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5. November 2016

Toni Erdmann

Bist du eigentlich ein Mensch?

Es ist ein offenes Geheimnis, dass ich kein Fan des deutschen Films bin. Ich schaue sonntags keinen Tatort und auch keine Krimiserien von Dominik Graf. Mein Problem mit dem deutschen Kino liegt einerseits in der geringen Kreativität, gefühlt 80 Prozent der Dramen drehen sich um den Zweiten Weltkrieg und die Wiedervereinigung bzw. DDR. Romantische Komödien à la Schweiger und Schweighöfer äffen derweil Hollywood-B-Movies des Genres nach. Die Darsteller wirken oft so steif wie ihre Dialoge – vielleicht ist das auch nur das „deutsche“ an ihnen – und die Kamerabilder sehen in ihrer Billigkeit schlicht nach Fernsehen aus. Insofern meide ich den deutschen Film meist und verpasse in der Regel auch nicht wirklich etwas dadurch.

Natürlich gibt es Ausnahmen, so sehe ich beispielsweise sehr gerne die Filme von Caroline Link und Christian Schwochow. Und gerade Letzterer widmete sich in Novemberkind und Westen auch der DDR-Thematik. Dieses Jahr gehörte sogar Der Bunker zu den Werken, die mir mit am meisten gefielen, mit Der Nachtmahr kam jedoch auch ein deutscher Film heraus, der für mich all das verkörpert, was ich an diesem Kino verabscheue (siehe oben). Ein deutscher Beitrag, der mit viel Lob überschüttet wurde, war Maren Ades Toni Erdmann. Wollte ich gehässig sein, könnte ich sagen, die hochgelobte Klasse des Films verdankt sich seiner Durchschnittlichkeit, die durchaus aus dem sonst üblichen qualitätslosen Sumpf des deutschen Kinos herausragt.

Toni Erdmann ist kein schlechter Film – aber eben auch kein guter. Er beinhaltet viele der Punkte am deutschen Kino, die mir missfallen (und wie erwähnt, vielleicht sind es einfach kulturelle Aspekte). Aber: Er ist kein Weltkriegsdrama und keines über die Wiedervereinigung. Zumindest nicht über die von West- und Ostdeutschland. Maren Ade erzählt in ihrem dritten Film von der Beziehung eines Vaters, Winfried Conradi (Peter Simonischek), zu seiner Tochter Ines (Sandra Hüller). Beide sehen sich kaum, da Ines für ihre Unternehmensberatung in Bukarest einen Kunden betreut. Wie ein kurzer Besuch daheim offenbart, scheint das Verhältnis zwischen dem humorvollen Vater und der zugeknöpften Tochter aber generell gestört.

Als Winfrieds Hund stirbt, besucht er Ines spontan in Rumänien. Die ist derweil damit beschäftigt, ihren wichtigen Kunden bei Laune zu halten, was durch die Anwesenheit des Vaters gestört wird. Der taucht wiederum fortan verstärkt als überzeichnete Kunstfigur Toni Erdmann in Ines Berufsleben auf, eine Karikierung ihrer eigenen Profession. Zuerst widerwillig, dann immer mehr das (Rollen-)Spiel des Vaters mitspielend, thematisiert Maren Ade in der Folge Punkte wie Sozialwirtschaft und Genderpolitik, während Winfried versucht, Ines aus ihrer beruflich bedingten Depression und Lethargie zu reißen. Fast drei Stunden lang geht das alles so, nur um am Ende irgendwie wieder an dem Punkt anzulangen, wo Toni Erdmann zuvor begonnen hat.

