anordnete, Murphy und dessen Partner Lewis (Michael K. Williams) umzubringen. Als Folge wird also eine Autobombe platziert, die aber nicht sofort losgeht, sondern erst irgendwann im Verlauf des Films. Es geht wohl schwerlich unsinniger.

Visuell gefällig gerät zumindest die Szene, wenn Murphy später verlangt, zu sehen, was von ihm menschlich übrig geblieben ist. Auch wenn sich nicht ganz erklärt, warum eine abgetrennte rechte Hand gerettet wurde. Padilha wendet viel Zeit für Murphys Akklimatisierung auf, wenn dieser in einem OmniCorp-Labor in China zu sich kommt, um von Dr. Dennett Norton (Gary Oldman) zu erfahren, dass er nun praktisch Firmeneigentum ist. Dort wird Murphy modifiziert, indem sein Bewusstsein mittels Dopamin-Schranke in Schach gehalten wird, um ihn im Gefecht effektiv wie die bisherigen OmniCorp-Dronen zu machen. Sehr zum Missfallen von Murphys Gattin Clara (Abbie Cornish) und Sohn David, die Alex kaum mehr wieder erkennen.

Des Weiteren ähnelt der Verlauf des Remakes der Verhoeven-Version – nur dass die Ereignisse nicht im Bewusstsein bleiben wollen. Das liegt auch daran, dass Padilhas Film die vermeintliche Leblosigkeit seiner Titelfigur auf sich selbst überträgt. Im direkten Vergleich vermag kein Charakter seinem Vorbild das Wasser zu reichen. Weller strahlte mehr Sympathie und Integrität aus als Kinnaman wohl je fähig sein wird, Keaton ist eine Schlaftabletten-Version von Ronny Cox, der Darsteller des Pseudo-Boddicker verdient nicht einmal, hier namentlich genannt zu werden. Allenfalls Gary Oldman – und mit Abstrichen Dexter’s Aimee Garcia – scheint ansatzweise bemüht zu sein, währen Samuel L. Jackson und Abbie Cornish unterfordert wirken.

Obendrein fehlt dem 2014er RoboCop die Relevanz. Eingangs wird mit einer fatalen Iran-Mission noch im Ansatz das Thema Dronen und technologisierte Kriegsführung angesprochen, aber nicht weiterverfolgt. In Edward Neumeiers Originaldrehbuch ging es um Themen wie Gentrifizierung, Privatisierung der Polizei, Kapitalismus und Militarisierung. Das falsche Nachrichtenintro wirkte weit weniger dystopisch als man glauben sollte, die Werbeeinblendungen karikierten satirisch das Bild der USA. Dinge, von denen das Remake nichts wissen will und sich stattdessen als generischer Action-Blockbuster ohne eigene Identität präsentiert. Als hätte man menschliche Elemente des 1987er Originals in einen leblosen mechanischen Körper aus 2014 platziert.

Gerade im Vergleich beider Filme zeigt sich die Klasse des Originals. Völlig belanglos gerät die Iran-Mission im Remake, weil dem Zuschauer ihr Kontext fehlt. Wohingegen man im Original selbst eingangs mit dem Tod von Frederickson durch ED-209 mitfühlen kann, obschon die Figur in derselben Szene stirbt, in der sie eingeführt wird. Die Aufpolierversuche des Remakes scheitern praktisch durch die Bank, nicht zuletzt im Bestreben, den zuerst präsentierten silbernen RoboCop-Anzug durch eine schlankere schwarze Version zu tauschen. Wenn dann der klassische Einzeiler “I’d buy that for a dollar” von Padilha in einer 0815-Szene von Jackie Earle Haleys Söldner gen Boden geraunt wird, vermag man nur noch mit dem Kopf zu schütteln.

Wenn in einer weiteren Remake-Szene Michael Keatons CEO propagiert “People really don’t know what they want until you show it to them” ist dies in einem der wenigen Meta-Momente des Films durchaus auch auf sein Publikum gemünzt. RoboCop will dabei – wie so viele Remakes – eine leicht modifizierte Version eines bisherigen Erfolgsmodells sein (praktisch ein filmisches iPhone 5S). Überzeugen kann er dabei nicht. Wie passend gerät da der Slogan der ersten Fake Commercial aus dem Original, der versichert: “And remember: we care.” Insofern kann sich Paul Verhoeven gewiss sein, dass die lausigen Remakes seiner Kultfilme sein Erbe nur bestärken. Und mag in Richtung Starship Troopers-Reboot unken: “Your move, creep.”

