Posts mit dem Label Ursula Strauss werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Ursula Strauss werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

18. Oktober 2014

Oktober November

Nützlich sein, sonst darf man net glücklich sein.

Ein Sprichwort sagt, jeder ist seines Glückes Schmied. Vermutlich würden die Figuren in Götz Spielmanns Filmen dies nicht unterschreiben wollen. Schon die Charaktere in seinem vor fünf Jahren für einen Oscar nominierten Revanche hatten mit Widrigkeiten und einander zu kämpfen. Auch in seinem neuen Film, Oktober November, macht es der österreichische Regisseur seinen Geschöpfen nicht leicht. Sie hadern mal wieder miteinander, aber auch mit sich selbst. Im Mittelpunkt stehen dabei die beiden Schwestern Verena (Ursula Strauss) und Sonja (Nora von Waldstätten), die im Grunde gänzlich unterschiedliche Leben führen, aber – so zeigt sich im Verlauf des Films – doch mehr gemein haben, als ihnen selbst bewusst scheint.

Während Sonja, die Jüngere, in Berlin als Schauspielerin arbeitet, lebt Verena mit ihrem Mann Michael (Johannes Zeiler) und dem gemeinsamen Sohn im ehemaligen Gasthaus ihres Vaters (Peter Simonischek). Dessen Gesundheit lässt allmählich nach, weswegen sich der Landarzt Andreas (Sebastian Koch) um den Witwer kümmert. Dennoch erleidet der alte Mann eines Abends nach dem Vesper einen Herzinfarkt, der ihn beinahe ins Jenseits befördert. Der Vorfall ist Anlass für Sonja, nach Jahren der Abwesenheit, die seit dem Tod der Mutter ins Land gezogen sind, wieder in ihre Heimat in die österreichische Provinz zurückzukehren. Doch ihren Ballast, der sie schon in Berlin geplagt hat, wird sie auch hier nicht los.

Scheinen die Figuren auf den ersten Blick ein glückliches Leben zu führen – Sonja als populäre Schauspielerin, Verena als Ehefrau und Mutter –, entblößt sich dieser Umstand lediglich als eine Fassade. Trost suchen beide in Affären, Sonja mit einem verheirateten Familienvater, Verena derweil mit Andreas. Die Umstände der Romanzen bleiben offen, werden höchstens angerissen. Wo Verena vermutlich aus ihrem Alltagstrott auszubrechen versucht, der sie zu erdrücken scheint, will Sonja eine Leere füllen, die ihren Ursprung in der Vergangenheit hat. „Kein Mensch weiß, wie er wirklich ist“, sagt die junge Schauspielerin zu Beginn. Zumindest sie und ihre ältere Schwester werden diese Aussage in Oktober November zu untermauern versuchen.

Mit der Anwesenheit von Sonja wird das Leben Verenas nicht leichter. Alte Spannungen und Gefühle der Eifersucht kochen wieder hoch. Im Gegensatz zu ihrer Schwester konnte Verena nie das Leben leben, das sie sich erträumte. Sie musste zurückbleiben in der Provinz im Gasthof des Vaters. „Es war sein größter Wunsch, dass ich weitermach’“, sagt die Tochter über den Vater. Und gesteht zugleich, dass sein Tod für sie in gewisser Weise Freiheit bedeuten würde. Freiheit von alten Erwartungen und gegenwärtigen Anforderungen. Von solchen wiederum scheint Sonja eher weniger geplagt und dennoch wirkt sie ungemein fragil. Eine Depression hat sie erst überwunden, erfahren wir, einem Glas Weißwein ist sie selten abgeneigt.