Schauen wir uns also die Figuren einzeln an. Kunstlehrer Winfried ist ein sympathischer Spaßvogel, der in der ersten Szene den Paketlieferdienst mit seinem Rollenspiel veralbert. Schülern wie Familie begegnet er im Unernst, ein falsches Paar Zähne stets griffbereit in seiner Brusttasche. Dass er nicht wirklich Teil im Leben seiner Tochter ist, nagt an ihm (seine Ex-Frau und ihr Mann werfen Ines eine vorgezogene Geburtstagsfeier, von der man Winfried nichts erzählte), noch sehr viel mehr jedoch die Unglückseligkeit der einzigen Tochter. Ob sie denn glücklich sei, fragt der Vater da in elterntypischer Manier Ines bei seinem Besuch. Und muss sich in der Folge wiederholt brüsk von dem eigen Fleisch und Blut in seine Schranken weisen lassen.

Wo der Zugang zu Winfried leicht fällt, ist er zu Ines schon diffiziler. Das Publikum lernt sie beim Besuch ihrer Familie kennen, den sie versucht dadurch zu umgehen, indem sie falsche Anrufe vorgibt, die sie in den Garten fliehen lassen. Ines ist eine Frau, die sich in einer Männerwelt behaupten muss. Eigentlich wollte sie für ihre Firma schon längst in Shanghai arbeiten, doch ihr Chef Gerald (Thomas Loibl) hält sie immerzu hin. Für ihren Kunden Henneberg (Michael Wittenborn) soll sie bei einer Tochterfirma Kosten einparen, offiziell aber nicht von Outsourcing reden. Zugleich scheint Henneberg weniger an ihren Ideen interessiert zu sein als Ines vielmehr für seine eigene Gattin als Mode-Guide durch Bukarest zu schicken.

Auch gegenüber Gerald und ihrem Kollegen – und heimlichen Liebhaber –Tim (Trystan Pütter) muss sich Ines unentwegt behaupten. Womöglich reagiert sie deswegen so harsch gegenüber ihrem Vater, während sie selbst gleichzeitig auch ihre eigene Assistentin Anca (Ingrid Bisu) von oben herab behandelt. Die Geschlechterrollen tauchen immerzu subtil in Ades Film auf, so wenn Tim ihr offen gesteht, wie er mit Gerald über ihre Affäre spricht und Ines dabei lediglich zu einem sexuellen Objekt verkommt. Genauso auch, wenn Ines im späteren Verlauf Toni Erdmann auf einen Geschäftstermin mit Hennebergs rumänischer Tochterfirma nimmt, deren Leiter sich ihr gegenüber zuvor unkooperativ gegeben hat – bis ein Mann neben ihr sitzt.

Womöglich hat sich Ines die Frage, was an ihrem Leben noch lebenswert ist, selbst bereits gestellt. Und reagiert lediglich frustriert, als Winfried sie selbst erneut damit konfrontiert. Wer Ines wirklich ist, lässt sich für den Zuschauer aber dennoch weitaus schwerer feststellen als bei ihrem Vater. Sie reagiert überrascht ob seiner verspielten Art, müsste diese jedoch längst gewohnt sein. Wieso Ines derart konservativ steif ist, wo ihre Eltern enorm nahbar und umgänglich wirken, bleibt ein Rätsel. In der Folge wirkt ihre Beziehung zu Winfried nicht sonderlich familiär und erinnert in ihrer Unterkültheit an das Eltern-Kind-Verhältnis in Der Nachtmahr. So gegensätzlich von ihrem Charakter sind Vater und Tochter dann auch in ihrer Gesinnung.

Winfried fehlt, auch wegen dem vereinzelt gesprochenen Englisch, als Alt-68er und Grünem das Verständnis, was Outsourcing ist. Anzugträgerin Ines dagegen lässt sich zumindest nicht anmerken, dass ihr die bevorstehende Arbeitslosigkeit vieler rumänischer Arbeiter von Hennebergs Tochterunternehmen nahe geht. Sie könne ihrem Vater genau erklären, wie sein Leben direkt mit der Situation in Rumänien zusammenhänge, neckt Ines ihn. Und scheint es durchaus zu genießen, als der in Toni-Erdmann-Verkleidung anschließend bei einem Baustellenbesuch durch seine Albernheit einem Arbeiter den Job kostet, was dem Deutschen erkennbar trifft. Nur: Der Erkenntnisgewinn im Film scheint ein einseitiger des Vaters zu sein.