4/10

12. Januar 2010

Traffic

It's all about the money.

Man stelle sich vor, ein Mann läuft durch ein kleines Dorf. Er fragt alle Einwohner, ob sie Orangen hätten. Ob sie ihm welche verkaufen könnten. Aber es hat niemand Orangen. Am nächsten Tag kommt ein anderer Mann ins Dorf. Auch er fragt die Einwohner nach Orangen. Auch er verlässt das Dorf ohne das Obst. Dieses Spiel wiederholt sich noch mehrere Tage. Gegebenenfalls Wochen. Immer wieder fragen Männer nach Orangen. Irgendwann beginnt einer der Dorfbewohner in die Berge aufzubrechen. Er findet Orangen und nimmt eine Wagenladung mit in sein Dorf. Als das nächste Mal ein Mann ins Dorf kommt und nach Orangen fragt, verkauft er diesem welche. Er deckt mit seinem Angebot die Nachfrage. Je mehr Leute nach Orangen fragen, desto mehr Umsatz macht er. Nun sind Orangen keine Drogen und dementsprechend auch nicht illegal. Aber das Beispiel veranschaulicht sehr gut, dass im Kampf gegen die Drogen nicht die Dealer das Problem sind, sondern die Konsumenten.

In Steven Soderberghs Film Traffic, einer Spielfilmadaption der britischen Fernsehserie Traffik von 1989, legt Drehbuchautor Stephen Gaghan einer Figur eine ähnliche, wenn auch näher an der Materie liegende Ausführung in den Mund. Der amerikanische Richter Robert Wakefield (Michael Douglas) wird zum Direktor der Nationalen Drogenbekämpfungsbehörde befördert. Nichtsahnend, dass seine eigene 16-jährige Tochter Caroline (Erika Christensen) bereits der Drogensucht zum Opfer gefallen ist. Als diese nach einer ersten Rehabilitationsmaßnahme ausbüxt, macht er sich mit ihrem Klassenkameraden und Drogenversorger Seth (Topher Grace) auf die Suche nach ihr. In einem eher heruntergekommenen Viertel von Cincinnati scheint der Familienvater zu kapitulieren. Die Straßen sind bevölkert von Afroamerikanern, die an jedem Hauseingang nur darauf warten, Geschäfte machen zu können. Verbittert und angewidert presst Wakefield hervor, an welchen Ort Seth seine Tochter gebracht habe. „To this place?“, wiederholt dieser ungläubig. „What is that shit?”

Seth führt sein Beispiel an. Von Hunderttausenden Weißen, die in den Innenstädten jeden Schwarzen fragen würden: „You got any drugs? You know where I can score some drugs?” Die Männer also, die nach Orangen fragen. „Think about the effect that that has on the psyche of a black person, on their possibilities?”, echauffiert sich Seth. Sein Gegenbeispiel sieht vor, dass Hunderttausende Afroamerikaner in die Vororte der kaukasischen Bevölkerung fahren und jeden Weißen nach Drogen fragen. „Within a day, everyone would be selling. Your friends. Their kids”, behauptet der Schüler. Drogenhandel sei eine „unbeatable market force“ mit „three hundred percent markup value”. Für zwei Stunden Arbeit verdiene man am Tag fünfhundert Dollar. Der Rest des Tages stünde zur freien Verfügung. „And…I’m sorry. You’re telling me… you’re telling me that white people would still be going to law school?”, lautet Seths ungläubiges Fazit. Wakefield entgegnet ihm nichts. Sei es, weil er nicht antworten will oder er keine Antwort weiß.

Orangen sind keine Drogen. Sie mache nicht süchtig, sind im Gegenteil sogar gesund. Niemand würde sich daran stören, wenn man Orangen verkauft. Tatsächlich stört sich auch niemand daran. Die Drogenpolitik in der Gesellschaft ist nun variabel. In Deutschland klammert das Betäubungsmittelgesetz Drogen wie Nikotin, Koffein und Alkohol aus seinen Bestimmungen aus. Im Jahr 2007 wurden in Deutschland 532 000 Patientinnen und Patienten „infolge des Konsums von sogenannten legalen Drogen vollstationär behandelt“, wie das Bundesamt für Statistik mitteilt. Dem gegenüber stehen 80 000 vollstationäre Behandlungen infolge des Konsums von illegalen Drogen. Daraus ließe sich nun lesen, dass die Zahl deswegen nur 80 000 beziffert, eben weil diese Drogen illegal sind. Was jedoch zur Folge hätte, dass man im Sinne des Allgemeinwohls handeln würde, wenn man auch die so genannten „legalen“ Drogen rechtlich verbieten lassen würde.