Sie habe immer bewundert und geliebt werden wollen, berichtet sie Andreas in einer Szene. „Bewundert und geliebt… geht das zusammen?“, fragt dieser halb im Spaß, halb im Ernst zurück. Wenn Verena ihr später vorwirft „Du musst dauernd ’ne Rolle spielen“, dann ist dies nicht weit von der Wahrheit entfernt. Und hier zeigt sich auch das Hauptproblem von Spielmanns Film: Was den beiden Schwestern im Leben zu fehlen scheint, insbesondere Sonja, weiß Oktober November nicht vollends deutlich zu machen. Dass der Regisseur teils, gerade in der Herzinfarktszene, mit verspielter Inszenierung und unnötigem Zoom arbeitet, fällt obendrein von technischer Seite negativ ins Auge. Zumindest das Ensemble lässt sich nichts zu Schulde kommen.

Auch Österreichs Landschaft ist wieder in gewisser Weise ein Charakter ganz für sich. Und dennoch erreicht Oktober November selten die Intensität und Qualität von Spielmanns Revanche. Dafür fehlt es am Einblick in das Innenleben der beiden Schwestern und einer etwas klareren Herausarbeitung ihrer ambivalenten Dynamik. Nach fünf Jahren Pause meldet sich Götz Spielmann somit nicht wirklich mit alter Stärke zurück, obschon man den Film auch nicht vollends als Enttäuschung ansehen kann. Zumindest sein Potential schöpft Oktober November jedenfalls nicht aus. Möge sich dies also beim nächsten Projekt des österreichischen Regisseurs wieder ändern. Denn jeder ist seines Glückes Schmied – das gilt auch für Götz Spielmann.

6/10

26. November 2009

Revanche

In der Stadt wird man entweder arrogant oder ein Lump.

Schon lange gilt Österreich als der kleine Bruder von Deutschland. Wenn es nach den Österreichern geht, wohl schon zu lange. Stets im Schatten der Deutschen können sich die Österreicher weder in der Musik (DJ Ötzi zählt nicht), noch im Sport für ihren Status revanchieren. Wenn es ums Filme drehen geht, haben sie jedoch dem großen Bruder in den letzten Jahren wenn schon nicht einiges voraus, dann doch zumindest Augenhöhe erreicht (was hinsichtlich des deutschen Kinos allerdings nicht unbedingt als Kompliment anzusehen ist). Die Fälscher gewann im Vorjahr den Oscar als bester fremdsprachiger Film. Was hinsichtlich des Status’ des Oscars auch nicht unbedingt viel heißen muss, aber immerhin bringt es Aufmerksamkeit. Mit Revanche waren die Österreicher dieses Jahr erneut bei der prestigereichsten Preisverleihung vertreten, mussten jedoch – zu recht – dem japanischen Vertreter den Vorrang lassen. Nichtsdestotrotz eine bemerkenswerte Leistung, innerhalb von einem Jahr zwei Mal nominiert zu werden. Schließlich hatte es zuvor lediglich 1986 mit 38 – Auch das war Wien eine österreichische Oscarnominierung in dieser Rubrik gegeben.

Zu Beginn nimmt Regisseur Götz Spielmann nicht nur eine Szene vorweg, sondern deutet sie sogleich zur Metapher für den ganzen Film um. Ein Gegenstand wird in einen See geworfen. Der Aufprall ins Wasser löst Wellen aus, die schließlich wieder verebben. Sinnbildlich für das Bild wird hier aufgeschlüsselt, dass ein Ereignis Wellen schlagen kann. Revanche erzählt die Geschichte von Alex, aber auch von Tamara, Susanne und Robert. Tamara (Irina Potapenko) ist eine Prostituierte in Wien. Sie stammt aus der Ukraine, spricht aber durchaus Deutsch, wenn auch mit grammatikalischen Fehlern. Diese sind dafür sehr süß und charmant („Gehe ich spazieren“). In den Augen von Tamaras Zuhälter Konecny (Hanno Pöschl) ist Tamara „zu Schad’ für’s Puff“. Er will sie in eine eigene Wohnung stecken, wo sie zur Edelhure für die Beletage Wiens umfunktioniert werden soll. Damit Tamara das verdeutlicht wird, lässt sie Konecny auch gerne mal von einem Freier zusammenschlagen, um sie in die „sichere“ Wohnung zu treiben.