Ein vermeintlich kathartischer Moment gegen Ende wirkt bei Ines eher aus dem fortschreitenden Frust der Situation heraus geboren. Und wie sich im Schluss zeigt, ist die Figur nicht wirklich weiter als zu Beginn des Films. Die Frage nach dem, was Glück im Leben bedeutet, beantwortet sich erkennbar nur für Winfried. Das mag daran liegen, dass wir die Geschichte aus seiner Sicht verfolgen, mit ihm Ines in Bukarest als Außenstehende beobachten, während diese für das Publikum genauso fremd bleibt wie für ihren Vater. Dass Ade hierfür fast drei Stunden aufwendet, wirkt eher kontraproduktiv, hätte die Geschichte von Toni Erdmann sicher auch – und vermutlich sogar besser – in einer Stunde weniger Laufzeit erzählt werden können.

Der Film lebt dabei vom Spiel seiner beiden Darsteller, das von Hüller gerade gegen Ende mehr fordert als von Simonischek. Wo dessen Figur sich wiederholt im Film hinter Masken versteckt, erhält die von Ines verstärkt Risse – zerbricht allerdings bis zum Ende nicht wirklich. Der injizierte Humor von Toni Erdmann verdankt sich dann primär des gleichnamigen Charakters, der in seinem wüsten Lügenkonstrukt und Vermischung aus Deutsch und Englisch für Lacher sorgt. Und das mit simplen Mitteln, so schmiss sich mein Kinopublikum jedes Mal weg, wenn Winfried in der Öffentlichkeit als Toni Erdmann seine Tochter als seine Assistentin „Miss Schnuck“ vorstellte. Als verkürzter Name von „Schnuckelchen“ für sich natürlich auch sexistisch.

Was macht dies jetzt für einen deutschen Film so besonders? Er muss ja gut sein, sonst wäre er nicht als erster deutscher Beitrag seit 2008/09 nach Cannes eingeladen worden, wie so viele deutsche Rezensionen hervorheben. Fast wirkt es so, als verdanke sich seine kolportierte Qualität primär der französischen Festivalleitung. Nach dem Motto: Der Film muss gut sein – und wir als Nation dankbar, dass er eingeladen wurde. Wehmut trifft Witz, heißt es im Tagesspiegel, ein neuer Ton im deutschen Kino. So als hätte es Filme wie Marcus H. Rosenmüllers Wer früher stirbt ist länger tot nie gegeben. Womöglich ist die Qualität von Toni Erdmann also schlicht Ansichtssache. Immerhin: Ich habe auch schon schlechtere deutsche Filme gesehen.

6/10

18. Oktober 2014

Oktober November

Nützlich sein, sonst darf man net glücklich sein.

Ein Sprichwort sagt, jeder ist seines Glückes Schmied. Vermutlich würden die Figuren in Götz Spielmanns Filmen dies nicht unterschreiben wollen. Schon die Charaktere in seinem vor fünf Jahren für einen Oscar nominierten Revanche hatten mit Widrigkeiten und einander zu kämpfen. Auch in seinem neuen Film, Oktober November, macht es der österreichische Regisseur seinen Geschöpfen nicht leicht. Sie hadern mal wieder miteinander, aber auch mit sich selbst. Im Mittelpunkt stehen dabei die beiden Schwestern Verena (Ursula Strauss) und Sonja (Nora von Waldstätten), die im Grunde gänzlich unterschiedliche Leben führen, aber – so zeigt sich im Verlauf des Films – doch mehr gemein haben, als ihnen selbst bewusst scheint.