In 43 Prozent aller Länder wird ein Anstieg des Drogenhandels verzeichnet. Über 25 Prozent aller Nordamerikaner und Mitteleuropäer konsumieren zumindest ein Mal in ihrem Leben Cannabis. Ebenfalls über 25 Prozent konsumieren die Droge ihr Leben lang. Im Jahr 2008 lag die Zahl der Menschen, die zumindest ein Mal Drogen gleich welcher Art genommen haben bei 172-250 Millionen Personen zwischen 15 und 64 Jahren. Das heißt, dass 2008 beinahe 1,5 Prozent der Weltbevölkerung illegale Drogen konsumiert hat. Unabhängig davon, dass dies gesetzlich verboten ist. Es besteht eine Nachfrage und diese wird gedeckt. In den USA werden jedes Jahr bis zu 50 Milliarden Dollar über den Drogenhandel umgesetzt. Die Hälfte davon wandert zur Geldwäsche nach Mexiko, das zugleich den Hauptmarkt für den amerikanischen Drogenhandel darstellt. Neunzig Prozent des Kokains, das in die Staaten wandert, wird über Mexiko geschmuggelt.

Die Drogenbekämpfungsbehörde, deren Vertreter Michael Douglas in Traffic nun repräsentiert, gibt es in den USA seit 1988. Vor sieben Jahren gaben die USA über 13 Milliarden Dollar für ihren Krieg gegen die Drogen aus. „Our budgetary process (..) makes us pale in comparison“, legt Gaghan im Film einem Regierungsverteter in den Mund, als dieser Robert Wakefield erklärt, wie sich das Budget der USA gegenüber dem der Drogenkartelle verhält. 13 Milliarden Dollar im Jahr entsprach 2003 einer Ausgabe von 600 US-Dollar pro Sekunde. Aktuell hat sich diese Zahl verdreifacht. Sprich, pro Sekunde geben die USA 1.800 Dollar für den Kampf gegen den illegalen Drogenhandel aus. Als Resultat lässt sich vorweisen, dass innerhalb der letzten neun Jahre – also seit Ausstrahlung von Traffic – der Zugang amerikanischer Schüler zu Kokain um nahezu sechs Prozent gefallen ist. Dafür nimmt jedoch der Cannabis-Konsum zu. Allein 2010 wurden bereits über 25.000 Personen diesbezüglich festgenommen.

Ein scheinbar aussichtsloser Kampf, der sich wohl auch nicht gewinnen lässt. Traffic fängt diesen Kampf hinsichtlich seiner oberflächlichen Präsentation sehr gut ein. Gaghan teilt seine Handlung auf, in drei, wenn man generös ist auch vier, individuelle Geschichten. Er widmet sich der Drogenbekämpfung sowie der Auswirkungen des Drogenhandels und –konsums auf amerikanische Familien. Die drei Handlungsstränge werden dabei als Hilfestellung für den Zuschauer durch Farbfilter voneinander getrennt. Dem Geschehen in Mexiko widmet sich Soderbergh dementsprechend in Sepia-Tönung und Handkamera. Erzählt wird die Geschichte des Polizeiermittlers Javier Rodriguez Rodriguez (Benicio Del Toro), der in einen Strudel aus Korruption hineingerät. Die blau gefärbten Bilder rund um die Familie Wakefield hingegen beschäftigen sich mit den Auswirkungen von Drogen im kleinen Raum. Und die sehr hellen und klaren Bilder rund um Helena Ayala (Catherine Zeta-Jones) und den Drogen-Prozess gegen ihren Mann, sowie ebenjene Ermittlung von DEA-Agent Montel Gordon (Don Cheadle) bilden letztlich nochmals eine Zusammenfassung der beiden Segmente.