Was Konecny nicht weiß: Tamara ist mit Alex (Johannes Krisch), einem Ex-Häftling und Aushilfe im Puff, liiert. Bei ihm darf Tamara sogar ihre Familie in der Ukraine anrufen. In Konecnys Wohnung will Tamara daher nicht. Der Zuhälter ist ihr verständlicherweise unheimlich. Wenn es nach Alex geht, könnten sie auch lieber heute als morgen nach Ibiza abhauen. Dort kann er bei einem Kumpel in einer Bar als Teilhaber einsteigen. Nur fehlen ihm 80.000 Euro. Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Eben. Sein Plan, eine örtliche Bank zu überfallen, wird von Tamara wenig enthusiastisch aufgenommen. Aber auch sie will ihrem tristen Leben entfliehen. Bei der Flucht kommt es allerdings zu einer Schießerei mit dem Streifenpolizisten Robert (Andreas Lust). Der hat nach eigener Aussage „auf die Reifen gezielt“, aber stattdessen Tamara getroffen. Diese verstirbt im Wald, Alex wiederum sucht Unterschlupf bei seinem Großvater (Johannes Thanheiser), der in der Umgebung lebt. Erstmal Gras über die Sache wachsen lassen. Wäre da nicht Susanne (Ursula Strauss), Roberts Ehefrau und Bekannte von Alex’ Großvater, die sich ständig auf dem Gut der beiden herumtreibt.

Spannend wird es schließlich, als Alex herausfindet, dass Robert für Tamaras Tod verantwortlich ist und im selben Ort wie sein Großvater wohnt. Während er diesem beim Holzhacken behilflich ist, nähert sich Susanne allmählich an Alex an. Beide beginnen aus individuellen Gründen eine Affäre miteinander. Alex selbst befasst sich mehr und mehr mit seinem Zielobjekt Robert. Sonntags joggt dieser an einem kleinen See entlang und Alex wartet auf ihn. Manchmal die Umgebung auslotend, dann wieder mit geladener Waffe auf Robert zielend. Was Revanche nun auszeichnet, ist die nicht vorhandene Effekthascherei, mit der Spielmann seine Geschichte erzählt. Sehr ruhig und besonnen lässt der Österreicher seine Bilder für sich sprechen, wirkt dabei nie aufgeregt. Weder beim Banküberfall, noch während der Flucht. Als Tamara stirbt und Alex im Wald hält, fokussiert Spielmann die Kamera von außen gut eine halbe Minute auf den stillstehenden Wagen. Man hört Alex nicht Schreien, hört ihn nicht Weinen. Man sieht einfach nur das Bild.

Auch auf die Eskalation zwischen Alex und Robert wartet man vergeblich. Revanche ist weniger Thriller als Charakterstudie. Des Öfteren sieht man Alex gemeinsam mit seinem Großvater ihr Vesper zu sich nehmen. Die Männer kommen sich wieder näher, wenn auch in Stille. Susanne und Robert wiederum haben ihre eigenen Probleme. Nachdem Robert den Tod Tamaras nicht verarbeiten kann, schließt er seine Frau emotional aus. Übernimmt Nachtschichten und bricht schließlich zusammen. Er hat doch auf die Reifen gezielt. Da Spielmann zu Beginn den Polizisten bei Schießübungen gezeigt hat, kann man sich denken wie sehr ihn Tamaras Tod mitnimmt. Er ist ein guter Schütze. Und er hat doch auf die Reifen gezielt. Die Entwicklung, die Spielmanns Film später nimmt, ist letztlich wenig überraschend und doch unerwartet. Als Zuschauer ist man einen Film wie Revanche nicht (mehr) gewöhnt. Zum Vergleich ließe sich Reservation Road heranziehen – den Roman, nicht den Film –, der am Ende einen ganz anderen und irgendwie typisch amerikanischen Verlauf nimmt. Nicht so Revanche, der durchweg stimmig, stringent und spannend ist. Und das ohne allzu viel Aufheben und besser als alles, was wir Deutschen dieses Jahr hervorbrachten.

8.5/10