Während Sonja, die Jüngere, in Berlin als Schauspielerin arbeitet, lebt Verena mit ihrem Mann Michael (Johannes Zeiler) und dem gemeinsamen Sohn im ehemaligen Gasthaus ihres Vaters (Peter Simonischek). Dessen Gesundheit lässt allmählich nach, weswegen sich der Landarzt Andreas (Sebastian Koch) um den Witwer kümmert. Dennoch erleidet der alte Mann eines Abends nach dem Vesper einen Herzinfarkt, der ihn beinahe ins Jenseits befördert. Der Vorfall ist Anlass für Sonja, nach Jahren der Abwesenheit, die seit dem Tod der Mutter ins Land gezogen sind, wieder in ihre Heimat in die österreichische Provinz zurückzukehren. Doch ihren Ballast, der sie schon in Berlin geplagt hat, wird sie auch hier nicht los.

Scheinen die Figuren auf den ersten Blick ein glückliches Leben zu führen – Sonja als populäre Schauspielerin, Verena als Ehefrau und Mutter –, entblößt sich dieser Umstand lediglich als eine Fassade. Trost suchen beide in Affären, Sonja mit einem verheirateten Familienvater, Verena derweil mit Andreas. Die Umstände der Romanzen bleiben offen, werden höchstens angerissen. Wo Verena vermutlich aus ihrem Alltagstrott auszubrechen versucht, der sie zu erdrücken scheint, will Sonja eine Leere füllen, die ihren Ursprung in der Vergangenheit hat. „Kein Mensch weiß, wie er wirklich ist“, sagt die junge Schauspielerin zu Beginn. Zumindest sie und ihre ältere Schwester werden diese Aussage in Oktober November zu untermauern versuchen.

Mit der Anwesenheit von Sonja wird das Leben Verenas nicht leichter. Alte Spannungen und Gefühle der Eifersucht kochen wieder hoch. Im Gegensatz zu ihrer Schwester konnte Verena nie das Leben leben, das sie sich erträumte. Sie musste zurückbleiben in der Provinz im Gasthof des Vaters. „Es war sein größter Wunsch, dass ich weitermach’“, sagt die Tochter über den Vater. Und gesteht zugleich, dass sein Tod für sie in gewisser Weise Freiheit bedeuten würde. Freiheit von alten Erwartungen und gegenwärtigen Anforderungen. Von solchen wiederum scheint Sonja eher weniger geplagt und dennoch wirkt sie ungemein fragil. Eine Depression hat sie erst überwunden, erfahren wir, einem Glas Weißwein ist sie selten abgeneigt.

Sie habe immer bewundert und geliebt werden wollen, berichtet sie Andreas in einer Szene. „Bewundert und geliebt… geht das zusammen?“, fragt dieser halb im Spaß, halb im Ernst zurück. Wenn Verena ihr später vorwirft „Du musst dauernd ’ne Rolle spielen“, dann ist dies nicht weit von der Wahrheit entfernt. Und hier zeigt sich auch das Hauptproblem von Spielmanns Film: Was den beiden Schwestern im Leben zu fehlen scheint, insbesondere Sonja, weiß Oktober November nicht vollends deutlich zu machen. Dass der Regisseur teils, gerade in der Herzinfarktszene, mit verspielter Inszenierung und unnötigem Zoom arbeitet, fällt obendrein von technischer Seite negativ ins Auge. Zumindest das Ensemble lässt sich nichts zu Schulde kommen.

Auch Österreichs Landschaft ist wieder in gewisser Weise ein Charakter ganz für sich. Und dennoch erreicht Oktober November selten die Intensität und Qualität von Spielmanns Revanche. Dafür fehlt es am Einblick in das Innenleben der beiden Schwestern und einer etwas klareren Herausarbeitung ihrer ambivalenten Dynamik. Nach fünf Jahren Pause meldet sich Götz Spielmann somit nicht wirklich mit alter Stärke zurück, obschon man den Film auch nicht vollends als Enttäuschung ansehen kann. Zumindest sein Potential schöpft Oktober November jedenfalls nicht aus. Möge sich dies also beim nächsten Projekt des österreichischen Regisseurs wieder ändern. Denn jeder ist seines Glückes Schmied – das gilt auch für Götz Spielmann.

6/10