Nimmt man an, dass die 140 Minuten Laufzeit distributiv auf die drei Segmente entfallen, müsste jeder der Handlungsstränge eine Dreiviertelstunde laufen. Wie in Episodenfilme oft gepflegt, verwebt Gaghan die Geschichten an manchen Stellen, wenn auch nicht sonderlich gezwungen oder plakativ. Jedes Segment fängt sehr schön die Ohnmacht ein, welche die jeweiligen Figuren überfällt. Und doch lässt Gaghan jede Geschichte auf einer positiven Note enden. Auf einem Hoffnungsschimmer. Wenn Gordon am Ende seine Ermittlungen von vorne beginnt bzw. weiterführt. Wenn Caroline Wakefield sich erneut in die Rehabilitation begibt und ihr Vater zur Unterstützung seinen Posten in Washington D.C. aufgibt. Wenn Javier in der Schlusseinstellung ein von Flutlicht beleuchtetes Baseballspiel beobachtet. Während die Ayala-Handlung lediglich andeutet, dass man nicht aufgeben soll, versucht Gaghan in den anderen Fällen Lösungsvorschläge anzubieten.

Sowohl die Wakefield-Handlung als auch die in Mexiko veranschaulichen, dass das Problem an der Wurzel bekämpft werden muss. Und dass diese Wurzel nicht die Drogenkartelle in Mexiko sind. Robert Wakefield erkennt, dass er den Kampf gegen die Drogen zuerst Zuhause in seiner eigenen Familie beginnen muss. Denn wenn er ihn dort nicht gewinnt, ist er in Mexiko bereits verloren. Ähnlich verhält es sich bei Javier, der mit den amerikanischen Behörden zusammen arbeitet. Als diese ihm Geld für seine Informationen anbieten, lehnt er ab. „We need lights for the parks so kids can play at night. So it’s safe. So they can play baseball. So they no become burros para los malones. Everybody likes baseball. Everybody likes parks. Listen, I believe it’s important that the United States take an interest in Tijuana now.” Das Interesse der USA an Tijuana liest sich als Spiegelbild für das Interesse an den eigenen Kindern. Seien es die Mexikanischen, die von der Straße geholt werden sollen, oder die Töchter und Söhne, denen in der Rehabilitation Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. „We’re here to listen“, erklärt Wakefield zum Schluss.

Die beiden Handlungsstränge ergänzen sich somit sehr gut, wohingegen das Segment über den Ayala-Prozess etwas heraus fällt. Während der eine Teil rund um die Bewachung des Kronzeugen (Miguel Ferrer) von Gordon und Ray Castro (Luis Guzmán) „lediglich“ veranschaulicht, dass die Mühlen des amerikanischen Justizapparates langsam und mühsam mahlen, präsentiert der zweite Teil um Helena Ayala zumindest die interessante Note, wozu eine großbürgerliche Frau im Stande ist, um ihren gesellschaftlichen Status aufrecht zu erhalten. In ihrer Botschaft gleicht sich jedoch auch diese Episode wieder an die anderen Beiden an. Eine Botschaft, die wie auch die Übrigen ein Echo in einem Monolog erfährt. Beziehungsweise in diesem Fall in einer Anekdote von Wakefields Vorgänger (James Brolin), die auf humoristische Weise den Teufelskreis beschreibt, in welchem sich die Figuren in Traffic, aber auch ihre Spiegelbilder in der Realität befinden.

Die Anekdote erzählt von Nikita Sergejewitsch Chruschtschow, dem ehemaligen Regierungschef der Sowjetunion. Dieser soll seinem Nachfolger (vermutlich Breschnew) bei seiner Amtsübergabe zwei Briefe geschrieben haben. Sollte sein Nachfolger in eine Situation geraten, aus der er keinen Ausweg findet, würde er Rettung im ersten Brief finden. Sollte es zu einer weiteren Situation kommen, würde er Rat im zweiten Brief finden. Schon bald fand sich Chruschtschows Nachfolger in einer solchen Situation und öffnete den ersten Brief. „Blame everything on me”, stand in diesem und so schob der Nachfolger alles auf seinen Vorgänger. Alles verlief bestens, aber es folgte natürlich eine weitere Situation. Der Nachfolger nahm den zweiten Brief zur Hand und öffnete ihn. „Sit down and write two letters”, stand in diesem. Auch Traffic passt sich dieser Anekdote an und öffnet zum Schluss seinen ersten Umschlag. Sehr

6/10